Erste Supplikation der protestantischen Grafen und Herren an den Kaiser um Freistellung (1576-07-02)
Textgrundlage: Stade NLA, 4 Sammlungen / 4.4 Handschriften / Rep. 32 Erskein'sche Aktensammlung ("Stader Reichsarchiv"), 1506-1655 Nr. 8, fol. 82r-87v
Allerunderthenigste supplication ann die röm. ksl. Mt., graven und herrn der augspurgischen confession verwanndten stende und dern abgesandten. Graven und hern augustanae confessionis supplicatio pro freistellung. Nach irer Mt. ankunfft zu Regenspurg1 ubergeben anno 76 3.2 Lectum Ratisbonae 13. Julii 1576.
Allerdurchleuchtigster, grossmechtigster und unüberwündtlichster römischer kayser, aller gnedigster herr, eur römische, kayserliche Mt. werden ohne zweyfell in aller gnedigster, frischer unnd guetter gedechtnuß haben, waß vonn wegen deß beschwerlichen gaistlichen vorbehallts bey aufrichtung deß religion fridens anno 1555 anfenkhlich zue Augspurg3, volgendts auch anno 56 zue Regenspurg unnd hernacher anno 664 in tractation von dem religion friden gegen solchem gaistlichem vorbehallt unnd der freystellung halben von allen der augspurgischen confessions vorwanndtenn churfürsten, fürsten unnd stenden, bey weyland dem allerdurchleuchtigsten, großmechtigsten, unüberwündtlichstem fürsten unnd herrn herrn Ferdinando, der zeitt römischer könig, hochlöblichster millter gedächtnuß, auch jetzo eur ksl. Mt., unnserm aller genedigsten herrn, selbs mit vilerlay ausfüerlichen angezaigten bedenkhen unnd uhrsachen aller underthenigst gesucht, gepetten5 unnd, [Marginalie: Abtruck.] lautt beyligender abgetrukhter, auch von einer zu der andern zeitt jedes mahls ubergebner protestation schrifften protestiert worden ist6, warauf es auch endtlich beruehet; achten derhalbenn unnöttig sein, eur ksl. Mt. mit weittleüffiger erholung dern auf vorig gehalltnen reichstägenn der freystellung halben verlauffner handlungen dißmahls zubemüehen.
Nachdem aber gleichwol nach uffgerichtem und publicirtem religionfriden wir im werkh befunden, mit was großser geschwindigkhaitt ettliche der römischen religion [82v] zugethone unnd anhengige stende sich unnderstannden, nicht allein obangeregtem religionfridenn in dem stand unnd wesen, alls er aufgericht worden, nicht verbleiben zulassen, sonder denselben, dann auch die nach jüngst gehalltnem trientischen vermeinten concilio7 unerhörte unnd unleidenliche newe eingefüerte juramenta zu irem vorthaill und unnser, der augspurgischen confession verwanndten, unleidenlicher beschwerung unnd forttsetzung der bäbstischen mißbreüche unnd unnder anderm in crafft angeregtem gaistlichen vorbehallts (darein doch weder chur-, noch fürsten oder einicher anderer stand, der augspurgischen confession verwandt, jemahls gewilliget, sonder, wie gemeldet, mehrmahls dargegen zierlich protestiert haben) alle hohe stifft, prelaturn unnd anndere gaistliche beneficia iren religions verwandten allein zuzuhaimbschen und unnsern, der augspurgischen confessions verwanndten, den zutritt unnd niessung der stifft unnd annderer prelaturn (so doch mehrernthaills von eur ksl. Mt. vorfahrn im Reich, allten kaysern unnd königen, churfürsten, fürsten, derselben unnd unnseren vorelltern unnd anndern gutthertzigen christen allein zu forttpflantzung deß wahren Gottes diensts, auch erhalltung hoch und niders standts personen bevorab der uhrallten adelichen geschlechter gestifftet unnd verordnet wordenn seind), gäntzlich abzustrikhen unnd unns oder unnser nachkhommende derselben unfehig zumachen8:
[83r] So haben wir darauf lenger nit umbgehn khönnen, eur ksl. Mt. auf negstverschinem gehalltnem waaltag zuo Regenspurg9 unnsere der hievor offtgesuchten, aber bißanhero verwaygerter freystellung halben befundene beschwerung in einer derwegen übergebnen unnd obangezognen supplication ausfüerlich fürzubringen unnd darneben unnderthenigst zubitten, das eur ksl. Mt. Gott zu ehrn unnd befürderung gemeinen fridens, rhue unnd ainigkhait unbeschwertt sein wöllen, diß hochnöttig werkh der gebettnen freystellung allergnedigst in berathschlagung ziehen unnd die sachen dahin richten, das sowol der stifften unnd prelaturn halben alls auch sonsten in andern puncten zwischen beyderseitts zugelassnen religionen unnd dern verwanndten gleichait gehallten unnd die gefehrliche ausschliessung unnserer, der augspurgischen confessions verwandten, so biß anhero von der römeschen relligion anhengigen, mit vorwendung, das sie dessen in crafft deß religion fridens befuegt seyen, hin und wider in stifften unnd anndern gaistlichen beneficien thättlich eingefüeret unnd exerciert worden ist, fürderlich abgeschafft, auch ein unverdächtige billiche vergleichung, die bayden religions verwandten träglich seye, dargegen aufgericht unnd gehanndthabt möge werden.
Nachdem aber auf jetztberüerte unnsere supplication, darvon eur ksl. Mt. wir in obbemeltem trukh abschrifft10 [83v] (alls zu dero wir unns alles kayserlichen christlichen einsehens hierinn in höchster unnderthenigkhait all[unleserlich] vertrösten) in aller unnderthenigkhait ubergeben, unns über zuversicht khain endtliche resolution noch nicht ervolget, sonder sovil angedeüttet worden ist [Marginalie: Ist extra consilium geschehen, si factum est.], dieweil diß unnser geschehen ansuchen alle stennde betreffen thue, das solches zu gemeiner Reichs versamlung unnd fernerer tractation verschoben und eingestellt werden müesste, unnd aber gegenwürttiger Reichs tag alberaith vorhannden unnd man zur tractation dises nötigenn puncten vermuettlich in khurtzem württ schreitten miessen:
Damit dan wir zu unnser selbst, auch anderer der augspurgischen confessions verwandten merkhlichen schaden nicht abermahls, wie nuhn biß anhero fast in das ein unnd zwainzigst jahr geschehen ist11, ins weitte feld gewysen werden, sonder hiervon endtlich der gepur nach bey zeit gehandtlet unnd allerhand besorgter unrath vorkhommen möge bleiben:
So ist hiemit an eur ksl. Mt. unnsere aller unnderthenigste pitt, sy wöllen allergnedigst befürdern unnd daran sein, das auf jetztwehrendem reichstag ohne fernern vorzug von der begerten freystellung unnd andern täglichs einreyssenden newerungen unnd beschwerungen gepürliche berathschlagung [84r] für allen dingen angestellet unnd, was wir unnd anndere der augspurgischen confessions verwandten unns endtlich zugetrösten haben sollen, aigendtlich abgeredt unnd beschlossen, auch endtlich die sachen dahin inns werkh gerichtet werden mügen, damit beyde religionen neben einander auf guette fridliche leidliche wege unnd maß geduldet, die gewyssenn frey unnd die augspurgische confessions verwandte ohne weittern verfolg unnd aussatz gelassen und vonn den gaistlichen unnd andern amptern, würden unnd niessungen nicht aussgeschlossen und hindan gestossen werden.
Dann eur ksl. Mt. auß sondern hochbewegenden, tringenden unnd unumbgängkhlichen uhrsachen wir nit verhallten khönnen, das, ob wir wol, eur ksl. Mt. mit gutt unnd blutt zuzusetzen unnd alle unnderthenigste hüllff zuerstatten, von hertzen begürig unnd willig, dannocht wir ohne vorgeende erledigung dises hochnotwendigen punctens auß vilerlay tringenden uhrsachen unns zum höchsten beschwert finden, fürbaß deß Hl. Reichs contributiones, anlagen unnd beschwerden wie bißhero auf unns zuladen, dargegen aber deß jhenigen, so gemeinen graven, auch andern, höhern unnd nidern standts, zum bessten verordnet, nicht zugeniessen, da doch die billichait erfordert, das die jhenigen, so gleiche onera haben, hinwider durch der ergetzlichait unnd commodorum mit theilhafftig sein sollenn, [84v] da annders schedlichs mißtrawens, unaynigkhait und weitterung, so auß solcher inaequalitet in allen rebus publicus nottwendig zuvolgen pfleget, verhüetet werden soll.
Unnd wiewol die difficultates oder einreden der bäpstlichen relligion verwandten wider die gesuchte freystellung in unnserer hievor auf allhie gehalltnem wahltag übergebner unnd oben berüerter schrifft gnugsamlich abgelaynet12, auch wege unnd mittl, mit was maß unnd beschaydenhait die freystellung dem relligion friden ainzuverleiben, angedeuttet worden, jedoch die weil es der römischen khürchen anhengigen mehrern thaills darumb zuthun ist, das sie besorgen, [Marginalie: [unleserlich].] wan die freystellung bewilligt, das die stifft und khürchenguetter durch die jhenigen, so der augspurgischen confession zugethon, wen13 die auf denn stifften zugelassen unnd zu ertzbischoffen, bischoffen unnd andern prelaturn, digniteten und würden erhaben werden und eindtweder verheürath sein oder irer glegenhait nach sich verheurathen sollenn, auf derselben khünder unnd erben verwendet unnd von der khürchen gantz unnd gar alieniert und endtzogen werden möchten unnd die stift dardurch zu grundt gehn miessen, so khönndte neben [Marginalie: Weitter mittel.] den hievor in unnserer auf jüngst gehalltnem wahltag übergebner schrifft angeregten mittln der sachen auch darmit begegnet werden, das namblich durch ein gemeine reichssatzung maß unnd ordnung gegeben werde, welcher massen [85r] die jhenigen, so sich allso, wie obsteht, verheurathenn wurden, eur ksl. Mt. unnd dem Hl. Reich zu erhalltung fridens unnd recht [Marginalie: Canonici maritati sint milites, soluti sacerdotes.] unnd sonderlich zum widerstand deß türkhen in fürfallenden nötten sich ritterlich unnd beraithwillig gebrauchen zulassen, sollen schuldig sein. Wie dan in ettlichenn andern christlichen königreichen und lannden gaistliche orden gefunden worden, welchen der eheliche stand nit verbotten ist, unnd niessen doch die gaistlichen guetter der stifften ohne derselben schmelerung unnd zerreissung14.
Dardurch wurde auch volgen, das man im Hl. Reich nit mit einer geringen anzahl ritterlicher leüthe auf alle nottwendige fähll khönndte beraith und gefasst sein zu grosser desselben reputation unnd sicherhait, dann auch zuverschonung unnd ringerung der, je lenger, je mehr, einfallenden Reichs contributionen unnd hüllffen, darauf man sonst alle hoffnung unnd gegenwehr stellen mueß unnd die doch nimmer zeittig unnd fruchtbarlich erfollgen unnd inns werkh khommen.
Da auch befahret werden wollte, das der augspurgischen confession verwandte, da die auf den stifften zugelassen unnd zu den würden, wie obgehört, erhaben werden sollten, das dieselb die bäpstisch relligion ganntz unnd gar aussmustern unnd abthun wurden, khöndte mans in dem fahl auff solche mittl richten unnd dise versehung beschehen, [Marginalie: Mittel zu erhaltung der bapstischen religion.] das kheinem bischoffen oder prelaten, so sich der augspurgischen confession [85v] anhengig machte, frey unnd zugelassen solte sein etc., die meß unnd bäpstische relligion abzuschaffen ohne zuthun unnd verwilligung dero thum capittl unndt landtschafften, sonnder allein beeder religion beneben einander zugestatten unnd anzurichten, dergestallt, das den stifften an der uebung der religion unnd andern iren gerechtigkhaitten nichts endtzogen, auch aller aufsatz, schmehen und schenden ernstlich fürkhommen und allein jedem seinem gewissen nach frey gelassen wurde, in eine oder andere khürchen zugehn unnd sich zu derselben zubekhennen, biß solang Gott gnad gebe, das man sich in der christenhait oder doch im Reich einer allgemeinen reformation oder annderer mittl unnd weg mit einander endtschlossen unnd verglichen. Wie es dan ohne das im Hl. Reich, auch bey andern nationen mit verenderung der religion unnd gemüether so weit gerathen unnd sich von tag zu tag, je lenger, je mehr, dahin erzaigt unnd anstellet, das ohne zulassen beyder relligionen unnd freylassung der gewissen, doch auf ordenliche unnd gemässigte weg, sich kheines bestendigen fridlichen leben unnd wesen in die lenge zuvermuethen, sonnder das es endtlich zu fürfallender und wachsender glegenhaitt nur zu innerlichen unnd gewaltigen kriegen unnd empörungen würdet khommen müeßen; zue höchster gefahr unnd verderbnuß deß gemeinen vatterlandts unnd fürnehmlich der gaistlichaitt, welcher in allwege die zeittige und gutwillige zugebung unnd nachlassung obangeregtem fridlichen und [86r] gleichmessigen mittl vil sicherer und fürstendiger15 sein würde.
Dieweil dan ohne erörtterung obangeregten punctens nit allein den augspurgischen confessions verwandten stenden, sondernn dem Hl. Reich, unnserm geliebten vatterland, bestendigen fridlichen wesens halben zum allerhöchsten gelegen unnd die freystellung innsonderheit aller churfürsten, fürsten, grävelichen, adlichen unnd andern heüsern unnd stemmern erhalltung unnd wolfahrt betrifft, als thut sowol der chur-, fürsten unnd stende alls auch unnser aller notturfft erforderen, das nach lang gehabter gedulldt unnd vilen biß anhero von der bäpstischen leer anhengigen geuebten gewallt, den sie mit mehrgedachtem religion friden zubeschönen sich jederzeitt unnderstanden haben, man wissen und erfahren müge, ob durch ordenliche mittl die abschaffung solcher unrechtmessigen, thattlichen vorgriffe, dern sich die römischen religions verwanndten in crafft deß religion fridens mit ausschliessung unnserer, der augspurgischen confessions verwandten, auß allen stifften unnd andern gaistlichen beneficien nhun mehr wie obgemeldet biß ins ein unnd zwainzigist jahr angemast haben, zuhoffen seye oder nit. Dann wahr unnd beweyßlich ist, das dern gaistliche vorbehallt, dessen in dem religion friden im § Unnd nachdem bey vergleichung dises fridenns etc.
16 meldung beschieht, von den stenden der augspurgischen confession in der tractation zu Augspurg anno 55 niehmahls bewilliget, sonndern auch ausstrukhlich protestiert unnd der gemeine dissensus sowol eur ksl. Mt. herrn vattern, kayser Ferdinando, hochlöblichster gedechtnus, alls auch eur ksl. Mt. selbs unnd den gemeinen Reichs stenden gnugsam unnd mit außtrükhlichen wordten angezaigt, auch in volgender zeit ettlich mahl repetiert unnd ernewert worden ist17.
Derhalben auch das jhenig, so solch der chur- und fürsten unnd andern der augspurgischen confession verwandter clare widersprechung zugegen auf anhallten der bäpstischen de facto statuiert und volgendts publiciert worden ist, in disen sachen, das gewyssen belangendt, niemandts, dan die darein gewilliget unnd die iren vorthaill dardurch gesucht, obligiern oder binden hatt khönnen.
Derwegen ist an eur ksl. Mt. nochmahls unnser aller unnderthenigste pitt, höchstes flehen unnd anrueffen, sy wollen irem christlichenn hochberüembten eyfer nach dise handlung mit rechtem ernst ansehen, erwegen unnd ir, wie unns nit zweyfellt, allergnedigst angelegen sein lassen, daß unnserm sofilfaltigem18, nottgetrangtem unnd höchstveruhrsachtem suchenn, die freystellung unnd andere puncten belangend, endtlich gnedigst wilfahrt, statt geben und allsbald darvon ein gepürliche unpartheyische consultation bey jetzt werendem reichstag vor einiger anderer tractation unverzüglich angestellet und das jhenig, [87r] so zue befirderung der ehre Gottes, erhalltung gueter ainigkhait unnd bestendigen fridenns im Reich zwischen bayderseitz religions verwandten unnd abwendung allerhand besorgter unrueh fürträglich sein mag, verodnet[!] unnd volzogen möge werden.
Daran beweysen eur röm. ksl. Mt. Gott dem allmechtigen, dessen ehre sie vor allen dingen zu suchen unnd zu fürdern schuldig seind, ohne zweyfell ein angenehmen unnd hochgefellig dienst unnd hellffen darneben mehrer ainhelligs vertrawen, eintrechtigkhait der gemüether, auch den gemeinen friden, rhue unnd ainigkhait, dess gleichen irer selbst und gemeinen vatterlandts unnd insonderhait viler fürstlicher, gravelicher unnd adelicher geschlechter wolfarth, befürdern, die auch nit underlassen werden, solch hochrüemlich unnd recht kayserlich werkh für die höchste gutthatt, welcher sich auch irer aller posteritet zuerfrewen haben, zuhallten unnd darzw umb eur ksl. Mt. mit beraithwilliger zusetzung gutts unnd blutts in aller unnderthenigster gehorsame gantz begürlichen und unverdrossen zuverdienen.
Eur röm. ksl. Mt.
allerunderthenigste und gehorsamste
graven unnd herrn, der augspurgischen confession verwante stende und derselben abgesandten.
Siehe textkritische Fassung.