Loading...
Titelbild
TEI RDF

Parallel zu seinem schriftstellerischen Werk baute Stefan Zweig eine umfassende Sammlung von Handschriften aus den Bereichen Literatur, Geschichte, Kunst und Musik auf, die zu den bedeutendsten seiner Epoche zählte. Bereits als Gymnasiast hatte er mit dem Sammeln von Autographen begonnen, wobei es sich zunächst vor allem um Unterschriften von Schauspielern und Opernsängern aus seiner Heimatstadt Wien handelte. Nach seinem Schulabschluss weitete Zweig die Sammlung kontinuierlich und mit wesentlich höheren Ansprüchen aus. Inzwischen hatte er seine Laufbahn als Schriftsteller begonnen und längst erkannt, was ihn an Manuskripten besonders reizte, nämlich das Unfertige, die Spuren der künstlerischen Arbeit und damit die Möglichkeit, den Entstehungsprozess eines literarischen oder musikalischen Werkes nachverfolgen zu können.

In den kommenden Jahrzehnten investierte Zweig erhebliche Summen in den Ausbau seiner Sammlung, die für ihn wesentlich mehr als nur ein Hobby war. Sie begleitete ihn von der Schulzeit bis in die letzten Monate seines Lebens und bot oft genug Anregungen, sich mit neuen Themen zu beschäftigen. Entsprechend deutlich spiegelt sich Zweigs Biographie in der Sammlung wider: Die Anfänge als junger Dichter, die kommerziellen Erfolge seiner Bücher, die bedeutende Ankäufe zulassen, und schließlich die Zeit als Exilant, der seinen materiellen Besitz verkleinert und sich auf das Wesentliche beschränkt.

Image

„SINN UND SCHÖNHEIT DER AUTOGRAPHEN“

Beim Aufbau seiner Sammlung legte Stefan Zweig einen deutlichen Schwerpunkt auf zeitgenössische Werke und Manuskripte von Schriftstellern des 19. Jahrhunderts. Es handelt sich dabei vor allem um deutschsprachige Texte, darunter die seinerzeit durch Vertonungen sehr bekannten Gedichte Der gute Kamerad von Ludwig Uhland oder Joseph von Eichendorffs In einem kühlen Grunde. Aber auch Zweigs Interesse an französischer Literatur und Geschichte ist bereits in der Frühzeit seiner Sammlung deutlich abzulesen. Das herausragendste Beispiel dieser Abteilung dürfte Honoré de Balzacs Roman Une ténébreuse affaire sein, dessen Korrekturfahnen Zweig bereits 1914 erwarb. Sie umfassen über 700 Seiten und enthalten zahllose handschriftliche Anmerkungen des Autors.

In den 1920er-Jahren äußerte sich Zweig in Feuilletons und Fachzeitschriften häufiger zum Handschriftensammeln. Unter anderem schrieb er über Die Autographensammlung als Kunstwerk und die Psychologie des Autographensammelns. Im Beitrag Sinn und Schönheit der Autographen schildert er ausführlich, welche Bedeutung Manuskripte als „Schöpfungsdokumente“ für ihn hatten. Darüber hinaus spielte der Aspekt, besondere Zeugnisse des kulturellen Erbes bewahren zu wollen, bei der Anlage der Sammlung ebenso eine Rolle wie eine gewisse Reliquienverehrung. So ist es wenig verwunderlich, dass Zweig bei entsprechender Gelegenheit Ludwig van Beethovens Schreibtisch, eine seiner Violinen und weitere Gegenstände aus dem Besitz des Komponisten als Erinnerungsstücke von besonderem Rang erwarb. Sie können zum Umkreis der Autographensammlung gezählt werden, ebenso wie einige Handzeichnungen, darunter Blätter von Leonardo da Vinci, William Blake oder Johann Wolfgang von Goethe.

Image

AUKTIONEN UND GESCHENKE

Neuerwerbungen für die Sammlung fanden zum Großteil in Antiquariaten statt, die sich auf Autographen spezialisiert hatten. Wichtige Händler waren Karl Ernst Henrici und Leo Liepmannssohn in Berlin sowie Charavay in Paris. In späteren Jahren spielte auch das Auktionshaus Sotheby's in London eine bedeutende Rolle. Durch seine zahlreichen Reisen konnte Stefan Zweig den persönlichen Kontakt zu Händlern und anderen Sammlern pflegen und behielt die Übersicht auf dem Markt. Außerdem enthält seine Korrespondenz eine Vielzahl von Briefen, in denen er sich um Neuerwerbungen kümmert oder auch als Gutachter äußert. Bei den großen Auktionen war Zweig fast immer durch Agenten oder mit schriftlichen Angeboten vertreten und trat persönlich nur selten in Erscheinung, um die Preise durch seine Anwesenheit nicht unnötig in die Höhe zu treiben.

Darüber hinaus war Stefan Zweig beim Ausbau seiner Sammlung auch mit direkten Anfragen bei zeitgenössischen Schriftstellern und Komponisten sehr erfolgreich. Unter anderem folgten Hermann Hesse, Heinrich Mann, Hugo von Hofmannsthal oder Richard Strauss seiner Bitte um Werkmanuskripte. Ab einem gewissen Zeitpunkt war Zweigs Sammlung in Schriftstellerkreisen so bekannt, dass ihm neue Autographen sogar unaufgefordert zugeschickt wurden, wie es Thomas Mann 1920 tat, als er ihm das Manuskript seiner Novelle Die Hungernden schenkte.

Zwar blieben die von Zweig meist als „Werkschriften“ bezeichneten Vorarbeiten von Texten stets im Mittelpunkt seines Interesses, doch waren selbstverständlich nicht von allen Autoren entsprechende Beispiele auf dem Markt verfügbar. Immer häufiger erwarb Zweig daher auch Reinschriften, um eine möglichst breite Übersicht über die Literatur zusammenzutragen. Und auch bei Briefen, die er ansonsten strikt aus seiner Sammlung auszuschließen versuchte, wurden Ausnahmen gemacht – vor allem dann, wenn es sich um Verfasser wie Wolfgang Amadeus Mozart oder Ludwig van Beethoven handelte.

Ab dem Ende der 1920er-Jahre baute Zweig den Bereich der Musikhandschriften, der bis dahin eine eher untergeordnete Rolle gespielt hatte, erheblich aus. Auch auf diesem Gebiet gelangen ihm einige spektakuläre Ankäufe, darunter das Lied An die Musik von Franz Schubert, von Ludwig van Beethoven Fragmente aus der Musik zu Goethes Egmont sowie das Lied Der Kuß. Von Mozart erwarb er unter anderem das Lied Das Veilchen, eine Arie des Cherubino aus Le nozze di Figaro und ein handschriftliches Verzeichnis seiner Werke.

Bei dieser breiten Anlage der Sammlung und Zweigs Bereitschaft, immer größere Summen zu investieren, war es nur konsequent, dass er auch von den meisten Persönlichkeiten, mit denen er sich in seinen literarischen und biographischen Studien beschäftigte, mindestens ein Autograph zu besitzen versuchte.

Image

DER GEPLANTE SAMMLUNGSKATALOG

Mit wachsender Bedeutung seiner Sammlung dachte Stefan Zweig Ende der 1920er-Jahre über die Veröffentlichung eines gedruckten Katalogs nach, der als besondere Ausstattung farbige Faksimiles der wichtigsten Stücke enthalten sollte. Als Erscheinungstermin war der 28. November 1931 vorgesehen, an dem Zweig seinen fünfzigsten Geburtstag feiern würde. Nach der Weltwirtschaftskrise des Jahres 1929 entschloss er sich jedoch, den Katalog zurückzuhalten. Als Begründung führte Zweig an, seinen kostbaren Besitz der Öffentlichkeit nicht gerade in diesem Moment präsentieren zu wollen. Hinzu kam die Befürchtung, dass die Sammlung wegen ihrer Bedeutung unter staatlichen Schutz gestellt werden könnte, was Verkäufe, Tauschgeschäfte oder auch den Transport ins Ausland unmöglich gemacht hätte. Die Arbeiten am Katalog wurden schließlich ganz eingestellt und das Manuskript ist seitdem verschollen. Doch auch ohne darauf zurückgreifen zu können, lassen sich große Teile des früheren Sammlungsbestands rekonstruieren, da neben den Autographen auch Umschläge und Karteikarten erhalten geblieben sind, auf denen Zweig Beschreibungen des jeweiligen Manuskripts und seiner Geschichte eingetragen hat. Mit Hilfe dieser Unterlagen lassen sich zudem zahlreiche Sammlungsstücke nachweisen, von denen Zweig sich im Lauf der Jahre wieder getrennt hatte.

TEILAUFLÖSUNG DER SAMMLUNG

Mitte der 1930er-Jahre fasste Stefan Zweig den Entschluss, seinen Salzburger Haushalt aufzulösen und sich dauerhaft in London niederzulassen. Von den Folgen dieser Entscheidung, die schließlich der erste Schritt auf den Weg in das Exil werden sollte, war neben Zweigs Bibliothek auch die Autographensammlung ganz erheblich betroffen. In beiden Fällen trennte sich Zweig vom größten Teil des Bestands und gab ihn in den Handel. Während dies bei der Bibliothek kaum dokumentiert geschah, wandte sich Zweig bei den Autographen an das noch junge Antiquariat Heinrich Hinterberger in Wien, das im Frühjahr 1936 in seinem Verkaufskatalog IX „Eine berühmte Sammlung repräsentativer Handschriften“ anbot. Dieser Band enthielt mit 304 Katalognummern etwa ein Drittel der Autographen aus der Sammlung Zweig, ohne dass dessen Name darin genannt wurde. Statt zu einem Einzelverkauf der Stücke kam es unerwarteterweise zur Übernahme des beinahe kompletten Angebots durch den Schweizer Bibliophilen Martin Bodmer aus Zürich, der zusätzlich alle fremdsprachigen Autographen erwarb, von denen Zweig sich trennen wollte. Dieser Bestand befindet sich heute in der Fondation Martin BodmerStandort in Cologny-Genève. Nur ein sehr geringer Teil von Hinterbergers Angebot ging an andere Käufer über.

Ein weiteres Konvolut von Autographen übergab Zweig im November 1937 zum Ausgleich von Steuerforderungen an die damalige Theatersammlung der Nationalbibliothek in Wien, das heutige TheatermuseumStandort. Ein besonderes Stück dieser Schenkung ist eine Seite aus Franz Kafkas Roman Amerika (beziehungsweise Der Verschollene), die Zweig als Geschenk von Max Brod erhalten hatte. Weitere Handschriften überließ Zweig der Vorgängerinstitution der National Library of IsraelStandort in Jerusalem. Dorthin schenkte er bei der Auflösung seines Salzburger Haushalts auch einen Großteil der bei ihm eingegangenen Korrespondenz bedeutender Zeitgenossen, die gewissermaßen eine weitere Handschriftensammlung darstellten. Schließlich trennte er sich noch von über 4000 gedruckten Auktions- und Handelskatalogen, die er als Handbibliothek zusammengestellt hatte und nun an Heinrich Hinterberger übergab. Einzelne Bände hieraus sind bereits im Katalog der Bibliothek auf STEFAN ZWEIG DIGITAL verzeichnet.

Damit blieben noch rund 150 Autographen in Zweigs Besitz. Da er mit der Verkleinerung der Bestände das Sammeln nicht aufgegeben hatte, kamen in seiner Exilzeit in London weitere außergewöhnliche Stücke hinzu, darunter zwei Handschriften Georg Friedrich Händels, die auf dem freien Markt ausgesprochen selten sind. Gut 200 Autographen besaß Zweig, als er Europa im Sommer 1940 verließ und zunächst in die USA und schließlich nach Brasilien ging. Nur einige wenige Stücke hatte er nach Amerika mitgenommen, der größte Teil der Sammlung befand sich im Safe einer Londoner Bank. Ein Autograph Honoré de Balzacs, an dessen Biographie Zweig bis kurz vor seinem Tod arbeitete, überreichte er der Nationalbibliothek in Rio de Janeiro. Nahezu alle übrigen Stücke gelangten über seine Erben als Schenkung an die British LibraryStandort in London.

DIE AUTOGRAPHENSAMMLUNG BEI STEFAN ZWEIG DIGITAL

Rund 1000 Autographen aus Stefan Zweigs früherer Sammlung lassen sich heute noch mit Sicherheit nachweisen. STEFAN ZWEIG DIGITAL verzeichnet dabei nur jene Stücke, die sich entweder in Zweigs Nachlass befanden, nachweislich bei der Auflösung der Sammlung abgegeben wurden oder auf den erhaltenen Listen, Mappen und Karteikarten registriert sind. Handschriften, die ohne genauere Angaben in Briefen erwähnt werden und deren Besitz nicht durch weitere Quellen belegt ist, wurden nicht in das Verzeichnis aufgenommen. Dennoch dürfte hier der weitaus größte Teil von Zweigs Sammlung zusammengestellt sein.

Die Einträge auf STEFAN ZWEIG DIGITAL enthalten die wichtigsten Angaben zu jedem Stück und in vielen Fällen Links zu kompletten Digitalisaten auf den Seiten der besitzenden Institutionen. Umfassendere Informationen und Quellenangaben bietet der 2005 erschienene gedruckte Katalog der Sammlung Zweig, in dem auch seine Aufsätze zum Autographensammeln und eine ausführliche Geschichte der Sammlung enthalten sind. Um das Auffinden der Stücke zu erleichtern, ist bei jedem Eintrag auf STEFAN ZWEIG DIGITAL als Referenz die jeweilige Nummer aus dem gedruckten Katalog angegeben.

„Ich kenne den Zauber der Schrift“
Katalog und Geschichte der Autographensammlung Stefan Zweig
,
mit kommentiertem Abdruck von Stefan Zweigs Aufsätzen
über das Sammeln von Handschriften
Bearbeitet von Oliver Matuschek
Antiquariat Inlibris, Wien 2005
ISBN 978-3-9501809-1-6

Weitere Informationen zum Buch