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Der 1882 errichtete und 1919–1925 vergrößerte Bahnhof Friedrichstraße war nach der Errichtung der Mauer der meistfrequentierte Grenzübergang zwischen West- und Ost-Berlin. Die 1962 eröffnete, dem Bahnhof nördlich vorgelagerte Ausreisehalle wurde als »Tränenpalast« zum Symbol der mit menschlichen Schicksalen verknüpften Trennung der beiden Landesteile (heute Museum). Das von Kofler beschriebene strenge Grenzregime an der »Grenzübertrittsstelle« Friedrichstraße mit seinen einschüchternden Ritualen war für BesucherInnen aus dem Westen unangenehm, die starke Bewachung diente aber in erster Linie der Vereitelung von Fluchtversuchen aus der DDR (vgl. Springer 2013).
Die Nationale Volksarmee (NVA) war der reguläre militärische Arm der 1949 gegründeten DDR, ihr gesetzlich legitimierter Aufbau begann nach dem Beitritt zum Warschauer Pakt 1956. Die NVA war Teil der staatlichen Politik und damit im marxistisch-leninistischen Politikverständnis wichtiges Instrument des Klassenkampfs (vgl. Metzler 2012, 27). Neben den Aufgaben, die der NVA als Teil der »sozialistischen Verteidigungskoalition« des Warschauer Pakts im Kampf gegen eine etwaige »imperialistische Aggression« (Naumann 1993, 91) erwuchsen, war die Bewachung der Demarkationslinie zwischen DDR und BRD ebenfalls ein Teil ihrer Tätigkeit. Nach der Errichtung der »Sperranlagen« an der innerdeutschen Grenze wurde die Grenzpolizei der NVA unterstellt (vgl. Wolf 2005, 79). Die Soldaten, die die Passkontrolle durchführten, waren der Uniform nach Mitglieder der Grenztruppen der NVA, waren aber eigenen (besser bezahlten) »Paßkontroll-Einheiten« – direkt dem Ministerium für Staatssicherheit unterstellt – zugeordnet (vgl.Schultke 2008, 84).
Klaus Wagenbach (* 1930), deutscher Verleger, promovierter Germanist, 1964 Gründung des eigenen Verlags, in dem 1975 Koflers »Guggile« erschien. Wagenbach verstand sich als explizit linker Verlag, zu Beginn der 1970er Jahre war der Verlag als Kollektiv organisiert. (Unter anderem) durch die Herausgabe von Texten Ulrike Meinhofs wurde er – in der Presse, durch polizeiliche Überwachung und durch Prozesse – zum ›Staatsfeind‹, im »bürgerlichen Lager« galt der Verlag damals als »Baader-Meinhof-Verlag« (vgl. Wagenbach 1989, 111).
Kurt Neubauer (1922–2012), deutscher Politiker (SPD), 1952–1963 Bundestagsabgeordneter, 1963–1967 Berliner Senator für Jugend und Sport, 1967–1977 Berliner Innensenator
Blockwart: Dieser Begriff […] wurde von den Zeitgenossen als eine Art Sammelbezeichnung gebraucht, mit der Träger ganz unterschiedlicher NS-Funktionen charakterisiert wurden, sofern – dies ist die wesentliche Gemeinsamkeit – ihre Tätigkeit konkret auf einen abgegrenzten und überschaubaren Wohnbereich bezogen war (Schmiechen-Ackermann 2000, 582f.). Diese »Sammelbezeichnung« umfasste innerhalb der NSDAP die Funktionsbezeichnungen Zellenleiter, Blockleiter und Blockhelfer, in andere Organisationen wie Deutsche Arbeitsfront, NS-Frauenschaft oder NS-Volkswohlfahrt die sogenannten Blockwarte. Mit den Luftschutzwarten kam während des Zweiten Weltkriegs dann noch eine weitere Funktion hinzu, sodass diese kleinteiligen Strukturen von der Bevölkerung nicht nachvollzogen wurden und man durchgängig von »Blockwarten« sprach.
In einer von Innensenator Kurt Neubauer initiierten Reform führte die Berliner Polizei 1974 »Kontaktbereichsbeamte« ein. Diese einzeln agierenden Beamten sollten den direkten Kontakt mit den Bürgern pflegen, der sich durch die im Zuge der Reform forcierten motorisierten Streifen stark zu dezimieren drohte. Die von der beauftragten Schweizer Unternehmensberatungsfirma (Kofler: »ein ideenimport aus der schweiz«) vorgeschlagenen Revierauflösungen führten zu ingesamt 722 »Kontaktbereichen«. Mit der Reform war auch eine Verbesserung des Polizei-Images, das sich im Zuge der Studentenunruhen stark verschlechtert hatte, intendiert: Die Polizisten führten Visitenkarten mit sich, sollten niederschwellig zu Fuß Präsenz zeigen und hatten ein striktes Alkoholverbot einzuhalten (vgl. [red.] 1973). Bei der kritischen Linke verfing diese Imagepolitur nicht, man sah in der ›Volksnähe‹ der Beamten die Gefahr des Ausspionierens. Die mit der Reform eingeführte martialisch anmutende neue Schutzausrüstung (Helm, Knüppel, Schutzschild), die vor allem DemonstrantInnen zu Gesicht bekamen, war einem Vertrauens- oder Sympathiegewinn auch nicht zuträglich (später im Text: ungetüme mit helm, visier, schild und schlagstock«).
Am 27. Februar 1975 wurde der Politiker Peter Lorenz (1922–1987), CDU-Spitzenkandidat des gerade stattfindenden West-Berliner Wahlkampfs, bei einem fingierten Autounfall von der »Bewegung 2. Juni« entführt. In der kollektiven Erinnerung ist diese Geiselnahme von den Geschehnissen des »deutschen Herbsts« 1977 überdeckt. Die Entführung wurde in einem »breiteren Kreis von Sympathisanten« mit Wohlwollen wahrgenommen, darauf deuten mehrere Bekenntnisse und Drohungen gegen andere Politiker, die bei den Behörden eingingen, hin (vgl. Dahle 2007, 648). Ein Spezifikum dieser Entführung ist, dass Entführer und Behörden über die Medien Kontakt hielten. Am 5. März wurde Lorenz unversehrt freigelassen, man war – auch auf Betreiben des politischen Kontrahenten Lorenz’, Bürgermeister Klaus Schütz – auf die Bedingungen der Entführer eingegangen: fünf inhaftierte »Genossen« wurden in den Südjemen ausgeflogen. Es war der letzte (und in der Ära Helmut Schmidt der einzige) Anschlag in der BRD, bei dem die Forderungen der Terroristen erfüllt wurden.
Im 1914 fertiggestellten Rathaus Schöneberg befindet sich heute die Bezirksvertretung des Berliner Bezirks Tempelhof-Schöneberg. Von 1949 an (bis zur Wiedervereinigung) befand sich hier der Sitz des Regierenden Bürgermeisters und das Berliner Abgeordnetenhaus.
Die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus fand am 2. März 1975 statt. Es waren wegen der Entführung Lorenz’ »Krisen-Wahlen« (Schmollinger 1975, 446).
Berliner Boulevardzeitung, nicht zu verwechseln mit der »Berliner Zeitung«. Die 1877 gegründete »B. Z.« erscheint seit 1960 im Springer-Konzern, als Untertitel führt sie die Bezeichnung »Die größte Zeitung Berlins«. Am 28. Februar 1978 titelte sie mit: »Ist Lorenz noch am Leben?« Im Blattinneren elf Doppelseiten Berichterstattung, u.a. zur verzweifelten Ehefrau, zum Tatort, zu Lorenz’ Fahrer (der eine RAF-Terroristin erkannt zu haben glaubte, die aber nicht beteiligt war). Inwieweit diese Ausgabe eine von zwei »Sonderausgaben« war, lässt sich nicht eruieren. Laut Zeitungsarchiv (Staatsbibliothek Berlin) erschien die nächste »B. Z.«-Ausgabe am 1. März, diesmal mit neun Seiten Berichterstattung zur Lorenz-Entführung.
Der »Sender Freies Berlin« ging 1954 mit zwei Rundfunkprogrammen auf Sendung, er übernahm die Strukturen des Berliner Ablegers des Nordwestdeutschen Rundfunks. Ab 1958 kam ein Regionalfernsehprogramm innerhalb der ARD hinzu. 2003 löste sich der SFB im neuen Rundfunk Berlin-Brandenburg auf.
Matthias Walden: Pseudonym von Eugen Wilhelm von Saß (1927–1984), deutscher Journalist, 1950 Flucht aufgrund seiner konservativen, in der DDR nicht opportunen Ansichten in die BRD, Annahme des Pseudonyms, Arbeit in West-Berlin für die Sender RIAS und SFB, Kolumnen für »Quick« und »Die Welt«. Bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus Anfang März 1975 unterstützte er den Bund Freies Deutschland.
Im Rahmen der mehrseitigen Berichterstattung zur Lorenz-Entführung stellt die Ausgabe der »Bild«-Zeitung vom 28. Februar 1975 die Frage: Würde die ›DDR‹ die Terroristen aufnehmen? Im Anschluss wird die Meldung der »Zonenagentur« ADN wiedergegeben, die verlautet, dass die zuständigen Organe der ›DDR‹ [die Zeitung verwendet hier stets Anführungszeichen] die erforderlichen Fahndungsmaßnahmen veranlaßt hätten. Die »Bild«-Zeitung weist darauf hin, dass man Kontakte zur PLO habe und 1970 Mitglieder der »Baader-Meinhof-Bande« über den Ost-Berliner Flughafen in ein Trainingslager nach Jordanien geflogen seien, die »Anarchisten« hätten dennoch »nichts Gutes« zu erwarten, würde man sie in der »Zone« fassen ([red.] 1975b).
Gegen Klaus Wagenbach wurde vier Prozesse angestrebt bzw. geführt: der erste 1974 wegen der Bezeichnung »Mord« für die Tötung von Benno Ohnesorg und Georg von Rauch durch die Polizei (Klage abgewiesen); der zweite wegen der Veröffentlichung »Über den bewaffneten Kampf in Westeuropa« (1971) des Kollektiv RAF (acht Monate bedingte Haftstrafe); der dritte, ebenfalls 1974, wegen der Veröffentlichung des »Roter Kalenders für Lehrlinge und Schüler« (vier Monate bedingte Haftstrafe, Verfahrenskosten); schließlich der von Kofler beobachtete Prozess 1975, die Revision in Sachen ›Mord‹, die der Berliner Polizeipräsident angestrengt hatte (Wagenbach 1989, 106). Der Prozess lief seit Mitte Jänner 1975 am Kriminalgericht Berlin-Moabit. In dieser Revision ging es um Beleidigung des Polizeiapparats: Trotz des geringen Strafvorwurfs wurden über mehrere Prozesstage rund 30 Zeugen für die Wahrheitsfindung befragt (vgl. [red.] 1975) – Urteil: Geldstrafe und Verfahrenskosten.
Otto Schily (* 1932), deutscher Politiker (Die Grünen, SPD) und Rechtsanwalt, ab 1968 Verteidiger von Gudrun Ensslin, einer der Verteidiger im »Stammheim-Prozess« 1975–1977, in den 1970er Jahren vehementer Kritiker einer Politik, die im Namen der Terrorismusbekämpfung Bürgerrechte einzuschränken sucht
Victor Weber (* 1937), Staatsanwalt beim Prozess gegen Klaus Wagenbach, später Oberstaatsanwalt und Leiter der Jugendhauptabteilung der Berliner Staatsanwaltschaft sowie stellvertretender Vorsitzender des deutschen Richterbundes. Weber hatte 1971 auch die Beschlagnahme der beiden inkriminierten Publikationen des Wagenbach-Verlags (die RAF-Broschüre und den »Roten« Kalender) veranlasst. Die von Kofler wiedergegebenen Zitate Webers aus dem Gerichtssaal konnten nicht verifiziert werden. Von den eingesehenen Berliner Zeitungen (»B. Z., Bild, Der Abend, Berliner Morgenpost«) berichtet einzig der »Tagesspiegel« über den Wagenbach-Prozess, schreibt aber in Bezug auf den Staatsanwalt nur davon, dass er eine Geldstrafe gefordert habe. Tumulte im Gerichtssaal werden nicht erwähnt ([red.] 1975d).
Am 28. Februar stellten die Entführer in einem Brief an die deutsche Presseagentur ihre Forderungen: Freilassung von Gefangenen, die während einer Protestaktion gegen den Hungertod von Holger Meins (9. 11. 1974) inhaftiert wurden, Freilassung und Ausfliegen von sechs verurteilten Terroristen, Abdruck des Schreibens in den größten Tageszeitungen des Landes und »waffenruhe von seiten der polizei« (vgl. Dahlke 2007, 653). »die auswahl der häftlinge«, die laut Kofler »niemandem so recht klar« war, umfasste Verena Becker, Gabriele Kröcher-Tiedemann, Ina Siepmann und Rolf Heißler, allesamt Mitglieder der »Bewegung 2. Juni«, sowie die RAF-Mitglieder Horst Mahler und Rolf Pohle. Dass etwa Andreas Baader und Ulrike Meinhof nicht auf der Liste waren, verwunderte auch den Innenminister Walter Maihofer (vgl. Dahlke 2007, 654).
Es gab keine eigentliche Gründung der Roten Armee Fraktion – als ihre erste Aktion gilt die Befreiung des inhaftierten Andreas Baaders auf einem bewachten Freigang im Mai 1970. Im Monat darauf veröffentlichte die Gruppe eine erste programmatische Erklärung, in der sie abschließend fordert: »Die Rote Armee aufbauen!« (Hoffmann 1997, 26); im Nachlass Koflers finden sich Ausgaben der Westberliner linksanarchistischen Zeitschrift »Agit 883«, die die Erklärung druckte, allerdings nicht die betreffende Nr. 62. 1971 taucht in »Das Konzept Stadtguerilla« – Kofler verweist in »Am Schreibtisch« auf diese »Untergrundschrift« in seinem Besitz (s. Eintrag ›Das Konzept Stadtguerilla‹) – erstmals die Bezeichnung »Rote Armee Fraktion« auf. Insgesamt spricht man von drei »Generationen« der RAF, 1998 wurde die Selbstauflösung der Gruppe erklärt.
In West-Berlin bestand seit 1969 eine terroristische Gruppierung, welche – wie die RAF – die staatliche Ordnung in der Bundesrepublik erschüttern und die Bevölkerung für eine ›Revolution‹ mobilisieren wollte (Pflieger 2011, 57) Die »Bewegung 2. Juni« benannte sich nach dem Tag der Tötung Benno Ohnesorgs 1967 durch einen Polizisten. Die Bewegung stand in der Rezeption von Anfang an »im Schatten« der RAF. Koflers angesprochene »rivalität zwischen RAF und 2. JUNI« betraf mehrere Aspekte: Den rigiden, militärisch-hierarchischen Organisationsstrukturen der RAF setzten die Angehörigen der Westberliner Terrorgruppe Spontaneität entgegen; die RAF kritisierte die hedonistische Grundhaltung der Berliner; die »Bewegung 2. Juni« war viel stärker an einem Rückhalt in systemkritischen Kreisen interessiert (Wunschik 2006, 540). In den offiziellen Verlautbarungen überzog die Bewegung 2. Juni die prominentere RAF mit beißendem SpottWunschik 2006, 559).
Erich Fried (1921–1988), österr. Schriftsteller, nach der Flucht 1938 nach England lebte er bis zu seinem Tod in London. Fried engagierte sich in verschiedenen Protestbewegungen, marschierte etwa 1968 in erster Reihe neben Rudi Dutschke auf einer Demonstration gegen den Vietnamkrieg in Berlin. Fried setzte sich ab 1971 gegen den »bewaffneten Kampf« der außerparlamentarischen Opposition ein, bereits 1968 warnte er seine GesinnungsgenossInnen vor schematischen Vereinfachungen und einer Eingleisigkeit der revolutionären Propaganda (Lampe 1998, 133). Sein ausgleichendes Naturell hinderte ihn nicht vor klaren Stellungnahmen, in Gedichten, Artikeln und anderer Form: So bezeichnete Fried etwa in einem Leserbrief im Magazin »Spiegel« 1972 die Erschießung Georg von Rauchs als »Vorbeugemord« (in dem von Kofler beobachteten Prozess gegen Wagenbach 1975 ging es ebenfalls um diesen »Tatbestand«), Berlins Polizeipräsident Klaus Hübner verklagte Fried daraufhin. Der Prozess 1974 endete mit einem Freispruch. Mit dem Wagenbach-Verlag war Fried seit 1966, seit dem Gedichtband »und vietnam und …«, verbunden. Bis zur Abfassung von Koflers »berliner notizen « Anfang 1975 erschienen insgesamt zehn Bücher Frieds bei Wagenbach (inklusive seiner Shakespeare-Übersetzungen). s. Eintrag ›Erich Fried‹
PersonAutorIn/JournalistInPolitikerInMedienZeitung/ZeitschriftZitate
Die West-Berliner Akademie der Künste wurde 1954, vier Jahre nach ihrem Ost-Pendant, neu konstituiert. 1960 wurde der Neubau der Akademie im Hansaviertel, am Rande des Tiergartens, eröffnet. Nach dem Zusammenschluss mit der Ost-Berliner Akademie 1993 wurde dieser Standort zum Veranstaltungszentrum.
In dem 1871 in das deutsche Strafgesetzbuch aufgenommenen § 218 wird Abtreibung verboten. Die seit dem Beginn der 1970er Jahre (in der BRD) intensiv geführte Diskussion um eine Reform des § 218 floss in das 1974 verabschiedete Strafrechtsreformgesetze in, das einen Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen straffrei stellen sollte. Der deutsche Bundesverfassungsgerichtshof in Karlsruhe beurteilte in seiner Erkenntnis vom 25. Februar 1975 die Fristenlösung als verfassungswidrig. Das Urteil wurde vielfach als weltanschaulich geprägt kritisiert, die »Frankfurter Rundschau« sah unter dem Titel Die Karlsruher Enzyklika den festgestellten Verstoß gegen die Norm des Grundgesetzes mit Hilfe von Deutungen und Meditationen zusammengebastelt, die einer päpstlichen Enzyklika alle Ehre gemacht hätten (Reifenrath 1975, vgl. Mantei 2004, 448f.). 1976 wurde der § 218 entschärft, der Schwangerschaftsabbruch unter fünf Voraussetzungen erlaubt. Auch nach einer weiteren Überarbeitung, die die Wiedervereinigung notwendig machte (in der DDR war Abtreibung seit 1972 in den ersten drei Monaten straffrei), bleibt Schwangerschaftsabbruch in Deutschland bis heute grundsätzlich für alle Beteiligten strafbar, nicht allerdings in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen nach Beratung.
Klaus Schütz (1926–2012), deutscher Politiker der SPD, 1967–1977 Regierender Bürgermeister von Berlin
Jürgen Horlemann (1941–1995), deutscher Autor und Publizist, war 1970 Mitbegründer der maoistischen »K-Gruppe« KPD/AO – »Kommunistische Partei Deutschlands (Aufbauorganisation)« –, die sich von der 1968 neu gegründeten »offiziellen« KPD abgrenzte.
Der Jurist Horst Mahler (* 1936) war Verteidiger einiger VertreterInnen der späteren Roten Arme Fraktion in den späten 1960er Jahren, 1970 war er Mitbegründer der RAF. Im selben Jahr wurde er verhaftet und wegen Banküberfalls und Gefangenenbefreiung zu 14 Jahren Haft verurteilt.
Die Naunynstraße lag im Zentrum des Westberliner Stadtviertels »SO 36«, dem im Selbstverständnis ›aufrührerischen‹ Teil von Kreuzberg – im Gegensatz zum ›bürgerlichen‹ Teil »SW 61« (beide benannt nach Post-Zustellbezirken). Wahrscheinlich fand das »Entführungsessen« in der Wohnung des Grafikers und bildenden Künstlers Bernd Zimmer statt (ein »bernd« wird erwähnt), 1973–1975 Mitarbeiter des Wagenbach-Verlags (vgl. Grasskamp 2008, 19).
Zitat aus einem Gedicht des DDR-Schriftstellers Armin Müller (1928–2005), einem lebenslangem Anhänger des Staatssozialismus der SED, der mit zahlreichen gereimten Liedtexten für DDR-Jugendorganisationen Erfolg hatte. Die von Kofler erinnerten Verse zur landwirtschaftlichen Sollerfüllung lauten im Original: Mein Liebster ist ein Traktor, [/] Hab ich mein Soll erfüllt, [/] Dann bin auch ich ein Faktor [/] In unser Aufbaubild (zit. n. Kratschmer 1995, 185).
Der inhaftierte Horst Mahler verkündete in der »Abendschau« der ARD – von den Entführern zuvor als medialer Ort einer solchen Willensbezeugung festgelegt –, dass er nicht ausgeflogen werden wolle: Der individuelle Terror sei nicht die Strategie der Arbeiterklasse, er wolle daher nicht befreit werden, sondern den Kampf der revolutionären Massen abwarten (Dahle 2007, 659).
Wyl: Im baden-württembergischen Whyl am Rhein wurde im Februar 1975 unmittelbar nach der Teilerrichtungsgenehmigung mit der Einrichtung der Baustelle für das geplante Kernkraftwerk begonnen. Die Baustelle wurde seit 18. 2. 1975 durchgehend besetzt – worauf sich Horst Mahler berief. Bethanien: 1847 fertiggestellte Krankenanstalt am Mariannenplatz in Berlin-Kreuzberg, »die besetzung eines aufgelassenen krankenhauses in kreuzberg« fand ab 1971 in einem Nebengebäude statt, 1973 wurde das Hauptgebäude in ein »Zentrum für Kultur und Soziales«, das »Künstlerhaus Bethanien«, umgewandelt.
Günter von Drenkmann (1910–1974), deutscher Jurist, ab 1967 Präsident des Kammergerichts Berlin. Drenkmann wurde im Zuge einer geplanten Entführung am 10. November 1974 in seinem Haus durch einen Schuss schwer verletzt, er starb am selben Tag im Krankenhaus. Die »Bewegung 2. Juni« bekannte sich zur Tat und verstand sie als Reaktion auf den Tod Holger Meins, der am Tag zuvor nach einem Hungerstreik in Haft verstorben war, was die Täter in einem Bekennerschreiben als »Justizmord« bezeichneten (vgl. Pflieger 2011, 59). Welche Mitglieder der »Bewegung« an dem Mord beteiligt waren, konnte bei einem Prozess 1986 nicht zweifelsfrei belegt werden.
Bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus 1975 verlor die SPD ihre absolute Mehrheit (1971: 50,4 %) und kam auf 42,6 % der abgegebenen gültigen Stimmen, die CDU wurde stimmenstärkste Partei (43,9 %). SPD-Bürgermeister Klaus Schütz bildete in der Folge mit der FDP (7,1 %) eine Koalitionsregierung. Der Bund Freies Deutschland (BFD) erreichte 3,4 %, die Sozialistische Einheitspartei Westberlins (SEW) 1,8 %, die KPD 0,7 %. Die SPD erreichte im Bezirk Kreuzberg 46,9 %, in Wedding 50,3 % der abgegebenen gültigen Stimmen, das waren ein Verlust von 31,7 % bzw. 33,5 % im Vergleich zu 1971. Dieser starke Rückgang kann nur teilweise auf das Antreten des »Bunds freies Deutschland« (BFD) zurückgeführt werden (der BDF erreichte in Kreuzberg 3,9 % und in Wedding 4,2 %), der Anteil der ungültigen Stimmen stieg stark an – in beiden Bezirken um durchschnittlich 17,6 % (vgl. Landeszentrale für Politische Bildungsarbeit 1975, 10f.). Die SPD musste vor allem bei ihrer Stammwählerschaft, den ArbeiterInnen, Verluste hinnehmen – ein für Landtagswahlen im Vergleichszeitraum singulärer Tatbestand (Schmollinger 1975, 447). Unmittelbar nach der Wahl wurde von einigen Politikern die Ansicht vertreten, dass die Krisensituation das Wahlverhalten beeinflusst habe, inzwischen ist aber unbestritten, daß die Entführung keinen Einfluß auf Gewinne oder Verluste der beiden großen Parteien hatte (Schmollinger 1975, 455).
»Bund freies Deutschland«: 1974 in West-Berlin gegründet, der Zeitungsverleger Axel Springer war einer der Geburtshelfer der rechtskonservativen Partei, Vorsitzender war der ehemalige Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes,Ernst Scharnowski, damals 78 Jahre alt. Der BDF wollte u.a. den von der Ostpolitik der SPD Enttäuschten eine politische Heimat geben und wetterte gegen die Linksideologen, die unser demokratisches Haus abbrechen (zit. n. Strothmann 1975). Der BDF erreichte bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 1975 3,4 Prozent der Stimmen. Nach dem verpassten Einzug ins Berliner Abgeordnetenhaus löste sich der BDF bald auf.
Kofler zitiert hier – mit kleinen Abänderungen – eine in der »Bild«-Rubrik »die frage des tages« am 3. März 1975 wiedergegebene Aussage: Irene Schulz (63), Hauswartsfrau: ›Es muß jetzt endlich hart gegen diese kommunistischen Verbrecher vorgegangen werden. Als jahrzehntelange SPD-Wählerin habe ich nach diesem Politkrimi meine Stimme dem BFD gegeben‹ ([red.] 1975c).

