Empfang des habsburgischen Großbotschafters Damian Hugo von Virmont vor dem Thron Sultan Ahmeds III.

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© Rijksmuseum Amsterdam

Objekttyp Druckgraphik
TechnikRadierung
MaterialSchwarze Tinte, Papier
Standort Rijksmuseum Amsterdam
InventarnummerRP-P-OB-83.040-21
Künstler/WerkstattLeonhard Schenk (Stecher)
VerlegerPieter Schenk II., 1693-1775
HerstellungsortAmsterdam
Datierung1720
BeschreibungDer niederländische Stecher Leonhard Schenk stützt sich in seiner Darstellung der Audienz von Virmont bei Sultan Ahmed III. (s. Miniaturbild) nicht nur auf die gemalten Vorlagen des französischen Künstlers Jean-Baptiste Vanmour (1671-1737), sondern richtet sich ebenso nach dem Ornamentstil des Rokoko und dem französischen Hofzeremoniell in Versailles.[...]
Maße535 x 635 mm (Seite)
DokumentationLeonhard SCHENK, Audientie Saal, waar in de Kyserlyke Ambassadeur den Graaf van Virmond, by den Grooten Turkse Heer in Constantinopelen ter gehoor geweest is in de Maand Augusty 1719, in: Pieter Schenk, Hg., Schouwbug van den oorlog. Beginnende van Koning Karel den II. tot op Koning Karel den III. bestande in IX. historische Figuren […], Amsterdam 1720, Blatt XX.
DatenerfassungDandachi, Laila
Lizenz auf diesen DatensatzCreative Commons BY 4.0
ZitierhinweisEmpfang des habsburgischen Großbotschafters Damian Hugo von Virmont vor dem Thron Sultan Ahmeds III.,bearb. von Laila Dandachi, Datenmodellierung: Jakob Sonnberger, in: Die Großbotschaften Damian Hugo von Virmonts und Ibrahim Paschas (1719/20), hg. von Arno Strohmeyer und Stephan Kurz (Digitale Edition von Quellen zur habsburgisch-osmanischen Diplomatie 1500-1918, hg. von Arno Strohmeyer, Projekt 1), Wien 2022
Online unter: https://qhod.net/o:vipa.img.hbg.6
Permalink/Handle: hdl:11471/1020.30.129

Über das Werk

Von Laila Dandachi

Der niederländische Kupferstecher und Verleger Pieter Schenk I. (1660–1711) arbeitete mit seinem Neffen Leonhard Jansson Schenk sowie mit dem Kupferstecher und Radierer aus Utrecht, Adolf van der Laan zusammen. Den Schwerpunkt seiner Arbeiten bildeten zunächst Porträts, topographische Ansichten und Schabkunst. Erst später erweiterte er sein Verlagsprogramm auf Landkarten. Sein Hauptstandort befand sich in Amsterdam, wo er 1695 zusammen mit dem dort ansässigen Kupferstecher und Verleger Gerard Valck das Druckprivileg der holländischen und westfriesischen Stände erwarb. Später gründete sein Sohn Pieter Schenk II. eine weitere Niederlassung in Leipzig und spezialisierte sich auf mitteldeutsche Landkarten und Stadtpläne, insbesondere des kursächsischen Raumes, wie z.B. Ansichten von Dresden, Leipzig, Merseburg und Weißenfels. Darüber hinaus fertigte er für den polnischen König Friedrich August III. (reg. 1733–1763) eine Postkartenroute des Kurfürstentums Brandenburg (1710) und auch eine Karte des polnischen Reiches (1711) an. Nach seinem Tod kümmerten sich sein Sohn Pieter Schenk II. und sein Neffe Leonhard Schenk um den Druck der Bildwerke und Karten aus seinem Verlagsprogramm. [1]

Leonhard Schenk übernahm für seine Darstellung der habsburgischen Audienz beim Sultan (unterstes Bildregister rechts außen)[2] nicht die von Vanmour eingesetzten Bildmotive, wie z.B. die Elemente des Zeremoniells sowie die Architektur und Ausstattung des Audienzsaales, sondern setzte sich vielmehr mit der künstlerischen Vorlage im Reisebericht von Driesch (vgl. Audienz des habsburgischen Großbotschafters bei Sultan Ahmed III.) auseinander: Neben dem Sultan befinden sich auch hier nur die Schreibschatulle auf der linken und der Säbel auf der rechten Seite, wohingegen der Turban sowie die Reihe mit den vier Prinzen – bis auf einen Repräsentanten – fehlen. Gegenüber dem Sultan positioniert sich der Botschaftssekretär, der jedoch nicht im Begriff ist, ihm in ehrerbietender Weise die Briefe zu übergeben. Außerdem werden weder der Wesir noch die anderen beiden osmanischen Würdenträger neben dem Botschaftssekretär abgebildet, sondern ihre Position nimmt die Perspektive des Betrachters ein, die den Blick auf den Empfang der habsburgischen Gesandtschaft vor dem Sultan lenkt. [3]Zwischen den osmanischen Offizieren treten nacheinander die ausgewählten Mitglieder und Begleiter Virmonts in den Audienzsaal ein, die jedoch nicht wie bei Driesch und Vanmour an den Armen herangeführt, sondern nur auf Distanz zu dem vor dem Sultan vortretenden Großbotschafter gehalten werden.

Man gewinnt hier leicht den Eindruck, dass sich der niederländische Künstler das französische Zeremoniell am Hof von Versailles zum Vorbild nahm. Dafür sprechen auch die Anbringung von barocken Dekorelementen wie die Rocaille auf dem Türrahmen und auf dem Thron sowie die Hinzufügung von Tapisserien mit der königlichen Jagd als Hintergrundkulisse. Beispielsweise kann man anhand des Empfangs der osmanischen Gesandtschaft unter Führung des Großbotschafters Çelebi Mehmet Effendi am Hof von Versailles bei König Ludwig XV. (Blatt XXIII, oberstes Bildregister, rechts außen)[4] feststellen, dass Leonhard Schenk die von Pieter Schenk I. verwendeten Motive (Thron, Ausstattung des Audienzsaales, Gestaltung des Zeremoniells, Perspektive etc.) in seiner Darstellung der Audienz Virmonts beim Sultan übernommen hatte. Darüber hinaus diente ihm die Hintergrundgestaltung mit der königlichen Jagd des ebenfalls von Pieter Schenk I. gestalteten Einzugs König Ludwigs XV. in das französische Parlament (Blatt XVI, unterstes Bildregister, links außen)[5] als Anleitung für die Tapisserien des osmanischen Audienzsaales.

Die Bedeutung der Friedensdarstellungen in der bildenden Kunst der Frühen Neuzeit (wie beispielsweise in Gemälden, Kupferstichfolgen, Flugschriften, Reiseberichten, Gedenkmedaillen etc.) erreichte vor allem nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges ihren Höhepunkt. Daher wurde der bildlichen Aufarbeitung von Friedensschlüssen kaum weniger Beachtung geschenkt als kriegerischen Auseinandersetzungen oder politischen Erfolgsgeschichten, wobei die darin vermittelten Bilder eine große Rolle in der medialen Kommunikation und in dem Prozess der frühneuzeitlichen Meinungsbildung – hier insbesondere über das vorherrschende Türken(feind)bild – spielten:[6] Da seit dem Ende des 17. Jahrhunderts die Osmanen von den europäischen Mächten zunehmend als friedenswillig eingestuft wurden, wurden in der Publizistik die zeremoniellen Handlungen im Rahmen von Friedenschlüssen, wie hier der Empfang der habsburgischen Großbotschaften beim Sultan in Konstantinopel, als gleichwertig empfunden[7] und daher entweder nach europäischen Vorstellungen modifiziert (vgl. Audienz des habsburgischen Großbotschafters bei Sultan Ahmed III.) oder auch den im frühen 18. Jahrhundert vorherrschenden künstlerischen Traditionen, wie der französischen Bildtradition am Hofe Ludwigs XV. angepasst.