Antwort der Reichsstände auf die "Nebenproposition" des Kaisers zu "Wucherverträgen" (1576-10-03)
Textgrundlage: Wien HHStA, RK RTA 54a/2, fol. 313r-316v
Der stendt guetbeduncken, belangend die wuecherlichen conträct. Von wucherlichen conträcten unnd juden. Wucherliche conträct: Geben stendt ir gutbeduncken. Relatum 3. Octobris 76.
Alß1 auch die röm. ksl. Mt., unnser aller gnedigster herr, auß sonnderm ksl. christlichem eiffer, neben andern des Hailigen Reichs obligen auch darvon zureden unnd berathschlagen, den anwesenden stenden, auch räthen unnd pottschafften allergnedigst in schrifften fürpringen läßen2: Ob wol in vorigen des Hailigen Reichs ordnungen unnd abschieden, fürnemblich aber in der policey ordnung, anno 48 publicirt, von wücherlichen conträcten unnd von der juden übermeßigem gesuech sonderliche gutte versehung beschehen, das doch seithero derselben erbarer ordnung wenig nachgesetzt, sonder der arm man ein lange zeit hero durch unpillige wücherliche conträct unnd händell wider die beschriebne ksl. recht unnd sonderlich wider jetzt angeregte Reichs constitution in viel wege zur eüßersten armueth verfürtelt3, betrangt und getzwungen worden etc., darumb ire ksl. Mt. jetzo darvon, was in baiden sölchen fellen hiebevor bey andern vorgangnen Reichs versamblungen verabschiedet, allergnedigste erinnerung thun, auch daneben anregen läßen, durch was sondere mittel unnd wege sölch wücherlich eingerißen übell nachmäls abzuwehren und zubestraffen sein soll etc.
Wan dan sie, die stende, räth unnd gesandten, in gemainer fleißiger berathschlagung bey sich nit anders erwegen mögen, dan das der laidiger wucher bey diesen teüren zeitten gantz weit umb sich griffen unnd nit allein den gemainen man, sonder auch viel andere gutte leüth zu unpilligem verderblichen schaden, noth unnd armueth pracht, auch deßen nachmälß kein aufhörens sein will, da nitt oberkeit wegen zeitlich einsehens dargegen fürgenommen werden solte:
Alß läßen sie inen solch kayserlich und vätterlich wolmainendt bedencken sampt allen dabey vermelten mitteln in baiden puncten (zu abschaffung und besträffung der wücherlichen conträct unnd judischen umzimblichen gesuchs) in aller underthenigkeit wolgefallen. Doch haben sie nit mögen unterläßen, allein bey etlich wenig päßen ir sonder gehorsambs bedencken aller underthenigst auch anzuregen:
Nemblich das sölche ungepürliche, landtverderbliche wücherliche conträct unnd hendel nit allein hinfüro keinem zuverstatten , sonder das auch alle unnd jede dergleichen fürgangne böse wücherliche hendel und conträct gantz untüchtig zuachten, [314r] aufzuheben unnd eben zu sölchen billigen vergleichungen, darauf in irer Mt. bedencken andeüttung beschicht, durch die obrigkeit gerichtet werden solten; in sonderlicher erwegung, das sölche unzimbliche conträct unnd hendel jeder zeitt im Hailigen Reich verpotten unnd sonderlich zu Augspurg anno 1500, anno 1530 unnd anno 1548 durch gemaine publicirte Reichs constitutionen unnd policey ordnungen allen und jeden, sich derselben zumahl zuenthalten, auch bey sondern sträffen gepotten worden ist4.
Darumb sollen auch solche böse fürgangne wücherliche conträct, nit allein mit dem gemainen armen man, sonder auch mit allen andern standts personen aufgericht, durchauß für unzimblich zuhalten sein unnd auf obangeregte pillige vergleichung gemittelt unnd gerichtet werden; aber hinfurtters gentzlich untüchtig unnd mit sölchem ernst, als ire Mt. anregen, zusträffen sein.
Unnd damit einmäl das landschendlich wuchern allenthalben außgeschafft unnd die aigennützige wücher desto mehr darvon abgeschreckt würden mögen, [314v] soll nit unrathsam sein, im abschiedt zustatuiren, das alle die jenigen, die sölche wücherliche hendell treiben, neben obgerürtten peenen auch für anrüchtig unnd verleümbt zuhalten, so zu keinen gemeinen ämptern, gerichts- oder räths säße5 noch andern ehrlichen stenden erwölt noch auch sonsten darzu kommen oder geläßen werden solten.
[Marginalie: Juden.] Was aber der jüden übermeßigen wucher unnd gesuch anlangen thuet, haben die stende und abgesanten erstlich bey dem ersten versicul (Und nachdem ir Mt.)
6 am ende diß bedencken erregt: Im fall, ein jud furthin einem christen gelt höher dan von 20 gulden järlichs 1 gulden außleihen würde, daß gleichwoll derselb contract an ime selbst nichtig sein unnd der arm man dem juden weiters nichts zugeben schuldig sein soll, aber das hauptgelt vielmehr derselben obrigkeit, darunter der arm man geseßen, verfallen sein, sintemal der jud widder dieselbige obrigkeit gesündiget, unnd aber des juden obrigkeit über den frembden schuldigern kein gerichtparkeit noch ius confiscendi gehaben kan. Doch dieweil etliche stende mit sondern ksl. privilegien widder der jüden conträct [315r] versehen (das sie nemblich mit derselben underthanen zucontrahiren gar kein macht haben etc.), soll denselben hiedurch nichts benomen sein.
Wan dan auch offenpar unnd in obberurtter außpurgischer policey ordnung gemeldet, wie die jüden nit allein auf hohe verschreibungen, bürgen unnd aigne underpfende, sonder auch auf raubliche unnd diebliche gütter leihen, dardurch sie das gemein arm notturfftig volck mehr, dan jemant außrechnen kan, beschweren unnd zu vielen bößen thatten verursachen7, darumb soll den jenigen oberkeitten, denen vermög irer ksl. regalien oder sonsten habenden sondern ksl. privilegien jüden aufzunemen gepürt, bevolen werden, gepürlich ernstlich einsehens zuthuen, damit ire unnd andere frembde underthanen mit unzimblichen verschreibungen, bürgen, abnemen der pfende, berechnung des monatlichenn wuchers zur hauptsummen oder, was dergleichen verfürteilungen mehr sein möchten, nit beschwert oder verderbt würden, sonder das es nur bey einem gülden jarlichs, von 20 gülden zugeben, als [315v] oblaut, gewißlich geläßen würde. Aber insonderheit söllen alle juden das geraubt und gestollen guth zukauffen sich zumäl enthalten. Da es aber darüber bey inen befunden, sollen sie dasselbig, dem es abgeraubt oder abgestolen, on entgeltnuß zustellen. Dartzu dan die obrigkeit mit schuldigem fleiß verholffen sein soll.
Damit aber die juden dannoch ire leibs nahrung haben mögen, sollen die obrigkeitten, so sie, wie oblaut, aufgenommen, sie dermäßen bey inen halten, das sie sich des unzimblichen wuchers enthalten unnd mit zimblicher handtarbeit erneren mögen; wie dan ein jede obrigkeit, daßelbig seinen underthanen unnd gemeinem nutz zum besten und trägligsten zusein, ermeßen würde; in mäßen dasselbig in der policey ordnung, zu Augspurg anno 30 publicirt, auch statuirt unnd versehen8.
Unnd zum beschluß hatt man bey dieser consultation ferners sich erinnert, auß waßen sondern wolbedachten ursachen weilandt kayser Carll der fünfft (hochlöbligster gedechtnuß) mit räth unnd zuthun churfürsten, fürsten [316r] unnd stenden auf anno 1548 zu Augspurg gehaltenem reichstag ein sondere policey ordnung aufrichten und im Hailigen Reich, jeder mennigclich sich darnach in politischen sachen gehorsamblich zuertzaigen, publiciren läßen9. Wan dan dieselbige bey diesen beharlichen teüren leüfften so woll bey gemainen stenden alß den underthonen zu erhaltung bestendigen politischen regiments und gutter, meßiger haußhaltung durchauß nit wenig früchten würdt, da nur darob mit rechtem eiffer unnd ernst gehalten würdt, alß seindt die stende, räth und pottschafften deßen bedenckens, da es zu mehrer fortsetzung gemainen nutzes fast nöttig unnd nützlich, dieser zeit sölche policey ordnung in namen irer ksl. Mt. zuerneweren, zupubliciren unnd im druck außgehen zulaßen [Marginalie: Placet.].
Welches alles sie, die stende unnd abgesandten, bey diesem sondern ksl. bedencken irer ksl. Mt. zu irem aller underthenigsten wolmainendt guthachten nit onvermeldet läßen wöllen.
Siehe textkritische Fassung.