Werk 1
Kommentar
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Werk 3
Werk 4
Werk 5
Hermann Nitsch (* 1938), österr. bildender Künstler, zu Beginn der 1960er Jahre einer der Mitbegründer des Wiener Aktionismus; sein künstlerisches Schaffen zielt von Beginn an auf die Konzeptionierung und Realisierung eines »Orgien-Mysterien-Theaters«. Nitsch legt den Aktionen, die er als Teil dieses Gesamtkunstwerks sieht, jeweils eine genauen Abfolge zugrunde, die in einer Partitur festgehalten und unter Aufsicht eines Regisseurs umgesetzt wurde; zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Koflers Dramolett (1991) lagen die Partituren aller aufgeführten Aktionen bis 1984 in Druck vor (vgl. Nitsch 1979, Nitsch 1984) – Koflers Persiflage folgt im Umbruch Nitschs Anordnung einzelner kurzer Angaben auf einer sonst leeren Seite. (s. Eintrag ›Nitsch‹)
Der Begriff des Opfers gehört in den Komplex des Nitsch’schen Orgien-Mysterien-Theaters und seinem intensiven Bezug zur Antike, zu den Dionysien und Bacchanalien. Allerdings geht es nicht um die Besänftigung der Götter, Nitsch spricht bereits 1962 von einer »opferersatzhandlung«, womit gemeint sei, »dass an stelle des opfers eine ästhetische, durch die form, die kunst bestimmte ritualhandlung vollzogen wird« (Nitsch 2015a).
Robert Menasse (* 1954), österr. Schriftsteller
Nitsch schreibt davon, dass ihn bei seinen Aktionen das Vordringen in unterbewusste Bereiche der Psyche interessiert: »verdrängtes sollte nach aussen gelangen und bewusst gemacht werden. an den alten opfern interessierte mich nur ihr abreaktionscharakter« (Nitsch 2015a). Nitsch schrieb mehrere Texte für »Abreaktionsspiele«, in denen Schreichöre zentrale Rollen übernehmen. Dem »1. Abreaktionsspiel« (1961 entstanden) stellt er folgende Erklärung voran: »Im abreaktionsspiel werden durch erzeugung von enthemmungsextasen abreaktionsereignisse konstruiert und erlebt« (Nitsch 1976, 12). Die durchnummerierten »Abreaktionsspiele« stehen am Beginn der Konzeptionierung des Orgien-Mysterien-Theaters und wurden in den 1960er und 1970er Jahren parallel/kombiniert zu/mit den ebenfalls durchnummerierten Aktionen durchgeführt.
Das bei Kofler zentrale Adjektiv »überreif« taucht bei Nitsch nur vereinzelt auf: in den Partituren zur 50. und 80. Aktion gar nicht (vgl. Nitsch 1979, Nitsch 1984), in der »Theorie des Orgien Mysterien Theaters« ist von einer »überreife[n] roten weinbeere« die Rede, die »auf der zunge zerquetscht« werde (Nitsch 2015b, 65), sowie vom »fruchtfleisch einer weintraube überreif« (Nitsch 2015b, 70). Das Fruchtfleisch ist den »Motiven« Dionysos und Abreaktion zugeordnet (Nitsch 2015b,73).
Kofler mischt in diesem Dramolett Elemente aus den Partituren des Orgien-Mysterien-Theaters (Fleisch, Schlachtung, Blut, Kreuz, Begattung, Prozession), die detailreich auch die aufgetragenen Speisen, vor allem aber die Gerüche, angeben (vgl. Nitsch 1984), mit Parodistischem wie dem Bier oder dem Wehrmachtshelm.
Schloss Prinzendorf: »eher ein Gutshof als ein Château« (Fuchs 2015, 912), barocker Bau im Weinvierteler Ort Prinzendorf an der Zaya, 1971 von Hermann Nitschs erster Frau käuflich erworben; der Grundriss der Anlage ist Teil der Partituren zu den großen Aktionen vor Ort (vgl. Nitsch 1984, 14f.). Die 24 Stunden dauernde 50. Aktion war 1975 für Nitsch ein wichtiger Schritt zur Verwirklichung seines Orgien-Mysterien-Theaters auf Schloss Prinzendorf. s. Eintrag ›Prinzendorf‹
Robert Menasses Romandebüt »Sinnliche Gewißheit«erschien 1988 im Rowohlt Verlag (im selben Jahr hatte Kofler nach dem Wechsel von Wagenbach mit »Am Schreibtisch« ebenfalls seine erste Veröffentlichung bei Rowohlt). Im Begriff der Sinnlichkeit gibt es eine Schnittmenge mit Nitsch, der seine Aktionen als eine »instinktive suche nach sinnlich intensiven erlebnissen« beschreibt (Nitsch 2015a). Menasse übernahm den Titel allerdings von Hegels »Phänomenologie des Geistes« und dessen gleichlautendem ersten Kapitel (»Die sinnliche Gewissheit oder das Diese und das Meinen«, vgl. Hegel 1970)
Der aus Menasses Dissertation hervorgegangene »Essay zum österreichischen Geist« »Die sozialpartnerschaftliche Ästhetik« erschien 1990.
Die Aufzählung Koflers – die sich an die Partituren Nitschs anlehnt – bezieht sich auf die wichtige Funktion der Musik in Nitschs Gesamtkunstwerk. Schreichöre und Instrumente zur Lärmgestaltung sind dabei wichtige Mittel der Steigerung hin zum Ekstatischen. »das orchester besteht vornehmlich aus schlagzeug, blech- und holzbläsern, beat-instrumenten sowie lärminstrumenten aller art« (Nitsch 2015c, 738).
Die Partitur zum Drei-Tage-Spiel 1984 fordert Hubschrauber ein, die das Schloss überfliegen (vgl. Nitsch 1984, 474f.).
Anspielung auf den zentralen Handlungsort in Menasses Roman »Sinnliche Gewissheit« (vgl. Menasse 1988): die »Bar jeder Hoffnung« in São Paulo, einen Treffpunkt europäischer Emigranten
»die sterne verblassen« steht alleine auf einer Seite der Partitur des 3-Tage-Spiels 1984 (Nitsch 1984, 405).
»warten auf den SONNENAUFGANG« steht alleine auf einer Seite der Partitur des 3-Tage-Spiels 1984 (Nitsch 1984, 406).
Bodo Kirchhoff (* 1948), deutscher Schriftsteller