Der Reichstag 1576: Verhandlungsthemen und -ergebnisse
Inhaltsverzeichnis
Die unmittelbare Vorgeschichte der Regensburger Reichsversammlung von 1576
beginnt mit dem Kurfürstentag des Jahres 1575 ebenfalls in Regensburg, auf dem
Kaiser Maximilian II. die Kurfürsten im Anschluss an die Wahl seines Sohnes
Rudolf zum römischen König um deren Bewilligung für das Ausschreiben eines
Reichstags ersuchte. Indes war ein neuerlicher Reichstag bereits fünf Jahre
zuvor, in der Endphase der Speyerer Reichsversammlung 1570, diskutiert worden,
als der Kaiser den Reichsständen in einer Türkenproposition
eine zu
erwartende osmanische Offensive an der Grenze vor Augen gestellt und um eine
Stellungnahme dazu gebeten hatte, wie dem ohne einen Reichstag, dessen
Ausschreiben im Fall eines Angriffs zu zeitaufwendig erschien, zu begegnen sei.
Da die Reichsstände lediglich auf die im Reich hergebrachten Wege und damit doch
wiederum auf den Reichstag verwiesen, musste Maximilian II. es dabei
belassen1. Er wandte sich deshalb gesondert
an den Kurfürstenrat mit der Bitte, ihm noch in Speyer als Ausnahme vom
hergebrachten Verfahren für den geschilderten Notfall aus Zeitgründen das
Ausschreiben ohne vorherige Anforderung des kurfürstlichen Konsenses zu
gestatten.
Weil die kurfürstlichen Räte dies unter Berufung auf mangelnde Vollmachten ablehnten2, brachte Maximilian unmittelbar nach der Speyerer Versammlung zu Beginn des Jahres 1571 eine erste Reichstagswerbung bei den Kurfürsten vor. Indessen verwehrten sowohl die rheinischen als auch die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg gegen den individuellen Konsens zum Ausschreiben, sondern setzten dafür Kollegialberatungen voraus. Die diesbezügliche Tagung des rheinischen Kollegiums in Bingen im Mai 1571 billigte den Reichstag, jedoch nur mit erheblichen Bedenken wegen der ohnehin erst abgeschlossenen Speyerer Versammlung und deshalb bedingt nur für den Fall eines osmanischen Angriffs und vorbehaltlich der Zustimmung der Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg. Letztere bestätigten ebenfalls kollegialiter auf die wiederholte Aufforderung des Kaisers hin im Juli 1571 widerwillig den Beschluss der rheinischen Kurfürsten, allerdings wie diese mit dem Notfallvorbehalt. Obwohl Maximilian II. die Einberufung damit offenstand, verzichtete er im Antwortschreiben vom August 1571 auf den Zusammentritt der Reichsstände, nachdem sich die Situation an der osmanischen Grenze entspannt hatte3.
Auch nach der neuerlich bedingten Bewilligung durch das Kurkolleg beim Kurfürstentag im Juli 1572 in Mühlhausen schrieb der Kaiser keinen Reichstag aus, weil die relative Ruhe an den ungarischen Grenzen anhielt4.
Folgt man dem Protokoll des kaiserlichen Geheimen Rates für die Vorbereitung des
Reichstags 1576, blieb es in den folgenden Jahren dabei: Weil aber der turck
dermaln sein propositum geendert und sein macht gegen Hispano und Italien
gewendet, ist die sach also bis anno 1575 ersizen
plieben
5. Ansonsten kam die Möglichkeit eines Reichstags für
die Beratung der innen- und friedenspolitischen Probleme wohl nur in der
Korrespondenz des Kaisers mit Kurfürst Daniel von Mainz im Frühsommer 1573 und zu Beginn des Jahres 1574 zur Sprache, jedoch präferierten beide den Kurfürstentag als
rascher zu berufendes und effektiveres Forum, auch im Hinblick auf die
nachfolgende Veranstaltung eines Reichstags6.
Beim Regensburger Kurfürstentag 1575, primär veranstaltet wegen der Regelung der lückenlosen Nachfolge im Kaisertum mit der Wahl Rudolfs II. zum römischen König, legte Kaiser Maximilian II. am 24. Oktober eine Nebenproposition vor, in der er unter Berufung auf die verschärfte Situation an den Grenzen mit aktuellen osmanischen Übergriffen, die bislang gescheiterten Bemühungen um eine Verlängerung des abgelaufenen Friedensvertrags und auf Nachrichten über einen geplanten osmanischen Hauptkrieg die Kurfürsten um die Bewilligung eines Reichstags bat, um dort über eine nachhaltige beharrliche Türkenhilfe sowie anderweitige drängende Reichsangelegenheiten, namentlich Störungen des Landfriedens durch Söldnerwerbungen und -züge, zu beraten7. Da die Kurfürsten in ihrer Antwort den Reichstag ohne Vorbehalte einhellig bewilligten, kündigte der Kaiser in seiner Erwiderung vom 1. November 1575 noch in Regensburg dessen Einberufung wegen der Türkengefahr bereits für 8. oder 12. Februar 1576 nach Augsburg an8.
Schon während der Rückreise von Regensburg nach Wien erging von Linz aus am 10. November 1575 das Reichstagsausschreiben für 15. Februar 1576 mit Regensburg anstelle Augsburgs als Veranstaltungsort.
Die kurfürstliche Bewilligung beim Regensburger Wahltag legitimierte die die Einberufung der Reichsversammlung ohne weitere Schritte. Die ansonsten notwendigen Reichstagwerbungen bei den Kurfürsten um deren Konsens erübrigten sich damit bzw. sie konnten sich hier9 wie auch bei ausgewählten Reichsfürsten10 auf die Bitte um deren persönliche Teilnahme oder um thematische Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchführung des Reichstags beschränken.
Nach dem Abschluss des Kurfürstentags am 3. November 1575 sollte der Reichstag gemäß dem Ausschreiben bereits am 15. Februar 1576 folgen, doch verzögerte sich die Eröffnung sodann um mehrere Monate letztlich bis zum 25. Juni. Den Aufschub schien zum einen eine gewisse Entspannung im Verhältnis zum Osmanischen Reich und somit die verminderte Gefahr eines Hauptkriegs zu ermöglichen, nachdem es am 22. November 1575 gelungen war, den Frieden von Adrianopel (Edirne) vom 17. Februar 1568 nach dem Tod Sultan Selims II. mit dessen Nachfolger Murad III. für weitere acht Jahre zu verlängern11.
Indes war dies nicht der eigentliche Grund für die Verzögerungen, stellte doch die Bitte um eine Türkenhilfe beim Reichstag trotz des Friedensvertrags zumindest vordergründig den zentralen Punkt der kaiserlichen Agenda dar. Vielmehr war es die Entwicklung im polnischen Wahlkonflikt, die es abzuwarten galt und die Maximilian II. sodann aufgrund der Verhandlungen mit polnischen Gesandten bis Anfang Juni in Wien festhielt, wenngleich er dies in den Prorogationsschreiben mit der Bekanntgabe der Terminaufschübe12 zunächst bis 1. April, sodann bis 1. Mai und letztlich bis Juni jeweils nicht oder nur ganz am Rande thematisierte: Kurz vor der Abfassung des ersten Prorogationsschreibens war Maximilian beim Wahltag in Warschau am 12. Dezember 1575 als polnischer König nominiert worden, nur zwei Tage später folgte die Gegenwahl Stefan Báthorys13. Anschließend zogen sich die Verhandlungen in Wien mit den Gesandten der habsburgischen Wahlpartei um die Wahlbedingungen vom 14. Januar bis zu deren Annahme durch Maximilian II. am 23. März 1576 hin14, während sich in Polen auch aufgrund der zögerlichen Haltung des Kaisers Báthory durchsetzen konnte und am 1. Mai 1576 zum König gekrönt wurde.
Dem Kaiser bot sich indessen mit dem Reichstag die Möglichkeit, die polnische Frage dort zu proponieren und die Reichsstände in die Klärung des Wahlkonflikts einzubeziehen. Die Thematik bedingte demnach einerseits die Verzögerung des Reichstags, andererseits erweiterte sie dessen Programm insbesondere aus kaiserlicher Sicht um eine wichtige Problemstellung.
Allerdings blieben die Ursachen für die weitere Verzögerung der Anreise
Maximilians nach der Annahme der polnischen Wahl Ende
März und dem zunächst angekündigten Eröffnungstermin 1. Mai weitgehend unklar. Im letzten Prorogationsschreiben vom 13. Mai mit der Ankündigung des Aufbruchs
in Wien am 1. Juni nannte er lediglich
hochwichtige … handlungen
, die seine Abreise verzögerten15, und auch im Schreiben an die Empfangskommission in Regensburg vom 29. April verwies er nur ganz allgemein
auf wichtige Verrichtungen in Polen, Ungarn und Böhmen als Grund dafür. Die
unklare Informationslage führte bei den bereits in Regensburg anwesenden
reichsständischen Gesandten zu diversen Gerüchten, unter anderem wonach der
Kaiser nicht zum Reichstag kommen, sondern nach Polen ziehen werde, um dort den
Anspruch auf die Königskrone durchzusetzen16. Letztlich dauerte es bis 17.
Juni, ehe Maximilian nach einem krankheitsbedingten Aufenthalt
während der Anreise in Straubing in Regensburg einzog17.
Das beim Reichstag behandelte Themenspektrum wird unterteilt in Hauptverhandlungen einerseits, also die sogenannten Hauptartikel als kaiserliche Agenda, die in der Proposition vorgegeben und im Reichsabschied reichsgesetzlich verbindlich beschieden wurden, und in Nebenverhandlungen andererseits. Letztere rührten nicht von der Proposition des Kaisers her, sondern wurden anderweitig an den Reichstag gebracht und dort parallel zu den Hauptverhandlungen debattiert. Bei den Nebenverhandlungen wird zusätzlich differenziert zwischen 'profanen' Themen und Religionsverhandlungen.
Das Ausschreiben
vom 10. November 1575 nannte unter
Berufung auf die kaiserliche Vorlage beim Kurfürstentag die Beratung von
Maßnahmen gegen die osmanische Bedrohung als das zentrale Thema des künftigen
Reichstags. Die übrigen, nur ganz pauschal angesprochenen Punkte betrafen das
Standardprogramm der Reichsversammlungen in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts:
Verbesserung der Exekutionsordnung und Abstellung gesetzwidriger
Söldnerwerbungen; einheitlicher Vollzug der Reichsmünzordnung; Rektifizierung
der Reichsmatrikel; Rekuperation verlorener Reichsterritorien. Mit der ebenfalls
gebräuchlichen Klausel und dergleichen gemaine nottwendigkhaiten …, welche
gleichsfals der stendt zeitliche berathschlagung und verabschiedung
erforderten
, hielt sich Maximilian II. die Möglichkeit offen, daneben
noch weitere Punkte anzusprechen. Dagegen wurde, anders als beim Kurfürstentag
zugesagt, die Declaratio Ferdinandea nicht thematisiert.
Die am 25. Juni 1576 anlässlich der Reichstagseröffnung verlesene Proposition als Hauptagenda der Reichsversammlung griff diese Verhandlungsvorgaben neuerlich auf, betonte an erster Stelle mit einer Darlegung der Situation an der osmanischen Grenze die Unabdingbarkeit einer umfangreichen Reichstürkenhilfe und ergänzte bei den Standardthemen als 3. Hauptartikel die Probleme des Reichsjustizwesens sowie an 7. und letzter Stelle die Klärung von Vorrang- und Sessionsdifferenzen der Reichsstände, um daraus resultierenden Behinderungen der Hauptberatungen vorzubeugen. Die polnische Doppelwahl kam im Anschluss an die Türkenhilfe nur kurz zur Sprache, indem der Kaiser auf seine Nominierung als König und die folgende Entwicklung des Konflikts verwies, die Aufnahme in das Reichstagsprogramm trotz der Nichterwähnung im Ausschreiben rechtfertigte, eine baldige genauere Darlegung der Umstände ankündigte18 und dazu eine Stellungnahme der Reichsstände erbat. Die polnische Frage nimmt damit eine gewisse Zwischenstellung ein, weil sie in der Proposition zwar neben den anderen Hauptartikeln angesprochen, aber nachfolgend im Reichsabschied nicht mehr aufgegriffen wurde. Sie wird in der Edition deshalb ebenso wie die Religionsthematik, die in der Proposition wie zuvor im Ausschreiben erneut nicht enthalten war, den Nebenverhandlungen zugeordnet.
Wie erwähnt, bildete beim Kurfürstentag 1575 die Türkengefahr das Movens für die Bewilligung eines Reichstags durch das Kurkolleg. Wenngleich unmittelbar nach dem Kurfürstentag die oben angesprochene Verlängerung des Friedensvertrags mit Sultan Murad III. am 22. November 1575 die Situation an der Grenze leicht entspannte, hielt dies den kaiserlichen Hof nicht davon ab, das Thema 'Türkenhilfe' programmatisch in das Zentrum des Reichstags zu stellen: Die Bitte um Unterstützung stand in der Proposition als 1. Hauptartikel eindeutig im Vordergrund, indem sich der Kaiser auf die grundsätzliche mangelnde Vertragstreue auf osmanischer Seite berief, diese mit vielfachen Verstößen gegen den soeben erst bestätigten Frieden verdeutlichte und die zunehmende osmanische Macht als direkte Bedrohung auch für das Reich deklarierte. Er forderte mit dieser Argumentation eine 'beharrliche' Türkenhilfe für den Unterhalt und den Ausbau der Grenzfestungen, deren Kosten er mit jährlich 1,6 Mill. fl. veranschlagte, sowie eine zusätzliche 'eilende' Hilfe für den Fall eines größeren osmanischen Angriffs. Maximilian II. selbst akzentuierte die Brisanz der Türkengefahr und die Unabdingbarkeit eines kontinuierlichen Beistands durch die Reichsstände zudem in seiner persönlich vorgetragenen Rede anlässlich der Reichstagseröffnung19.
Die steuerliche Erhebungsgrundlage für die Türkenhilfe wurde in der Proposition nicht thematisiert,
wenngleich diese Frage bei der Reichstagsvorbereitung im kaiserlichen
Geheimen Rat eine wichtige Rolle gespielt hatte: Bei der Festlegung der
Verhandlungsziele am 15. März 157620 sprach er sich auf der Basis eines
Gutachtens von
Reichspfennigmeister Georg Illsung und des Lazarus von
Schwendi21 dafür aus, die Türkenhilfe nicht
wie auf den vorherigen Reichstagen mit der Reichsmatrikel, sondern anhand
des Gemeinen Pfennigs als Erhebungsgrundlage einzubringen. Obwohl die dazu
um ihre Stellungnahme gebetenen führenden Reichsfürsten dem widerrieten22, beharrte Illsung im Geheimen Rat weiterhin auf
dem Gemeinen Pfennig oder einer in ähnlicher Form veranschlagten Haussteuer.
Doch kam man überein, die Hilfe in der Proposition in der erwähnten
Form sine specificatione
der Erhebungsgrundlage zu erbitten,
allerdings mit der Option, den Gemeinen Pfennig in die Beratungen
einzubringen23. Dafür
entwarf Pfennigmeister Illsung in Zusammenarbeit mit Siegmund Viehauser und
Ludwig Ungnad in Regensburg weitere Steuermodelle als Varianten des Gemeinen Pfennigs in Form einer
differenzierteren Stand- und Haussteuer mit dem primären Ziel,
damit gegenüber der Reichsmatrikel den Steuerertrag zu erhöhen24.
Wenngleich die Präferenz für den Gemeinen Pfennig in der Proposition nicht angesprochen wurde, brachte Kaiser Maximilian sie unmittelbar vor der Aufnahme der Hauptverhandlungen anlässlich der Vorladung von Vertretern der drei Kurien zum Ausdruck25: Er führte den kurfürstlichen Gesandten sowie den Delegierten von Fürsten- und Städterat in persönlicher Rede nicht nur die dringliche Notwendigkeit einer im Vergleich zu bisherigen Hilfen größeren finanziellen Unterstützung wegen der unmittelbaren Gefährdung des Reichs nochmals vor Augen, sondern betonte zumindest gegenüber dem Fürstenrat die Unzulänglichkeit der Matrikelsteuer und forderte damit indirekt den Gemeinen Pfennig als Besteuerungsbasis26.
Ganz konkret wurde der Gemeine Pfennig anschließend über das Direktorium Österreichs im Fürstenrat in dessen Ausschussverhandlungen zur Türkenhilfe eingebracht, dort aber ebenso mehrheitlich abgelehnt27 wie im Plenum des Fürstenrats28 und im Kurfürstenrat29. Dennoch griff der Kaiser in seiner Replik vom 9. August die Steuerform aufgrund der geringen Bewilligung der Reichsstände von lediglich 16 Römermonaten in deren Antwort zum 1. Hauptartikel nochmals auf, nunmehr erweitert sowohl um ein alternatives Besteuerungsmodell auf das Einkommen als auch um die Möglichkeit einer matrikelbasierten Steuer, diese jedoch in einer neuen Dimension von insgesamt 132 Römermonaten. Ergänzend übergab er als Beilagen zur Replik Auflistungen und Gutachten, um den hohen Finanzbedarf für die Grenzsicherung konkretisierend zu veranschaulichen.
Wie die kontroversen Debatten um die Replik im Geheimen Rat zeigen30, sollten der Gemeine Pfennig und die alternative Steuerform primär als Druckmittel dienen, um generell eine höhere Bewilligung zu erlangen. Zum gleichen Ziel sollten außerdem persönliche Gespräche des Kaisers mit Gesandten am Reichstag, Handschreiben an Reichsfürsten sowie kaiserliche Gesandtschaften an die abwesenden Kurfürsten führen.
Besonders Letztere31 waren für den weiteren Verlauf und den Erfolg des Reichstags von zentraler Bedeutung: Sie trugen ganz wesentlich dazu bei, dass die Reichsstände trotz des Befremdens über die enorme kaiserliche Forderung, die von manchen Gesandten in Zusammenhang mit etwaigen Kriegsplanungen Maximilians II. im polnischen Wahlkonflikt gebracht wurde32, ihre Steuerzusage in der Duplik von zuvor 16 auf nunmehr 60 Römermonate beharrlicher Türkenhilfe erhöhten.
Ausschlaggebend für diese grundlegende Wende waren im Kurfürstenrat die Vorgaben Kurfürst Johann Georgs von Brandenburg und insbesondere Kurfürst Augusts von Sachsen: Letzterer hatte bereits in der Weisung vom 30. Juli die zu niedrige Bewilligung in der Ständeantwort kritisiert und zumindest 48 Römermonate veranschlagt, die er nach der kaiserlichen Gesandtschaft in der Weisung vom 29. August auf 72 Römermonate beharrliche und eine eilende Notfallhilfe erhöhte. Darüber hinaus verzichtete er im Hinblick auf den konfessionspolitischen Disput am 30. Juli explizit auf das Junktim einer Bestätigung der Declaratio Ferdinandea mit der Steuerzusage33.
In der vorentscheidenden Sitzung des Kurfürstenrats am 18. September brachten die kursächsischen Gesandten ihr Votum für 72 Römermonate vor, die Vertreter Kurbrandenburgs votierten nunmehr für 60 Römermonate, auf die sich sodann die Mehrheit des Kurfürstenrats am 20. September verständigte, ergänzt um eine zusätzliche Notfallhilfe von 10 Römermonaten. Lediglich Kurpfalz beharrte auf der Minderbewilligung von 24 Römermonaten.
Im Ausschuss des Fürstenrats am 5. September wiederholte Österreich die Forderung der kaiserlichen Replik nach 132 bzw. 120 Römermonaten, die Bayern dort und bei den anschließenden Verhandlungen im Plenum, in denen es daneben weiterhin um den Gemeinen Pfennig als Alternative zur Matrikelsteuer ging, durch den Anschluss der Mehrheit auf 48 und eine eilende Eventualhilfe von 24 Römermonaten verringerte. Schließlich war es der im Korreferat am 24. September vorgetragene Beschluss des Kurfürstenrats34, der im Fürstenrat in der maßgeblichen Sitzung am 25. September gegen den Protest mehrere Stände den Anschluss an die höhere Zusage von 60 Römermonaten veranlasste.
Dass der Städterat diese Summe nur unter Vorbehalt auf Hintersichbringen annahm35, wurde weder in der Duplik noch nachfolgend im Reichsabschied berücksichtigt: Es blieb bei der hohen Bewilligung von 60 Römermonaten36.
Inwieweit die Legation der innerösterreichischen Landstände zum Reichstag mit den Eingaben ihrer Gesandten und deren auf die Herzogtümer Steiermark, Kärnten und Krain fokussierte Schilderungen der Gefahrenlage zur erhöhten Steuerzusage beitrugen, bleibt letztlich offen. Es lag allerdings auch im Interesse des Kaisers, wenn die Gesandten in ihren Supplikationen an die Reichsstände insgesamt oder einzelne Kurien mit der drastischen Darstellung der Situation an der osmanischen Grenze den Steuerbewilligungsdruck erhöhten37.
Hingegen widersprach die zweite Zielsetzung der Legation, die Ausweisung einer eigenen Quote an der Türkenhilfe explizit für Innerösterreich und deren direkte Auszahlung durch reichsständische Kommissare, der Intention des Kaisers und von dessen Räten: Sie lehnten dies zum einen in den direkten Verhandlungen mit den innerösterreichischen Gesandten ab38 und konnten zum anderen die in den Resolutionen der Reichsstände beim 1. Hauptartikel enthaltene Empfehlung, die Beteiligung der innerösterreichischen Herzogtümer an der Reichshilfe im Reichsabschied zu manifestieren39, bei desen Schlussredaktion so abgeschwächt formulieren40, dass eine für den Kaiser verpflichtende Partizipation Innerösterreichs an der Steuer vermieden wurde. Die Verwendung der gesamten Türkenhilfe lag damit in der alleinigen Kompetenz des Kaisers, die Zuweisung an Innerösterreich blieb weiteren Verhandlungen nach dem Reichstag vorbehalten41.
Mit der hohen Steuerzusage der Reichsstände hatte Kaiser Maximilian II. sein
Hauptziel (neben der polnischen Frage) auf dem Reichstag erreicht: Der
Beschluss von 60 Römermonaten beharrlicher Türkenhilfe bedeutete gegenüber
den Bewilligungen vergangener Reichstage quantitativ und qualitativ einen
Wendepunkt in der Geschichte der Reichstürkensteuern
42. Die Regensburger Versammlung von 1576 leitete
mit dieser Verabschiedung die Epoche der Türkenreichstage
bis 1603 ein, die von der inhaltlichen Konzentration auf
das Thema Türkenabwehr und jeweils sehr hohen Steuerzusagen geprägt waren.
Innenpolitische Problemfelder wurden zwar weiterhin proponiert, sie traten
in ihrer Bedeutung demgegenüber aber in den Hintergrund43.
Als weiteres Element einer beständigen Grenzsicherung brachte Maximilian II. auf der Grundlage eines Gutachtens des Lazarus von Schwendi44 das beim Reichstag 1570 erstmals erörterte Projekt eines Ritterordens in Ungarn zur Sprache. In seiner den Reichsständen am 15. September präsentierten Vorlage regte er den Dauereinsatz des Deutschen Ordens unter Einbeziehung des Johanniterordens an der ungarischen Grenze mit der Besetzung und dem Unterhalt dortiger Festungen an45.
Bei den Beratungen bestand im Kurfürstenrat am 22. September Einvernehmen, wegen der unabdingbaren Anhörung des Deutschen Ordens die Frage an den Reichsdeputationstag zu prorogieren. Den gleichen Beschluss fasste ebenfalls am 22. September der Fürstenrat, wo man zudem auf den Widerstand gegen das Ordenstranslationsprojekt in der Supplikation der Gesandten des Deutschmeisters verwies. In ihrer Resolution hielten die Reichsstände die Prorogation an den Reichsdeputationstag fest, sagten bis dahin diesbezügliche Vorberatungen in den Reichskreisen zu und baten Maximilian seinerseits um zwischenzeitliche Verhandlungen mit dem Deutsch- und dem Johannitermeister sowie mit Spanien, Florenz und Savoyen wegen der Heranziehung der dortigen Ritterorden. Der Reichsabschied (§§ 29-33) bestätigte dieses Procedere46.
Im zweiten Hauptartikel der Proposition, der Sicherung des Landfriedens, bezog sich der Kaiser auf die Verhandlungen und Vorgaben des Reichstags 1570 vornehmlich zur Unterbindung der Friedbrüche bei Söldnerwerbungen für auswärtige Kriege, die, wie die seitherigen Erfahrungen zeigten, zum einen nicht beachtet würden und zum anderen nicht ausreichten, um die damit einhergehenden Missbräuche abzustellen. Er forderte deshalb Beratungen der Reichsstände 1) über verschärfte gesetzliche Bestimmungen zur Verhinderung von Verstößen bei Rüstungen und Söldnerzügen; 2) über Maßnahmen, um den bisher unterbliebenen Vollzug der Reichskonstitutionen zu gewährleisten – für auswärtige Werbungen konkret über die Vorlage kaiserlicher Patente durch werbende Oberste und die Einforderung der Kautionsleistung in den Reichskreisen noch vor der Musterung. Maximilian II. verwies diesbezüglich auf seine Empfehlungen beim Reichsdeputationstag 1569 und beim Reichstag 1570. Dazu kamen 3) die Verbesserung der Defensionsbereitschaft in den Reichskreisen durch die Anlage eines Kreisvorrats und die Bereitstellung von Munition und Truppen sowie 4) die Gründung von Landrettungsvereinen insbesondere durch Reichsstände an den Reichsgrenzen.
Im Hintergrund dieser Forderungen stand die Destabilisierung des Friedens im Reich durch den niederländischen Krieg und die Religionskriege in Frankreich seit 1567/68, für die das Reich als Hauptrekrutierungsgebiet von Söldnern diente, mit deren Musterungen, An- und Abzügen ebenso folgenschwere Friedensstörungen einhergingen wie mit Truppenübergriffen auf Reichsterritorien an der Grenze. Verschärfend trat der konfessionspolitische Faktor hinzu, indem die protestantischen Stände dem Kaiser konfessionelle Parteilichkeit bei der Erlaubnis von Rüstungen für die jeweiligen katholischen Kriegsparteien vorwarfen. Die Verwicklung des Reichs in diese Kriege mit dem ersten Zug Pfalzgraf Johann Casimir (1567) zur Unterstützung der Hugenotten, die späteren Truppensammlungen Pfalzgraf Wolfgangs von Zweibrücken für den Dritten Französischen Religionskrieg (1568-1570), die Werbungen für den Kriegszug Wilhelms von Oranien und die Söldnerübergriffe aus den Niederlanden auf das Reich beschäftigten 1568 mehrere zirkulare und interzirkulare Versammlungen sowie den Kurfürstentag zu Fulda, auf dem die Vertreter des Kaisers anstrebten, auswärtige Kriegsdienste grundsätzlich an dessen Bewilligung zu binden. Dies wurde von protestantischer Seite strikt abgelehnt47.
Auf dem in der Proposition angesprochenen Frankfurter Reichsdeputationstag 1569 ließ Maximilian II. erneut zur Beratung stellen, wie die Landfriedensbrüche bei den Söldnerzügen nach Frankreich und in die Niederlande zu bestrafen seien und wie die dadurch verursachten Schäden erstattet werden könnten, um damit auch künftigen Verstößen gegen die Exekutionsordnung vorzubeugen. Die deputierten Reichsstände verweigerten die Einrichtung einer ständigen Reichstruppe, billigten aber die Einsetzung des Kaisers als Generaloberst mit dem Recht, interzirkulare Kreistruppen aufzumahnen, und beschlossen für die Finanzierung eine auf die Reichskreise veranschlagte Steuer. Allerdings wurden diese weitreichenden, die Zentralisierung der Reichsfriedensordnung betreffenden Maßnahmen auf Kreisebene nicht vollzogen. Die anderen Punkte, namentlich eine Erweiterung der Exekutionsordnung zur Bestrafung der Friedbrecher sowie die Regelung der Schadenserstattung, wurden 1569nicht beschieden, sondern dem Reichstag 1570 überlassen48.
Für dessen Verhandlungen, auf die sich die Proposition 1576 direkt berief,
stützte sich Maximilian II. in der dortigen Proposition auf eine Denkschrift
des Lazarus von Schwendi für eine monarchische Reform
der
Landfriedensordnung49, abzielend auf deren
Zentralisierung mit der Kontrolle auswärtiger Rüstungen durch den Kaiser: 1)
Zulassung auswärtiger Werbungen im Reich nur mit Genehmigung des Kaisers,
bei größeren Rüstungen unter Einbeziehung der Kurfürsten; 2) Zentralisierung
des Exekutionswesens mit dem Kaiser als Generaloberst, der Einrichtung einer
ständigen Reichstruppe und eines Reichszeughauses sowie eines nachgeordneten
Systems in den Reichskreisen. Dazu kamen die vom Reichsdeputationstag 1569
herrührenden Punkte: 3) Bestrafung friedbrüchiger Werbungen und 4) Regelung
der Schadenserstattung50. Die Reichsstände
wiesen die Reformbestrebungen durchwegs zurück: Auswärtige Werbungen wurden
nicht an die Bewilligung des Kaisers gebunden, sondern es blieb lediglich
beim 'Ansuchen' der auswärtigen Potentaten und der 'Anzeige' der Rüstungen
durch die werbenden Obersten beim Kaiser. Ebenso wurden die weiteren Punkte
einer Zentralisierung der Friedenssicherung abgelehnt. Dahinter stand neben
dem finanziellen Aspekt die prinzipielle Weigerung, territoriale Rechte
zugunsten eines kaiserlichen Gewaltmonopols
aufzugeben und die
reichsständische Libertät zu limitieren51.
Dass Maximilian II. trotz dieser Ablehnung nunmehr beim Reichstag 1576 nochmals eine Verschärfung der gesetzlichen Bestimmungen zur Debatte stellte, lag nicht zuletzt an der Entwicklung nach 1570, die, wie auch die kaiserliche Proposition anmerkte, die mangelnde Effizienz der bestehenden Regelungen zu bestätigen schien: Der zweite niederländische Aufstand seit 1572 bedingte umfangreiche Söldnerwerbungen beider Kriegsparteien im Reich, von deren Anmarsch am meisten der Niederrheinisch-Westfälische Kreis betroffen war52. Aktueller zeigte der in der Proposition nur wenig verklausuliert als Einmischung in 'fremde Händel' und Dienst mit 'auswärtigen Bestallungen' kritisierte Kriegszug Pfalzgraf Johann Casimirs nach Frankreich seit Dezember 1575 zur Unterstützung der Hugenotten die Missachtung der gesetzlichen Vorgaben, zumal der Pfalzgraf damit zudem gegen die Mahnung der Kurfürsten und das Gebot des Kaisers vom Kurfürstentag 1575 verstieß53.
Die oben genannten Beratungsaufträge im 2. Hauptartikel der Proposition54 wurden in einer ersten Verhandlungsrunde rasch erledigt: Der Kurfürstenrat widmete dem Thema zwei Tage (Verhandlungen am 31. Juli und 1. August), der Fürstenrat übergab es einem Ausschuss (dort Verhandlungen am 1. August) und übernahm dessen Resolution im Plenum am 2. August ohne größere Debatte. Die Billigung der Ständeantwort im Reichsrat folgte noch am 2. August55.
Der Grundtenor bei diesen Verhandlungen lautete über die Kurien hinweg: Die bisherigen Gesetze reichen aus, sie werden lediglich nicht vollzogen. Gleichwohl brachten die Reichsstände keine weiterführenden Vorschläge zur Sicherstellung des Vollzugs ein: Es wurde nicht nur die vom Kaiser gewünschte Verschärfung der Vorgaben einhellig abgelehnt, sondern man beließ es durchwegs bei den 1570 verabschiedeten Regelungen, zum einen bezüglich der Voraussetzungen für Werbungen generell sowie deren Anzeige (ohne Voraussetzung der Erlaubnis) beim Kaiser und den Kreisobersten in Verbndung mit der Kautionsleistung speziell. Außerdem überließ man die Bestrafung der Friedbrecher allein dem Kaiser, die Regulierung der bei Truppenzügen verursachten Schäden sollte auf der Grundlage der Verabschiedung von 1570 den Kreisobersten obliegen. Auch zum dritten Punkt, der Stärkung der Kreisdefension, empfahl die Antwort die wörtliche Wiederholung des Passus aus dem Reichsabschied 1570.
Der kaiserliche Geheime Rat56 zeigte sich damit nicht zufrieden und
monierte, es sei dem Kaiser ohne Zutun der Stände nicht möglich, gegen die
Landfriedensbrüche bei Werbungen vorzugehen. Grundsätzlich erwartete man
konkretere Vorschläge für die Sicherstellung des Gesetzesvollzugs: Weren
leges sine executione vergeblich.
Die diesbezügliche Forderung in
der Replik des Kaisers, die
Exekution der Gesetze bei Verstößen mit entsprechenden Strafen zu
verbessern, beantworteten die Reichsstände nach erneut nur kurzer
Beratung57 in der Duplik mit einem neuerlichen
Verweis auf die Verabschiedung von 1570 sowie mit
der Klarstellung, der vom Kaiser wiederholt benutzte Begriff seiner
Patente
als Voraussetzung für Werbungen könne sich nur auf die
1570 festgesetzte Anzeige der Werbeabsicht,
nicht aber auf eine ausdrückliche kaiserliche Bewilligung als Voraussetzung
beziehen.
Im Anschluss an die Beratung im Geheimen Rat am 12. September bedauerte der Kaiser in der Triplik, dass die Stände es bei den bisherigen Bestimmungen ohne jegliche Konkretisierung bewenden ließen, er stellte aber nochmals zwei kleinere Ergänzungen zur Debatte: Zum einen die Verpflichtung und damit die einklagbare Verantwortung der Befehlshaber, bei ihren Söldnern die Kriegsdisziplin zu wahren und für eine geregelte Besoldung zu sorgen; zum anderen im Rekurs auf die Proposition die dort angesprochene Bildung von Landrettungsvereinen an der Westgrenze des Reichs. Die Reichsstände58 verwehrten sich in der Quadruplik nochmals gegen die Voraussetzung kaiserlicher Patente für Werbungen und wiesen die Verpflichtung der Befehlshaber unter Berufung auf deren Eigenverantwortung zurück. Die Landrettung wurde an spätere Beratungen verwiesen.
Letztlich kamen zum 2. Hauptartikel trotz des Wechsels von sechs Schriften bis zur Schlusserklärung des Kaisers keine weiterführenden Beschlüsse zustande: Die einschlägigen Passagen im Reichsabschied beschränkten sich faktisch auf eine weitgehend wörtliche Wiederholung der Bestimmungen von 1570.
Die Probleme im Reichsjustizwesen sprach das Reichstagsausschreiben nicht an, weil, so der Kaiser nachfolgend in der Proposition, viele kritische Punkte beim Reichstag 1570 geklärt werden konnten59. Die spätere Aufnahme in die Proposition als dritten Hauptartikel begründete Maximilian II. mit den 'Bedenken', die das Reichskammergericht den Visitationskommissionen 1575 und 1576 übergeben hatte60 und die zur Verbesserung des Prozessverfahrens beitragen könnten. Er verband damit die Empfehlung an die Reichsstände, Assessoren des Reichskammergerichts für die Beratung der Gutachten beizuziehen.
Die Entscheidung über letztere Option überließen die Reichsstände gleich zu Beginn des Reichstags dem Kaiser, da sie die Gutachten nicht kannten und deshalb nicht abschätzen konnten, ob die Beiziehung der Assessoren angebracht war61. Nach der Beratung im Geheimen Rat am 11. Juli, die daneben verdeutlicht, dass das Thema Reichsjustiz allein aufgrund des aktuellen Abschlussberichts der Visitationskommission 1576 in die Reichstagsagenda aufgenommen worden war, sah man davon ab62.
Die Justizverhandlungen im Kurfürstenrat ab 3. August63 wurden bereits in der 1. Umfrage ergänzt um das Thema des kaiserlichen Hofgerichts zu Rottweil und den vermeintlich unterbliebenen Vollzug der diesbezüglich 1570 verabschiedeten Zusagen des Kaisers hinsichtlich der Exemtionsprivilegien der Kurfürsten gegen dessen Jurisdiktion. Deshalb übergab der Kurfürstenrat entsprechende Beschwerden an den Kaiser, die aber trotz des weiteren Aktenwechsels>64 nicht geklärt wurden.
Die Hauptberatungen zur Reichsjustiz wurden auf der Grundlage der diversen Gutachten und Stellungnahmen des Reichskammergerichts im Kurfürstenrat am 4. August rasch und einvernehmlich erledigt65.
Kontroverser verlief die Debatte im Fürstenrat66. Dort oblag die Beratung zunächst dem dafür eingerichteten Justizausschuss67, dessen Beschlüsse, aber ebenso die dort strittigen Punkte im Ausschussreferat vor dem Plenum am 9. August68 deutlich werden. Dies betrifft in erster Linie die Forderung der protestantischen Stände, den Religionsfrieden am Reichskammergericht zu beachten und zu vollziehen: Zum einen bei der Anstellung der Assessoren und der Besetzung der Gerichtskanzlei mit der beklagten Bevorzugung katholischer Kandidaten gegenüber besser qualifizierten Protestanten; zum anderen im Rekurs auf die dem Kaiser bereits übergebenen Religionsgravamina die Forderung, das Reichskammergericht im künftigen zu verpflichten, bei Klagen und Beschwerden Religionsprozesse Mandate sine clausula zu erkennen. Das Plenum des Fürstenrats billigte die im nachfolgenden Korreferat mit dem Kurfürstenrat neuerlich vorgetragene Ausschussresolution zu den allgemeinen Punkten, während die protestantischen Stände nochmals die im Ausschuss vorgebrachten Einwürfe bekräftigten und deren Vortrag vor dem Kurfürstenrat im Korreferat verlangten.
Im erwähnten Korreferat am 20. und 21. August69 konnte der Fürstenrat seine Verbesserungsvorschläge für Verfahrensdetails nicht durchsetzen, ebenso wenig Vorgaben für das Reichskammergericht, um die Bedrängung von Ständen durch Mandate sine clausula abzustellen. Wie die Antwort zum 3. Hauptartikel zeigt, behauptete sich hier und in weiteren kontrovers diskutierten Punkten der Kurfürstenrat: Es blieb im Wesentlichen bei der Bestätigung der Verabschiedungen von 1570, deren positive Effekte für die Verfahrensbeschleunigung hervorgehoben wurden, und zudem bei den von der Visitation 1573 beschlossenen Erläuterungen zur Reichskammergerichtsordnung und zum Prozessverfahren, die im Reichsabschied konfirmiert werden sollten. Zusätzlich wurde die nächste Visitation damit beauftragt, etwaige Optimierungsmöglichkeiten auszuloten. Die Einwände der protestantischen Stände im Fürstenrat wurden insofern berücksichtigt, als die Visitationskommission die weitere Vorgabe erhalten sollte, die Zuerkennung von Prozessen für beide Konfessionsparteien und ebenso die ordnungsgerechte Annahme von deren Gerichtspersonal sicherzustellen.
Ansonsten blieb es gegen das erste Votum des Fürstenrats, der den vom Kammergericht ins Spiel gebrachten zweijährigen Turnus bevorzugte, bei der jährlichen Visitation, zu welcher der persönlich teilnehmende Fürst künftig zwei Räte zuziehen durfte. Kurmainz sollte es als Erzkanzler freistehen, neben einem adeligen Verordneten und dem Kanzler einen dritten gelehrten Rat abzuordnen. Einvernehmen bestand in der Empfehlung, die 1570 zusätzlich aufgenommenen Assessoren weitere sechs Jahre zu beschäftigen.
Da es der Kaiser in seiner Replik bei dieser Antwort bewenden ließ und die Reichsstände sich dem in ihrer kurzen Duplik anschlossen, ging deren Antwort, in den Reichsabschied ein. Dessen Regelungen (§§ 52-64) bestanden im ersten Abschnitt (§§ 53-60) ausschließlich aus der Wiederholung von Auszügen aus dem Visitationsabschied 1573, die der Antwort der Reichsstände als Beilage beigegeben waren. Weitere Bestimmungen betrafen die Fortsetzung der Visitationen im jährlichen Turnus, deren Auftrag, Verbesserungsmöglichkeiten im Prozessverfahren zu eruieren, und die Beachtung der Reichskammergerichtsordnung bei der Aufnahme von Angehörigen ausschließlich der beiden im Religionsfrieden anerkannten Konfessionen am Gericht. Dazu kam die erwähnte Neuregelung für die Visitationsräte sowie die verlängerte Anstellung der 1570 zeitlich befristet berufenen Assessoren. Insgesamt brachte das Ergebnis 1576 damit nur leichte Modifikationen und Zusätze zur effizienten Verabschiedung von 1570.
Ähnlich wie beim Thema Landfrieden stützte sich Maximilian II. beim 4. Hauptartikel, dem Reichsmünzwesen, in der Proposition auf die gesetzlichen Regelungen in den Abschieden des Reichstags 1570 und des Reichsdeputationstags 1571, die eine durchgehende Beachtung der Reichsmünzordnung im gesamten Reich mit positiven Rückwirkungen auf Wirtschaft und Handel erwarten ließen, deren Vollzug aber, so der Kaiser, seither unterblieben sei. Dies und die deshalb fortdauernden Missstände belegten zudem die in der Proposition angesprochenen Gravamina mehrerer Reichskreise70 zum Reichsmünzwesen. Der Kaiser forderte deshalb Beratungen der Reichsstände über Schritte namentlich gegen die massenhafte Verbreitung unterwertigen ausländischer Münzen und die damit verbundenen Preissteigerungen, gegen anderweitige Mängel sowie allgemein für eine umfassende Anerkennung der Reichsmünzordnung im Reich.
Der Reichsabschied 1570 hatte die Reichsmünzordnung von 1559 bestätigt, Änderungen am Münzfuß abgelehnt und viele Maßnahmen im Detail vorgegeben, um unterwertige Prägungen sowie die Einfuhr und Verbreitung geringwertiger ausländischer Münzen im Reich zu unterbinden. Der folgende Reichsdeputationstag 1571 erhielt die Aufgabe, die Umsetzung der Vorgaben in den Reichskreisen zu gewährleisten und Beschwerden von Münzständen entgegenzunehmen71. Die Deputierten in Frankfurt reagierten auf diese seitens mehrerer Kreise und Stände vorgelegten Gravamina sowie bezüglich der Realisierung der Bestimmungen von 1570 nicht mit verändernden Eingriffen in die Reichsmünzordnung, sondern beschränkten sich darauf, einzelne Punkte zu konkretisieren und zu erweitern: So die verpflichtende Veranstaltung von jährlich zwei Probationstagen in jedem Reichskreis, die Aufteilung der Kreise auf drei interzirkulare Münzassoziationen im Reich, die ihre Probationen und die Münzpolitik zu koordinieren hatten, sowie die Beschränkung der Prägeerlaubnis auf wenige Münzstätten je Kreis. Dazu kamen Bekräftigungen bereits bestehender, aber nicht beachteter Auflagen zum Verruf untersagter Münzen, dem Verbot der Münzausfuhr und zu Strafen bei Falschmünzerei72.
Die Verabschiedungen von 1570 und 1571 bedingten zwar einen besseren Vollzug einzelner Münzgesetze, sie konnten aber grundlegende Probleme nicht beheben, auch weil die aktualisierten Regelungen neuerlich nicht überall realisiert wurden, etwa bei der Bildung der Münzassoziationen, der Unterbindung der unkontrollierten Münzeinfuhr aus dem Ausland sowie der Silberausfuhr aus dem Reich, der Prägung unter Verstoß gegen den geltenden Münzfuß und der Mengenbeschränkung von Scheidemünzen73.
All diese Probleme kamen in den Münzverhandlungen des Reichstags 1576 zur Sprache, zum einen infolge des Beratungsauftrags der kaiserlichen Proposition, zum anderen auf der Basis der Eingaben, Beschwerden und Proteste von Reichskreisen und Ständen: Zunächst lagen die Denkschrift der oberdeutschen Münzassoziation und die von deren Mitgliedern, dem Fränkischen, Bayerischen und Schwäbischen Kreis, zusammengestellte Auflistung von Verstößen gegen die Reichsmünzordnung seit 1570 vor74, sodann die Gravamina des Oberrheinischen, des Niedersächsischen und des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises. Letztere richteten sich vorrangig gegen die bekannte Ignorierung der Münzordnung im Burgundischen Kreis75.
Es ging in den Gravamina nicht nur um Verstöße und Versäumnisse im Münzwesen, sondern hier und verstärkt in den Protesten auch um die Undurchführbarkeit der gesetzlichen Vorgaben im eigenen Bereich, sei es, wie besonders im Protest des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises, wegen der Missstände im Burgundischen Kreis, dem Wirtschaftsverkehr mit dem benachbarten Ausland, der unter anderem in der Deklaration der rheinischen Städtebank thematisiert wurde, oder wie in den Protesten des Erzbischofs von Salzburg und Erzherzog Ferdinands II. von Tirol seitens der Stände mit eigenen Bergwerken im Hinblick auf die Edelmetallpreise und den Münzfuß.
Bei den Verhandlungen der Reichsstände hielt Trier im Kurfürstenrat am 6. August76 gleich im ersten Votum den Grundtenor der
Münzberatungen fest: Die gesetzlichen Regelungen reichen aus, allein
mangel eß am haltten
. Die diesbezüglichen Debatten im
Kurfürstenrat77 stützten sich
auf die erwähnten Eingaben von Reichskreisen. Als Grundproblem wurde dabei
neben anderen, bereits 1570 und 1571 erörterten Themen wie der Münzausfuhr aus dem Reich und der
Rückführung unterwertiger Umprägungen wiederholt betont, dass der Vollzug
der Reichsmünzordnung für viele Reichsstände vorrangig am Rhein nicht
möglich sei, so lange der Burgundische Kreis deren Anerkennung
verweigere.
Auch im Münzausschuss des Fürstenrats78 beriefen sich insbesondere die Stände im Westen des Reichs mit Jülich als Wortführer auf die beklagte Münzpolitik im Burgundischen Kreis, um damit eigene Verstöße gegen die Münzgesetze zu rechtfertigen. Die Akzeptanz der Reichsmünzordnung durch Burgund wurde im Ausschuss und nachfolgend am 14. August im Plenum des Fürstenrats zur conditio sine qua non deklariert, wollte man deren so oft postulierte einheitliche Beachtung im Reich durchsetzen. Andererseits wiederholten hier die Gesandten Salzburgs und Erzherzog Ferdinands von Tirol ihre früheren Proteste, wonach Stände mit eigenen Bergwerken den Schaden der eigennützigen Missachtung der Vorgaben durch andere Stände oder Kreise zu tragen hätten und eine Prägung nach dem geltenden Münzfuß für sie nicht ohne Verluste möglich sei.
Diese und weitere diskutierte Belange gingen nach dem Korreferat mit dem Kurfürstenrat am 22. August79, wo es größere Differenzen nur um die Proteste Salzburgs und Österreichs gab, und im Reichsrat am 23. August80 in die Antwort der Reichsstände ein. Diese wiederum bildete bereits die Grundlage für die späteren Festlegungen im Reichsabschied, der teils wörtlich auf die Antwort zurückgriff, nachdem in der Replik des Kaisers und in der Duplik der Reichsstände nur kleinere Modifikationen eingebracht wurden.
Generell beriefen sich die Antwort und damit auch der Reichabschied (§§ 65-82) in vielen Punkten auf die Maßgaben des Reichstags 1570 und des Reichsdeputationstags 1571, die bekräftigt und im Vollzug angemahnt wurden. Im Einzelnen wurden 1) die Gültigkeit der Reichsmünzordnung trotz der beim Reichstag eingebrachten Proteste bestätigt und alle Reichskreise auf deren Umsetzung ohne Berufung auf die Verhältnisse in anderen Kreisen verpflichtet; 2) die beiden jährlichen Probationstage in den Reichskreisen gemäß den Vorgaben beider Abschiede erneut vorgeschrieben; 3) ebenfalls im Vollzug des Deputationsabschieds 1571 sollte der Kaiser König Philipp II. von Spanien ermahnen, im Burgundischen Kreis die Beachtung der Reichsmünzordnung zu veranlassen. Die in der Ständeantwort enthaltene Forderung einer dortigen Münzreduktion wurde nicht in den Reichabschied übernommen. Dazu kam 4) die Aufforderung an den Kaiser bzw. dessen Zusage, die Reichsmünzordnung in den eigenen Königreichen und Erblanden zu vollziehen. Ebenfalls im Rückbezug auf 1570/71 wurde festgelegt: 5) die Einstellung bzw. Limitierung der Prägung von Kleinmünzen; 6) die Beschränkung auf drei bis vier Münzprägestätten in jedem Reichskreis; 7) das Verbot der Münz- und Silberausfuhr, der Einfuhr auswärtiger Münzen und des Aufwechselns von Münzen. Weitere Regelungen betrafen die Akzeptanzbeschränkung von Kleinmünzen bei größeren Beträgen, das Verbot bzw. die Valvation bestimmter ausländischer Münzen, die beschränkte Prägeerlaubnis für Dukaten und Goldgulden sowie die Realisierung der Münzordnung mit den genannten Maßnahmen explizit in wichtigen Handelsstädten.
Als einzigen Punkt in der Ständeantwort relativierte Maximilian II. in seiner Replik die Aufforderung an Erzherzog Ferdinand II., künftig den ordnungsgemäßen Münzfuß zu beachten und die Probationstage der oberdeutschen Münzassoziation zu besuchen, indem er die vom Erzherzog und dem Erzbischof von Salzburg zur Sprache gebrachten Probleme beim rentablen Betrieb der Bergwerke im Kern bestätigte. Im Reichsabschied fehlt eine diesbezügliche Forderung gänzlich.
Hingegen wurde dort das erst spät mit der Schlussschrift des Kaisers als Beilage übergebene Gutachten kaiserlicher Räte zur Behebung der Missstände im Reichsmünzwesen berücksichtigt und dessen Beratung dem künftigen Reichsdeputationstag aufgetragen. Weder in der Ständeantwort noch im Reichsabschied fand die 1571 prononciert vorgesehene Einrichtung weiterer Münzassoziationen der Reichskreise Erwähnung, obwohl seither neben der oberdeutschen keine weiteren Kooperationen gebildet worden waren.
Mit diesen Vorgaben wurde als Gesamtergebnis beim 4. Hauptartikel der Proposition kaum Neues statuiert, sondern die Verabschiedung beschränkte sich im Wesentlichen darauf, wiederholt die Beachtung und den Vollzug bestehender Gesetze und Ausführungsbestimmungen einzuschärfen.
Als 5. Hauptartikel proponierte Maximilian II. die Probleme im Zusammenhang mit der Reichsmatrikel, dem Verzeichnis aller nominellen Reichsstände und der von ihnen aufzubringenden Truppenkontingente oder Geldbeiträge, das (neben dem Gemeinen Pfennig) die Grundlage für die Erhebung von Reichssteuern bildete. Von der Bereinigung der Defizite im Matrikelsystem hing folglich auch der Ertrag der Türkensteuern, dem wesentlichen Anliegen der Reichstage spätestens seit 1576, ab. Der Kaiser bezog sich in der Propositionin diesem Punkt erneut auf die Verhandlungen des Reichstags 1570 und die dort vorgelegte Mängelliste81 mit dem Reich entzogenen oder von anderen Reichsfürsten eximierten, mithin mediatisierten Ständen, deren Steuerbeitrag entsprechend fehlte, sowie auf die im Reichsabschied 1548 geregelten Exemtionsprozesse, die wegen der dortigen Vorgaben für den Reichsfiskal nicht zugunsten des Reichs zu gewinnen waren. Dazu kamen als zweiter Komplex die vom Reichstag 1570 nicht erledigten Moderationsfragen und deren negative Konsequenzen für den Matrikelertrag, weil, so der Kaiser, Steuerermäßigungen nicht durch Beitragserhöhungen anderer Stände ausgeglichen würden. Nachdem der Reichsabschied 1570 diese Punkte an den Reichsdeputationstag 1571 prorogiert, der sie aber seinerseits nicht erledigt, sondern aufs Neue an eine Reichsversammlung verschoben hatte, forderte Maximilian II. nunmehr, die Problematik gemäß den Propositionen von 1570 und 1571 zu beraten.
Damit stand das 1570 ergänzte Moderations- und Rektifizierungsverfahren zur Debatte, das drei Stufen vorsah: 1) Erkundungen in den Reichskreisen zu eximierten Ständen (Matrikelergänzung) sowie über bisher ermäßigte oder erhöhte Anschläge (Moderation); 2) ein folgender Moderationstag, der über die Moderationen entschied; 3) ein abschließender Reichsdeputationstag, der zum einen das Thema Exemtionen und Matrikelergänzung behandelte und zum anderen als Appellationsinstanz für betroffene Stände gegen Entscheidungen der Moderatoren diente82.
Wie vom Kaiser in der Proposition erwähnt, hatte der Reichsdeputationstag 1571 weder über Moderationen noch Exemtionen entschieden. Dafür verantwortlich war in erster Linie die strittige Matrikelgrundlage, da auch aufgrund widersprüchlicher Aussagen in Reichsabschieden und in Moderationsbescheiden nicht klar war, ob nur die Romzugsmatrikel von 1521 als verbindlich galt oder ob ebenso die verändernden Beschlüsse des Moderationstags 1545 Rechtskraft hatten. Gegen die Gültigkeit der geänderten Matrikel von 1545 verwehrten sich in Frankfurt 1571 vor allem Kursachsen und Bayern, deren Anschlag (im Fall Kursachsens der Beitrag für die mediatisierten Hochstifte Merseburg, Naumburg und Meißen) 1545 erhöht worden war. Wegen der unklaren Beratungsgrundlage für die Rektifizierung verweigerten die Deputieren 1571 diesbezügliche Verhandlungen und setzten dafür die Grundsatzentscheidung eines Reichstags voraus. Dazu kamen als weitere Argumente gegen rechtskräftige Verfügungen die unterbliebene Entpflichtung der Deputierten von den Eiden auf ihre Dienstherren sowie die unzulänglichen Inquisitionsberichte mehrerer Reichskreise. Alle Fragen wurden deshalb einem künftigen Reichstag aufgetragen83.
Bei den Verhandlungen in Regensburg 1576 bestand in den Kurien Einvernehmen, dass eine abschließende Erörterung der komplexen Materie während des Reichstags nicht möglich sei. Man kam deshalb im Kurfürstenrat am 13. und 14. August84 und im Fürstenrat auf der Basis der Ausschussresolution85 am 16. August86 rasch überein, es grundsätzlich beim dreistufigen Verfahren von 1570 zu belassen und dieses neuerlich zu initiieren, dafür allerdings die nach 1570 zutage getretenen rechtlichen und verfahrenstechnischen Unsicherheiten vorab zu klären.
Ähnlich wie beim Thema Reichsmünzwesen enthielt auch hier die Antwort der Reichsstände bereits alle wesentlichen Punkte für die folgenden Festlegungen im Reichsabschied, weil es der Kaiser in seiner Replik dabei bewenden ließ und zusätzlich lediglich ein Verzeichnis von Mängeln, die seit 1570 aufgetreten waren, übergab. Die Duplik der Reichsstände enthielt geringfügige Ergänzungen zur Entrichtung von Reichssteuern für Herrschaften im gemeinsamen Besitz mehrere Stände und mit der Wiederholung von Bestimmungen des Reichsabschieds 1548 zur Steuerleistung für Exemtionen, die rechtshängig waren87.
Ansonsten hielt der Reichsabschied (§§ 83-100) in der Hauptsache gemäß der Ständeantwort fest: Vorgaben und Verfahren für die Exemtionsprozesse des Reichsfiskals blieben gegenüber 1548 unverändert. Da die Grundfragen zu Exemtionen und Moderationen beim Reichstag nicht geklärt werden konnten, wurde wie 1570 das gestufte Verfahren eingeleitet: Inquisition in den Reichskreisen, wo Verordnungen zum einen festzustellen hatten, welche Stände eximiert, entzogen oder aufgrund des Verlusts von Land und Leuten moderiert wurden, wie der aktueller Besitzstatus war und wem die verlorenen Güter zugefallen waren. Zum anderen waren die Moderationsanträge von Kreisständen mit den Beweisdokumenten und Zeugenaussagen nochmals zu prüfen und mit allen Unterlagen an den Moderationstag zu reichen, der am 1. Juli 1577 in Frankfurt zusammentreten und entscheiden sollte, ob es bei den bisherigen Beitragsveränderungen verblieb und ob Anträgen auf dauerhafte oder zeitweilige Ermäßigungen stattgegeben wurde.
Gegen die Entscheidungen des Moderationstags konnten betroffene Stände an den
folgenden Reichsdeputationstag ab 1. August
1577 appellieren, wo die Deputierten letztinstanzlich darüber zu
entscheiden hatten. Die Kreisunterlagen zu den Exemtionen und zur
Matrikelergänzung gingen nicht an den Moderations-, sondern direkt an den
Deputationstag, der auf dieser Grundlage verbindliche Beschlüsse zur
Matrikelrektifizierung treffen sollte. Um die beim Deputationstag 1571
aufgetretenen impedimenta
auszuschließen, waren künftig nicht nur die
Moderatoren, sondern auch die Mitwirkenden am Deputationstag von den Eiden
auf ihre Dienstherren zu entbinden, um ihre Unabhängigkeit zu gewährleisten.
Schließlich klärte der Reichsabschied die strittige Matrikelgrundlage, indem er jene von
1521 als die 'gerechte und Hauptmatrikel'
bekräftigte, daneben aber die seitherigen Änderungen durch die
Moderationstage von 1545 bis 1571 anerkannte, gleichwohl vorbehaltlich der dagegen
eingelegten Appellationen. Damit blieben die zugebilligten
Steuerermäßigungen gültig, während die Erhöhungen, gegen die appelliert
worden war, weiterhin nicht wirksam wurden.
Das Thema 'Rekuperation', die Rückgewinnung verlorener Reichsterritorien,
wurde in der Proposition in
zwei Bereiche untergliedert: Zum ersten verwies der Kaiser auf seine
Versuche, die dafür bei den Reichstagen 1566 und 1570 empfohlenen Maßnahmen
durchzuführen, die jedoch baider enden
wegen der dort inzwischen
veränderten politischen Umstände nicht erfolgreich gewesen seien. Ausgehend
von der Stellungnahme der Reichsstände beim Reichstag 157088 bezog er sich damit auf
die Rückgewinnung des Herzogtums Preußen durch Verhandlungen mit König
Sigismund II. August von Polen, die aufgrund der nach dessen Tod 1572 einsetzenden Wahl- und Thronwirren, in die auch
das Haus Habsburg involviert war89, zu keinem Ergebnis geführt hatten.
Daneben ging es um die seit vielen Jahren angestrebte Rekuperation von Metz, Toul und Verdun, die gemäß Aussage des Kaisers nach 1570 an der politischen Situation in Frankreich gescheitert war, mithin an den Folgen der Bartholomäusnacht, der Erkrankung König Karls IX., den Intrigen um dessen Nachfolge und zuletzt am 5. Hugenottenkrieg90. Deshalb bat Maximilian II. nochmals um ein Gutachten der Stände, wie diese Rekuperationen trotz der angedeuteten erschwerten Gegebenheiten zu ermöglichen wären.
Zum zweiten ging die Proposition auf die Verhandlungen des Reichstags 1570 und des Reichsdeputationstags 1571 um die Rückgewinnung Livlands und auf die hierfür beschlossene Gesandtschaft an Zar Iwan IV. von Russland ein91, deren Durchführung bisher lediglich an der Kostendeckung seitens der Reichsstände gescheitert war. Die Unabdingbarkeit weiterer Maßnahmen und das Festhalten an der Gesandtschaft begründete der Kaiser mit dem fortgesetzten russischen Vordringen in Livland seit 157092. Damit verbunden waren die bei den Friedensverhandlungen in Stettin 157093 debattierte Frage der Oberhoheit des Reichs in Livland, die es durch ein wirksames Eingreifen zu realisieren galt, sowie die strittige Erlaubnis des Russlandhandels über die Stadt Narva.
Maximilian II. schilderte in der Proposition nochmals die Vorschläge für die Deckung der Legationskosten beim Reichsdeputationstag 1571, auf dem Kurfürstentag in Mühlhausen 1572 und zuletzt beim Wahltag 157594, die sich als unzulänglich oder undurchführbar erwiesen hätten. Dass er dennoch auf der Gesandtschaft beharrte, rechtfertigte er nicht nur mit der Sicherung Livlands vor dem russischen Zugriff, sondern darüber hinaus mit anderweitigen Unterredungen mit dem Zaren zum Wohl des Reichs und der Christenheit, ohne deren Inhalte näher auszuführen. Er verwies lediglich auf Aussagen Iwans IV. zuletzt gegenüber einer kaiserlichen Mission sowie auf dessen nunmehr angekündigte, eigene Legation nach Regensburg.
Bei der von Maximilian angedeuteten kaiserlichen Gesandtschaft handelte es sich um die im Oktober 1575 abgeordnete Legation des Johann Kobenzl von Prosseg in Begleitung von Daniel Prinz95, die Zar Iwan die spätere Reichsgesandtschaft avisieren und die Livlandfrage vorbringen sowie die habsburgischen Interessen im polnischen Wahlkonflikt thematisieren und eine engere Kooperation mit Russland gegen das Osmanische Reich anregen sollte. Es ging mithin um die Verknüpfung der aktuell beim Reichstag diskutierten Themen Rekuperation/Livland, polnische Sukzession, Gesandtschaft des Zaren, Verhältnis von Kaiser und Reich zu Russland sowie Reaktion auf die osmanische Bedrohung und damit um die kaiserlichen Interessen insgesamt im größeren Rahmen im ostmitteleuropäischen Raum, die Maximilian zwar separiert zur Debatte stellte, die implizit aber miteinander verbunden waren.
Der thematische Konnex wurde schon bei der ersten Verhandlung im
Kurfürstenrat am 28. Juli96 erörtert, indem etwa Trier auf die Werbung der moskowitischen
Gesandtschaft anspielte und feststellte, die kaiserliche Legation
nach Moskau 1575 habe weniger der Rückgewinnung
Livland als vielmehr den habsburgischen Belangen im polnischen Wahlkonflikt
gegolten; den Bericht dazu
hatte Maximilian unmittelbar vor dieser Sitzung vorgelegt. Sachsen sprach im
Rekurs auf die kaiserliche Legation die Möglichkeit an, die Themen Polen,
Rekuperation, Livland und Reichsgesandtschaft an den Zaren miteinander
vorzunemmen
. Dennoch entschied sich der Kurfürstenrat für die
separate Erörterung und ebenso gegen die Vorziehung des kaiserlichen Berichts zum polnischen
Wahlkonflikt, der am 30. Juli zwar
verlesen wurde97, dessen weiterer Beratung
aber erst nach dem Abschluss der Rekuperationsartikels erfolgte. Die mit dem
Kaiser gewechselten Akten zum 6. Hauptartikel gingen auf die erwähnten
Zusammenhänge nicht ein, und auch im Kurfürstenrat kamen sie später nur ganz
sporadisch zur Sprache, ohne explizit in die Beschlussfassung einzufließen.
So stellten etwa die Kurpfälzer Räte im Rahmen der Verhandlungen zur
Rekuperation die thematische Verbindung mit der Feststellung her, der Sultan
habe von der guten Aufnahme der moskowitischen Gesandten in Regensburg
erfahren und mit der Auflösung des Friedensvertrags mit Kaiser Maximilian
gedroht, falls dieser nicht binnen kurzer Frist auf Polen verzichte98.
Ansonsten stand beim 6. Hauptartikel neben den nicht genauer bezeichneten allgemeinen Restitutionen die Gesandtschaft an Zar Iwan IV. wegen der Rekuperation Livlands, deren personelle Besetzung, Instruierung und in erster Linie die ungeklärte Finanzierung im Zentrum.
Im Fürstenrat proponierte Österreich am 28.
Juli die Beratungsplanung des Kurfürstenrats, die vorsehe, die
Werbung der Gesandten Zar Iwans im Kontext mit dem 6. Hauptartikel zu
besprechen. Die rasche Beschlussfassung zunächst in einem Ausschuss und am
30. Juli im Plenum99 empfahl bezüglich der an Frankreich
verlorenen Territorien die wörtliche Wiederholung der Beschlüsse von 1570. Im Hinblick auf Livland gab man zu bedenken,
dass der Zar dieses in der aktuellen Werbung als sein Eigentum deklariert habe und zu
befürchten sei, er werde in den Verhandlungen mit der Reichslegation
versuchen, sich auf friedlichem Weg einen Zugang zur Ostsee zu verschaffen.
Die Reichsgesandtschaft sollte aber dennoch durchgeführt werden, sie
helff dann sovil, als sie wölle
, weil sie 1570 und 1571 verbindlich beschlossen
sowie dem Zaren bereits angekündigt worden sei und dieser sich in seiner
Werbung darauf berufe.
Für die Finanzierung veranschlagte man eine Reichssteuer von einem
Römermonat, die Entscheidung über deren Besetzung und Instruierung überließ
man dem Kaiser.
Da der Städterat in seiner Resolution ebenfalls für die Mission plädierte, um einem weiteren Ausgreifen Russlands in Livland und in der Ostsee vorzubeugen, war im Korreferat der Kurien am 2. August100 rasches Einvernehmen über die Antwort der Reichsstände möglich: Man überließ die allgemeinen Rekuperationsmaßnahmen, wie sie 1566 und 1570 beraten worden waren, dem Kaiser, der sie bei besserer Zeit und Gelegenheit weiterverfolgen sollte. Auch bezüglich Livlands beließen es die Reichsstände bei den Beschlüssen des Reichstags 1570 und des Reichsdeputationstags 1571 zur Legation an Zar Iwan. In der wichtigen Frage der Finanzierung konnte sich der Kurfürstenrat gegenüber dem Fürstenrat mit der geringeren Bewilligung eines halben anstelle eines gesamten Römermonats durchsetzen. Wegen des späten Erlegungstermins 17. März 1577 sollte das Geld vorerst durch Darlehen bei Reichsstädten aufgebracht werden.
Die Ständeantwort behandelte demnach trotz der eingangs angesprochenen, thematischen Anknüpfungspunkte ausschließlich die Rekuperation allgemein und die Gesandtschaft nach Russland speziell ohne Rekurs auf den polnischen Wahlkonflikt, die dortigen Interessen des Sultans und des Kaisers sowie auf deren Position im Beziehungsgeflecht mit dem Zaren.
In den folgenden Verhandlungen stand wie in den Jahren zuvor neuerlich die Finanzierung der Legation im Fokus. Nachdem das von den Reichsständen als Überbrückung angeregte Darlehen von den angefragten Städten Köln, Aachen und Lübeck abgelehnt wurde, empfahl Reichspfennigmeister Georg Illsung in seinem Gutachten die Erlegung durch die Stände im österreichischen und in den oberdeutschen Reichskreisen binnen Monatsfrist und durch die übrigen Reichskreise bis zur Frankfurter Herbstmesse. Dieses Modell wurde von den Reichsständen nicht befürwortet. Der Fürstenrat sprach sich stattdessen für die Vorlage des Geldes durch den Deutschmeister und Kursachsen oder aber die frühere Bezahlung durch alle Stände bis Ende Oktober 1576 aus. Demgegenüber setzte der Kurfürstenrat seinen Beschluss durch, der Kaiser möge sich nochmals an andere Städte (Augsburg, Nürnberg, Ulm, Straßburg) um ein Darlehen wenden101.
Maximilian II. bedauerte in der Replik die unzureichende Finanzierung und den späten Zahlungstermin, auch weil die russische Gesandtschaft in Regensburg auf die baldige Abfertigung drängte, er beließ es aber dabei und erwartete lediglich die spätere Erstattung etwaiger Mehrkosten.
Obwohl die Reichsstände in der Duplik auf ihrem Finanzierungsplan beharrten, wobei der Kurfürstenrat in den diesbezüglichen Verhandlungen102 die Anregung der Fürstenkurie ablehnte, die Zusage auf einen gesamten Römermonat zu erhöhen, stieß die Triplik des Kaisers eine weitere Beratungsrunde an, da die vier oben genannten Städte das Darlehen verweigerten und deshalb die zeitnahe Durchführung der Legation gefährdet war. Die Kurien einigten sich daraufhin in der Quadruplik mehrheitlich auf das im Kurfürstenrat103 beschlossene Entgegenkommen, anstelle einer Darlehensaufnahme den Erlegungstermin auf Ende November 1576 vorzuziehen. Damit schien die Finanzierung der Mission nach Russland zumindest vorerst gesichert.
Die Festlegung ging in dieser Form in den Reichsabschied (§§ 107-111) ein: Weitere Bemühungen um die Rekuperation verlorener Territorien im Allgemeinen wurden dem Kaiser überlassen, konkreter verabschiedet wurde die Gesandtschaft an Zar Iwan IV. wegen der Restitution Livlands, die möglichst bald erfolgen sollte, weshalb die Stände zusagten, die Finanzierungsteuer bereits bis 30. November 1576 zu erlegen. Für Einzelheiten verwies der Reichsabschied auf den nicht im Druck erscheinenden und damit nicht öffentlich verbreiteten Nebenabschied, der die bewilligte Summe in Höhe eines halben Römermonats enthielt und deren säumige Zahlung mit fiskalischen Prozessen sanktionierte.
Die Besetzung der Gesandtschaft unter der Leitung eines Reichsfürsten, über die der Kaiser entscheiden sollte, ließen der Reichsabschied und der Nebenabschied offen, weil sich bis dahin kein Fürst zur Übernahme bereiterklärt hatte. Der zunächst vorgesehene und in der Replik des Kaisers bestätigte Herzog Barnim X. von Pommern lehnte gemäß der Triplik Maximilians II. dem Vernehmen nach die Teilnahme ab; eine Reaktion der von den Reichsständen in der Quadruplik ersatzweise genannten Kandidaten, Pfalzgraf Reichard von Simmern und Herzog Otto II. von Braunschweig-Lüneburg in Harburg, ist in den Akten des Reichstags nicht mehr überliefert.
Dies war insofern irrelevant, als die Gesandtschaft zuerst infolge der veränderten die Situation nach dem Tod Kaiser Maximilians II. sowie der Krönung Stefan Báthorys zum König von Polen und sodann unter Kaiser Rudolf II. aufgrund der militärischen Wende in Livland nach 1578 mit den Erfolgen Schwedens und Polens gegen Russland104 ohnehin nicht durchgeführt wurde, wenngleich bis 1580 ein Teil der vom Reichstag bewilligten Finanzmittel in den Legstätten einging105.
Beim 7. Hauptartikel, der Klärung des strittigen Vorrangs von Reichsständen in den Kurien des Reichstags und bei anderweitigen zeremoniellen Anlässen, berief sich Maximilian II. in der Proposition ebenfalls auf das im Reichsabschied 1570 beschlossene Procedere106. Obwohl die dortige Regelung vorsah, dass der Kaiser auf der Grundlage der Klagen und Gegenklagen strittiger Parteien die Differenzen an seinem Hof verbindlich entscheiden sollte, bat Maximilian jetzt um die Zuordnung von Vertretern der Reichsstände, die gemeinsam mit seinen Räten die inzwischen für mehrere Konflikte eingegangenen Akten und Belegdokumente einsehen und ihre Stellungnahme ihm vortragen sollten.
Die Reichsstände lehnten in ihrer Antwort die Zuordnung ab und beharrten unter Berufung auf die 1570 vorgebrachten Argumente auf der alleinigen Entscheidung durch den Kaiser. Der Beschluss beruhte auf der Resolution des Kurfürstenrats, der sich in den Verhandlungen am 7. und 9. Juli107 gegen die Verordnung von Gesandten in eine Kommission aussprach, weil nicht nur zu wenige Räte anwesend seien, um alle Ausschüsse und Gremien zu besetzen, sondern darüber hinaus die Neutralität bei der Klärung der Konflikte aufgrund der engen Beziehungen der betroffenen Reichsstände untereinander kaum zu gewährleisten sei108. Der Fürstenrat schloss sich dem in der Korrelation am 18. Juli109 an, wenngleich er zunächst für die Einrichtung der Kommission votiert hatte, für die der Kaiser die Ständeverordneten selbst auswählen sollte110.
Maximilian II. bestand demgegenüber in der Replik auf der Zuordnung ständischer Deputierter. Daraufhin führten die Reichsstände in der Duplik ihre Beweggründe gegen die Kommission breiter aus, indem sie auf die Problematik der vielfachen Verflechtungen der von den Sessionskonflikten direkt betroffenen und weiterer Stände hinwiesen. Sie kamen dem Kaiser aber insofern entgegen, als sie ihm in Anlehnung an die vorherige Resolution des Fürstenrats111, freistellten, nach eigenem Gutdünken Stände oder deren Gesandte beizuziehen.
Da die Duplik im kaiserlichen Geheimen Rat gebilligt wurde112, ging ihr Inhalt unverändert in den Reichsabschied (§§ 112 f.) ein: Künftige Klärung der Sessionsdifferenzen gemäß der Verabschiedung 1570 durch den Kaiser, der dafür die Mitwirkung möglichst neutraler Reichsstände beanspruchen kann.
Damit erfolgte indessen bei der Reichsversammlung 1576 keine Entscheidung der zahlreichen Sessions- und Vorrangfragen, ebenso wenig bei den folgenden Reichstagen 1582 und 1594, die lediglich auf die Verabschiedungen von 1570 und 1576 verwiesen.
Wie eingangs erwähnt, werden als Nebenverhandlungen alle Themen kategorisiert, die entweder in der Proposition oder im Reichsabschied keine Erwähnung fanden und somit nicht zu den sieben Hauptartikeln des Reichstags gehörten. Die Akten zur Religionsproblematik als Teil der Nebenverhandlungen werden separiert in einem eigenen Kapitel behandelt.
Dass sich Maximilian II. trotz seines bedenklichen Gesundheitszustands113 zur persönlichen Teilnahme am Reichstag entschloss und die Reise nach Regensburg auf sich nahm, bedingte neben dem Engagement für eine möglichst ertragreiche Türkenhilfe wohl eine zweite, damit zusammenhängende Zielsetzung: die Durchsetzung des Anspruchs auf den polnischen Thron nach der Doppelwahl im Dezember 1575 gegen Stefan Báthory114.
In der Reichstagsvorbereitung des kaiserlichen Geheimen Rates kam der polnische Wahlkonflikt trotz seiner Bedeutung nur ganz sporadisch zur Sprache. Dies gilt sowohl für das speziell auf den Reichstag fokussierte Protokoll als auch für das allgemeine Resolutionsprotokoll des Geheimen Rates, das mit dem Eintrag für 23. März 1576 nur die Annahme der polnischen Wahl durch Maximilian II. mit den vereinbarten Bedingungen, die öffentliche Eidesleistung und Proklamation sowie das abschließende Festmahl mit den polnischen Gesandten verzeichnet115. Das erstgenannte Protokoll für die Reichstagsbelange erwähnt die polnische Frage als Ursache der ersten Aufschübe der Reichsversammlung wegen der noch andauernden Verhandlungen mit den polnischen Gesandten in Wien116 und hält ansonsten lediglich deren Aufnahme in eine kaiserliche Reichstagswerbung bei ausgewählten Reichsfürsten und in die Proposition fest117. Auch das Reichstagsausschreiben greift das Thema nicht auf.
Die Proposition nannte die polnische Wahl eingangs als Grund für die Verzögerung der Reichsversammlung, sodann in Verknüpfung mit der Türkengefahr als Beleg für den Expansionsdrang der Hohen Pforte, der daran deutlich werde, dass der Sultan sich ohne jedes Recht des Königreichs Polen anmaße und gegen die Wahl des Kaisers opponiere, sowie schließlich in der Hauptsache unmittelbar nach den Ausführungen zur Türkenhilfe als eigenes, aber damit verbundenes Thema mit dem Hinweis auf das Interesse des Reichs an der Wahl des Kaisers, der Ankündigung eines ausführlicheren Berichts und der Aufforderung an die Gesandten, diesbezügliche Weisungen beizubringen.
Deutlicher als in der Proposition wird der Zusammenhang der polnischen mit der türkischen Frage in diesem Bericht erläutert, nicht zuletzt in der dort angedeuteten Zielsetzung des Kaisers, mit der Durchsetzung seiner Wahl gegen Stefan Báthory den osmanischen Einfluss in Polen auszuschalten und dessen gute Verbindungen mit dem Reich zu sichern. Primär unterrichtete Maximilian im Bericht die Reichsstände über die Entwicklung des Wahlkonflikts seit der Abreise König Heinrichs von Valois (1574) aus Polen nach Frankreich bis zu seiner eigenen Wahl und der Gegenwahl Báthorys im Dezember 1575, er legte die Rechtmäßigkeit der eigenen Wahl und die verfassungsrechtlichen Unzulänglichkeiten bei der Nominierung Báthorys dar und schilderte die vergeblichen diplomatischen Bemühungen gegenüber Báthory und dessen Partei in Polen, um ihn zum Rückzug zu bewegen, sowie die Verhandlungen mit den Gesandten der eigenen Wahlpartei in Wien bis zur Annahme der Wahl am 23. März 1576.
In den größeren geopolitischen Kontext stellte der Kaiser den Wahlkonflikt, indem er die Nähe Báthorys zur Hohen Pforte118, die vermeintlichen Ansprüche des Sultans auf Polen und die daraus resultierende Gefahr für die Erblande und das Reich betonte, falls osmanischen Truppen der ungehinderte Durchzug durch das Königreich und damit Angriffe auf das Reich von zwei Seiten sowie der Zugriff auf die Ostsee ermöglicht würden. Einen weiteren Faktor sah er im antiosmanischen Bündnisangebot Zar Iwans IV., dessen Realisierung wahrscheinlicher und effektiver wäre, falls sich Maximilian in Polen behauptete, während der Zar bei einer Etablierung Báthorys veranlasst werden könnte, nicht nur gegen Polen und Litauen, sondern auch gegen andere christliche Lande vorzugehen. Abschließend bat der Kaiser die Reichsstände, ihn als rechtmäßigen König anzuerkennen und eine Empfehlung dazu abzugeben, auf welche Weise er sein Recht auf den polnischen Thron durchsetzen könne.
Obwohl der Bericht den Ständen am 28. Juli vorlag, nahmen sie die Beratungen erst vier Wochen später am 28. August auf119, nachdem der Kaiser die zügige Erledigung am 26. August nochmals angemahnt hatte120. Der Kurfürstenrat widmete der Problematik mehrere Umfragen an drei Tagen121. Die Fragestellung des Kaisers untergliederte man in drei Optionen: 1) Sollte Maximilian das Königtum in Polen grundsätzlich antreten? 2) Sollte er seinen in der Wahl erworbenen Anspruch gegenüber Stefan Báthory und dessen Partei gegebenenfalls mit Waffengewalt durchsetzen?122. 3) Sollte er trotz der rechtmäßigen Wahl auf die Königswürde verzichten?
Gegen den Verzicht sprachen der damit einhergehende Reputationsverlust für Kaiser und Reich sowie die Erweiterung des osmanischen Machtbereichs bis nach Polen durch das Königtum Báthorys als 'Vasall' des Sultans. Dennoch votierte lediglich Kurköln, Maximilian die Realisierung seines Anspruchs notfalls mit militärischen Mitteln anzuraten. Demgegenüber sahen die anderen Kurfürsten in der aktuellen politischen Situation nach der Etablierung Báthorys und dem Zerfall der habsburgisch gesinnten Partei in Polen dafür keine realistische Chance, wenngleich sie abgesehen von Kurpfalz bedauerten, dass Maximilian die Königswürde durch die persönliche Präsenz in Warschau unmittelbar im Anschluss an die Wahl nicht gesichert hatte. Nunmehr, nach dem Erfolg Báthorys, schien eine Stärkung der osmanischen Position in jedem Fall unausweichlich: Verhielte man sich passiv, bliebe es beim Königtum eines osmanischen 'Vasallen'. Dagegen würde ein militärisches Eingreifen den Sultan als Schutzherrn zum Gegenschlag in Polen veranlassen und unabsehbare Konsequenzen nach sich ziehen. Es entstünde - auch in Anbetracht der im 1. Hauptartikel vor Augen gestellten Türkengefahr in Ungarn - ein zweiter Krisenherd, der Mittel und Möglichkeiten von Kaiser und Reich weit überstiege.
Darüber hinaus wurden in sehr offener Weise Alter und Gesundheitszustand Maximilians II. als Argumente gegen einen höchst riskanten Krieg thematisiert, indem in der polnisch-litauischen Wahlmonarchie ein etwaiger Erfolg nur für die Lebenszeit des Kaisers gelten würde, die Nachfolge nach dessen Tod aber offen sei und wenig dafürspreche, für diese erwartbar kurze Phase die gesamtpolitische Situation im Verhältnis zu Türken, Tataren und Polen eskalieren zu lassen. Da der Krieg keine Option darstellte, blieb die Frage, auf welchem Weg der Kaiser und das Reich ihre Reputation wahren konnten. Dafür übernahm der Kurfürstenrat mehrheitlich das Votum Triers, Maximilian möge auf die Königswürde verzichten, Báthory also im Amt belassen, gegenüber den polnischen Ständen aber durchsetzen, dass nach dessen Tod einer seiner Söhne zum König gewählt werde. Die diesbezüglichen Verhandlungen sollten nicht der Kaiser oder das Reich führen, sondern dafür auf die Vermittlung des Papstes123, Spaniens, Frankreichs oder eines anderen Monarchen zurückgreifen.
Der Fürstenrat übertrug die Beratung einem Ausschuss124, der grundsätzlich feststellte, aufgrund der strategischen Bedeutung Polens für die Türkenabwehr sollten neben Kaiser und Reich auch andere christliche Potentaten an der Lösung des Konflikts mitwirken. Für die Beantwortung des kaiserlichen Berichts sah der Ausschuss zwei Möglichkeiten: Gütliche Verhandlungen mit den polnischen Ständen oder bewaffnete Durchsetzung des Anspruchs auf den Thron. Gegen letztere Option wurden ähnliche Argumente wie im Kurfürstenrat vorgebracht, darunter auch der schlechte Gesundheitszustand des Kaisers und die offene Nachfolge in der Wahlmonarchie. Abweichend vom Kurfürstenrat und ebenso vom Bericht des Kaisers relativierte der Ausschuss die Einwände gegen die Rechtsgültigkeit der Wahl Báthorys und brachte zudem die konfessionspolitischen Differenzen im Reich ins Spiel, die manche Stände von der Teilnahme am Krieg abhalten könnten. Doch stellte auch der Ausschuss dem im Fall eines gänzlichen Verzichts den Reputationsverlust für Kaiser und Reich entgegen, namentlich bei Zar Iwan IV., der die Herrschaft Báthorys im Großfürstentum Litauen nicht dulden und vielleicht gewaltsam auch gegen das Reich vorgehen würde.
Demnach blieb nur die Verhandlungslösung, die im Mehrheitsbeschluss des
Ausschusses konkreter als im Kurfürstenrat ausgeführt wurde: Verzicht des
Kaisers auf den Thron; Erneuerung der Bündnisse des Reichs mit Polen;
Aufforderung an Báthory, Türken und Tataren keinen Durchzug zu gewähren;
Verhandlungen mit den polnischen Ständen, um nach dem Tod Báthorys die Wahl
des Kaisers oder eines seiner Söhne sicherzustellen; Restituierung Livlands
an das Reich. Eine Minderheit sprach sich aus Reputationsgründen gegen
direkte Gespräche mit Báthory aus und empfahl entsprechende Verhandlungen
der Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg sowie benachbarter Fürsten wie
Pommern proprio motu
für sich, aber im Interesse von Kaiser und
Reich. Andere zogen doch eine militärische Lösung gegebenenfalls mit der
Unterstützung durch den Papst, Spanien, Schweden, Dänemark und andere
auswärtige Potentaten in Betracht. Ansonsten war sich der Ausschuss darin
einig, die Motive, die gegen ein bewaffnetes Vorgehen sprachen, weder im
Plenum des Fürstenrats noch in der Ständeresolution auszuführen, um deren
Verbreitung in der Öffentlichkeit des Reichstags und darüber hinaus in Polen
zu vermeiden.
Folglich wurde der Beschluss im Plenum nur in verknappter Form referiert und gebilligt: Primäre Verhandlungen des Kaisers oder der genannten Kurfürsten und Fürsten in Polen, um zu einer gütlichen Lösung zu kommen.
Beim Korreferat von Kurfürsten- und Fürstenrat bestand über das grundsätzliche Vorgehen Einvernehmen125, strittig war lediglich, ob und inwieweit man die Argumente für die Ablehnung eines Kriegs, die der Kurfürstenrat in seinem Referat angedeutet hatte, gegenüber den Reichsstädten und in der Ständeresolution darlegen sollte.
Nachdem der Städterat beschlossen hatte, für die Erhaltung des Friedens mit Báthory zu plädieren, sich aber davon abgesehen den höheren Ständen anzuschließen126), konnte die Billigung der Ständeresolution am 6. September127 als Antwort an den Kaiser rasch erfolgen:
Sie riet vom Krieg ab und empfahl vermittelnde Verhandlungen anderer christlicher Potentaten zwischen dem Kaiser, den polnischen Ständen und Báthory mit dem Ziel, das gute Verhältnis zum Reich zu wahren, ein türkisches Durchmarschrecht in Polen zu verhindern und die künftige Wahl eines Kaisersohnes als Nachfolger Báthorys anzustreben. Als Argumente gegen die militärische Behauptung des Throns wurden nicht die im Kurfürstenrat und im Ausschuss des Fürstenrats erwogenen finanziellen und machpolitischen Faktoren genannt, sondern die Resolution verwies auf den verfassungsrechtlichen Status Polens als Wahlmonarchie und auf die problematischen Wahlkonditionen, die unter anderem die Anwesenheit des Kaisers sowie die Übernahme der Schulden im Königreich voraussetzten und Vorkehrungen für die Sicherung der Nachfolge untersagten. Das auf die Lebenszeit Maximilians limitierte Königtum brächte weder ihm oder seinen Nachkommen noch dem Reich größere Vorteile. Dazu kam die inzwischen fortgeschrittene Anerkennung des Königtums Stefan Báthorys sowie dessen Rückhalt am Sultan und an den Tataren als weitere Faktoren, die dessen freiwilligen Thronverzicht ausschlossen.
Die Resolution wurde mit ergänzenden mündlichen Ausführungen am 11. September den kaiserlichen Geheimen Räten übergeben, da Maximilian II. aufgrund seiner Erkrankung die Ständeabordnung nicht persönlich empfangen konnte128. Eine Erwiderung von kaiserlicher Seite erfolgte nicht mehr, auch verzeichnet das Protokoll des Geheimen Rates diesbezüglich keine weiteren Einträge, wenngleich der Kaiser trotz des Ständebeschlusses die Möglichkeit eines Kriegs gegen Báthory bis Ende September nicht gänzlich ausgeschlossen haben mag129. Letztlich erledigte sich die polnische Frage wenig später mit dem Tod Maximilians II. am 12. Oktober 1576.
Worin lag trotz dieses Ausgangs die Bedeutung der polnischen Angelegenheit?
Zunächst ist die enge Verknüpfung der osmanischen mit der polnischen und der
russischen Frage auch als jeweilige Themenstellung des Reichstags zu
berücksichtigen, mithin der Versuch des Kaisers, mit der polnischen
Wahlproblematik auf dem Reichstag die osmanische Expansion und das
Verhältnis zu Moskau zueinander in Beziehung zu setzen, also eine
gezielte Ostpolitik zu betreiben
130. Um dies zu
bewerkstelligen, nahm Maximilian wohl die Mühen der persönlichen
Reichstagsteilnahme auf sich. Die direkte Verbindung mit der im 1.
Hauptartikel erörterten osmanischen Bedrohung wurde seitens des Kaisers und
in den Verhandlungen der Reichsstände wiederholt thematisiert, insbesondere
im Hinblick auf das Bedrohungsszenario für das Reich, das aus dem von der
Hohen Pforte geförderten Königtum Báthorys und dem damit einhergehenden,
erweiterten osmanischen Einfluss- und Machtbereich resultierte. Dagegen
wurden die dynastischen Interessen des Kaisers und Habsburgs, die
Perspektive, mit der polnischen Kandidatur den ostmitteleuropäischen Raum
von der Adria bis an die Ostsee
zu kontrollieren, in der Proposition und im weiteren
Verlauf nicht erwähnt. Im Bericht
des Kaisers wurde zwar die Behauptung des Throns gegen Báthory
postuliert, Mittel und Wege dafür aber nicht genannt – wohl auch deshalb,
weil die Durchsetzung der dynastischen Eigeninteressen realistisch nicht nur
Krieg in Polen, sondern überdies gegen Siebenbürgen und das Osmanische Reich
implizierte131 und somit unmittelbar mit der
Reichstürkenhilfe und deren Einsatz für genuin habsburgische Belange
verknüpft worden wäre.
Im größeren Rahmen umfasste der Themenkomplex wie erwähnt zudem das Verhältnis zu Moskau, nicht nur in der Frage eines Bündnisses mit Zar Iwan IV. gegen den Sultan, sondern darüber hinaus bezüglich der russischen Interessen im polnischen Wahlkonflikt, die eine Aufteilung der Rzeczpospolita mit einem habsburgischen König in Polen und einem russischen Großfürsten in Litauen intendierten132. Dieser Plan bildete als einer der Punkte in der Werbung der russischen Gesandtschaft ebenso einen weiteren Aspekt des Verhandlungsspektrums beim Reichstag wie die inhaltliche Anbindung an den 6. Hauptartikel (Rekuperation) mit der Livlandfrage im Zentrum, die neben dem Reich das Mächtefeld Schweden, Polen und Russland einschloss133 und damit neuerlich den gesamten ostmitteleuropäischen Raum betraf. So wie ein Jahr zuvor im polnischen Wahlkampf die führenden süd- und mittelosteuropäischen Mächte aufgetreten waren134, so waren deren Positionen und Belange auch beim Reichstag 1576 im Rahmen der Verhandlungspunkte Türkenhilfe, Rekuperation, russische Gesandtschaft und polnische Wahlfrage ein wesentlicher Teil der kaiserlichen Agenda im Hinblick auf die angesprochene Konzeption der habsburgischen Politik in Ostmitteleuropa.
Offen bleibt freilich, wie Maximilian II. sich die konkrete Umsetzung seiner Ziele im Wahlkonflikt als Teilaspekt dieser Politik vorstellte, denn dass er daran dachte, das Königtum durch seine Präsenz in Polen selbst zu sichern, dürfte in Anbetracht seines Gesundheitszustands wenig plausibel sein. Um das Königreich dem befürchteten osmanischen Einfluss zu entziehen, wäre demnach nur die Übernahme durch einen seiner Söhne infrage gekommen, die freilich durch keine Wahl legitimiert und qualifiziert waren. Dafür und ebenso für einen Erfolg des Kaisers selbst bestanden allerdings, wie auch die Reichsstände in den Verhandlungen festgestellt hatten, während der bereits gefestigten Regentschaft Stefan Báthorys wenig Chancen, wollte man nicht einen in den Folgen kaum kalkulierbaren Krieg riskieren.
Ebenfalls in enger Verbindung mit dem zuletzt dargestellten Themenkomplex steht die Gesandtschaft Zar Iwans IV. an Kaiser Maximilian II., berührte sie doch neben der Livlandfrage und den Bestrebungen um ein antiosmanisches Bündnis vorrangig den polnischen Wahlkonflikt.
Den Ausgangspunkt bildete die im Herbst 1575 abgeordnete Mission Maximilians II. nach Moskau135 unter Johann von Kobenzl, die neben der Rekuperation Livlands und der Unterstützung der habsburgischen Kandidatur in Polen den Auftrag hatte, Zar Iwan die spätere Reichsgesandtschaft zu avisieren136. Nicht zuletzt das osmanische Engagement im polnischen Wahlkonflikt und die dortigen beiderseitigen Interessen führten zu einer intensiveren Kooperation, in deren Rahmen Zar Iwan gegenüber den kaiserlichen Emissären seinerseits die Abordnung einer eigenen Legation ankündigte, die der kaiserliche Gesandte Daniel Prinz sodann zu Maximilian II. brachte137.
Die russische Delegation erreichte Regensburg am 7. Juli 1576. Ihr prunkvoller Empfang in der Reichsstadt138 erweckte ebenso große öffentliche Aufmerksamkeit wie der Auftritt der Gesandten anlässlich ihrer ersten Audienz beim Kaiser am 16. Juli. Bei dessen Darstellung in der zeitgenössischen Druckpublizistik139 mit der Abbildung der 28 Legationsmitglieder standen deren 'exotisch' anmutende Kleidung und die Geschenke, die sie Maximilian II. überreichten, im Vordergrund. Ein weiterer Einblattdruck140 veranschaulichte im Bild einen Gottesdienst der russischen Delegation während des Reichstags und erläuterte im Text knapp das Ritual141.
Die Legation142 wurde angeführt von Fürst Zacharij Ivanovič Sugorskij, den zweiten Rang als Gesandtschaftssekretär nahm Andrej Gavrilovič Arcybašev ein. Begleitet wurden sie von den Höflingen Treťjak Dimitrievič Zubatoj und Mamlej Ivanovič Iľin, dem Kanzleigehilfen Afanasij Michajlovič Monastyrëv, dem Geistlichen Lavrentij, dem Dolmetscher Pëtr Krivovickij sowie weiterem Dienstpersonal.
Die erste Audienz bei Maximilian II. am 16. Juli143 fand nicht öffentlich statt, sondern auf Wunsch der Moskowiter in der innersten Kammer des kaiserlichen Quartiers im Beisein nur der Geheimen Räte, weniger ausgewählter Vertreter der Reichsstände sowie des spanischen und der Gesandten der polnischen Wahlpartei. Nach der Begrüßungsrede und der Überreichung der Geschenke des Zaren in Form wertvoller Zobelpelze übergaben die Legaten ihr Kredenzschreiben144 und trugen ihre Werbung vor, die der Kaiser in mündlicher Form kurz beschied und eine spätere Antwort zusagte. Abschließend überreichten die Gesandten Maximilian II. als ihre persönlichen Geschenke weitere Zobelfelle.
Die Werbung145 knüpfte direkt an die Gesandtschaft Kobenzls an und behandelte 1) das weitere Vorgehen im polnischen Wahlkonflikt, konkret das oben (Kap. 3.1) erwähnte Aufteilungskonzept mit der Wahl Erzherzog Ernsts in Polen und der Nachfolge des Zarensohns Fedor Ivanovič in Litauen, das nunmehr, nach der Wahl Báthorys, im Rahmen eines Bündnisses Iwans IV. mit dem Kaiser gegebenenfalls gewaltsam durchgesetzt werden sollte. Dafür sollte die lange angekündigte Reichsgesandtschaft baldmöglichst nach Moskau kommen. 2) Was Livland und dessen Rekuperation an das Reich betraf, zeigte der Zar keinerlei Entgegenkommen, indem seine Legaten es als moskowitisches 'Erbgut' deklarierten. 3) Darüber hinaus strebte Iwan eine engere Verbindung mit den christlichen Potentaten Europas gegen die gemeinsamen Feinde – zu beziehen vorrangig auf das Osmanische Reich – an, deren Zustandekommen der Kaiser unterstützen sollte.
Die Legation war nur an den Kaiser gerichtet; ihr Auftritt auf dem Reichstag in Regensburg ergab sich mithin lediglich daraus, dass Maximilian bei der Ankunft der Gesandten dort weilte. Demgemäß erfolgte auch die Involvierung des Reichstags erst durch die Übergabe der russischen Werbung an die Reichsstände mit dem begleitenden kaiserlichen Dekret vom 18. Juli146 und die damit verbundene Aufforderung, insbesondere die Frage der Reichsgesandtschaft nach Moskau im Zusammenhang mit dem 6. Hauptartikel (Rekuperation) zu beraten.
Im Kurfürstenrat wurde die Werbung am 20. Juli verlesen, die Debatte dazu aber vertagt147, bis man sie am 28. Juli im größeren thematischen Kontext des Hauptartikels 'Rekuperation', der Livlandfrage sowie des polnischen Wahlkonflikts führte148. Vorderhand ging es um die Bewerkstelligung der Reichsgesandtschaft nach Russland und deren Finanzierung.
Der Fürstenrat verwies die Beratung am 28. Juli an einen Ausschuss. Dort und anschließend im Plenum am 30. Juli149 standen ebenfalls die fragliche Durchführung der Reichsgesandtschaft und die Kostendeckung im Vordergrund. Die Verhandlungen in den Kurien erfolgten mithin im Rahmen des 6. Hauptartikels und beschränkten sich auf das Für und Wider der Reichsgesandtschaft nach Moskau in Anbetracht der russischen Erfolge in Livland, ohne die anderen Punkte der Werbung etwa zum Bündnis mit dem Kaiser aufzugreifen. Das Verhandlungsergebnis ging demnach in die Antwort zum 6. Hauptartikel und in den weiteren Schriftwechsel zur Rekuperation mit dem Kaiser ein, während die Reichsstände die eigentliche Werbung und das diesbezügliche Dekret Maximilians II. nicht beschieden.
Die Antwort Maximilians II. wurde im Geheimen Rat am 24. Juli gebilligt150 und den russischen Gesandten am 1. August ausgehändigt: Im Hinblick auf Polen stellte der Kaiser die dortige aktuelle Sachlage nach der Etablierung Stefan Báthorys klar und erklärte nur unverbindlich, er werde das angeregte Bündnis und die gesamte polnische Frage den christlichen Potentaten um deren Stellungnahme vorbringen. Im zweiten Punkt konnte Maximilian den Zaren aufgrund dessen unmissverständlicher Position zur Rekuperation Livlands nur auffordern, er möge bis zur Ankunft der hiermit nochmals angekündigten Reichsgesandtschaft von weiteren gewaltsamen Übergriffen absehen.
Irritationen ergaben sich nachfolgend nicht wegen inhaltlicher Differenzen,
die mit der im Allgemeinen verbleibenden Antwort ohnehin nicht zu
erwarten waren, sondern infolge des Streits um die Titulatur Iwans IV.:
Maximilian hatte ihn in der Antwort nur als 'Großfürst' tituliert und damit eine wichtige
Prestige-Frage, ja eine Kernfrage des Selbstverständnisses der Moskauer
Zaren, berührt
151. Die Gesandten drängten in mehreren Audienzen bis
Ende August auf die Zuerkennung des Zarentitels
und wiesen eine von der kaiserlichen Kanzlei vorgeschlagene Kompromissformel
zurück, die Iwan nur als 'Zar von Kasan und Astrachan' bezeichnete.
Letztlich war es ein Versehen der kaiserlichen Kanzlei, die Iwan in einem
abschließenden Dokument kurz vor der Abreise der Gesandten allgemein als
'Zar' titulierte und erst im Nachgang die regionale Einschränkung
korrigierend nachtrug152.
Die russische Delegation verließ Regensburg am 17. September, nachdem sie sich von Maximilian II. an dessen Krankenbett verabschiedet hatte153, und kehrte im Januar 1577 nach Moskau zurück. Die beiden Hauptanliegen ihrer Mission, Polen und die Durchführung der Reichsgesandtschaft nach Moskau, wurden, wie oben erwähnt, aufgrund des Todes Maximilians II. am 12. Oktober nicht weiterverfolgt.
Eine weitere diplomatische Mission an den Reichstag erfolgte im Kontext des niederländischen Aufstands gegen König Philipp II. von Spanien und dessen Regime in Brüssel154: Erst am 7. Oktober 1576, fünf Tage vor dem Abschluss der Reichsversammlung, meldete sich ein Gesandter155 der aufständischen Provinzen Holland und Seeland sowie von deren Statthalter Wilhelm von Oranien in der Mainzer Kanzlei an, übergab sein Kredenzschreiben156 und bat um eine Audienz vor den Reichsständen157. Die zunächst geplante Anhörung am 8. Oktober musste wegen der an diesem Tag beginnenden Redigierung des Reichsabschieds im interkurialen Ausschuss verschoben werden und konnte erst am 9. Oktober stattfinden158: Der Gesandte trug eine lange, fast zwei Stunden dauernde Rede vor und übergab danach die fast wörtlich übereinstimmende, schriftliche Werbung.
Die Werbung schilderte ausführlich die Gewalt- und Gräueltaten des spanischen Militärs und rühmte andererseits die Friedensbemühungen des Kaisers zuletzt mit der Mission Graf Günthers von Schwarzburg 1574159, die nur an der Haltung der Gegenseite gescheitert seien. Demgegenüber standen die Friedensbereitschaft der Provinzen und ihr Wille zum Gehorsam gegenüber dem König. Abschließend boten Oranien und die Staaten an, sich einem Schiedsspruch von Kaiser und Reichsständen zu unterstellen, um auf diese Weise den Frieden herzustellen, allerdings unter Sicherung aller ihrer Freiheiten, und baten, sie in Schutz und Schirm zu nehmen160.
Die Beratung der Werbung erfolgte in aller Kürze am 11. Oktober, einen Tag vor dem Ende des Reichstags, in den drei Kurien und anschließend im Reichsrat161 mit dem Beschluss: Nachdem der Kaiser (als Reaktion auf die Anregung in der Duplik der Reichsstände beim 1. HA) ohnehin (in der Schlussschrift) beim 1. HA) erklärt hat, weitere Friedensverhandlungen anzustreben und daneben bereits eine Resolution bezüglich der Beschwerden gegen Burgund verfasst worden ist, ist der Gesandte in diesem Sinn zu beantworten und darauf hinzuweisen, dass wegen des Abschlusses des Reichstags keine weitergehende Erklärung möglich sei. Die erwogene Einbeziehung der Kurfürsten in die geplanten Friedensgespräche wurde fürs Erste nicht befürwortet, sondern für ein etwaiges Scheitern der kaiserlichen Vermittlung aufgespart.
Die Antwort der Reichsstände wurde dem Gesandten Egmond van de Nijenburg noch am 11. Oktober übergeben. Die Stände beklagten darin vorrangig die negativen Konsequenzen des Kriegs für das Reich durch die Sperrung der Verkehrswege sowie die Beeinträchtigung des Wirtschaftsverkehrs und verwiesen auf die geplante Friedensvermittlung des Kaisers, verbunden mit der Aufforderung an Wilhelm von Oranien und die Provinzialstaaten, zum einen bei diesen Verhandlungen ihrerseits einem erfolgreichen Abschluss nicht im Weg zu stehen sowie zum anderen die Wirtschaftsbehinderungen und neuen Lizenzgelder abzustellen. Mit Dekret ebenfalls vom 11. Oktober händigten die Reichsstände sowohl die Werbung als auch ihre Antwort dem Kaiser aus.
Zudem richteten die Reichsstände ein Schreiben an König Philipp II. von Spanien, das indes nicht von der Legation Oraniens veranlasst wurde162, sondern als Reaktion auf mehrere Supplikationen mit Beschwerden gegen die burgundische Regierung163 erfolgte. Das Schreiben vom 8. Oktober 1576164 beklagte unter Berufung auf entsprechende Eingaben betroffener Stände zuletzt beim Kurfürstentag 1575 und jetzt beim Reichstag in deutlicher Form vielfache Verstöße der burgundischen Regierung gegen den Burgundischen Vertrag (1548) durch Landfriedensbruch, den Entzug von Reichsgütern, Falschmünzerei, die Sperrung von Handelswegen und die Erhebung neuer Abgaben. Die Reichsstände baten den König um die Verfügung an die Regierung, diese Missstände abzustellen und Kommissare für Verhandlungen mit Deputierten des Reichs abzuordnen. Sollte dies unterbleiben, kündigte man Gegenmaßnahmen an und drohte mit der Infragestellung des Burgundischen Vertrags.
Das Thema'Wucherverträge' gehörte nicht zum ursprünglichen Tagungsprogramm gemäß der Proposition des Kaisers, sondern es wurde erst Mitte September durch die Vorlage einer kaiserlichen Nebenproposition initiiert. Den Ausgangspunkt bildete das Votum des Lazarus von Schwendi im kaiserlichen Geheimen Rat am 12. September mit der Anregung165, als Bestandteil der Reichspoliceyordnung die Zinshöhe bei jüdischen Darlehen auf 5% zu beschränken und die Verträge bei Naturalrenten (Fruchtgülten) nochmals zu reglementieren166.
Die dem entsprechende Nebenproposition167 beklagte die unter Missachtung der Policeyordnung 1548 abgeschlossenen Wucherverträge mit den als sogenannte Fruchtgülten in Form von Getreide oder Wein zu entrichtenden Zinsen168, die bis zu 40% ausmachten und die Verarmung des Gemeinen Manns bedingten. Der Kaiser forderte deshalb das mit Sanktionen belegte Verbot künftiger und die Feststellung der Ungültigkeit bestehender Wucherverträge im Reichsabschied, die Festsetzung von Obergrenzen bei den Fruchtverzinsungen sowie speziell im Hinblick auf Darlehen bei Juden eine Zinshöchstgrenze von 5%.
Die Nebenproposition wurde den Reichsständen am 19. September übergeben, im Kurfürstenrat aber erst am 28. September verlesen und beraten169. In nur einer Umfrage einigte man sich, die Vorgaben des Kaisers in den Reichsabschied aufzunehmen. Der Fürstenrat führte die Verhandlungen ebenfalls am 28. September, fasste aber aufgrund divergierender Voten lediglich den Beschluss170, sich den Kurfürsten anzuschließen, falls diese den Empfehlungen des Kaisers folgten. Der Städterat hatte bereits am 25. September beschlossen171, die Regelungen im Reichsabschied und weitere Entscheidungen zur Reichspoliceyordnung dem Kaiser zu überlassen.
Die Antwort der Reichsstände172 befürwortete die vom Kaiser vorgeschlagenen Maßnahmen, betonte die Ungültigkeit bereits abgeschlossener Wucherverträge (Fruchtverzinsungen) aufgrund des ohnehin in den Reichspoliceyordnungen seit 1500 ausgesprochenen Verbots und forderte verschärfte Sanktionen durch den Ausschluss dagegen verstoßender Personen von allen öffentlichen Ämtern. Bezüglich der Verträge mit Juden sollten die Eingriffsmöglichkeiten der Obrigkeiten, die über entsprechende Judenprivilegien verfügten, konkretisiert, den Juden aber erlaubt werden, ihren Lebensunterhalt mit 'zimblicher Handarbeit' zu erwirtschaften.
Um der Reichspoliceyordnung von 1548 größere Beachtung zu verschaffen, regten die Reichsstände deren Veröffentlichung im Druck an.
Der Geheime Rat übernahm die Ständeantwort am 4. Oktober weitgehend, ergänzte aber, die Reichspoliceyordnung nicht nur zu publizieren, sondern aufgrund der seit 1548 veränderten Gegebenheiten auf dem künftigen Reichsdeputationstag grundsätzlich zu revidieren und zu aktualisieren173.
Da die Reichsstände dies am 6. Oktober billigten und die Verabschiedung von Maßnahmen konkret gegen Wucherverträge bereits jetzt wünschten174, bestätigte der Reichsabschied (§§ 114-117) die Vorgaben in der kaiserlichen Nebenproposition mit den Zusätzen in der Antwort der Stände und übertrug die weitere Beratung dazu sowie zur Reichspoliceyordnung insgesamt dem Reichsdeputationstag 1577.
Mit den Zollangelegenheiten am Reichstag beschäftigte sich in erster Linie der Kurfürstenrat, da die Genehmigung neuer sowie die Erhöhung oder Verlängerung bestehender Zölle durch den Kaiser an den Konsens des Kurkollegs gebunden war. Weil auch in Regensburg 1576 etliche Zollgesuche via supplicationis vorgebracht175 und zudem Klagen gegen die Anstellung von Zöllen ohne kurfürstlichen Konsens laut wurden, sahen sich die kurfürstlichen Räte zu einer Empfehlung an den Kaiser veranlasst, um damit generelle Verfügungen durch die Aufnahme in den Reichsabschied auf gesetzlicher Ebene anzustoßen.
Das diesbezügliche Gutachten176 berief sich auf die neuerlichen Zollgesuche beim Reichstag und machte die Vielzahl sowie die Höhe der Zölle im Reich für die Preissteigerungen in Wirtschaft und Handel verantwortlich, die im Grunde gegen jegliche Neubewilligung sprächen. Noch negativer würden sich die gänzlich ohne Ansuchen beim Kaiser und den Kurfürsten oder noch vor deren Bewilligung neu angestellten oder erhöhten Zölle auch im Hinblick auf die Friedenswahrung im Reich auswirken. Die kurfürstlichen Gesandten belegten diese Missstände anhand konkreter Beispiele und baten den Kaiser, den namentlich genannten Reichsständen unter Strafandrohung die Rücknahme aufzutragen und die Kreisobersten aufzufordern, weitere gesetzwidrige Zölle der Mainzer Kanzlei für die Vorlage beim Reichsdeputationstag 1577 anzuzeigen. Um künftige Ausflüchte auszuschließen, sollte außerdem eine entsprechende Verfügung in den Reichsabschied aufgenommen werden.
Da der Geheime Rat die kurfürstliche Empfehlung am 30. September in allen Punkten billigte177 und der Kaiser in seiner Resolution vom 3. Oktober folglich die Maßnahmen gegen rechtswidrig angestellte Zölle befürwortete, wurde dies auch im Reichsabschied verankert. Die dortigen Regelungen (§§ 118-120) verurteilten die ohne Bewilligung erhobenen Zölle nicht nur als Ursache der Teuerung, sondern darüber hinaus als Angriff auf die Reputation des Kaisers und der Kurfürsten. Der Kaiser richtete deshalb Schreiben an alle Kreisobersten und trug ihnen gleichzeitig mit dem Reichsabschied auf, in ihren und in benachbarten Kreisen zu erkunden, ob dort Zölle gesetzwidrig errichtet oder erhöht worden seien. Das Resultat hatten die Kreisobersten an die Mainzer Kanzlei beim Reichsdeputationstag 1577 zu schicken, um dort darüber zu beraten und weitere Abhilfemaßnahmen einzuleiten.
Einen zentralen Komplex im Themenspektrum des Reichstags 1576 bildeten neben den Haupt- und Nebenverhandlungen die für den Verlauf und das Ergebnis der Reichsversammlung kaum weniger bedeutsamen Religionsdebatten. Sie waren im Reichstagsprogramm Kaiser Maximilians II. nicht vorgesehen, sondern wurden von den protestantischen Ständen initiiert, um das Forum des Reichstags und die dortigen Belange des Kaisers als Chance für die Durchsetzung eigener konfessionspolitischer Ziele zu nutzen. Als Reaktion auf die protestantischen Forderungen erfolgten Gegenerklärungen und die Vorlage eigener Gravamina der katholischen Stände. Als dritte Thematik werden im Folgenden die Verhältnisse im Reichsstift Fulda angesprochen, die abgesehen von den Beschwerden gegen den Abt als Bestandteil der protestantischen Gravamina zusätzlich infolge des aktuellen, überdies auch innerkatholischen Konflikts in Fulda von kaiserlicher Seite an die Reichsstände gebracht wurden.
Den Ausgangspunkt der protestantischen Bestrebungen bildete die Zusage Maximilians II. auf dem Wahltag 1575, die dort abgeblockten Verhandlungen um eine Anerkennung der Declaratio Ferdinandea auf dem nächsten Reichstag fortzuführen178. Gegen diese Zusicherung erwähnte bereits das Reichstagsausschreiben die Declaratio und anderweitige Religionsbelange nicht. Dahinter stand die allerdings erkennbare Intention, kontroversen Religionsdebatten als erwartbarem Hindernis für das eigene politische Programm möglichst wenig Raum zu bieten. Wohl gerade deshalb spielte die Religionsfrage in der Reichstagsvorbereitung der protestantischen Stände im Hinblick auf eine gemeinsame Strategie für eine erfolgversprechende Durchsetzung der Forderungen eine zentrale Rolle179.
In Regensburg wurden diese Zielsetzung vor dem Beginn der Hauptverhandlungen im Rahmen informeller Gespräche der Gesandten weiterverfolgt. Im Vordergrund stand dabei zunächst die fragliche Einberufung der protestantischen Stände bereits vor der offiziellen Eröffnung des Reichstags, der die kursächsischen Gesandten erst skeptisch gegenüberstanden, sodann eine diesbezügliche Initiative der Kurpfälzer Delegierten nach deren Ankunft am 13. Juni explizit ablehnten und im weiteren Verlauf mit der Begründung darauf beharrten, dies verstoße gegen das Reichstagsherkommen. Im Hintergrund stand indes das Motiv, der von Kursachsen befürchteten Verbindung der Religionsfrage mit der Bewilligung einer Türkensteuer (Junktim) durch Kurpfalz bereits in diesem Stadium vorzubauen180.
Nachdem in der anlässlich der Reichstagseröffnung am 25. Juni vorgetragenen Proposition des Kaisers die Religionsproblematik gegen die Zusage beim Kurfürstentag 1575 erneut nicht enthalten war, drängten die Kurpfälzer Gesandten unmittelbar am folgenden Tag auf die Einberufung eines protestantischen Gesamtkonvents, doch gelang es den kursächsischen Delegierten erneut, diesen zumindest aufzuschieben und unter Berufung auf das Herkommen eine vorausgehende Absprache allein der kurfürstlichen Räte durchzusetzen181.
In dieser ersten Beratung der Gesandten der weltlichen Kurfürsten am
27. Juni182 stützten sich die Kurpfälzer
Verordneten auf die von ihnen konzipierten Verhandlungsgrundlagen für
die Religionsbelange, die sie den Delegierten Kursachsens und
Kurbrandenburgs sowie anderer protestantischer Stände zwei Tage zuvor
zugestellt hatten, die Summarische Erzählung
zu den Religionsdebatten auf dem
Wahltag 1575 und zu weiteren Religionsgravamina einzelner
Stände sowie einen Kurzen Bericht
zur Bedrängung protestantischer
Untertanen183 Beide Vorlagen basierten auf der Instruktion Kurfürst Friedrichs
III. und spiegelten damit die Kurpfälzer Position als
intendierte Basis der protestantischen Verhandlungen wieder. Inhaltlich
knüpften sie an die Religionsdebatten beim Wahltag 1575 an: 1)
Bestätigung der Declaratio Ferdinandea und Beschwerden über
gegenreformatorische Maßnahmen unter Verstoß gegen diese. 2)
Unbeantwortete Supplikation an den Kaiser beim Reichstag 1570184 und seither
gesteigerte Bedrängungen unter anderem mit der Vertreibung
protestantischer Untertanen als Verstoß gegen die Gewissensfreiheit. 3)
Aufhebung des Geistlichen Vorbehalts.
Einleitend verwiesen die Kurpfälzer Gesandten darauf, dass diese Punkte gegen die Zusage Maximilians II. nicht als Thema des Reichstags vorgesehen, aber gerade deshalb vorzubringen seien. Kursachsen verwehrte sich gegen die Vermengung neuer Religionsbeschwerden mit der Frage der Declaratio und setzte durch, dass eine diesbezügliche Eingabe an den Kaiser vor der Vorlage im Plenum aller CA-Stände zunächst im Kreis der kurfürstlichen Gesandten zu billigen war. Nach Aussage des Protokolls für den 28. Juni erfolgte die Billigung der von Kurpfalz konzipierten Supplikation ohne größere Debatte lediglich mit wenigen Modifikationen seitens der kursächsischen Gesandten. Dagegen verwiesen die Kurpfälzer Delegierten im Bericht vom 29. Juni185 auf ganz erhebliche kursächsische Korrekturen.
Anschließend konnten mit dem Zusammentritt des Plenums am 29. Juni die Gesamtberatungen der CA-Stände
beginnen. Diese werden in der älteren und neueren Literatur in zwei
Phasen untergliedert: Die Verhandlungen mit Beteiligung der
kursächsischen Gesandten bis zum Abfall
(Moritz) bzw.
Austritt
(Edel) Kursachsens und die anschließenden Sitzungen
ohne deren Teilnahme186.
In der Sitzung am 29. Juni187 unter dem Direktorium von Kurpfalz wies Vizekanzler Pastor einleitend auf die Entwicklung der Religionsproblematik seit 1566, die Verhandlungen beim Wahltag 1575 um die Declaratio Ferdinandea sowie auf die eigenen Beratungsvorlagen hin und legte die von den Gesandten der weltlichen Kurfürsten bereits gebilligte Supplikation an den Kaiser vor. Die fürstlichen, gräflichen und reichsstädtischen Delegierten berieten jeweils separat unter sich und sprachen sodann im Plenum ihre Zustimmung zum Konzept aus. Parallel übergaben die Vertreter der protestantischen Reichsgrafen ihre Supplikation um Freistellung, zudem reichten einige Grafen eigene Beschwerden ein. Die erste Supplikation der CA-Stände wurde um diese Belange ergänzt und Maximilian II. noch am 29. Juni überreicht.
Darin rechtfertigten sie ihre Wendung an den Kaiser damit, dass trotz der Zusage auf dem Wahltag die Declaratio Ferdinandea nicht in das Reichstagsprogramm aufgenommen worden sei. Im Mittelpunkt der Forderungen standen folglich neben Maßnahmen zum umfassenden Vollzug des Religionsfriedens die rechtskräftige Bestätigung der Declaratio im Reichsabschied und deren Insinuierung am Reichskammergericht als Grundlage der Religionsprozesse. Es folgten allgemeine Beschwerden gegen die Ausweisung protestantischer Untertanen sowie der Rückbezug auf Verstöße gegen den Religionsfrieden von katholischer Seite seit 1566, die mit der Vorlage der diesbezüglichen Eingaben belegt wurden: 1) Supplikation der CA-Stände beim Reichstag 1566; 2) Supplikation der CA-Stände beim Reichstag 1570; 3) Interzession der weltlichen Kurfürsten für supplizierende protestantische Stände und Untertanen beim Kurfürstentag 1575. Abschließend baten sie um die Klärung der ebenfalls als Beilagen angefügten Gravamina und Supplikationen einzelner Grafen, Stände und Städte188. Die Behebung der Einzelbeschwerden und der grundsätzlichen Fragen wurde in diesem Stadium noch mit keinen Sanktionsandrohungen oder Vorbehalten bezüglich der Steuerbewilligung verbunden.
Unabhängig von diesen Forderungen der CA-Stände insgesamt übergaben die protestantischen Reichsgrafen dem Kaiser am 2. Juli eigenständig in Anknüpfung an ihre Eingabe beim Wahltag 1575189 ihre Supplikation um die Freistellung des Zugangs protestantischer Grafen und Herren zu den Stiftsämtern namentlich in den Hochstiften, der ihnen durch neue Eidverpflichtungen unter anderem auf die Professio Fidei Tridentina versperrt werde190. Daneben liegt eine Supplikation der Grafen an die protestantischen Stände mit der Bitte um deren Interzession vor, die wohl ebenfalls an den Kaiser weitergereicht wurde191.
Die nächste im Kurpfälzer Religionsprotokoll dokumentierte Sitzung datiert vom 16. Juli. Zwischenzeitlich war allerdings in einer dort nicht aufgezeichneten Versammlung bei Kurpfalz am 9. Juli der wichtige Beschluss gefasst worden, die Fortsetzung der Hauptverhandlungen zur Reichstagsproposition an eine Erklärung des Kaisers zur ersten Supplikation zu knüpfen192.
Dieses Junktim zwischen der Religionsfrage und den Beratungen zur Türkenhilfe wurde im gleichen Zeitraum auch in den Kurien vorgebracht: Im Plenum des Fürstenrats erklärten die protestantischen Ständevertreter bereits bei der ersten Beratung der Ausschussresolution ebenfalls am 9. Juli unter Protest, sie könnten ohne Klärung der Religionsgravamina und der Declaratio-Problematik keine Türkensteuer bewilligen193.
Im Kurfürstenrat hatten die Gesandten der Kurpfalz und Kurbrandenburgs schon am 6. Juli festgehalten, vor einer Antwort des Kaisers zur Eingabe der CA-Stände keine Beschlussfassung zur Türkenhilfe zulassen zu können194. Die kursächsischen Delegierten schlossen sich dem nach dem Erhalt der Weisungen vom 4. Juli und 5. Juli am 9. Juli an195 und stellten damit das Einvernehmen auf protestantischer Seite trotz der in den Weisungen zum Ausdruck kommenden Verfahrenskritik Kurfürst Augusts zumindest bis zu diesem Zeitpunkt sicher. Dies bestätigte sich im Kurfürstenrat am 11. Juli196, indem Pfalz, Brandenburg und Sachsen geschlossen unter Protest gegen die geistlichen Kurfürsten eine abschließende und unkonditionierte Steuerzusage ohne Aufnahme ihres Vorbehalts in die Ständeresolution verweigerten und damit eine vorübergehende Unterbrechung der Verhandlungen in der Kurie sowie Separatberatungen der geistlichen Kurfürsten und der katholischen Stände insgesamt197 auslösten.
Das Einvernehmen der weltliochen Kurfürsten ermöglichte sodann die erwähnte Versammlung der CA-Stände noch am 9. Juli, in der man neben der Bestätigung des Junktims eine diesbezügliche Anmahnung bei Maximilian II. beschloss, die im Plenum am 10. Juli gebilligt und dem Kaiser noch an diesem Tag übergeben wurde198. Im Zentrum der Anmahnung um eine Stellungnahme des Kaisers zur ersten Supplikation standen die Declaratio Ferdinandea und die Drohung, ohne deren Bestätigung die Beschlussfassung zu den proponierten Hauptartikeln im Sinne eines strikten Junktims zu verweigern. Die anderweitigen Religionsgravamina wurden nur kursorisch angesprochen.
Die Anmahnung, der
angedrohte Beschlussboykott und der zeitweilige Abbruch der
Verhandlungen im Kurfürstenrat veranlassten am 11. Juli die Vorlage der ersten Supplikation und der
damit eingereichten Einzelgravamina im kaiserlichen Geheimen Rat199. Dieser beschloss die Weitergabe der
grundsätzlichen Fragen, Freistellung und Declaratio Ferdinandea, an die
katholischen Stände um deren Stellungnahme, auch um auf diese Weise den
Kaiser von der alleinigen Verantwortung zu entlasten (damit ir Mt.
den unlust nit allein auff sich laden muste
), sowie für die
Einzelbeschwerden die Anhörung der jeweils angeklagten Gegenpartei.
Da die von den katholischen Ständen angeforderte Erklärung, in der sie eine Debatte um beide Punkte a priori strikt zurückwiesen, bereits am 14. Juli vorlag, beschloss der Geheime Rat noch an diesem Tag im Beisein des Kaisers200, die Freistellungsforderung der Grafen und die Bestätigung der Declaratio Ferdinandea grundsätzlich abzulehnen. Um aber den Verhandlungsfortgang insbesondere zur Türkenhilfe zu gewährleisten, sollte dies nicht in dieser deutlichen Form zum Ausdruck gebracht, sondern zeitgewinnend die Anhörung der katholischen Stände und der betroffenen Parteien bei den Einzelgravamina als Voraussetzung für eine fundiertere kaiserliche Antwort vorausgesetzt sowie die Fortführung der Hauptverhandlungen in Anbetracht der osmanischen Gefahr, die mit aktuellen Zeitungen von der Grenze201 manifestiert wurde, angemahnt werden.
Die inhaltlich entsprechende Vorantwort
Maximilians II. vom 14. Juli konnte die Mehrheit der
protestantischen Stände nicht zufriedenstellen. Indes legte der Kaiser
mit der ebenfalls im Geheimen Rat beschlossenen, separaten Vorladung der
Gesandten von Kurbrandenburg und Kursachsen am 16. Juli den Keim für die nachfolgende Spaltung auf
protestantischer Seite: Während die Brandenburger zwar die
Verhandlungsfortführung zugestanden, die letztgültige Beschlussfassung
aber weiterhin an die Bestätigung der Declaratio Ferdinandea banden,
sagten die kursächsischen Gesandten die Fortsetzung der Beratungen zur
Türkenhilfe ohne konfessionelle Bedingungen zu.
Diese divergierenden Positionen zeigten sich sogleich in den protestantischen Beratungen noch am 16. Juli: In der vorgeschalteten Besprechung nur der kurfürstlichen Gesandten votierte Kursachsen im Gegensatz zu Kurpfalz und Kurbrandenburg für eine vorbehaltlose Fortführung der Hauptverhandlungen, es musste sich anschließend im Plenum aber der Mehrheit beugen, die als Vorgabe für eine Erwiderung an den Kaiser auf dem Junktim beharrte. Kursachsen konnte aber immerhin eine gemäßigtere sowie für die eigene Position weniger verbindliche Formulierung durchsetzen und insbesondere die Erwähnung der Freistellung verhindern202.
In der im Plenum am 17. Juli
gebilligten203 und dem Kaiser noch an diesem Tag
übergebenen Erwiderung der
CA-Stände zu dessen vorläufiger Erklärung verwehrten sich die
Gesandten gegen den Vorwurf, sie würden die Hauptverhandlungen
verzögern, sondern ihre Herren könnten mherern theils
lediglich
die letzte Beschussfassung ohne Klärung dezidiert der vom Wahltag
prorogierten Declaratio-Frage sowie der anderweitigen Religionsgravamina
nicht zulassen. Sie beharrten nochmals auf der Bestätigung der
Declaratio als Bestandteil des Religionsfriedens, ohne aber die
Einbindung in den Reichsabschied als reichsrechtliche Manifestierung oder die
Insinuation am Reichskammergericht anzusprechen, mahnten die
Stellungnahme zu den Einzelgravamina an und forderten für bereits
beschiedene Beschwerden ohne weitere Erörterung deren Behebung ein.
Diese noch einhellig gebilligte Eingabe, auf die zunächst keine Reaktion des Kaisers erfolgte, und das Plenum am 17. Juli markieren den Abschluss der ersten Phase der protestantischen Religionsverhandlungen denn in der Sitzung am 28. Juli ging es um keine konfessionspolitischen Grundsatzfragen, sondern lediglich um die Vorlage weiterer Einzelgravamina und die Interzession für diese. Eine generelle Anmahnung beim Kaiser dagegen unterblieb.
Die nächste Versammlung der CA-Stände fand nach Aussage der Protokolle in unvollständiger Besetzung erst am 16. August statt. Bis dahin hatte sich die deren Situation ganz entscheidend verändert: Das oben erwähnte, sich bereits andeutende Ausscheren Kursachsens aus der für die Durchsetzung der konfessionspolitischen Ziele unabdingbaren geschlossenen Front hatte sich seither konkretisiert.
Der kaiserliche Hof rechnete sich nach der letzten protestantischen Erwiderung vom
17. Juli nur geringe
Chancen aus, die Bestätigung der Declaratio vermeiden oder die
Problematik zumindest vertagen zu können. Einen Ansatzpunkt, um dies
doch zu umgehen und die protestantische Einheit aufzubrechen, sah man
wohl nicht zuletzt wegen dessen guten persönlichen Verhältnisses zu
Kaiser Maximilian II. in Kurfürst August von Sachsen und wurde deshalb
auf mehreren Ebenen aktiv: Der Kaiser beklagte in einem eigenhändigen Schreiben an den
Kurfürsten vom 18. Juli204 seine missliche Situation im
Dilemma zwischen den konfessionellen Forderungen einerseits und der
zunehmenden osmanischen Gefahr andererseits: Während man hie zangt,
verliert man land und lait
. Er bat August deshalb darum, die
Beschlussfassung zur Türkenhilfe möglichst zu befördern, und sagte dafür
zu, Zugeständnisse zu machen, die er verantworten könne.
Schon zuvor hatte Herzog Albrecht V. von Bayern bei einem Aufenthalt in Dresden seit 5. Juli auf den Kurfürsten eingewirkt und die Zusage erhalten, August werde seine Gesandten beauftragen, die Hauptverhandlungen und auch die Beschlussfassung wegen der Religionsfrage und der Declaratio Ferdinandea nicht zu blockieren.
In diesem Sinne verwies Kurfürst August im Schreiben an den Kaiser vom
23. Juli bezüglich der
Declaratio auf seine Antwort an Herzog Albrecht, der Maximilian II.
seinerseits im Schreiben aus
Dresden vom 23. Juli davon in
Kenntnis gesetzt hatte, die kursächsischen Vertreter seien beauftragt,
dass sie in den Verhandlungen forttfaren und schliessen, es gefiel
der declaration gleich beschaid, wann es wollt
. Eine
entsprechende Weisung
richtete der Kurfürst am 30. Juli an
seine Gesandten. Darin erhöhte er nicht nur die
Steuerbewilligung beim 1. Hauptartikel205 ganz beträchtlich, sondern
stellte eindeutig klar, dass in die Religionsfrage die commination
von nicht erlegung der türckenhilff keines weges zu mengen sey
,
begründet unter anderem mit der Bedrohungssituation des Kaisers und
jener Reichsstände, die der osmanischen Gefahr nahe gesessen
.
Damit war die Distanzierung Kursachsens von den anderen protestantischen Ständen unter der Führung der Kurpfalz bereits Ende Juli 1576 manifestiert. Die im Zusammenhang mit der Türkenhilfe angesprochene Gesandtschaft Sigmund Viehausers nach Dresden im August 1576206 erbrachte bei Kurfürst August zwar eine nochmalige Erhöhung der Steuerzusage, für die Religionsfrage konnte sie sich auf die Bestätigung der bereits zuvor erteilten Direktiven beschränken207.
Die veränderte Positionierung Kursachsens bedingte zum einen eine forcierte Parteibildung auf protestantischer Seite mit Kurpfalz als Zentrum jener Stände, die auf der rigorosen Einforderung des Junktims und der Konditionierung der Türkenhilfe beharrten208, zum anderen stand sie zunächst einer von Kurpfalz und Kurbrandenburg am 10. August geforderten, neuerlichen Eingabe an den Kaiser im Weg, weil damit infolge deren Ablehnung durch die kursächsischen Gesandten das öffentliche Eingeständnis der Spaltung verbunden gewesen wäre209.
In der nächsten Versammlung bei Kurpfalz am 16. August, an der unter anderem Kursachsen nicht teilnahm, ging es um die Abklärung der künftigen Erfolgschancen, nachdem der Braunschweig-Lüneburger Kanzler Mutzeltin von Lazarus von Schwendi vertraulich erfahren haben wollte, dass einige kaiserliche Räte und auch Maximilian II. selbst zu größerem Entgegenkommen bereit seien, falls die protestantischen Forderungen mit Nachdruck vorgebracht werden würden210.
Daraufhin konzipierten die Kurpfälzer Gesandten eine neuerliche Anmahnung um eine Erklärung zu ihrer ersten Supplikation beim Kaiser, die am 19. August zuerst nur im Kreis der kurfürstlichen Räte verlesen wurde211. Die kursächsischen Delegierten brachten erhebliche Einwände gegen einzelne Punkte sowie generell gegen das Junktim mit den Hauptverhandlungen vor und wollten nur mündlich beim Kaiser nachfragen. Nachdem in einer weiteren Versammlung der kurfürstlichen Räte am 22. August212 gegen das kursächsische Votum letztlich doch eine schriftliche Fassung der Anmahnung beschlossen werden konnte, wurde diese anschließend dem Plenum der protestantischen Stände vorgelegt und dort gebilligt.
Dennoch konnten die kursächsischen Vertreter am 24. August, unmittelbar vor der geplanten Aushändigung an den Kaiser, die schriftliche Einreichung verhindern, indem sie eine vorherige Versammlung der protestantischen Gesandten initiierten213 und sich dort darauf beriefen, dass die Hauptresolution Maximilians II. zur Declaratio Ferdinandea für die Übergabe bereitliege. Aufgrund dieser Bekanntgabe und gegen den Widerstand von Kurpfalz erfolgte die ebenfalls im Religionsprotokoll aufgezeichnete Anmahnung beim Kaiser sofort im Anschluss an diese Beratung nur in mündlicher Form.
Tatsächlich übergab der Kaiser seine lange erwartete Erklärung zu den Religionsgravamina der CA-Stände bereits am nächsten Tag. Anlässlich der Vorlage am 25. August214 ließ er die Beachtung des Religionsfriedens anmahnen und legte zudem seine strikt ablehnende Antwort zur Freistellungsforderung der protestantischen Reichsgrafen vor215 vor. In der knappen Erwiderung zu den Gravamina wies er jegliche Änderung des Religionsfriedens und damit eine Bestätigung der Declaratio Ferdinandea im Reichsabschied rundweg zurück. Die grundsätzliche Frage nach deren Rechtsgültigkeit blieb demnach unbeantwortet. Einziges Zugeständnis war die vage Zusage, auf eine Klärung der anderweitigen Gravamina auch bei den katholischen Ständen hinzuwirken.
Die Situation der protestantischen Partei gestaltete sich nach dieser
ernüchternden Reaktion in Verbindung mit der Verzögerungstaktik
Kursachsens, der sich nunmehr die Vertreter Kurbrandenburgs und anderer
Stände insofern anschlossen, als sie zunächst die Stellungnahme ihrer
Herren zur kaiserlichen
Hauptresolution abwarten wollten216, noch problematischer. In der
Weisung an seine
Gesandten vom 30. August zeigte
sich Kurfürst Augusts von Sachsen mit der Erklärung des Kaisers
explizit zufriden und ersetiget
, auch im Hinblick auf die
Declaratio, die vom Kaiser nicht bestritten werde. Trotz der Ablehnung,
sie im Reichabschied zu bekräftigen, interpretierte der Kurfürst dies
als approbation
der Declaratio, bei der es ebenso zu belassen sei
wie bei der Zusage, die Klärung der Gravamina anzustreben. Seine
Delegierten sollten sich deshalb gegen eine weitere Supplikation an den
Kaiser und eine damit verbundenen Gefährdung des Religionsfriedens
aussprechen, sondern lediglich einen maßvollen Protest anregen, der den
geistlichen Reichsständen bei weiteren Verstößen gegen die Declaratio
Ferdinandea die Verantwortung für den Bruch des Religionsfriedens und
die Konsequenzen daraus zuwiese. Von jeglicher Konditionierung der
Türkenhilfe und diesbezüglichen Eingaben hatten sich die Gesandten
stracks absondern
.
Auf dieser Basis war es wenig erstaunlich, dass die kursächsischen Vertreter an der Sitzung der protestantischen kurfürstlichen Räte am 4. September nicht teilnahmen und im Ausschuss deprotestantischen Stände am 6. September zwar erschienen, dort aber die von Kurpfalz initiierte, neuerliche Eingabe an den Kaiser als Replik zu dessen Erklärung in einer in vier Umfragen geführten Grundsatzdebatte ablehnten. Gegen alle anderen Ausschussmitglieder verwehrten sie sich ausdrücklich gegen eine weitere Konditionierung der Türkenhilfe, selbst wenn die Bestätigung der Declaratio im Reichsabschied und deren Insinuierung am Reichskammergericht unterbliebe, und wollten lediglich konkrete Verstöße der Gegenseite in den Einzelgravamina, die mit einer Interzession der CA-Stände unterstützt wurden, mittragen. Die weitere Beratung zum Kurpfälzer Konzept für eine grundlegende zweite Supplikation der CA-Stände an den Kaiser dagegen musste vertagt werden.
In der Fortsetzung der Debatte im Plenum der CA-Stände am 8. September verweigerten sich die kursächsischen Gesandten erneut weiteren Forderungen an den Kaiser im Junktim mit der Türkenhilfe und plädierten für einen moderaten Protest, wie ihn die angesprochene Weisung Kurfürst Augusts vom 30. August vorsah. Kurbrandenburg und andere protestantische Stände schlossen sich dagegen der Kurpfälzer Linie für das Junktim an, lediglich Pfalz-Neuburg, Württemberg und einige Städtevertreter votierten wie Kursachsen, doch wollten auch sie auf eine nochmalige Eingabe an den Kaiser nicht verzichten.
Um die interne Geschlossenheit nach außen hin möglichst weitgehend zu
wahren, wurde die Passage zum Junktim in der nunmehr gebilligten zweiten Supplikation an den
Kaiser mit dem Wort mherteils
relativiert217. Allerdings hatten die
kursächsischen Gesandten die Sitzung bereits vor der Billigung
verlassen218, ebenso wirkten sie am 9. September an der Übergabe219 der Supplikation an
Obersthofmeister Trautson in Vertretung des Kaisers nicht mit. Der
konfessionsinterne Dissens trat damit spätestens hier offen zutage.
Dagegen beteiligten sie sich am selben Tag an der Übergabe der im Plenum am 8. September
ebenfalls gebilligten Interzession
für die Gravamina mehrerer Stände und die damit als Beilagen
vorgebrachten Einzelbeschwerden220.
Die zweite Supplikation der CA-Stände trägt trägt mit einer Verschärfung der Forderungen, die nunmehr aufgrund der kursächsischen Absonderung möglich war, deutlicher als die vorherigen Eingaben die Kurpfälzer Handschrift: Sie stützte sich weniger auf den Buchstaben als vielmehr auf die Intention des Religionsfriedens, die Herstellung von Ruhe und Frieden im Reich, und bezog dies nicht nur auf das Verhältnis zwischen dem Reichsoberhaupt und den Reichsständen, sondern ebenso auf jenes zwischen den Ständen und deren Untertanen. Unter dieser Prämisse postulierte die Supplikation an erster Stelle die zuvor in den protestantischen Verhandlungen nicht explizit thematisierte Religionsfreiheit der Untertanen unter katholischer Obrigkeit. An zweiter Stelle interpretierte sie das ius emigrandi des Religionsfriedens221 nicht als von der Obrigkeit vorzugebendes oder zu limitierendes Ausweisungs-, sondern als freiwilliges Abzugsrecht der Untertanen nach deren eigener Entscheidung. Erst an dritter Stelle stand das wiederholte Gesuch, der Kaiser möge die Declaratio Ferdinandea kraft eigener Machbefugnis ohne Einbeziehung Dritter im Reichsabschied und mittels der Insinuierung beim Reichskammergericht rechtsverbindlich bestätigen.
Damit verbunden wurde die in der vorherigen Anmahnung ausgesprochene Weigerung, ohne diese Zugeständnisse die Hauptartikel abschließend zu beraten, sowie eindeutiger als zuvor die Feststellung, die Steuerbewilligung eines von der Mehrheit der Reichsstände beschlossenen Reichsabschieds nicht als verbindlich anzuerkennen.
Damit drohte zwar nicht die Sprengung des Reichstags, doch erklärte man
dessen Beschlüsse für ungültig und stellte folglich das Mehrheitsprinzip
infrage, was auf einen offenen Verfassungskonflikt
hinauslief
222. Einzige, aber wichtige
Einschränkung war, dass diese Aussagen für fast alle
bzw. für
mherteils
der Gesandten, mithin nicht für alle CA-Stände
galten. Dies rekurrierte auf die Distanzierung namentlich Kursachsens,
die auch in der Unterzeichnung der Supplikation mit der Nennung nur der
Kurpfälzer und der Kurbrandenburger Gesandten seitens der weltlichen
Kurfürsten zum Ausdruck kam.
Noch deutlicher wurde die Diskrepanz zwischen den beiden Antipoden Kurpfalz und Kursachsen in deren aktuellen Verhaltensvorgaben: Während Kurfürst August in der Weisung vom 16. September die Distanzierung seiner Gesandten von der Supplikation belobigte und die Forderungen, vorrangig die Freistellung der Religion für Untertanen, als weit überzogen ebenso wie das Festhalten am Junktim mit der Türkenhilfe kritisierte und dies auch gegenüber anderen protestantischen Fürsten kommunizierte, befahl Kurfürst Friedrich seinen Delegierten mit Weisung vom 15. September, den Reichstag zu verlassen, falls der Kaiser sich nicht entgegenkommender zeigen oder die Mehrheit der anderen protestantischen Stände sich ihnen nicht anschließen würde.
Wie reagierten der Kaiser und dessen Räte auf diese kritische Situation?
Der Geheime Rat (ohne Teilnahme des erkrankten Kaisers) beschäftigte
sich am 10. September mit der
grundlegenden Forderung nach Religionsfreiheit der Untertanen und war
sich einig, dies keins wegs zu willigen
, weil es gegen das
Herkommen in ecclesia et politia
verstoße sowie zur
atheisirung
und confusio
im Reich führe.
Am 14. September wurden erneut in
Abwesenheit des Kaisers die Punkte der zweiten Supplikation im
Einzelnen betrachtet. Es blieb beim Tenor der ersten Beratung: die
Forderungen bedingten des ganzen Reichs confusion und untergang
und seien letzlich eim atheismo dinlich
. Auch würden
eigenmächtige Verfügungen des Kaisers zugunsten der Protestanten auf den
Widerstand der katholischen Stände bis hin zur Gefahr eines Reichskriegs
stoßen. Deutlich wurde das Dilemma auf kaiserlicher Seite thematisiert:
Alle Gesuche rundweg abzulehnen, sei geferlich
wegen des Junktims
mit der Türkenhilfe; zu weitgehende Zugeständnisse seien dies ebenso
wegen der damit einhergehenden Wendung gegen die katholischen Stände.
Als Ausweg sah man vorerst die interne Spaltung der protestantischen
Partei, die durch vertrauliche Nachfragen bei den Gesandten der
unterzeichnenden Stände nach deren diesbezüglicher Instruierung vertieft
werden sollte.
Am 17. September wurde im Geheimen Rat das Konzept Erstenbergers für eine Erklärung des Kaisers zur zweiten Supplikation der CA-Stände223 vorgelegt und weitgehend gebilligt. Um den Kaiser nicht weiter in die Religionsdebatte zu verwickeln, blieb es letztlich bei der Aussage, er könne den Religionsfrieden eigenmächtig und ohne Einbindung der Gegenseite nicht verändern und fordere die CA-Stände deshalb auf, es dabei zu belassen und auf das Junktim, das den Bestand des Reichs gefährde, zu verzichten. Offen blieb zunächst, ob der Kaiser eine Zusammenkunft mit den Kurfürsten für die weitere Erörterung der Religionsfrage in Aussicht stellen sollte. Letztlich beschloss man vorab vertrauliche Nachfragen bei den führenden katholischen Ständen nach deren Standpunkt sowie zur Frage, ob sie auf der Grundlage ihrer Instruktionen Religionsverhandlungen führen könnten. Würden sie dies negieren, könnte der Kaiser unter Berufung darauf die gesamte Problematik prorogieren.
Als das Ergebnis dieser Nachfragen vorlag224, erfolgte im Geheimen Rat am 20. September225 eine letzte Korrektur der Erklärung des Kaisers zur zweiten Supplikation der CA-Stände, mit der die Zusage künftiger Beratungen mit den Kurfürsten gestrichen wurde, da die Gegenseite sich auf keinerlei Debatten um den Religionsfrieden einlassen wolle. Es blieb somit lediglich das unverbindliche Angebot, Maximilian II. sei bereit, zusammen mit den Reichsständen auf Abhilfemöglichkeiten für die Religionsgravamina bedacht zu sein.
Am 24. September empfing der schon schwer erkrankte Kaiser eine Delegation der CA-Stände und ließ von Vizekanzler Weber seine Erklärung zur zweiten Supplikation der CA-Stände übergeben, verbunden mit der Erwartung, diese würden sich damit zufriedengeben und die Hauptverhandlungen nicht länger verzögern226. Maximilian verwies nochmals auf die in der Replik zum 1. Hauptartikel (Türkenhilfe) ausgeführte, akute osmanische Bedrohung, erbat deshalb den Abschluss der Hauptverhandlungen ohne Bedingungen und sagte lediglich zu, sich künftig um die Klärung der Religionsfrage und der Gravamina zu bemühen. Es blieb damit bei einer völlig unverbindlichen Suspendierung der Religionsfrage.
Auf protestantischer Seite waren zwischenzeitlich in der Sitzung am 21. September, an der Kursachsen erneut nicht teilnahm, nach der ersten ablehnenden Antwort des Kaisers die Konzepte für die zweite Supplikation der protestantischen Grafen und Herren um Freistellung sowie für die Interzession der CA-Stände für die protestantischen Grafen und Herren vorgelegt worden. Die Interzession wurde gebilligt, die zweite Supplikation der Grafen sollte nach Meinung der Mehrheit leicht revidiert und in einem insgesamt gemäßigteren Tonfall insbesondere bei den Angriffen auf den Verfasser einer katholischen Erklärung gegen die Freistellungsforderung227 formuliert werden. Weitere Beratungen zu beiden Stücken sind im Kurpfälzer Religionsprotokoll nicht dokumentiert.
Die Übergabe der korrigierten zweiten Supplikation der protestantischen Grafen und Herren um Freistellung und der unterstützenden Interzession der CA-Stände erfolgte am 5. Oktober aufgrund der schweren Erkrankung des Kaisers an dessen Geheime Räte228.
Die letzte Stellungnahme des Ksiers dazu, die im Anschluss an die Erörterung im Geheimen Rat am 6. Oktober am 10. Oktober präsentiert wurde, beschränkte sich in aller Kürze auf den Verweis auf die Aussagen in der ersten Erklärung vom 25. August und die Vorgaben des Religionsfriedens, bei denen man es beließ und die Grafen aufforderte, die ebenfalls zu tun. Die kurz zuvor vorgelegte Supplikation der Reichsritterschaft gegen die Freistellungsforderung der Grafen229 dürfte für diese Entscheidung keine größere Rolle gespielt haben, zumal sich die knappe Antwort darauf230 ebenfalls auf den Religionsfrieden und die Erklärung an die Grafen berief.
In der Hauptsache, der Reaktion auf die Erklärung des Kaisers zu ihrer zweiten Supplikation, setzten die CA-Stände die Beratungen am 29. September fort. Die Vertreter der protestantischen Reichsfürsten kritisierten fast durchwegs die Absenz der kursächsischen Gesandten, die von der Kurpfälzer Delegation nicht mehr eingeladen worden waren, und schrieben die Ursache dafür, dass der Kaiser alle Forderungen weitgehend hatte zurückweisen können, der geschwächten Position infolge der internen Spaltung zu. Dennoch lehnte Kurpfalz die Bitte an die kursächsischen Gesandten ab, sich wieder an den Verhandlungen zu beteiligen.
In ihrer Proposition brachten die Kurpfälzer Räte die Direktive Kurfürst Friedrichs III. in der erwähnten Weisung vom 15. September, den Reichstag zu verlassen, falls der Kaiser keine konfessionspolitischen Zugeständnisse machen würde, nach Aussage des eigenen Protokolls nicht zur Sprache231, wohl auch deshalb, weil sie erkannten, dass dieser radikale Schritt nicht konsensfähig war232. Der Standpunkt der fürstlichen Gesandten bestätigte sich insofern, als sie auch das von den Kurpfälzern vorgelegte Konzept für eine neuerliche Erwiderung an den Kaiser insbesondere bezüglich des Junktims mit der Verweigerung der Türkenhilfe nur in abgemilderter Form billigten.
Dieser gegenüber den vorherigen Postulaten insgesamt deutlich zurückgenommenen Position entsprach die dem kaiserlichen Geheimen Rat am 5. Oktober übergebene233letzte Erwiderung der CA-Stände zu den Religionsgravamina. Die Vorlage erfolgte namens aller CA-Stände mit Ausnahme der kursächsischen Delegierten, die weder anwesend waren noch die Schrift unterzeichnet hatten. Die protestantischen Gesandten bestritten darin ihre vermeintlichen Aussagen gegen den Religionsfrieden und beharrten vielmehr auf dessen Gültigkeit, damit aber zugleich auch auf der Gültigkeit der Declaratio Ferdinandea, ohne jedoch deren explizite Bestätigung im Reichsabschied nochmals anzusprechen. Die zuletzt verlangte Religionsfreiheit für Untertanen wurde zwar erwähnt, allerdings nur als indirekte Forderung, indem man Maßnahmen gegen das Gewissen sowie die Ausweisung protestantischer Untertanen als Hindernis für die effiziente Einbringung der Türkensteuern deklarierte. Das zuvor strikt verfochtene Junktim klang hier und in weiteren Aussagen nur noch abgemildert an. Ansonsten blieb es bei der Bitte an den Kaiser, seiner Zusage gemäß auf die Klärung der Einzelgravamina bedacht zu sein sowie die Ausweisung von Untertranen aufgrund ihres Bekenntnisses zu unterbinden.
In Verbindung mit dieser Erwiderung brachten die CA-Stände den kaiserlichen Geheimen Räten am 5. Oktober auch spezielle Gravamina gegen die Rechtsprechung des Reichskammergerichts in Religionsbelangen sowie gegen dessen und die Besetzung der Reichskammergerichtskanzlei vor. Diese Gravamina waren zunächst in der Sitzung der CA-Stände am 21. September von Kurpfalz angesprochen worden. In der Versammlung am 29. September beschloss die Mehrheit, sie vom Kurpfälzer Konzept für die Erwiderung an den Kaiser zu separieren und als eigenes Stück zu übergeben234.
Die letzte Erwiderung der CA-Stände wurde im kaiserlichen Geheimen Rat am 6. Oktober verlesen. In Anbetracht der kritischen Situation – der Sicherung einer Türkenhilfe durch deren unverzügliche Festschreibung im Reichsabschied noch vor dem abzusehenden Ableben Maximilians II., für dessen Person die Steuerbewilligung galt – wollten es die Geheimen Räte ohne weitere Debatte bei der vorherigen Erklärung des Kaisers und der nochmals geforderten Beachtung des Religionsfriedens bewenden lassen. In diesem Sinne wurde auch einer Weitergabe der katholischen Gravamina an die Protestanten widerraten. Die Gravamina gegen die konfessionell einseitige Besetzung des Reichskammergerichts wollten die Geheimen Räte stillschweigend übergehen.
Die inhaltlich entsprechende letzte Erklärung des Kaisers an die CA-Stände235 verband mit dem Verweis auf die vorherigen kaiserlichen Stellungnahmen und Zusagen die Ermahnung, sich damit zu begnügen und ihrerseits mit der Beachtung des Religionsfriedens Einigkeit und Frieden im Reich zu wahren.
Die Taktik der kaiserlichen Räte ging insofern auf, als der Reichsabschied am Vormittag des 12. Oktober 1576 ohne Proteste verlesen und damit inklusive der Türkenhilfe rechtsgültig in Kraft gesetzt werden konnte.
Die protestantischen Stände versammelten sich erst nach der Publikation des Abschieds am Nachmittag des 12. Oktober, um erneut ohne Beteiligung Kursachsens236, um eine Reaktion auf die letzte kaiserliche Erklärung im Hinblick auf den Reichsabschied zu beraten. Auch hier stand zwar ein nachträglicher Protest gegen den Reichsabschied insgesamt nicht zur Debatte, wohl aber die von Kurpfalz aufgeworfene Frage, wie die Konditionierung der Türkenhilfe abgesichert werden könne, um die im Reichsabschied festgelegten Sanktionierungsmaßnahmen gegen säumige Steuerzahler zu umgehen. Ein dafür vorgesehenes, von Kurpfalz angeregtes weiteres Gesuch an den Kaiser, gegebenenfalls unterstützt von einem notariell abgelegten Protest, fand keine Mehrheit, sondern man beließ es bei den bisherigen Eingaben, die für die Manifestation des Junktims als ausreichend erachtet wurden. Beschlossen wurde stattdessen ein internes Abschlussmemoriale, in dem die Gesandten der CA-Stände ihr Agieren beim Reichstag mit den Bitten bezüglich der Gravamina, der Declaratio Ferdinandea und der Freistellung sowie deren Ablehnung durch den Kaiser darlegten und ihren Herrschaften den künftigen Umgang mit der konditionierten Steuerbewilligung überließen. Um eine gemeinsame Reaktion oder zumindest übereinstimmende Einzelantworten an den Kaiser zu gewährleisten, befürworteten sie zudem eine protestantische Tagung nach dem Reichstag237.
Den kaiserlichen Geheimen Räten wurde das Memoriale wohl unmittelbar
anschließend noch am 12. Oktober per bonum amicum
zugespielt238. Sie kannten damit die
künftigen Absichten der protestantischen Stände und hatten überdies von
der Versammlung bei Kurpfalz mit der Zielsetzung erfahren, ob und wie
sie ettwas disturbii in dem beschlosnen und publicirten abschidt machen
konten
.
Im Folgenden werden die zuerst am 29. Juni und nachfolgend im weiteren Verlauf des Reichstags seitens der CA-Stände dem Kaiser übergebenen Supplikationen und Gravamina einzelner Stände und Städte in konziser Form zusammengefasst.
Graf Joachim von Ortenburg beklagte in seiner Supplikation an die Reichsstände (mit zahlreichen Beilagen), die er in der Versammlung der CA-Stände am 29. Juni persönlich vorlegte239 und die anschließend von diesen dem Kaiser übergeben wurde, im Zusammenhang mit dem Konflikt mit Herzog Albrecht V. von Bayern um den reichsunmittelbaren Status der Grafschaft und das ius reformandi, der die Reichsversammlungen schon seit 1564 beschäftigte, die anhaltende Beeinträchtigung der CA-Ausübung und die bayerischen Maßnahmen gegen ihn und seine Untertanen. Konkret ging es um die Missachtung von sieben seit 1573 zu seinen Gunsten ergangenen Mandaten des Reichskammergerichts durch den Herzog, verbunden mit Repressionen gegen und der Inhaftierung von Dienstleuten, Kanzleipersonal und Untertanen sowie deren Eidesentpflichtung von ihm, dem Grafen, um die Beschlagnahmung von Kirchengefällen und die Verweigerung der Restitution bereits in der Vergangenheit entzogener sowie den aktuellen Entzug weiterer landsässiger Güter.
Unterstützt wurde die Supplikation wenig später durch eine Anmahnung der Gesandten der weltlichen Kurfürsten beim Kaiser mit der Bitte, den Vollzug der Mandate und die Restitution der Güter des Grafen anzuordnen. In der Erwiderung der CA-Stände vom 17. Juli zur vorläufigen Erklärung des Kaisers forderten sie ohne Abwarten der bayerischen Stellungnahme noch einmal die Exekution der ohnehin rechtsgültigen Urteile des Reichskammergerichts240. In den Beratungen der CA-Stände präsentierte der Graf am 28. Juli eine weitere seiner Supplikationen241. Eine nochmalige Unterstützung erfolgte im Rahmen der größeren Interzession der CA-Stände vom 9. September, mit der sie dem Kaiser eine Supplikation von Ortenburger Untertanen gegen ihre Ausschaffung aus drei Ämtern des Grafen242 sowie als Beilage einen erläuternden Bericht von Ortenburger Beamten übergaben.
Die Verhandlungen zur ersten und den zahlreichen weiteren Eingaben Graf Joachims während des Reichstags, gerichtet erneut an die Reichsstände (sowie eine Supplikation an die Kurfürsten), und zu den bayerischen Gegenberichten243, erfolgten sodann im Supplikationsrat244. Das dort konzipierte Ständedekret vom 6. Oktober bestätigte die Mandate des Reichskammergerichts gegen Herzog Albrecht von Bayern und forderte die Rückgabe der entzogenen Güter an den Grafen, es wies die Klärung der zugrunde liegenden, verfassungsrechtlichen und konfessionspolitischen Streitpunkte aber wie schon der Kurfürstentag 1575 erneut an eine kaiserliche Vermittlungskommission zum gütlichen Vergleich245.
In der Sitzung der CA-Stände am 29. Juni bat daneben der Gesandte Graf Wilhelms von Berg um die Unterstützung der Supplikation an die Reichsstände246 gegen die Konfiszierung von dessen Gütern durch die burgundische Regierung und den Bischof von Lüttich, die er als Religionssache deklarierte und deshalb um die Berücksichtigung in den Gravamina bat247. Er berief sich dafür auf den Beschluss zur entsprechenden Supplikation beim Reichstag 1570248 und die daraufhin trotz der Schreiben und Befehle des Kaisers an König Philipp II., den Herzog von Alba als Statthalter, den Bischof von Lüttich und den Herzog von Jülich nicht vollzogene Restitution.
Die CA-Stände überreichten die Supplikation als Beilage zu ihrer Eingabe am 29. Juni und forderten in ihrer Erwiderung vom 17. Juli zur vorläufigen Erklärung des Kaisers nochmals den Vollzug der Beschlüsse von 1570. Ansonsten spielte die Supplikation im weiteren Verlauf für die protestantischen Religionsdebatten keine Rolle mehr, sondern die Verhandlungen beschränkten sich auf den Supplikationsrat249.
Ebenfalls zum Konfliktfeld mindermächtige Stände gegen höhere Reichsstände gehören die Gravamina der Gebrüder Konrad d. J. und Paul Vöhlin gegen Erzherzog Ferdinand II. von Tirol. Die Vöhlin entstammten einer Memminger Patrizierfamilie, doch gehörte bereits ihr Vater, Konrad d. Ä., nach seiner Übersiedlung seit 1538 dem Augsburger Patriziat an250. Ihre Beschwerde stützte sich auf die entsprechende Eingabe an die weltlichen Kurfürsten beim Wahltag 1575 gegen die konfessionspolitischen Eingriffe Erzherzog Ferdinands als Pfandherr der Reichslandvogtei Schwaben in ihrem Besitz Ungerhausen mit der Beanspruchung der dortigen Oberhoheit251. Beim Reichstag wandten sie sich mit ihrer Supplikation an die CA-Stände, die diese sodann als Beilage zusammen mit der Interzession am 29. Juli dem Kaiser vorlegten252, nachdem sie in der Versammlung der CA-Stände am 28. Juli gebilligt worden war253. Konkret beklagten die Vöhlin, dass die Insinuierung eines Mandats de non offendendo des Reichskammergerichts, das infolge ihrer Klage wegen der Untersagung der seit 40 Jahren in Unterhausen praktizierten CA durch den Erzherzog ergangen war, in Innsbruck unter Drohungen gegen den überbringenden Notar verhindert wurde. Sie stellten die Missachtung des Mandats in einen allgemeinpolitischen Zusammenhang, indem mindermächtigen Ständen die Durchsetzung ihrer Rechte gegen höhere Reichsstände verwehrt werde.
Auch die CA-Stände betonten in ihrer Interzession die Respektierung der Reichsjustiz durch alle Stände als Grundlage der Friedenswahrung im Reich und baten den Kaiser, Erzherzog Ferdinand zur Beachtung des Mandats zu veranlassen sowie die Vöhlin gemäß dem Religionsfrieden bei der Ausübung der CA zu belassen. Auf kaiserlicher Seite sind für den Zeitraum des Reichstags keine Verhandlungen zur Supplikation im Geheimen Rat protokolliert. Lediglich als Reaktion auf die Interzession beim Wahltag 1575 war noch in Wien am 28. Januar 1576 beschlossen worden, Erzherzog Ferdinand dazu anzuhören254.
Als weitere Beilage zur zuvor angesprochenen ersten Supplikation der CA-Stände vom 29. Juni wurde die Bittschrift der Ritterschaft auf dem Eichsfeld, gerichtet an die CA-Stände, gegen die dortige Kurmainzer Rekatholisierungspolitik übergeben. Sie betraf unmittelbar die Hauptintention der ersten Supplikation, die Gültigkeit der Declaratio Ferdinandea, auf die sich die Ritterschaft in ihrem Widerstand stützte. Das Eichsfeld war als Beispiel für die Problematik der Declaratio zuvor von Kurpfalz bereits in der ersten Beratung der Gesandten der weltlichen Kurfürsten am 27. Juni angesprochen worden255. In der Supplikation bezog sich die Ritterschaft auf ihre Eingabe beim Wahltag 1575 gegen die gegenreformatorischen Maßnahmen Kurfürst Daniels von Mainz, die trotz der Interzession der weltlichen Kurfürsten beim Kaiser im Rekurs auf die Declaratio Ferdinandea256. seither von dessen dortigen Funktionsträgern weiter verstärkt worden seien mit der Ausweisung von Prädikanten, der gewaltsamen Einnahme protestantischer Kirchen und deren Besetzung mit Jesuiten. Die Ritterschaft versicherte ihren Gehorsam gegenüber Kurfürst Daniel, berief sich auf dessen Zusicherung der Gewissensfreiheit und reichsrechtlich auf die Ausübung der CA schon vor dem Religionsfrieden, deren weitere Praktizierung gemäß dessen und den Bestimmungen der Declaratio ihnen nicht untersagt werden könne257.
Im weitere Beratungsverlauf forderten in der Versammlung der CA-Stände am 17. Juli die Hessen-Kasseler Gesandten die nochmalige Erwähnung der Supplikation in der Erwiderung der CA-Stände zur vorläufigen Erklärung des Kaisers, deren Konzept hier vorlag. Kurpfalz lehnte dies mit dem Argument ab, die Problematik werde ohnehin mit der Grundsatzfrage der Declaratio Ferdinandea abgedeckt. Eine weitere Intervention erfolgte erst am 9. September mit der größeren Interzession der CA-Stände, in deren Rahmen sie unter anderem die Supplikation der Reichstagsgesandten für die Ritterschaft auf dem Eichsfeld vom 6. September, gerichtet an die CA-Stände258, übergaben. Darin legten die Gesandten anhand einer Beilage aktuelle Gewaltmaßnahmen der Kurmainzer Administration sowie Drohungen gegen die Ritterschaft dar, falls sie an der CA festhielte.
Zusammen damit wurde dem Kaiser wohl eine inhaltlich entsprechende Bittschrift der Eichsfelder Verordneten an die Räte der weltlichen Kurfürsten vom 18. August259 zugestellt. Zudem hatte sich die Ritterschaft selbst mit einer Supplikation direkt an Maximilian II. mit der Bitte gewandt, bei Kurmainz die freie Ausübung der CA zu veranlassen und das gegen den Religionsfrieden verstoßende Vorgehen auf dem Eichsfeld zu unterbinden. Schließlich legten die Eichsfelder Gesandten am 24. September ihre an den Kaiser gerichtete Replik zum Mainzer Gegenbericht zu den Eichsfelder und Duderstädter Supplikationen vor. Sie beharrten darin auf dem Recht zur Ausübung der CA unter Berufung auf den Religionsfrieden und forderten die künftige Klärung gemäß der Zusage Maximilians II. für die allgemeinen Gravamina, indem sie die Einsetzung einer Kommission bei gleichzeitiger Suspendierung der derzeitigen Verbote und Mandate anregten. Die Hessen-Kasseler Gesandten beurteilten in der Versammlung der CA-Stände am 29. September260 diese Kommission allerdings sehr kritisch, weil der Kaiser die Benennung der Kommissare Kurfürst Daniel anheimgestellt hatte261.
Sowohl der Mainzer Gegenbericht als auch die vom Kaiser zugesagte Kommission galten in gleicher Weise für die Beschwerden der Stadt Duderstadt, die ebenfalls die Verhältnisse auf dem Eichsfeld und die Declaratio Ferdinandea betrafen. Eine erste Supplikation von Bürgermeister und Rat der Stadt Duderstadt an die CA-Stände vom 23. Juni262 wurde von Letzteren im Rahmen einer mündlichen Interzession anlässlich der Übergabe ihrer Anmahnung zu den Gravamina am 10. Juli dem Kaiser überstellt. Sie schilderte zum einen die Kurmainzer Eingriffe seit der Visitationsreise des Kurfürsten 1574 mit dem Verbot der seit mehr als 30 Jahren ausgeübten CA, hier wie für das Eichsfeld insgesamt deklariert als Verstoß gegen den Religionsfrieden und die Declaratio Ferdinandea, und beklagte zum anderen das vom Eichsfelder Oberamtmann Leopold von Stralendorf per Mandat verhängte Verbot des Kaufs und Verkaufs von Duderstädter Bier. Der Kaiser sollte deshalb bei Kurfürst Daniel von Mainz die Überlassung von zumindest einer Kirche für die Ausübung der CA und die Rücknahme des Mandats veranlassen263.
Im Verlauf des Reichstags wurden seitens Duderstadts weitere fünf Supplikationen zur Problematik übergeben: 1) Eingabe der Duderstädter Gesandten an die CA-Stände264, von diesen mit ihrer wohl mündlichen Interzession am 29. Juli unverändert dem Kaiser präsentiert. 2) Bürgermeister und Rat an die CA-Stände, eingereicht als Reaktion auf die in der ersten Erklärung des Kaisers zu den Religionsgravamina der CA-Stände angekündigten Klärungsbestrebungen; dem Kaiser als Beilage zur Interzession der CA-Stände vom 9. September vorgelegt. 3) Eine wohl ebenfalls damit dem Kaiser übergebene Supplikation der Duderstädter Gesandten an die Räte der protestantischen Kurfürsten. 4) Supplikation von Bürgermeister und Rat direkt an Maximilian II. 5) Supplikation der Verordneten Duderstadts und der Eichsfelder Ritterschaft an die Gesandten der CA-Stände vom 30. September als Reaktion auf die Erklärung des Kaisers zur zweiten Supplikation der CA-Stände, den kaiserlichen Geheimen Räten wohl vorgebracht anlässlich der Übergabe der letzten Erwiderung der CA-Stände.
Der kaiserliche Geheime Rat hatte zuvor am 19. September die Weitergabe des Mainzer Gegenberichts an die Gesandten Duderstadts und der Eichsfelder Ritterschaft beschlossen265, woraufhin die oben bereits angesprochene Replik der Eichsfelder zum Mainzer Bericht im Geheimen Rat am 22. September vorlag266. Da dort neben der Bitte um die Einsetzung einer Vermittlungskommission die ohnehin bereits am 19. September festgelegte interimistische Rücknahme des Mandats zum Verbot des Duderstädter Bierverkaufs im Mittelpunkt stand, konnte der Geheime Rat nunmehr das entsprechende Schreiben des Kaisers an Kurfürst Daniel von Mainz mit der Aufforderung beschließen, den Bierverkauf freizustellen und Vermittlungskommissare vorzuschlagen. Auch nach der letzten Supplikation beließ es der Geheime Rat am 6. Oktober dabei267.
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass diese und fast alle weiteren Einzelsupplikationen zu Religionsbelangen nicht im eigens angefertigten Reichstagsprotokoll des Geheimen Rates verzeichnet wurden, sondern in dessen allgemeinem Resolutionsprotokoll. Dies lässt darauf schließen, dass die Einzelgravamina und –supplikationen vom Geheimen Rat nicht als Reichs- und damit Reichstagsthemen beurteilt wurden, sondern analog zu anderweitigen Eingaben während des Reichstags an den Kaiser als Privatbelange der jeweils supplizierenden Stände und Städte.
Als weitere Beilage zur ersten Supplikation der CA-Stände vom 29. Juni und ebenfalls im unmittelbaren Kontext mit der Declaratio Ferdinandea wurde dem Kaiser die Bittschrift von Bürgermeister und Rat der Stadt Fulda an den Kaiser und die Reichsstände insgesamt268 mit Beschwerden gegen die gegenreformatorischen Maßnahmen des Fuldaer Abts Balthasar von Dernbach in der Stadt übergeben. Die Problematik war von Kurpfalz am 27. Juni zunächst im Kreis der Gesandten der weltlichen Kurfürsten im Rahmen der Declaratiofrage angesprochen worden; die Supplikation lag sodann im Plenum am 29. Juni vor269. Bürgermeister und Rat schilderten darin die konfessionellen Zwangsmaßnahmen Abt Balthasars in der Stadt seit 1573 mit der Einführung der Jesuiten, dem Verbot der CA-Ausübung, der Schließung von Schulen, der Verpflichtung zur Teilnahme am katholischen Gottesdienst usw., die einen Revers des Abts für die Stadt bei dessen Amtsantritt und gegen die Declaratio Ferdinandea als 'Nebenerklärung' zum Religionsfrieden verstießen, nachdem die CA bereits lange vor dessen Verabschiedung ausgeübt worden sei. Sie baten deshalb um Veranlassung beim Abt, diese 'Neuerungen' zurückzunehmen270.
Der kaiserliche Geheime Rat beschloss in der Sitzung am 11. Juli die Übergabe dieser und weiterer Gravamina an die beklagte Seite um Stellungnahme. Am 19. September entschied er, diese und anderweitige Beschwerden gegen Abt Balthasar bis zur Klärung von dessen Konflikt mit dem Bischof von Würzburg271 zurückzustellen272.
Die Beschlüsse des Geheimen Rates vom 11. Juli und 19. September galten in gleicher Weise für die Beschwerden der Stadt Geisa: Die Supplikation von Bürgermeister und Rat vom 21. Mai 1576, gerichtet an Kaiser und Reichsstände, lag den CA-Ständen ebenfalls am 29. Juni vor273 vor, und sie wurde wie jene Fuldas mit deren erster Eingabe vom 29. Juni dem Kaiser überstellt. Auch Geisa argumentierte gegen das Verbot der CA, namentlich der Kommunion sub utraque, durch den Abt seit dem Frühjahr 1576 mit der bis dahin unbeeinträchtigten Ausübung der CA vor und nach dem Religionsfrieden sowie mit der Declaratio Ferdinandea als dessen Bestandteil.
Im Kontext der Gegenreformation im Reichsstift Fulda richteten als dritte Kommune Bürgermeister und Rat der Stadt Hammelburg eine Supplikation an die CA-Stände274. Sie datiert vom 23. Juni, lag der Kurpfälzer Kanzlei in Regensburg aber erst am 18. August vor und konnte dem Kaiser deshalb erst mit der Interzession vom 9. September übergeben werden. Wie Geisa und Fulda stützte sich auch Hammelburg auf die langjährige Ausübung der CA in der dortigen Pfarrkirche, hier ergänzt um den Anspruch des Rates auf die Besetzung der Kirchenämter, der bisher seitens der Äbte von Fulda oder des Würzburger Domkapitels, die vor der Reformation die Kollatur der Pfarrkirche innehatten, nicht beeinträchtigt worden sei. Dagegen habe Abt Balthasar nunmehr am 6. Mai 1576 einen Jesuiten in der Pfarrkirche eingesetzt. Bürgermeister und Rat beriefen sich in der Bitte um entsprechende Gegenmaßnahmen explizit auf die Declaratio Ferdinandea, um ihr Besetzungsrecht und die weitere Ausübung der CA zu gewährleisten.
Der kaiserliche Geheime Rat beschloss am 19. September auch zu dieser Supplikation, sie bis zur Klärung des Fuldaer Hauptkonflikts zurückzustellen275.
Ebenfalls mit der Interzession vom 9. September und im thematischen Zusammenhang mit der Declaratio Ferdinandea unterstützten die CA-Stände mehrere Supplikationen seitens der und für die Stadt Münnerstadt. Die Eingaben richteten sich gegen die Würzburger Rekatholisierungspolitik in der Stadt, die geteilter Besitz der Würzburger Bischöfe und der Grafen von Henneberg war, indem sie die Unterbindung der dort bereits vor dem Religionsfrieden ausgeübten CA durch Bischof Friedrich von Wirsberg seit 1569 als Verstoß gegen den Religionsfrieden und die Declaratio Ferdinandea sowie gegen ein Dekret des Kaisers und einen Bescheid der Reichsstände zu einer Supplikation der verwitweten Gräfin Katharina von Henneberg, geborene Gräfin von Stolberg, beim Reichstag 1570276 beklagten. Da sich die Rekatholisierungsmaßnahmen, deren Rechtmäßigkeit zudem aufgrund der Durchführung gegen den Widerspruch der Gräfin von Henneberg und der Grafen von Stolberg als gleichberechtigte Obrigkeit in der Stadt bestritten wurde, seit dem Regierungsantritt Bischof Julius' von Würzburg verschärften, bat man die CA-Stände um deren Intervention.
Die Bitten wurden ausgeführt in einer Supplikation von Bürgermeister und Rat der Stadt Münnerstadt an die CA-Stände vom 25. Juli, die unterstützt wurde von einer Eingabe Gräfin Katharinas von Henneberg sowie der Grafen Albrecht Georg und Wolfgang Ernst von Stolberg an die Gesandten der CA-Stände vom 12. Juli277. Diese stützte sich ihrerseits auf die Supplikationen der Gräfin an den Kaiser und an die CA-Stände278 beim Reichstag 1570 sowie die erwähnten Dekrete als Beilagen279.
Mit der Interzession der CA-Stände vom 9. September wurden dem Kaiser allerdings nicht diese Stücke übergeben, sondern eine weitere, von den Verordneten Münnerstadts an die CA-Stände gerichtete Supplikation vom 1. September280. Diese bezog sich auf ein nicht vorliegendes Schreiben der Gräfin Katharina und der Grafen von Stolberg direkt an den Kaiser281 sowie auf eine zwischenzeitliche Erklärung von kaiserlicher Seite, basierend auf dem Gegenbericht Bischofs Friedrichs von Würzburg zur Supplikation vom Reichstag 1570282 und der Antwort des Kaisers an den Bischof283, die den Konflikt an den Rechtsweg verwies. Dieser Lösung widersetzten sich die Supplikationen Gräfin Katharinas von Henneberg vom 23. September284 sowie von Bürgermeister und Rat der Stadt Münnerstadt vom 24. September jeweils an die Gesandten der CA-Stände285: Der gerichtliche Austrag sei nicht möglich, zum einen, weil Münnerstadt kein Reichsstand sei und deshalb am Reichskammergericht keinen Religionsprozess anstrengen könne [!], zum anderen werde die Declaratio Ferdinandea als rechtliche Grundlage eines Verfahrens weder von den geistlichen Reichsständen noch vom Reichskammergericht anerkannt. Sie baten deshalb um die Klärung möglichst noch beim Reichstag.
Der kaiserliche Geheime Rat hatte wohl infolge der Interzession der CA-Stände schon zuvor am 19. September beschlossen, beide Parteien zur gütlichen Vermittlung an den kaiserlichen Hof zu laden286. Dies wiederum lehnte Münnerstadt ab und bat stattdessen um die Einsetzung einer Vermittlungskommission vor Ort. Der Geheime Rat billigte dies am 26. September287. Schließlich sprachen die CA-Stände in ihrer letzten Erwiderung an den Kaiser Münnerstadt kurz an und kritisierten zusätzlich bei deren Übergabe an die Geheimen Räte am 5. Oktober mündlich, dass die Gegenseite sich gegen die Kommission stellen würde288. Bei dieser Gelegenheit erfolgte wohl auch die Vorlage einer letzten Supplikation der Bevollmächtigten der Stadt Münnerstadt an die CA-Stände, in der sie sich gegen vermeintliche Versuche der Würzburger Gesandten verwehrten, die Kommission zu verzögern. Der Geheime Rat wollte dazu zunächst die Erklärung Bischof Julius' von Würzburg abwarten289.
Als letzte Beilage zur ersten Supplikation der CA-Stände vom 29. Juni wurde dem Kaiser eine Bittschrift überreicht, die die Gesandten der Stadt Worms im Auftrag von Bürgermeister und Rat an die CA-Stände gerichtet hatten290. Die Supplikation beklagte Eingriffe in die Ausübung der CA in der Pfarrkirche St. Magnus (St. Mang), obwohl Rat und Bürgerschaft die Kirche vor und nach dem Passauer Vertrag innehatten. Im Einzelnen hatten Bischof Dietrich von Worms sowie Dechant und Kapitel des Stifts St. Andreas (zu dem St. Magnus gehörte) beim Kaiser 1575 ein Pönalmandat veranlasst, das dem Rat auftrug, die Kirche dem Stift St. Andreas gegen eine Geldzahlung zu überlassen. Ein Schreiben des Rates an Bischof Dietrich war ebenso erfolglos geblieben wie Interzessionen protestantischer Kurfürsten und Fürsten. Da dazu und zu einer Bittschrift des Rates an Maximilian II. bisher keine Reaktion erfolgt war, bat man um die neuerliche Wendung an den Kaiser, damit die Stadt beim Religionsfrieden belassen und das Mandat kassiert würde. Als Minimallösung wollte man die Einsetzung einer Kommission oder die Verweisung an das Reichskammergericht akzeptieren291.
Der Geheime Rat beschloss am 11. Juli die Übergabe der Supplikation an die Gesandten des Bischofs von Worms um Gegenbericht292. Weitere Verhandlungen sind nicht dokumentiert.
In ähnlicher Weise betraf die Supplikation der Stadt Regensburg das Verhältnis zwischen Reichsstadt und Bischof: In der Bittschrift an die CA-Stände vom 20. Juli beklagten Kämmerer und Rat der Stadt zum einen die hohen Ausgaben für den Unterhalt der Kirchenämter und Schulen sowie für die Armenfürsorge, zu der die in der Stadt ansässigen Stifte nichts beitragen würden, und zum anderen die beengten Verhältnisse in der protestantischen Neupfarrkirche, die für den Gottesdienst der großen Gemeinde zu klein sei. Sie wollten den Kaiser deshalb um die Veranlassung bitten, dass ihnen gegen die Weigerung des Bischofs das ohnehin baufällige Augustinerkloster für ihre Gottesdienste und das weitgehend leerstehende Schottenkloster als Waisenhaus mit deren Einkünften überlassen würden.
In der Supplikation an Maximilian II. nannten Kämmerer und Rat die gleichen Argumente, ergänzt um den Hinweis darauf, dass das Schottenkloster gemäß der Beilage eine Stiftung der Kaiser sei, während das Augustinerkloster von der Bürgerschaft der Stadt fundiert worden sei293.
Die diesbezügliche Interzession der CA-Stände beim Kaiser wurde am 28. Juli gebilligt294 und zusammen mit weiteren Fürsprachen am 29. Juli übergeben. In der Interzession, der die Supplikationen der Stadt an die CA-Stände und an den Kaiser beilagen, beriefen sich die CA-Stände auf die dort ausgeführten Argumente und baten Maximilian II., der Bitte auch gegen etwaige Einwände von anderer Seite zu willfahren. Am 9. September mahnten die CA-Stände anlässlich der Übergabe ihrer umfassenderen Interzession bei Obersthofmeister Trautson und Reichsvizekanzler Weber einen Bescheid dazu an, woraufhin diese sich lediglich auf eine mündliche Erklärung an die Regensburger Gesandten verwiesen295.
Allerdings hatte der Geheime Rat anlässlich der Vorlage der Interzession der CA-Stände bereits am 11. August beschlossen, zur Angelegenheit den Gegenbericht des Bischofs von Regensburg anzufordern296. Der Bischof wiederum hatte schon am 11. Juli seinerseits eine Klage gegen den Rat eingereicht, der im Schottenkloster einen Pfleger eingesetzt sowie das Archiv des Klosters ins Rathaus geschafft habe, und damit den Beschluss des Geheimen Rates erwirkt, der Stadt die Rücknahme aller Maßnahmen aufzutragen297.
Als weitere protestantische Reichsstadt wandte sich Ulm an die CA-Stände. Bürgermeister und Rat supplizierten allerdings nicht direkt an deren Plenum, sondern die Ulmer Gesandten ersuchten mit ihrer Supplikation zunächst die protestantischen Reichsstädte um deren Interzession bei den höheren CA-Ständen. Sie beklagten, dass Bürgermeister und Rat sowie etliche Bürger der Stadt seit 1568 bei der Erneuerung ihrer Lehen, die sie von Erzherzog Ferdinand II. von Tirol sowie von Christoph Fugger als Pfandinhaber der Herrschaft Kirchberg trugen, die Eidesleistung zu Gott und den Heiligen abverlangt wurde. Da die Eidesformel gegen ihr Gewissen und gegen die Sicherungsklausel der CA-Stände im Religionsfrieden verstoße, baten sie um Maßnahmen der höheren CA-Stände, damit die Stadt Ulm als Reichsstand und deren Bürger beim hergebrachten Eid auf Gott und das Evangelium und somit beim Religionsfrieden belassen würden.
Die protestantischen Reichsstädte legten die Beschwerde ihrer Interzession an die höheren CA-Stände bei, baten um deren Unterstützung mittels der Wendung an Erzherzog Ferdinand, Christoph Fugger oder an den Kaiser und ergänzten als Legitimierung neben dem Religionsfrieden die Eidesformel der Reichskammergerichtsordnung298.
Die von den CA-Ständen am 28. Juli
gebilligte Interzession299 richtete sich an den Kaiser und
stützte sich argumentativ auf die Ulmer Eingabe sowie die
Interzession der
Reichsstädte als Beilagen. Ob die Übergabe an den Kaiser
bereits mit den mündlichen Interzessionen am 29.
Juli300 oder erst im Rahmen der schriftlichen Interzession am 9. September301 stattfand, in der die
Ulmer Belange als Beilagen explizit erwähnt werden, bleibt unklar. Gegen
die Annahme, dass dort zusätzlich zur Intervention vom 29. Juli eine wiederholte oder die Vorlage
neuer Gravamina erfolgte302, spricht, dass neben den erwähnten
keine anderweitigen Ulmer Supplikationen überliefert sind. Zudem lässt
die Forderung Kursachsens in der Beratung am 28.
Juli, die Übergabe der Ulmer Beschwerden noch zur zeit
zurückzustellen303, vermuten, dass diese erst am 9. September erfolgt sein könnte.
Der kaiserliche Geheime Rat beschloss am 19.
September im Gegensatz zu anderen Gravamina nicht die
Überstellung an die beklagte Partei um Gegenbericht, sondern die
Ermahnung Erzherzog Ferdinands II. und Christoph Fuggers, diesbezüglich
die reichsgesetzlichen Vorgaben zu beachten und es dabei zu belassen,
was communis practica
sei304. Dies blieb jedoch
offenbar ohne Konsequenzen, wurde die Beschwerde doch beim Reichstag
1582 wiederholt305.
Diesen Supplikationen protestantischer Reichsstädte stehen die Eingaben protestantischer Bürger unter katholischen Stadtobrigkeiten gegenüber. Dazu gehörten 1576 die Gravamina der Protestanten in der Stadt Biberach306, die ihre Beschwerden, die sie am Wahltag 1575 den weltlichen Kurfürsten vorgebracht hatten307, bekräftigten und ergänzten. Sie richteten sich gegen die Verfassungsänderung mit der Wahlordnung Kaiser Karls V. von 1551, welche die hergebrachte Zunftverfassung durch eine patrizisch-oligarchische Verfassung mit einer eklatanten Bevorzugung der katholischen Minderheiten ersetzt308 und zur Folge hatte, dass nur 200 katholische gegenüber 6000 protestantischen Bürgern das Stadtregiment allein innehatten. Konkret beklagte man die Misswirtschaft des katholischen Rates, die Vetternwirtschaft bei dessen Besetzung, die Vergabe fast aller anderen Stadtämter ausschließlich an Katholiken und die konfessionellen Zwangsmaßnahmen des Rates gegen die protestantische Mehrheit. Die Supplikanten baten, für die Wiederherstellung der freien Ratswahl einzutreten und die Einsetzung einer Kommission zu veranlassen, die die Verhältnisse in der Stadt und die Rechtsverletzungen des Rates prüfen sollte309.
Die CA-Stände reichten die Biberacher Gravamina am 9.
September im Rahmen ihrer Interzession an
Reichsvizekanzler Weber weiter und mahnten bei diesem in der Vorsprache
am 5. Oktober eine Erklärung an. Weber
rechtfertigte sich, in diesem Fall könt man nit helffen
, weil man
aufgrund der fehlenden Unterzeichnung die Kläger nicht kenne310. Dies entsprach dem Beschluss des
Geheimen Rates vom 19. September, es
handle sich bei den Gravamina um ein nicht unterzeichnetes, lauter
famos libell
, zu dem ohnehin bereits ein Gegenbericht des Rates
eingereicht worden sei311.
Ebenfalls zusammen mit der Interzession vom 9. September übergaben die CA-Stände eine an sie gerichtete Supplikation und Interzession der Gesandten der protestantischen Reichsstädte für die protestantischen Bürger der Stadt Schwäbisch Gmünd312. Die Reichsstädte stützten sich auf ihre Interzession beim Wahltag 1575 an die weltlichen Kurfürsten für die wegen des Bekenntnisses zur CA ausgewiesenen oder bedrängten Bürger. Da auf die Bitte der Kurfürsten an Maximilian II. hin313 lediglich der pauschale Verweis beider Seiten auf den Religionsfrieden erfolgte314, habe der Rat seither die Rekatholisierungsmaßnahmen verschärft, um die protestantischen Bürger mit den damit verbundenen Strafen finanziell zu ruinieren oder zum Glaubenswechsel zu zwingen. Die höheren CA-Stände sollten diese Gravamina als allgemeine Religionsbeschwerde berücksichtigen und deren Abstellung befördern315.
Der kaiserliche Geheime Rat befasste sich am 19. September mit der Interzession und beschloss wie in anderen Fällen deren Übergabe an den Rat Schwäbisch Gmünds um Stellungnahme316.
Als weitere Beilage zur Interzession vom 9. September erhielt der kaiserliche Geheime Rat eine Supplikation, die von (in der Unterzeichnung namentlich genannten) protestantischen Bürgern der Stadt Siegburg im Herzogtum Berg an die Gesandten der CA-Stände gerichtet worden war317. Sie beklagten, dass Abt Hermann zu Siegburg den von ihm selbst gemeinsam mit dem Rat der Stadt für die dortige Bürgerschaft eingesetzten evangelischen Prädikanten nach wenigen Jahren wieder abgesetzt und den Bürgern befohlen habe, sich zum Katholizismus zu bekennen oder die Stadt sofort zu verlassen. Der Abt habe viele evangelische Bürger inhaftieren und ihnen jegliche wirtschaftliche Betätigung in der Stadt verbieten lassen. Die Ausgewiesenen dürften Siegburg seither auch nicht für temporäre Handelsaufenthalte betreten. Die Supplikanten beriefen sich dagegen auf die Sicherungsklausel und das ius emigrandi im Religionsfrieden und baten um Interzession beim Kaiser oder den Reichsständen, damit das Vorgehen des Abts unterbunden und ihnen die Rückkehr nach Siegburg sowie das Bekenntnis zur CA ermöglicht werde318.
Der kaiserliche Geheime Rat beschloss dazu am 19. September die Übergabe an die Gesandten des Herzogs von Jülich-Berg um deren Stellungnahme319.
Als letzte Beilage zur Interzession vom 9. September übergaben die CA-Stände dem kaiserlichen Geheimen Rat eine Supplikation, dieGabriel Gaugenrieder, Gerichtsschreiber zu Sünching, an sie gerichtet hatte. Er bekannte sich nach eigener Darstellung seit vielen Jahren zur CA und stand seit zwei Jahren im Dienst Georg Ludwigs von Seinsheim in Sünching. Nachdem er seine am 8. Juni 1576 geborenen Zwillinge in Regensburg evangelisch hatte taufen lassen, wurde er am 18. August durch die bayerische Regierung in Straubing inhaftiert. Seine Entlassung am 27. August erfolgte nur mit der Auflage, das Herzogtum Bayern unverzüglich zu verlassen. Gaugenrieder interpretierte die eilende Ausweisung als Verstoß gegen den geordneten Abzug gemäß dem ius emigrandi des Religionsfriedens320 und bat die CA-Stände, dafür einzutreten, dass er nach Sünching zurückkehren, seine Angelegenheiten ordnen und sich von dort aus einen anderen Dienstherrn suchen könne.
Der kaiserliche Geheime Rat beschloss am 19. September wie meist auch hier die Anhörung der Gegenseite, in diesem Fall der bayerischen Reichstagsgesandten, zur Supplikation321.
Im Gegensatz zum offensiv vorgetragenen Programm der CA-Stände war die Strategie auf katholischer Seite auf die Abwehr der erwarteten protestantischen Ansprüche bezüglich der Declaratio Ferdinandea und der Freistellung bzw. auf die gänzliche Blockade von Religionsdebatten am Reichstag mit dem Ziel ausgerichtet, die Vorgaben des Religionsfriedens in dessen strittigen Artikeln in der katholischen Interpretation zu wahren. Diese Position kam bereits im Vorfeld der Reichsversammlung in den katholischen Korrespondenzen, am Rande von Tagungen einzelner Stände und nicht zuletzt in den Instruktionen für die Reichstagsgesandten deutlich zum Ausdruck322.
Die erhebliche Bedeutung, die die römische Kurie dem Reichstag 1576 zuschrieb, zeigt sich zunächst an der Entscheidung, zusätzlich zu den Nuntien im Reich einen eigenen Legaten nur für die Reichsversammlung zu entsenden und dafür Kardinal Giovanni Morone, einflussreiches Mitglied der Congregatio Germanica und mit den Vorgängen im Reich bestens vertraut, auszuwählen. Die Instruktion und weiteren Gutachten für die Mission Morones gaben die Leitlinien der päpstlichen Politik am Reichstag vor: In der Religionsfrage reaktiv die Abwehr protestantischer Forderungen und, offensiver ausgerichtet, die Rückgewinnung verlorener Hochstifte sowie die Auslotung der Chancen, protestantische Reichsfürsten zur Konversion zum Katholizismus zu bewegen. Daneben standen gleichrangig die Unterstützung des Kaisers in der Türkenfrage und im polnischen Wahlkonflikt sowie das kuriale Projekt einer Türkenliga323.
Ein weiteres Indiz für den hohen Stellenwert des Reichstags aus der Sicht Roms ist die starke Besetzung der kurialen Gesamtvertretung, in die neben dem Legaten die Nuntien Giovanni Dolfin (Delfino)324 und Bartholomeo Portia (Porcia)325 sowie Sekretär Minutio Minucci berufen wurden. Außerdem gehörten ihr unter anderem der Dominikaner Feliciano Ninguarda, der Jesuit Petrus Canisius und der päpstliche Sondergesandte Nikolaus Elgard an326.
Eine erste in den Quellen belegte, umfassendere Beratung von katholischen
Ständen in der Anfangsphase des Reichstags wurde ausgelöst durch die Vorlage
der protestantischen Supplikation vom
29. Juni und der Freistellungsforderung der
protestantischen Reichsgrafen. Die Sitzung wird in keinem der
überlieferten katholischen Kurien- oder Religionsprotokolle aufgezeichnet,
ist aber gleichwohl in einem bayerischen Bericht327 dokumentiert. Demnach kam man in der
Geheimabsprache überein, sich in keinerlei tractat noch disputation in
religions sachen
einzulassen, sondern, wie dies die Räte der
geistlichen Kurfürsten dem Kaiser anschließend verdeutlichten, ehe darvon
zu zihen
, also den Reichstag zu verlassen. Damit drohte für
Maximilian II. zu einem Zeitpunkt, an dem die Hauptverhandlungen noch kaum
begonnen hatten, von katholischer Seite wesentlich deutlicher die Sprengung
des Reichstags als durch die protestantischen Stände, die ihre Eingaben in
diesem Stadium noch nicht mit derlei Pressionen verbanden.
Indes revidierten bereits die Ereignisse am 11. Juli die katholische Blockadehaltung: Im Kurfürstenrat328 gab die oben erwähnte Verweigerung einer unkonditionierten Steuerzusage beim 1. Hauptartikel ohne Berücksichtigung ihres Bewilligungsvorbehalts durch die weltlichen Kurfürsten den Impuls nicht nur für eine vorübergehende Unterbrechung der Hauptverhandlungen, sondern ebenso für nachfolgende Sonderberatungen zuerst der geistlichen Kurfürsten und anschließend der katholischen Stände insgesamt. Diese wurden mitveranlasst durch die Weitergabe der Supplikationen der CA-Stände und der protestantischen Grafen mit Dekret des Kaisers vom 11. Juli an die Mainzer Kanzlei zur Vorlage vor den katholischen Ständen, die daraufhin die Religionsberatungen nunmehr doch aufnahmen, nachfolgend begründet mit der Weigerung der weltlichen Kurfürsten, ohne eine Erklärung zur protestantischen Supplikation eine Beschlussfassung zur Türkenhilfe zu verweigern329:
Nach der Vereinbarung der geistlichen Kurfürsten am 11. Juli, die katholischen Stände einzuberufen330, beschloss deren Plenum am 12. Juli, sich auch künftig auf die Bestimmungen und die Gültigkeit des unveränderten Religionsfriedens zu berufen und keine weiteren Debatten mit den CA-Ständen um die Declaratio Ferdinandea oder die Freistellung zu führen. Deshalb sollte lediglich eine Antwort zum Dekretdes Kaisers, nicht jedoch zu den protestantischen Eingaben, formuliert werden. Dies wurde einem Ausschuss übertragen, der am 13. Juli auf der Grundlage eines Entwurfs der Mainzer Kanzlei eine Erklärung beschloss. Am 14. Juli folgte deren Übergabe an den Kaiser331.
Die Erklärung beschränkte sich auf die Bestätigung des Religionsfriedens in der 1555 verabschiedeten und seither wiederholt konfirmierten Form, welcher die Freistellung und die Bestätigung der Declaratio Ferdinandea, deren Rechtsgültigkeit negiert wurde, zuwiderliefen. Man lehnte jegliche Verhandlungen darüber mit den CA-Ständen strikt ab und bat den Kaiser, diesbezüglich keine Zugeständnisse zu machen.
Ansonsten sind für Letztere in diesem Zeitraum zwar keine konfessionellen Gesamtverhandlungen dokumentiert, indes fanden auf persönlicher Ebene in der ersten Augusthälfte wichtige Gespräche von Reichsfürsten mit dem Kaiser statt. So intervenierte Erzherzog Ferdinand II. von Tirol anlässlich seines kurzen Aufenthalts in Regensburg vom 28. Juli bis 4. August auf die Bitte katholischer Gesandten hin bei Maximilian II., ebenso taten dies Erzbischof Johann Jakob von Salzburg nach seiner Ankunft am 4. August und Herzog Albrecht V. von Bayern in einer Audienz am 14. August. Kurfürst Salentin von Köln wiederum trug seinen Räten vor seiner Abreise auf, bei etwaigen Konzessionen Maximilians an die Protestanten den Reichstag sofort zu verlassen334.
Die informellen Interventionen kumulierten am 15. August anlässlich eines Mittagsmahls des Kurfürsten von Köln, des Erzbischofs von Salzburg und Herzog Albrechts von Bayern mit Gesandten der führenden katholischen Stände, zu dem unvermittelt auch der Kaiser erschien. Dessen Bitte, die Verhandlungsverweigerung mit den protestantischen Ständen in Anbetracht deren Junktims mit der Türkenhilfe aufzugeben, konterten die anwesenden Fürsten und Gesandten ihrerseits mit der Drohung, keine Reichssteuer zu bewilligen, sondern sofort aus Regensburg abzureisen. Maximilian sah sich deshalb gezwungen, seine Zurückweisung des protestantischen Ansuchens und die Wahrung des Religionsfriedens zu versichern335.
Nachdem Maximilian diesen Aussagen entsprechend am 25. August in zwei Erklärungen die protestantischen Forderungen abgelehnt und
lediglich zugesagt hatte, die Gegenseite zur Beachtung des Religionsfriedens
zu ermahnen336, übergab er den katholischen Ständen am 27. August ein Dekret als Stellungnahme zu
deren Erklärung vom 14. Juli, in dem er es wie gegenüber
den CA-Ständen beim Religionsfrieden als Grundlage der Reichspolitik
verbleiben ließ und an sie appellierte, ihrerseits dessen Vollzug so zu
handhaben, dass anderen Ständen und menigclich
– interpretiert als
Hinweis auf das Verhalten gegenüber protestantischen Untertanen - Anlass zu
Klagen gegeben werde. Zudem reichte er seine Erklärung zur ersten
protestantischen Supplikation an die katholischen Stände
weiter337.
Das Dekret Maximilians II. und seine Erklärung zu den protestantischen Gravamina setzten nunmehr aufgrund der verdeckt angesprochenen Mitschuld der Katholiken an den konfessionspolitischen Konflikten im Reich die eigentlichen katholischen Religionsverhandlungen in Gang, die freilich nicht bilateral mit den CA-Ständen, sondern einseitig nur mit dem Kaiser geführt wurden, an den allein sich die bisherigen und die folgenden Eingaben richteten338. Schon am 28. August trat das katholische Plenum zusammen und beschloss, die weitere Beratung zum Dekret des Kaisers einem Ausschuss zu übertragen, an den darüber hinaus etwaige Gravamina von Einzelständen gereicht werden sollten, um sie sodann gesammelt dem Kaiser vorzulegen339.
Aus nicht bekannten Gründen verzögerte sich die erste Sitzung des Ausschusses bis 12. September. Den Impuls für den Zusammentritt an diesem Tag mag die zwischenzeitliche Interzession der CA-Stände für die Gravamina mehrere Stände und die Übergabe der zweiten protestantischen Grundsatzsupplikation am 9. September gegeben haben. Im Ausschuss wurde bereits das wohl von Kurmainz formulierte Konzept für die katholischen Religionsgravamina präsentiert; ergänzend reichten die Eichstätter Gesandten340 und die Stadt Schwäbisch Gmünd eigene Beschwerden ein, die im Ausschuss referiert wurden, in schriftlicher Form aber nicht vorliegen341.
Eichstätt beschwerte sich gegen das Eindringen des Protestantismus in Dörfern, deren Untertanen dem Hochstift unterstanden, sowie gegen den Entzug von Pfründen und Einkünften342. Schwäbisch Gmünd beklagte den anhaltenden Widerstand der protestantischen Bürger mit Unterstützung Herzog Ludwigs von Württemberg gegen die katholische Stadtobrigkeit343.
In der Ausschusssitzung am 13. September344 erweiterte Kurmainz das Programm neben der
Formulierung der eigenen Beschwerden um eine Antwort zum Dekret des Kaisers sowie um
eine etwaige Gegenerklärung zu den protestantischen Gravamina, deren Inhalt allerdings etwa den
Kurtrierer Gesandten nicht bekannt war. Letztlich unterblieb eine
Gegendarstellung zu den einzelnen protestantischen Beschwerdepunkten, da, so
Kurmainz am 16. September, diese ihnen
unbewust
seien345, sondern man beließ es bei einer allgemeinen
Zurückweisung in der Erwiderung an
den Kaiser.
Wie schon am Tag zuvor wurden neuerlich Beschwerden einzelner Stände thematisiert und teils auch präsentiert346, wobei noch offenblieb, ob man diese Einzelgravamina oder nur Beschwerden in generalisierter Form vorbringen sollte. Salzburg votierte für die weitere Aufrechterhaltung des Junktims mit der Steuerverweigerung, falls Maximilian II. sich zuungunsten der Katholiken erklären würde.
Im Plenum der katholischen Stände am 16. September347 verlas Kurmainz das Konzept für die Erwiderung an den Kaiser, das unverändert gebilligt wurde, sowie jenes für die allgemeinen katholischen Gravamina. Zudem wurden nochmals Beschwerden einzelner Stände vorgetragen348, verbunden mit der Frage, ob man diese dem Kaiser übergeben sollte. Man kam überein, darauf zu verzichten, um der Gegenseite keinen Anlass für weitere Religionsdebatten zu liefern, sondern sie nur inhaltlich im Rahmen der allgemeinen Gravamina ohne Nennung der beschwerdeführenden Stände zu berücksichtigen. Auch diese Gravamina sollten mit der gleichen Intention den protestantischen Ständen nicht überstellt werden, sondern der Information des Kaisers über deren Missachtung zahlreicher Vorgaben des Religionsfriedens dienen349.
In der Erwiderung zur Erklärung des Kaisers dankten die katholischen Stände Maximilian für die Bestätigung des Religionsfriedens und seine diesbezügliche Ermahnung der CA-Stände. Ansonsten gaben sie vor, abgesehen von einigen Privatbeschwerden von grundlegenden protestantischen Gravamina keine Kenntnis zu haben und deshalb keine Stellungnahme abgeben zu können. Ihrerseits beteuerten sie die Beachtung des Religionsfriedens trotz der vielfachen Verstöße von protestantischer Seite, für die sie auf ihre beigelegten Gravamina verwiesen und deren Behebung einforderten.
Die Religionsgravamina der katholischen Stände benannten in allgemeiner Form folgende Punkte350: 1) Duldung von Sekten unter dem Deckmantel der CA, gerichtet vorrangig gegen die Gültigkeit des Religionsfriedens für calvinistische Stände und damit gegen Kurpfalz und dessen führende Position bei den protestantischen Verhandlungen. 2) Offensichtliche Missachtung des Geistlichen Vorbehalts durch protestantische Bischöfe und Prälaten. 3) Anhaltende Reformierung und Säkularisierung von Mediatklöstern und Kirchengut nach dem Passauer Vertrag 1552. 4) Gänzliche Aufhebung der geistlichen Jurisdiktion auch in Belangen, für die sie im Religionsfrieden nicht suspendiert wird. 5) Protestantische Eingriffe in das Patronatsrecht mit dem Entzug von Zehnten und 6) der angemaßten Kollatur von Pfarreien in katholischen Territorien. 7) Konfessionelle Zwangsmaßnahmen mächtiger protestantischer Stände in Kondominaten. 8) Bestärkung und Unterstützung protestantischer Untertanen in deren Widerstand gegen katholische Obrigkeiten, insbesondere in katholischen Reichsstädten. 9) In protestantischen Reichsstädten Einzug von diesen nicht unterworfenen Stiften unter Missachtung kaiserlicher Mandate und 10) Ausweitung des Gerichtszwangs auf diese Stifte und deren Geistliche sowie Auflösung katholischer Schulen und Verbot katholischer Predigten. 11) In 1555 gemischt konfessionellen Reichsstädten Unterdrückung und Verdrängung der katholischen Religion, belegt mit konkreten Beispielen351. 12) Öffentliche Schmähungen von Katholiken und deren Ausschluss von Ämtern sowie Verstöße gegen das ius emigrandi.
Nach der Übergabe beider Stücke an die kaiserlichen Räte am 19. September352 wurden die Gravamina im Geheimen Rat am 20. September verlesen. Man beschloss, sie den protestantischen Ständen nicht zu überstellen, um eine Verschärfung der Konfessionsdebatte zu vermeiden. Der Kaiser wurde noch am Nachmittag dieses Tages über die beiden Eingaben der katholischen Stände informiert. Aufgrund deren strikter Ablehnung von Religionsverhandlungen beim und ebenso nach dem Reichstag empfahlen die Geheimen Räte, in der bereits konzipierten Erklärung des Kaisers zur zweiten Supplikation der CA-Stände die Zusage künftiger Beratungen über die Gravamina auf Reichsebene zu streichen. Maximilian II. musste dies billigen353, zumal die parallel laufenden Bemühungen seiner Räte Trautson, Harrach und Viehauser in vertraulichen Gesprächen mit dem Erzbischof von Salzburg sowie den Gesandten der geistlichen Kurfürsten und Herzog Albrechts von Bayern um deren Kompromissbereitschaft ebenfalls erfolglos blieben:
Die Bitte, in Anbetracht der Drohungen und der Steuerverweigerung der protestantischen Stände in ihrer zweiten Supplikation mit einer rechtlich verbindlichen Zusage von Religionsverhandlungen auf einer künftigen Reichsversammlung zumindest etwas Entgegenkommen zu signalisieren, wurde in einer informellen Beratung der genannten katholischen Stände am 19. September zurückgewiesen. Der Beschluss, der den kaiserlichen Räten wohl noch am 19. September im Zusammenhang mit der Übergabe der katholischen Gravamina mündlich vorgebracht wurde, verwehrte sich gegen eine Prorogation und die damit verbundene Verpflichtung auf künftige Debatten um den Religionsfrieden, der damit infrage gestellt oder im protestantischen Interesse interpretiert werden könnte. Dies galt namentlich für das Beharren der katholischen Stände auf dem Ausweisungsrecht für andersgläubige Untertanen, mithin für die Ablehnung jeglicher Bestrebungen um eine Freistellung der Untertanen, wie sie in der zweiten protestantischen Supplikation eingefordert wurde354).
Maximilian II. blieb aufgrund dieser Verweigerung nur die oben355 angesprochene Verpflichtung beider Parteien auf den Religionsfrieden und die unverbindliche Zusage an die Protestanten, auf eine Klärung der Beschwerden bedacht zu sein. Was die katholischen Stände betrifft, so waren deren Religionsverhandlungen nach Aussage der Protokolle und Akten damit abgeschlossen, da der Kaiser ihre Gravamina weder beantwortete noch sie den Protestanten überstellte.
Die Verhältnisse im Reichsstift Fulda nach dem Regierungsantritt Abt
Balthasars von Dernbach 1570 mit den 1573 verstärkt eingeleiteten gegenreformatorischen
Maßnahmen356 waren beim Reichstag 1576 nicht nur Gegenstand
der protestantischen Religionsverhandlungen, veranlasst durch die
Supplikationen der Städte Fulda und Hammelburg357. Im direkten Zusammenhang mit
diesen Beschwerden stand als Konsequenz des Konflikts der fuldischen Stände
insgesamt mit dem Abt, der neben der konfessionspolitischen Komponente auch
den Widerstand gegen die Erweiterung von dessen Herrschaftsbefugnissen
zulasten der Ritterschaft und des Stiftskapitels betraf, die
Auseinandersetzung Abt Balthasars mit Bischof Julius Echter von Würzburg:
Nachdem in der sogenannten Hammelburger Handlung
im Juni 1576 das Stiftskapitel und die Ritterschaft
den als freiwilligen Schritt deklarierten Rücktritt des Abts erzwungen und
die Herrschaftsrechte an Bischof Julius als Administrator des Reichsstifts
übertragen hatten358, wandte sich Balthasar von Dernbach über
Gesandte, die den Rücktritt als gewaltsame Erpressung darstellten,
hilfesuchend sofort an den Kaiser während dessen Aufenthalt am Reichstag.
Aufgrund der Bitten seiner Gesandten, die den Rücktritt als Erpressung
darstellten.
Maximilian II. erklärte daraufhin mit dem Mandat bereits vom 28. Juni an Bischof Julius, das Stiftskapitel, die Ritterschaft des Stifts sowie an Bürgermeister und Rat der Stadt Fulda die Hammelburger Vorgänge für nichtig und befahl den Adressaten die sofortige Restitution des Abts359. Sowohl der Bischof als auch die Fuldaer Stände protestierten gegen das kaiserliche Mandat und verteidigten die Rechtmäßigkeit der Resignation in mehreren Rechtfertigungsschriften, gegen die Abt Balthasar seinerseits Gegendarstellungen einreichte, die Bischof Julius wiederum mit Erklärungen und Supplikationen erwiderte360.
Diese Ausweitung der Debatte und verstärkend wohl eine Eingabe der fränkischen
Reichsritterschaft zugunsten des Fuldaer Adels, die die Bedeutung
der freien Ritterschaft im Reich betonte und dem Konflikt damit eine
allgemein reichspolitische Dimension
verlieh361, veranlassten den Kaiser schließlich, alle Akten und
Eingaben362 mit
seinem Dekret am 1. September den Reichsständen um deren
Stellungnahme zur Frage zu überstellen, ob Kapitel und Ritterschaft den
Anspruch auf Mitregierung zu Recht geltend machten oder ob die erzwungene
Abdankung des Abts als rechtswidrig einzustufen sei363. War der ausgeweitete Fuldaer Konflikt mit
Würzburg bis dahin zumindest auf offizieller Ebene kein Thema des Reichstags
weder in den Kurien noch in den konfessionellen Partikularverhandlungen,
sondern aufgrund der Wendung an den Kaiser allein in dessen Geheimem
Rat364, so gelangte er nunmehr mit dem Dekret Maximilians II. an die
Kurien der Reichsversammlung.
Das kaiserliche Dekret wurde im Kurfürstenrat am 4. September und im Reichsrat am 6. September vorgelegt365. Die anschließende Verlesung der damit den Reichsständen überstellten, höchst umfangreichen Akten beanspruchte zweieinhalb Tage, an denen keine anderweitigen Verhandlungen in den Kurien stattfanden366.
Bei der folgenden Hauptberatung im Kurfürstenrat am 12. September votierten Trier, Köln, Brandenburg und Mainz über die konfessionellen Grenzen hinweg für die vorrangige Restitution des Abts, da dessen von den 'Untertanen' unter Verstoß gegen das Recht erzwungene Abdankung erwiesen sei. Deshalb sollten die kaiserlichen Restitutionsmandate vollzogen und im Anschluss an die Wiedereinsetzung Abt Balthasars der Konflikt mit den Landständen um die beiderseitigen Rechte vor einer Kommission geklärt werden. Kurpfalz und Sachsen dagegen verteidigten das Vorgehen des Würzburger Bischofs, wollten die Mandate suspendieren und zur Aufklärung der Sachlage weitere Zeugen vor einer Kommission anhören bzw. das Reichsstift durch den Kaiser sequestrieren lassen (Sachsen); sie mussten sich allerdings der Mehrheit beugen.
Im Fürstenrat, der sich am 15. September mit der Fuldaer Angelegenheit befasste, sprach sich Österreich ebenfalls für die Sequestration aus. Die Mehrheit schloss sich dem deutlicheren Votum Bayerns und Salzburgs gegen eine derzeitige Restitution des Abts wegen der befürchteten Unruhen bei deren Vollzug gegen den Bischof von Würzburg und die Fuldaer Stände an und befürwortete eine kaiserliche Kommission zur Herbeiführung möglichst einer gütlichen Lösung. Im Anschluss an das Korreferat mit dem Kurfürstenrat am 17. September367 beschloss der Fürstenrat am 18. September mehrheitlich, auf seinem 'milderen' Weg zu beharren und jetzt vorrangig die Sequestration des Reichstifts durch den Kaiser und die anschließende Kommission vorzuschlagen.
Da der Kurfürstenrat ebenfalls am 18. September seinen vorherigen Beschluss bestätigte368 und das Korreferat am 19. September neuerlich keine Einigung zwischen beiden Kurien erbrachte, blieb trotz des Anschlusses der Reichsstädte an die Position des Fürstenrats nur die Verständigung auf eine geteilte Resolution an den Kaiser369. Für diese konnte der Fürstenrat am 26. September durchsetzen, dass darin seine eigenständig formulierte, ausführliche Version der eigenen Sonderresolution370 inseriert wurde371.
In der geteilten Resolution der
Reichsstände sprach sich der Kurfürstenrat mit ausführlichen
Erörterungen der Argumente beider Seiten sowie der allgemeinen Rechtslage
dafür aus, dass der Kaiser als Reichsoberhaupt die Missachtung seiner
Mandate sowie die unrechtmäßige und gewaltsame Absetzung Abt Balthasars
durch die Fuldaer Stände, namentlich das Stiftskapitel, als Untertanen
ahnden, den Vollzug der Mandate und damit die Restitution des Abts
sicherstellen sowie die folgende Aussöhnung mit der Ritterschaft und der
Landschaft mittels der Abklärung der beiderseitigen Rechte durch eine
Kommission einleiten möge. Dagegen verzichtete der Fürstenrat unter Berufung
auf unzureichende Aktenkenntnis auf umfassendere rechtliche Abwägungen und
verurteilte zwar die Absetzung des Abts durch die Landstände privata
autoritate
, er riet aber dennoch von einer Exekution der
kaiserlichen Mandate und der damit verbundenen Anwendung von Gewalt ab, um
den Frieden im Reich nicht zu gefährden, ja einen möglichen
haubtkrieg
zu verhindern. Darüber hinaus berücksichtigte die
Resolution des Fürstenrats das dortige Votum der protestantischen Stände,
das auf die rigide Rekatholisierungspolitik gegenüber den protestantischen
Landständen unter Verstoß gegen den Religionsfrieden rekurrierte und mit
einer etwaigen Restitution des Abts die Rücknahme dieser Maßnahmen verband.
Um alle diese Probleme zu verhindern, empfahl der Fürstenrat dem Kaiser,
eine Kommission zum gütlichen Vergleich einzusetzen und, falls diese
scheitern würde, das Reichsstift zu sequestrieren, eine schriftliche
Beweisaufnahme zu veranlassen und den Konflikt auf deren Grundlage zu
entscheiden. Die protestantischen Stände des Fürstenrats knüpften daran die
Forderung, während der Sequestration die Ausübung der CA durch die Fuldaer
Ritter- und Landschaft zu erlauben372.
Nach der Übergabe der Ständeresolution an den kaiserlichen Geheimen Rat am 29. September373 wurde dort am 5. Oktober der Beschluss des Kaisers gebilligt374. Der Beschluss entsprach im Wesentlichen der Empfehlung des Fürstenrates: Der Kaiser werde das Reichsstift von Bischof Julius von Würzburg abfordern, es vorübergehend von einem Kommissar verwalten lassen, also in Sequester nehmen, und während dieser Zeit den Unterhalt des Abtes sichern, sodann die Parteien an den kaiserlichen Hof vorladen, um nach deren Anhörung den Streit gütlich beizulegen oder gegebenenfalls durch einen kaiserlichen Schiedsspruch zu entscheiden.
Aufschlussreicher als diese knappe Festlegung sind die relativ detailliert
dokumentierten Erörterungen zur causa Fulda im Geheimen Rat am 1. Oktober375:
Zwar wird auch dort der Beschluss zur Sequestration als 'mittlerer Weg'
festgehalten, aber zum einen mit der Zielsetzung verbunden, Abt Balthasar im
Anschluss an die Verhandlungen am kaiserlichen Hof das Reichsstift wieder zu
überlassen. Zum anderen wird klar ausgedrückt, dass im Grunde der
anderslautende Beschluss des Kurfürstenrats zu vollziehen wäre, indem der
Bischof von Würzburg aufgrund seines methodischen, gegen jegliches Recht
verstoßenden Vorgehens zu bestrafen und der Abt sofort zu restituieren wäre,
nec timor armorum hoc loco sit tantus
. Lediglich aufgrund dieser
Befürchtung, die mit der Wiedereinsetzung des Abts gegen den Widerstand der
Fuldaer Landstände und des Würzburger Bischofs einherzugehen schien,
entschied man sich für die Sequestration. Ein abweichendes Einzelvotum gab
Lazarus von Schwendi ab: Er brandmarkte die Rekatholisierungsmaßnahmen Abt
Balthasars, insbesondere die Berufung der Jesuiten, die Deutschland in den
Ruin trieben, als Kernursache des Konflikts, verwehrte sich deshalb
grundsätzlich gegen dessen Restitution in Fulda und forderte, der Kaiser
möge das Reichsstift einziehen und für die Grenzabwehr in Ungarn verwenden
sowie der Ritterschaft und den Untertanen die Religion freistellen. Diesem
Plädoyer Schwendis für die Freistellung376 widersprachen Sigmund Viehauser
und Johann von Trautson ganz entschieden. Es blieb damit beim eingangs
genannten Beschluss für die Entscheidung des Kaisers.
Das Themenspektrum des Reichstags wurde ganz bedeutend erweitert durch dessen Funktion als Forum für die Einreichung von Bittschriften, sogenannten Supplikationen: Untertanen, Körperschaften, Land- und Reichsstände als Petenten nutzten die Gelegenheit der Reichsversammlung, um sich mit ihren Anliegen hilfesuchend an den Kaiser, die Reichsstände oder an beide Adressaten gemeinsam zu wenden. Nähere Hinweise zum Supplikationsverfahren sowie zur Dokumentation der Bittschriften finden sich im Kapitel zur Erschließung der Supplikationen.
Der Reichstag 1576 wurde am 25. Juni mit der Proposition eröffnet und endete nach 16 Wochen am 12. Oktober mit der Verlesung des Reichsabschieds vor den Vertretern der Reichsstände377. Während des Abschlusszeremoniells verstarb gegen 9 Uhr Kaiser Maximilian II.378, in dessen Vertretung König Rudolf II. der Verlesung beiwohnte und im Auftrag seines Vaters, dessen Abwesenheit er mit dem schlechten Gesundheitszustand entschuldigte, die Abschlussrede hielt. Trotz der Absenz und des Todes des Kaisers blieb die Rechtskräftigkeit des Reichsabschieds gewahrt, weil die Verhandlungen zuvor rechtzeitig zum Abschluss gebracht worden waren und das Abschlussdokument noch als Urkunde Maximilians II. formuliert sowie von ihm unterzeichnet wurde. Mit dieser Intention wurde das Ableben des Kaisers den Reichsständen beim Abschlusszeremoniell nicht bekanntgegeben, um den Reichsabschied mit der Verlesung und Besiegelung rechtsgültig in Kraft zu setzen.
Der Reichsabschied als öffentlich greifbares und reichsrechtlich verbindliches Resultat der Reichsversammlung 1576 wiederholte die Hauptartikel gemäß deren Abfolge in der Proposition.
Beim 1. Hauptartikel, der Türkenhilfe, hielt der Abschied (§§ 1-33) die Bewilligung
von 60 Römermonaten beharrlicher Hilfe mit einer Laufzeit von sechs Jahren fest.
Die Summe stellte nach den langen Debatten um die Besteuerungsgrundlage einen
Kompromiss dar zwischen dem Angebot von nur 16 Römermonaten in der Antwort der Reichsstände und der
exorbitanten Forderung nach 132 Römermonaten in der Replik des Kaisers. Sie leitete
gleichwohl im Verhältnis zu den bisherigen Steuerbewilligungen im 16.
Jahrhundert in Anbetracht der Höhe und der Verwendung als präventive Hilfe für
die Türkenabwehr auch im Frieden, auf deren Mitfinanzierung sich die
Reichsstände damit verpflichteten, quantitativ und qualitativ eine neue
Entwicklung ein
379. Daneben regelte der Reichsabschied die
Erlegungsmodalitäten sowie die Sanktionen gegen säumige Untertanen und
Reichsstände. Weitere Beratungen zur reichsständischen Steuerkontrolle sowie zur
Etablierung eines Ritterordens in Ungarn wurden an den projektierten
Reichsdeputationstag 1577 verwiesen.
Die Festlegungen zur Landfriedenswahrung (2. Hauptartikel; §§ 34-51) beschränkten sich im Wesentlichen auf eine unveränderte Wiederholung der Verabschiedung des Reichstags 1570, da die Reichsstände den neuerlichen Versuch des Kaisers, Truppenrekrutierungen an seine Erlaubnis zu binden und damit die Friedenssicherung in seiner Hand zu zentralisieren, wie schon 1570 wieder ablehnten. Obwohl sich die Regelungen von 1570 in der seitherigen Praxis nicht bewährt hatten, unterblieben somit weitergehende Maßnahmen zur Sicherstellung des Vollzugs der gesetzlichen Vorgaben ebenso wie eine Verschärfung der Bestimmungen für Söldnerwerbungen.
Die Verabschiedung zur Reichsjustiz (3. Hauptartikel; §§ 52-64) berief sich ebenfalls auf die Bestimmungen im Reichsabschied 1570 vorrangig zur Beschleunigung des Prozessverfahrens. Ansonsten wiederholte und bekräftigte der Abschied in der Hauptsache die Erläuterungen zur Reichskammergerichtsordnung im Visitationsabschied 1573 (§§ 53-60); dazu kamen ergänzend Klarstellungen zur Besetzung des Reichskammergerichts in konfessioneller Hinsicht sowie die verlängerte Anstellung der 1570 zusätzlich berufenen Assessoren.
Zur Reichsmünzordnung (4. Hauptartikel, §§ 65-82) enthielt der Reichsabschied zwar viele Klauseln, deren Großteil aber auch hier in einer Bestätigung der Verabschiedungen des Reichstags 1570 und des Reichsdeputationstags 1571 für die Sicherstellung der umfassenderen Beachtung und des Vollzugs der Reichsmünzordnung bestand, unter anderem mit Maßgaben gegen die übermäßige Prägung von Scheidemünzen sowie die ordnungswidrige Münzaus- und einfuhr. Weitere Beratungen wurden wie beim 1. Hauptartikel dem künftigen Reichsdeputationstag aufgetragen.
In ähnlicher Weise bot der Abschied zum 5. Hauptartikel (Matrikel; §§ 83-106) eine Neuauflage des 1570 festgelegten, nachfolgend gescheiterten Moderations- und Rektifizierungsverfahrens mit der Ansetzung eines Moderations- und eines nachfolgenden Reichsdeputationstags für das Jahr 1577, ergänzt um den Versuch, die nach 1570 bei den Vorarbeiten in den Reichskreisen und beim Reichsdeputationstag 1571 aufgetretenen Hindernisse für die Durchführung der Maßgaben präventiv auszuschalten.
Die wenigen Bestimmungen zur Rekuperation verlorener Reichsgebiete (6. Hauptartikel, §§ 107-111) beschränkten sich darauf, allgemeine Maßnahmen wie schon 1570 wieder dem Kaiser anheimzustellen und ansonsten im Hinblick auf Livland die Durchführung der 1570/71 beschlossenen Gesandtschaft an Zar Iwan durch eine Konkretisierung der Besetzung und insbesondere der Finanzierung, die in einem nicht für den öffentlichen Druck vorgesehenen Nebenabschied geregelt wurde, zu ermöglichen.
Auch beim 7. Hauptartikel (Session; §§ 112, 113) blieb es aufgrund der Weigerung der Reichsstände, an einer Kommission für die Klärung der Sessionsdifferenzen mitzuwirken, bei der Verabschiedung von 1570.
Ergänzend enthielt der Reichsabschied die oben angesprochenen Maßgaben gegen Wucherverträge (§§ 114-117) im Zusammenhang mit der Reichspoliceyordnung, deren Revision insgesamt dem Reichsdeputationstag 1577 aufgetragen wurde, sowie gegen überhöhte und neue Zölle (§§ 118-120).
Keine Erwähnung fanden und somit nur auf Verhandlungsebene thematisiert wurden der polnische Wahlkonflikt sowie die Reaktionen auf die Werbungen der russischen und der niederländischen Legation.
Gleiches gilt für die gesamte Religionsfrage. Doch eben der Umstand, dass die Religionsproblematik im Reichsabschied keinen Niederschlag fand, belegt den Erfolg des Kaisers und seiner Räte, denen es zwar nicht gelang, die Religionsdebatte gänzlich vom Reichstag fernzuhalten, die aber gleichwohl in den Verhandlungen die Grundsatzforderungen der protestantischen Reichsstände zurückweisen und jegliche rechtlich bindende Zusage für die Zukunft etwa durch deren Festschreibung im Abschied verhindern konnten. Es blieb bei dem nur vage in Aussicht gestellten Bemühen um eine künftige Klärung.
Wie ist der Reichstag 1576 auf der Grundlage dieser Resultate zu beurteilen? Die ältere und neuere Literatur, die umfassender auf den Reichstag eingeht380, setzt im Verhandlungsspektrum der Reichsversammlung teils unterschiedliche Schwerpunkte und kommt auf dieser sowie auf der Basis auch der jeweiligen Quellengrundlage zu differierenden Bewertungen.
Hugo Moritz, der sich in seiner breit angelegten Untersuchung sehr detailliert
mit dem Reichstag auseinandersetzt, legt den Akzent auf den Streit um die
Declaratio Ferdinandea als zentralem Merkmal der Reichsversammlung und kommt zum
Ergebnis, abgesehen von der hohen Türkenhilfe sei eigentlich nichts zustande
gebracht worden
381, da die innenpolitischen Fragen lediglich an
einen Reichsdeputationstag verwiesen und außenpolitische Problemstellungen wie
die Gesandtschaft nach Moskau oder die Positionen im polnischen Wahlkonflikt und
zum niederländischen Krieg nicht abschließend geklärt oder nur schwach
beschieden worden seien.
Demgegenüber relativiert Maximilian Lanzinner die Bedeutung der Religionsdebatte
sowohl für den Kaiser und dessen Räte, die den Streit um die Declaratio als
Nebensache
betrachtet hätten, als auch für den Reichstag insgesamt
gegenüber den im Mittelpunkt stehenden Verhandlungen um die Türkenhilfe sowie
die in deren Rahmen mit den kaiserlichen Steuerprojekten angestrebte
Zentralisierung der Finanzverfassung des Reichs
und den dabei
erreichten Konsens mit der hohen Steuerbewilligung382. Nachfolgend allerdings konzediert Lanzinner, die
Debatte um die Declaratio habe erstmals scharfe Gegensätze der
Konfessionsparteien erkennen
lassen383, während Andreas Edel eben diese
konfessionellen Gegensätze in ihrer Verbindung mit den Steuerverhandlungen
hervorhebt384.
Axel Gotthard stellt beide Sichtweisen gegenüber und kommt zum Ergebnis385, schon 1576 sei die konfessionspolitische Polarisierung deutlich zutage getreten, etwa in den Drohungen beider Seiten, den Reichstag im Falle konfessioneller Zugeständnisse des Kaisers an die jeweilige Gegenpartei zu verlassen, oder in der Negierung der Gültigkeit eines künftigen, mehrheitlich beschlossenen Reichsabschieds durch die protestantischen Stände in ihrer Supplikation vom 9. September. Diese Position sei am Ende des Reichstags zwar nicht mehr mehrheitsfähig gewesen – die Infragestellung des Reichsabschieds wurde im Kontext mit dessen Verlesung und Billigung nicht wiederholt -, sie weise aber voraus auf die konfessionellen Konfrontationen bei den Reichstagen um die Wende zum 17. Jahrhundert.
Am Ende des Reichstags 1576 steht indes doch die ohne Protest akzeptierte Steuerbewilligung für den Kaiser. Letztlich kennzeichnen wohl beide Komponenten die Reichsversammlung: Die Türkenhilfe in einer neuen Höhe belegt die anhaltende Stabilität des Friedenssystems von 1555, und sie markiert zugleich den Beginn der sogenannten 'Türkenreichstage' bis 1603386. Dem stehen die nicht zu leugnenden und den Reichstag 1576 ebenso prägenden konfessionellen Konflikte gegenüber, die die künftig fortschreitende konfessionspolitische Polarisierung im Reich andeuten, deren Eskalation 1576 und bei den folgenden Reichstagen aber die äußere Bedrohung durch das Osmanische Reich als innenpolitisch stabilisierender Faktor hemmte. Somit bildet der Reichstag 1576 eine wichtige Wegmarke in der Entwicklung vom konsolidierenden Augsburger Friedenssystem hin zur krisenhaften Zuspitzung der Reichspolitik am Ende des 16. Jahrhunderts. Er zeigt die konfessionellen Gegensätze in verschärfter Form auf, markiert aber noch keine Zäsur in dieser Entwicklung, sondern belegt die anhaltende Funktionsfähigkeit der Reichsinstitutionen und damit der Reichsverfassung.
Kaiser Maximilian II. ist persönlich anwesend (17.6. – †12.10.1576). In seinem persönlichen Umfeld befinden sich 5 Geheime Räte (davon graduiert: 2)388 sowie 22 Reichshofräte (davon graduiert: 5)389, darunter 13 ordentliche und 9 eigens für den Reichstag benannte Hofräte. Weiters befinden sich im Gefolge des Kaisers Amtsträger der Reichshofkanzlei390.
Nach aktuellem Stand der Aktenauswertung sind 331 Personen am Reichstag nachweislich physisch anwesend (ohne das die Logistik gewährleistenden Personal über zusätzliche Quellen vollständig zu erfassen). Von ihnen sind im Reichsabschied 220 Personen als in Regensburg anwesend ausgewiesen: 29 Herrschaftsträger (13%), 191 Bevollmächtigte (87%). Beinahe jeder zweite Bevollmächtigte ist ein graduierter Jurist (48,6%).
Vertretene Stände nach ständischem Rang | Persönlich anwesende Herrschaftsträger | Bevollmächtigungen (bzw. anwesende Bevollmächtigte)391 | Anwesende Personen gesamt, Ø je Herrschafts-träger bzw. Stand |
Kurfürsten (6): | |||
geistliche (3) | 1392 | 10 (10)393 | 11 10:3 = Ø 3,3 |
weltliche (3) | 0 | 15 (15)394 | 15 15:3 = Ø 5 |
Fürsten (67): | |||
geistliche (36, inkl. 1 Sedisv.) | 7395 | 63 (53)396 | 60 63:36 = Ø 1,8 |
weltliche (31397) | 6398 | 52 (48)399 | 54 52:31 = Ø 1,7 |
Äbte/Äbtissinnen & Schwäbische Prälaten (21400) | 4401 | 23 (18)402 | 19 23:21 = Ø 1,1 |
Grafen, Herren & Grafenkorporationen (55403) | 11404 | 43 (23)405 | 32 43:55 = Ø 0,8 |
Reichsstädte (50406) | - | 70 (46)407 | 46 70:50 = Ø 1,4 |
Gesamt: (199) | 29 | 276 (213) n=191408 |
237 276:199 = Ø 1,4 n=220409 |
Innerösterreich, Herzogtümer | Haus Österreich, dt. Linie |
Provinzen Holland/Seeland | [Haus Österreich, span. Linie]; Wilhelm v. Oranien |
Dänemark und Norwegen, Königreich | (europäisches Gemeinwesen) |
Ferrara, Herzogtum | (europäisches Gemeinwesen) |
Frankreich, Königreich | (europäisches Gemeinwesen) |
Mantua, Herzogtum | (europäisches Gemeinwesen) |
Moskau, Zarenreich | (europäisches Gemeinwesen) |
Papst/Kurie | (europäisches Gemeinwesen) |
Polen-Litauen, Königreich | (europäisches Gemeinwesen) |
Schweden, Königreich | (europäisches Gemeinwesen) |
Spanien, Königreich | (europäisches Gemeinwesen) |
Venedig, Republik | (europäisches Gemeinwesen) |
Auf dem RT 1576 vertretene Reichsstände410 & bisher erschlossene Provenienzen411 (hervorgehoben)
-
Kurfürstenrat
- Köln
- Mainz
- Trier
- Pfalz
- Sachsen
- Brandenburg
Fürstenrat: Geistliche Fürsten
- Salzburg, Erzbistum
- Eichstätt, Hochstift
- Augsburg, Hochstift
- Hildesheim, Hochstift
- Regensburg, Hochstift
- Fulda, Hochstift
- Johanniterorden
- Bremen, Erzbistum
- Besançon, Hochstift
- Deutscher Orden: Ballei Koblenz, Landkommentur; Ballei Elsass und Burgund; Ballei Franken, Kommentur Kapfenburg
- Bamberg, Erzbistum
- Würzburg, Hochstift
- Worms, Hochstift
- Speyer, Hochstift
- Straßburg, Hochstift
- Paderborn, Hochstift
- Konstanz, Hochstift
- Halberstadt, Hochstift
- Lübeck, Hochstift; Verden, Hochstift
- Lüttich, Hochstift
- Minden, Hochstift
- Basel, Hochstift
- Passau, Hochstift
- Ratzeburg, Hochstift
- Trient, Hochstift
- Brixen, Hochstift
- Metz, Hochstift
- Verdun, Hochstift
- Cambrai, Hochstift
- Hersfeld, Reichsabtei
- Kempten, Fürststift
- Murbach, Fürstabtei
- Ellwangen, Fürstpropstei
- Berchtesgaden, Fürstpropstei
- Prüm, Fürstabtei
- Stablo, Reichsabtei
Fürstenrat: Weltliche Fürsten
- Haus Österreich
- (plus: Haus Burgund)
- Bayern, Hgm.
- Pfalz[-Neuburg], Hgm.
- Pfalz[-Veldenz], Hgm.
- Baden[-Baden], Mgft.
- Arenberg, Gft.
- Pfalz[-Simmern], Hgm.
- Pfalz[-Zweibrücken] Hgm.
- Sachsen[-Weimar], Hgm.
- Sachsen[-Coburg], Hgm.
- Brandenburg[-Ansbach], Mgft.
- Brandenburg[-Kulmbach], Mgft.
- Braunschweig[-Wolfenbüttel], Hgm.
- Braunschweig[-Grubenhagen], Hgm.
- Braunschweig[-Lüneburg], Hgm.
- Jülich-Kleve-Berg, Hgmm.
- Pommern[-Stettin], Hgm.
- Pommern[-Wolgast], Hgm.
- Württemberg, Hgm.
- Hessen[-Kassel], Lgft.
- Hessen[-Marburg], Lgft.
- Hessen[-Rheinfels], Lgft.
- Hessen[-Darmstadt], Lgft.
- Mecklenburg[-Güstrow], Hgm.
- Mecklenburg[-Schwerin], Hgm.
- Savoyen, Hgm.
- Baden[-Durlach], Mgft.
- Sachsen[-Lauenburg], Hgm.
- Leuchtenberg, Lgft.
- Anhalt[-Zerbst], Fm.
- Henneberg, Gft.
- Lothringen, Hgm.
Fürstenrat: Prälaten
- Salmannsweiler (Salem) (Schwäb. Reichsprälatenkollegium)
- Weißenau (Schwäb. Reichsprälatenkollegium)
- Petershausen (Schwäb. Reichsprälatenkollegium)
- Kaisersheim (Kaisheim) (Schwäb. Reichsprälatenkollegium)
- Weingarten (Schwäb. Reichsprälatenkollegium)
- Ochsenhausen (Schwäb. Reichsprälatenkollegium)
- Elchingen (Schwäb. Reichsprälatenkollegium)
- Irsee (Schwäb. Reichsprälatenkollegium)
- Roggenburg (Schwäb. Reichsprälatenkollegium)
- Rot a. d. Rot (Schwäb. Reichsprälatenkollegium)
- Ursberg (Schwäb. Reichsprälatenkollegium)
- Schussenried (Schwäb. Reichsprälatenkollegium)
- Obermachtal (Schwäb. Reichsprälatenkollegium)
- Wettenhausen (Schwäb. Reichsprälatenkollegium)
- Ballei Koblenz, Landkommentur
- Kornelimünster
- St. Emmeran/Regensburg
- Werden und Helmstedt
- Walkenried
- Corvey
- Quedlinburg, Frauenstift
- Niedermünster in Regensburg, Frauenstift
- Obermünster in Regensburg, Frauenstift
- Gernrode, Frauenstift
- Rottenmünster, Frauenstift
- Gandersheim, Frauenstift und Wunstorf, Frauenstift
- Andlau, Frauenstift
- Heggbach, Frauenstift
- Gutenzell, Frauenstift
- Baindt, Frauenstift
Fürstenrat: Grafen/Herren, persönlich anwesend
- Oettingen[-Wallerstein], Gft.
- Oettingen[-Oettingen], Gft.
- Fürstenberg[-Heiligenberg], Gft.412
- Zimmern, Gft.
- Schwarzburg[-Arnstadt], Gft., Schwarzburg[-Sondershausen], Gft. und Schwarzburg[-Blankenburg], Gft.
- Limpurg-Gaildorf-Schmiedelfeld, Gft.
- Winneburg-Beilstein, Gft.
- Ortenburg, Gft.413
- Reuß[-Gera], Hft. und Reuß[-Burgk], Hft.
- Schwarzenberg[-Hohenlandsberg], Gft.
- Maxlrain und Waldeck, Hft. 414
Fürstenrat: Schwäbische Grafen, Herren und Banksverwandte
- Fürstenberg[-Heiligenberg], Gft.415
- Buchau a. Federsee, Frauenstift
- Landkommentur der Ballei Elsass und Burgund (Deutscher Orden)
- Tengen, Gft. (Schwäb. Gff. etc.)
- Waldburg, Gft. (Schwäb. Gff. etc.)416
- Königsegg[-Aulendorf], Hft. (Schwäb. Gff.)
- Eberstein, Gft.[?] (Schwäb. Gff. etc.)
- Fürstenberg[-Heiligenberg], Gft.417
- Helfenstein, Gft. und Sulz, Gft.418
- Lupfen, Gft. (Schwäb. Gff. etc.)
- Hohenzollern[-Hechingen], Gft. (Schwäb. Gff. etc.)
- Hohenzollern[-Sigmaringen], Gft. (Schwäb. Gff. etc.) und Geroldseck, Hft. (Schwäb. Gff. etc.)
- Helfenstein, Gft. (Schwäb. Gff. etc.)419
- Waldburg, Gft. (Schwäb. Gff. etc.)420
- Mindelheim, Hft. (Schwäb. Gff. etc.)
- Grafeneck, Hft. (Schwäb. Gff. etc.)
- (Augsburger) Paumgartner, (ehem.) Hohenschwangau, Hft.
Fürstenrat: Wetterauische Grafen etc.
- Nassau[-Weilburg-Ottweiler], Gft. (Wetterauer Grafenverein)
- Naussau[-Wiesbaden-Idstein], Gft. (Wetterauer Grafenverein)
- Nassau[-Saarbrücken-Weilburg], Gft. (Wetterauer Grafenverein)
- Nassau[-Katzenelnbogen-Dillenburg], Gft. (Wetterauer Grafenverein) 421
- Solms[-Braunfels], Gft. (Wetterauer Grafenverein)
- Solms[-Lich], Gft. (Wetterauer Grafenverein) und Solms[-Laubach], Gft. (Wetterauer Grafenverein)422
- Hanau[-Lichtenberg], Gft. (Wetterauer Grafenverein)
- Hanau[-Münzenberg], Gft. (Wetterauer Grafenverein)
- Stolberg, Gft. (Wetterauer Grafenverein)
- Isenburg-Büdingen, Gft. (Wetterauer Grafenverein)423
- Sayn[-Wittgenstein], Gft. (Wetterauer Grafenverein)
- Sayn[-Sayn], Gft. (Wetterauer Grafenverein)424
- Leiningen[-Westerburg in Westerburg], Gft. und Leiningen[-Westerburg in Schaumburg], Gft. (Wetterauer Grafenverein)425
- Justingen, Hft.
- Eberstein[-Rixingen], Gft.[?]426
- Reipoltskirchen, Hft.
- Leiningen[-Westerburg in Leiningen], Gft.427
- Neuenahr-Moers, Gft.
- Honstein, Gft.
- Mansfeld, Gft. [Vorderortische Linie]428
- Waldenburg, Hft.
- Barby-Mühlingen, Gft.
- Reuß[-Burgk], Hft.
- Wied, Gft. (Wetterauer Grafenverein) 429
- Ostfriesland, Gft.430
- Oldenburg und Delmenhorst, Gft.
- Hoya und Bruchhausen, Gft.
- Regenstein (Reinstein) und Blankenburg, Gft.431
- Berg, [Gft./Hft.?]
- Salm, Gft.
- Daun, Gft.432
- Schönburg[-Glauchau], Hft. und Waldenburg, Hft.433
- Sayn[-Sayn], Gft.
- Degenberg, Hft.
- Wolfstein-Sulzbürg, Hft.
- Paumgartner[?]434
- Marschalkzimmern, Hft.
- Egenigen-Osterhoffen, Hft.
- Burgkberg, Hft.
Städterat: Rheinische Bank
- Köln
- Aachen
- Straßburg
- Lübeck
- Worms
- Speyer
- Frankfurt/Main; (mit Befehl von) Wetzlar
- Hagenau; 9 Städte der Landvogtei Hagenau
- Goßlar
- Friedberg
Städterat: Schwäbische Bank
- Augsburg
- Nürnberg; (mit Befehl von) Dinkelsbühl; (mit Befehl von) Nördlingen[!]; (mit Befehl von) Weißenburg am Nordgau
- Ulm; mit Befehl der schwäbischen Reichsstädte (Überlingen, Biberach, Ravensburg, Kempten, Kaufbeuren, Weil, Isny, Leutkirch, Wimpfen, Giengen, Pfullendorf, Wangen, Buchhorn, Aalen, Buchau)
- Esslingen
- Reutlingen
- Nördlingen; (mit Befehl von) Bopfingen
- Rothenburg o. d. Tauber
- Schwäbisch Hall
- Rottweil
- Heilbronn
- Schwäbisch Gmünd
- Memmingen
- Windsheim
- Schweinfurt
- Donauwörth
- Offenburg
- Gengenbach
- Zell a. Harmersbach
- Regensburg; (mit Befehl von) Mühlhausen
- Nordhausen
Verfasst von: Josef Leeb