Briefe 1852
Die untenstehende Briefliste ist mit Klick auf die jeweiligen Kategorien sortierbar. Absender und Empfänger werden nach Familiennamen sortiert.
Die mit * markierten Briefnummern entstammen der ersten Version dieser Edition, in welcher Briefe bis zum Jahre 1880 erschlossen wurden. Briefe ohne alte Numerierung und mit einer Datierung vor 1880 wurden nachträglich eingefügt.
L.2 *R.1 | Alexander Rollett | Emil Rollett | 1852 IX 17 | Baden |
L.3 *R.2 | Alexander Rollett | Emil Rollett | 1852 IX 28 | Baden |
L.4 *R.3 | Alexander Rollett | Emil Rollett | 1852 X 11 | Wien |
L.5 *R.4 | Alexander Rollett | Emil Rollett | 1852 X 29 | Wien |
L.6 *R.5 | Alexander Rollett | Emil Rollett | 1852 XI 6 | Wien |
L.7 | Emil Rollett | Alexander Rollett | 1852 XI 15 | Melk |
L.8 *R.6 | Alexander Rollett | Emil Rollett | 1852 XI 25 | Wien |
L.9 *R.7 | Emil Rollett | Alexander Rollett | 1852 XII 8 | Melk |
L.10 *R.8 | Alexander Rollett | Emil Rollett | 1852 XII 25 | Baden |
L.11 *R.9 | Emil Rollett | Alexander Rollett | 1852 XII 29 | Melk |
Liebster Bruder!
Ohne Dein Schreiben, das Du uns versprochen, abzuwarten, will ich Dir hiemit von uns Nachricht geben und Dich zugleich um Verschiedenes fragen, was mich zu wissen interessiert. Wie wir von Nussdorf nach Wien zurückkamen, ging der Vater zum Herrn Hofmeister im Melkerhof, den wir auch trafen, und dort erfuhren [wir], dass Du heuer in das neue Zimmer kommst, wie der Herr Direktor Norbert schon im vorigen Jahre sagte, ferner, dass die Zahl der Zöglinge 53 sei.
Hierauf wollten wir den Herrn Professor Schuh besuchen, der aber noch auf Reisen ist, und wir konnten daher wieder nichts Bestimmtes über die Vorschriften der medizinischen Studien erfahren. Du kannst mir glauben, dass ich sehr froh wäre, wenn ich schon wie Du alles in Ordnung [hätte], denn diese ewige Ungewissheit ist mir sehr lästig. Ich weiß nicht, was für Professoren ich bekomme, was für Gegenstände im ersten Jahre vorgetragen werden, kurz gar nichts. Du hingegen kannst mir schon schreiben, was im heurigen Jahre alles vorgeschrieben ist.
Eben jetzt kommt Hermine zu mir ins Zimmer und sagt: Von Emil ist ein Brief da. Ich weiß daher schon einiges, um was ich fragte, und da ich nicht gleich wieder um einen Brief bitten kann, so verspare Dir das Übrige aufs nächste Mal.
Ich werde Dir bald wieder schreiben, was es Neues gibt, für jetzt nur etwas Unangenehmes, nämlich dass gegen Vaters Plan, das Tischlerhaus in der Griesen vorgestern verkauft wurde.
Dein Dich liebender Bruder
Alexander
Viele Grüße von Vater und Mutter sowie von allen Geschwistern. – Meine Handküsse an die Herren Direktoren und Professoren, so wie auch viele Empfehlungen vom Vater.
Liebster Bruder!
In diesem Briefe sollst [Du] Neuigkeiten über Neuigkeiten erfahren. Fürs Erste ist in Baden eine ganz kleine Freundin von uns angekommen, die Valerie heißt und unsere Familie um ein Mitglied vermehrte. Die Taufe war gestern, wobei auch Onkel August da war, der Dich herzlich grüßt.
Samstag war ich mit dem Vater in Wien, wo wir uns um alles erkundigen wollten, wir konnten aber gar nichts erfahren, als daß die Einschreibungen erst am 29.d. stattfinden werden. Jetzt aber staune, denn es ist unglaublich, aber wahr, was ich erzähle:
Unser erster Weg in Wien war in's Theresianum und dort sagte uns der Portier, daß erst am 29.d. im Consistorialgebäude bei der Quästur der medizinischen Fakultät eingeschrieben wird. Dieses stand aber schon im Widerspruche zu drei anderen, von uns ausgekundeten Erfahrungen, da nämlich in Baden mehrere Wiener-Doktoren sagten, es werde beim Dr. Schneller, dem Dekan der medizinischen Fakultät, eingeschrieben, der Professor Mautner hingegen sagte, es werde beim Dekan des Professorenkollegiums Dr. Dlauhy eingeschrieben, während von Herrn Horwath behauptet wurde, dass Dr. Fenzl, der Professor der Botanik, die Einschreibungen besorge. Vom Theresianum aus besuchten wir Tante Krikl, die aber nicht zu Hause war, wir sprachen aber mit Julius, der das Jus absolviert und sich jetzt auf die Staatsprüfung vorbereitet; er lässt Dich grüßen. Hierauf gingen wir zu Dr. Fritsch, der aber auch nicht wusste, ob beim Dr. Schneller oder Dr. Dlauhy eingeschrieben wird, sich aber mehr für ersteren entschied; wir gingen hierauf auch wirklich in die Wohnung desselben, trafen ihn aber nicht zu Hause, sondern seine Mutter gab uns die Adresse seiner Kanzlei mit dem Bedeuten, dass die Amtsstunden von 12:00–14:00 Uhr seien. Da es aber jetzt erst 9:30 Uhr war, so gingen wir in die Alservorstadt, um wegen einem Quartier nachzusehen, im Vorbeigehen fragten wir beim Allgemeinen Krankenhaus, ob vielleicht schon Herr Professor Schuh von seiner Ferienreise zurückgekehrt sei, was zwar nicht der Fall war, allein wir fanden hier auch eine Menge, die Kandidaten der Medizin betreffende Kundmachungen, angeschlagen, unter anderem, dass das Heilige-Geist-Amt am 1. Oktober in der Universitätskirche abgehalten wird, welche Bekanntgebung vom Dr. Dlauhy unterfertigt war; deshalb erkundigten wir uns auch sogleich beim Portier des Spitals, bei dem wir auch ein Verzeichnis aller medizinischen Vorlesungen erhielten, um die Wohnung des Dr. Dlauhy, und dieser sagte uns, dass er seine Kanzlei im Josefinum habe, dort begaben wir uns hin, fanden aber nur einige Schreiber, die uns ungenügender Weise antworteten, dass die Einschreibungen erst am 1. Oktober stattfänden, die Vorlesungen aber erst am 17. Oktober beginnen würden. Hierauf gings wieder ans Quartiersuchen und wir fanden endlich auch in der Schlösselgasse eine uns zusagende Wohnung, sie ist im freiherrlich Kirchbergschen Stiftungshause, dieses bildet das Eck von der Herren- und Schlösselgasse, einziehen kann ich aber erst am 3. Oktober und bleibe daher die Zwischenzeit bei Onkel Fritz. Hierauf gingen wir wieder in die Stadt zurück und wirklich noch in die Dekanatskanzlei des Dr. Schneller, er selbst war aber auch nicht da und ein Beamter machte uns Angst, indem er uns sagte, die Einschreibungen seien im Josefinum, wir sollten aber sehr bald dazuschauen, denn wenn die Einschreibungen beendigt, so wird keiner mehr aufgenommen, und es kostet dann eine Menge Laufereien und man müsste sogar beim Ministerium einkommen. Dann gingen wir zu Onkel Fritz und speisten, denn Vater war bei Herrn von Liebenberg geladen, der am 23. September Baden verließ und dem Vater einen sehr schönen silbernen Becher verehrte mit der Inschrift: „Zur dankbaren Erinnerung meiner Genesung – Emanuel Ritter von Liebenberg – Baden, 23. September 1852“. Da bei Liebenberg erst um 16:00 Uhr gespeist wird, hatte ich Zeit, bei Onkel Fritz das oben erwähnte Verzeichnis zu durchblättern.
Fasse Dich, ich teile Dir diese Durchblätterung mit: Die Vorlesungen werden von 7:00 Uhr früh bis 19:00 Uhr abends ununterbrochen gehalten, nicht einmal die Mittagsstunden ausgenommen, hören kann man, was man will und wie man will; höchst fatal ist es also, wenn einen so zufällig die Stunden von 12:00–13:00 oder von 13:00–14:00 treffen, weil man dann wahrlich nicht weiß, wann man speisen soll. Jetzt aber: Wo werden die Vorlesungen gehalten? Sage im Josefinum (Währingergasse), Theresianum (Wieden), Botanischer Garten (Rennweg), im Allgemeinen Krankenhause (Alservorstadt), im St. Anna-Kinderspital (Alservorstadt), im Irrenhause (Alservorstadt), im Universitätsgebäude und im Spital der Barmherzigen Schwestern (Gumpendorf). Nun frage ich Dich, ob da nicht das Aufsuchen eines Quartiers, das Einteilen der Stunden u.s.w. beinahe ein Kopfzerbrechen kostet. Morgen gehen wir wieder nach Wien, gebe Gott! mit besserem Erfolge. Lebe wohl, schreibe bald Deinem Dich liebenden Bruder
Alexander
Meine Adresse bis 3. Oktober ist: Alexander Rollett, Mediziner, Obere Bäckerstraße Nr. 754, 3. Stock, Tür links. Grüße und Küsse von Vater und Mutter und allen Geschwistern ebenso von Frau Großmutter und Tante Flora. Von Vater viele Empfehlungen an die Herren Direktoren und Professoren, sowie viele Handküsse von mir.
Lieber Bruder!
Ich bewohne nun schon seit 4. dieses [Monats] mein Quartier in Wien, hatte aber erst seit 6. Vorlesungen über deskriptive Anatomie von 9:30–10:30 Uhr, die andere Zeit war immer frei; ich füllte sie mit Lektüre aus, denn anderes war nichts zu tun. Ich versichere Dir, wenn man kein Lump ist, so ist Wien äußerst langweilig und nur für denjenigen unterhaltend, der es gerne hat, dass ihm der Kopf vor Getös und Lärm beinahe berstet, der es für ein Vergnügen hält, alle Minuten Rippenstöße zu bekommen oder Gefahr des Niederführens zu laufen. Auf dem Alserglacis wird exerziert, 30 Tamboures schlagen drein, dass einem der Kopf wirbelt. Die Füße muss man sich beinahe ablaufen, von der Alservorstadt ins Josefinum, von da auf die Universität, von da wieder ins Josefinum u.s.w. Alle diese Strapazen würzen noch Lebensbilder und naturgetreue Darstellungen der tierischen Seite des Menschen. Beim Kriminale [?], wo ich alle Tage vorbeigehen muss, ist jetzt einer ausgestellt, der zwei ermordet, dann sich selbst den Hals abschneiden wollte, dabei aber in der Hälfte der Ausführung ertappt wurde und jetzt zum Hängen vollkommen hergestellt ist.
Zwei Weiber zanken sich wegen Wäscheaufhängen, werden handgemein und die eine nimmt eine Hacke und schlägt die andere mir nichts, dir nichts tot. Wahre Begebenheiten, die man hier zu Orte oft sehen und hören kann. Und zu dem Genusse dieses wahrhaft idyllischen Lebens muss man noch Bedeutendes aufwenden, wie Du Dir denken kannst. Kurz, ich wollte, es gäbe ein Buxdehudi und Wien wäre die Hauptstadt davon.
Schreibe mir bald, aber tröste mich nicht, sonst würdest Du aufs kommende Jahr Dich selber Lügen strafen. Lebe wohl glücklicher Landbewohner, Dein in der Stadt hausender guter Bruder
Alexander
Einen Handkuss an die Herren Direktoren und Professoren.
Lieber Bruder!
Da ich glaube, dass nun einmal das ewige Ändern der Stundenverteilung, wie es bisher der Fall war, zu Ende sein dürfte, so schreibe ich Dir meine Tagesordnung, was für Dich nicht ohne Interesse sein wird. Ich höre deskriptive Anatomie bei Herrn Professor Hyrtl täglich mit Ausnahme des Samstags, von 9:30–10:30. An denselben Tagen Mineralogie und Zoologie, erstere bei Herrn Professor Zippe von 11:00–12:00, letztere bei Herrn Professor Kner (bekannt durch die Geologie) von 12:00–13:00, praktische Anatomie im Verlauf des Nachmittags zu verschiedenen Stunden, topographische Anatomie Freitag von 13:30–15:00, Samstag und Sonntag von 7:30–9:00 bei Herrn Professor Hyrtl. Anatomie und Physiologie der Pflanzen, ein sehr interessanter Gegenstand, dem ich große Aufmerksamkeit schenke, bei dem berühmten Professor Dr. Unger, Montag, Mittwoch und Freitag von 18:00–19:30 abends und endlich Hodegetik bei Herrn Professor Seligmann, Samstag von 16:00–17:00 Uhr. Du siehst hieraus, dass ich genug beschäftigt bin, obwohl ich in der Mineralogie rein gar nichts zu tun habe, da wir bis jetzt nur immer die Kristallsysteme durchnehmen und noch nicht einmal mit dem Tesseralsystem fertig sind, was leicht begreiflich ist, da die periodische Entwicklung einer Kristallgestalt aus der anderen und der verschiedenen Kombinationen bis ins kleinste Detail demonstriert wird.
Ich bin gesund und finde mich auch nach und nach in meine Lage.
Gestern ist Graf Franz Palffy gestorben, was für Baden, wie Du selbst urteilen wirst, ein großer Verlust ist.
Auch auf der Schwechat war ich schon, und zwar bei der Taufe des zweitgeborenen Sohnes der Tante Emma. Er heißt Alfred.
Zu Hause geht es allen gut. Schreibe bald, wenn vor Mittwoch, addressiere den Brief nach Baden, da ich Allerheiligen draußen zubringe, später nach Wien, wie sonst Dein Dich liebender Bruder
Alexander
Liebster Bruder!
Da Du in Deinem letzten Schreiben Aufklärung über die Bedeutung der Hodegetik verlangtest, so gebe ich sie Dir wie folgt: Hodegetik ist die Methodologie und Enzyklopädie der medizinischen und auf die Medzin sich beziehenden Wissenschaften. Die Geschichte ihrer allmählichen Entwicklung und die Darstellung ihres Einflusses auf die Vervollkommnung des medizinischen Studiums, wie z.B. der Physik, Chemie, Mineralogie, Botanik, Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie der Pflanzen.
Letztere Gegenstände sind wirklich äußerst interessant und ich erwähne Dir nur einzelne Fälle, nämlich: z. B. Untersuchung der Kartoffelkrankheit, der Traubenfäule, des Kornbrandes und anderer vegetabilischer Krankheitsprozesse und Behandlung derselben; aus dem siehst Du zugleich, mit welchem Eifer man sich auf die botanischen Wissenschaften verlegen kann, und, wenn ich Dir sage, dass diese Studien mir, außer meinem Hauptgegenstande, der Anatomie des Menschen nämlich, das größte Vergnügen bereiten, so wirst Du auch einsehen, von welch großem Vorteile es für mich ist, dass ich mich in Melk mit der Terminologie, Systematik und Nomenklatur dieser so ausgebreiteten Wissenschaft der Botanik einigermaßen bekannt zu machen strebte. Nur möchte ich bei diesen Studien noch in Melk sein, dessen Flora, so mannigfache und schöne Objekte des botanischen Forschens spendet, während man hier nur durch Kohl, Kohlrüben, Kraut, Spinat etc. an das Reich der Vegetabilien erinnert wird. Doch genug hievon, zu etwas anderem.
Ich weiß, wie Du Deine Tage verbringst, ich weiß, wo Du studierst, wo Du isst, wo Du schläfst, und auch Du weißt, dass ich studiere, esse und schlafe; aber wo und wie, das sind die brennenden Fragen, die Du an mich stellst, wie ich glaube, und sie zu beantworten, sammle ich meine Geister. – Beisammen sind wir, fanget an! Denke Dir auf einer Ebene vier in Vierteln geschlossene Wände, die oben von einer Decke verbunden werden, so bildet sich zwischen diesen Integumenten ein leerer Raum, diesen leeren Raum aber hasst die Natur, daher wurde ich hineingesteckt. Denke Dir in einer von diesen Wänden eine Türe, in der anderen ein Fenster, so hast Du ein Zimmer; denke Dir in dieses einen Tisch, ein Sofa, ein Bett, einen Kasten etc., so hast Du eine genügende Vorstellung von meinem Studier- und Schlafzimmer, das beiläufig so lang aber nur halb so breit als die achte Klasse ist. Nun wäre die Beschreibung zu Ende, wenn nicht noch höchst bedeutungsvolle Gemälde zu erwähnen wären, deren Abwesenheit wirklich die höchste Zierde des Zimmers sein würde; allein sie hängen einmal da, und wehe dem, der sich über die Meisterstücke etwas erlaubt. – Ich schildere sie Dir, um den Ruhm ihrer Schöpfer in der Welt zu verbreiten. So wollte sich bei einem (was unverkennbar ist) der Meister zum Übernatürlichen erheben, indem er bei einer Figur des Gemäldes, betitelt: „Die Begegnung“, den Ursprung der Hand von der Schulter auf die Wange verlegte, während sie dem anderen der Begegnenden direkt aus den Rippen herauswächst. Diese merkwürdigen Hände zweier Männer liegen sich ineinander. Die Personen sind wahrscheinlich alte Freunde; übrigens sind mir ihre näheren Verhältnisse nicht bekannt. Das Gegenstück hiezu stellt dieselbe Situation, aber weiblichen Geschlechtes dar.
Ein drittes Gemälde ist so interessant, dass ich nicht unterlassen kann, Dir eine Miniatur-Kopie davon so gut es geht zu liefern, es heißt dieses Gemälde „Wien bei Nacht“ und nimmt sich also aus:
Schon wollte ich Dich ersuchen, die nächste Adresse zu machen: An den Besitzer der berühmten Gemäldegalerie in Wien; allein für diesmal lass es noch. Übrigens ist mein Zimmer nett, und ich bin wirklich sehr zufrieden. Lebe wohl, antworte recht bald Deinem Dich liebenden Bruder
Alexander
An die Herren Direktoren und Professoren meinen Handkuss.
Lieber Bruder!
Ich benütze heute die Gelegenheit, um Dir nach Deinem Wunsche einige Zeilen zu übersenden. Dass es mir gut geht, sage ich Dir hiermit; dass ich nicht viel habe, Dir zu schreiben, kannst Du Dir leicht denken. Gestern wohnten wir einer steirischen musikalisch-deklamatorischen Akademie bei, auch von Saphir wurde ein komisches Liedchen „Der Nordpol“ vorgetragen; überhaupt waren alle Stücke sehr brav, besonders gefielen mir wegen der schmelzenden Harmonie und anmutigen Modulation der Töne steirische Walzer und Ländler sowie ein Jägermarsch, alle auf der Maultrommel oder vielmehr auf mehreren, denn der Mann wechselte nacheinander, je nachdem er Forte oder Piano benötigte, ohne Unterbrechung des Spielers natürlich, mit größter Geschicklichkeit mehrere Maultrommeln. Da fällt mir aber ein, dass ich Dir einen höchst sonderbaren Traum mitteilen kann, so gut ich mich dunkel erinnere. „Es ist Sommer, ich fahre nach Hause und zwar, sonderbar, mit Pferden. Wir, ich und mein Kutscher, gelangen wir etwa nach St. Pölten. Dort ist der Weg so schlecht, dass wir nicht weiterfahren können; wir müssen also nach längerem Suchen einen Seitenweg einschlagen und kommen über die entferntest gelegenen Orte in sonderbare Gemische nach Mariazell, dann (ich lasse eine Menge von Wirrwarr, die mir entfallen ist, aus), gleich außer Mariazell in die Gegend von Baden, aber nicht nach Baden selbst. Ich sehe da ein Gebäude, hinter demselben einen Garten und in demselben Hermine sitzen und stricken, Richard und Adele um sie spielen, und endlich sogar Dich, wie Du mit Leuten sprichst, die unter dem Gesimse des Gebäudes, auf dessen Gestalt und Aussehen ich mich nicht zu erinnern weiß, die Inschrift befestigen ‚Schloss Kuhburg oder vielleicht Ruhburg‘. Ich sehe aus mehreren noch, was ich nicht weiß, dass hier alle wie zu Hause sind, will also absteigen und hingehen, allein ich kann nicht, die Pferde laufen fort, endlich spring ich aus und werde wach.“ Du lachst über den Traum, ich auch, halb und halb betrauere ich, dass man sich im Traume leider nur Luftschlösser baut.
Schließlich bemerke ich noch, dass Dir das Gegenstück zu „Wien bei Nacht“ abgeht. Ich wüsste ein passendes: „Den Durchzug der Israeliten durchs Rote Meer“ oder vielmehr die Verfolgung des Pharao mit seinen Leuten, welche aber nicht mehr sichtbar sind, weil sie das Meer schon verschlungen hat.
Lebe wohl Dein Dich liebender Bruder
Emil
Melde einen Handkuss an Tante Ida, an Großpapa, Onkel Fritz und an Rosa viele Küsse und Grüße.
Dieser Brief erliegt im Stadtarchiv Baden im Nachlass Alexander Rollett.
Liebster Bruder!
Triumph! Du hast mein Streben erkannt und mir willfahren. Ich wusste nicht, wie ich es anstellen sollte, Dir beizubringen, dass ich ungelesene Korrespondenz mit Dir halten kann. Ich dachte mir, er wird doch aus meinen faden Briefen sehen, dass meine Zunge gebunden und mir Wege bahnen, jene fremden ungeladenen Augen zu umgehen. Erfahre also alles, was Du noch nicht weißt, ich spreche von der Leber weg.
Meine Wohnung in Wien ist schön, ich werde auch gut bedient, d.h., es wird mir aufgebettet, ausgekehrt, aufgeräumt und alles geholt, was ich brauche, z.B. Wasser, Brot, Semmeln, Milch, Papier, Tinte etc., kurz, was ich will, durch die Tochter meiner Zimmerleute. Mein Frühstück mache ich mir selber auf einem Schnellsieder; Holländertee, weil es nicht so viele Umstände macht als Kaffee. Das lästigste ist mir, dass ich mir meine Stiefel selbst putzen muss; besonders diese Woche bin ich als Wichser sehr in Anspruch genommen, da es in einem fort regnet. Essen geh ich jetzt in ein Privatkosthaus, wo ich um 10 Kreuzer ein ordentliches Mittagsmahl bekomme, nämlich Suppe, ein schönes Stück Fleisch und beiläufig 3mal so viel Zugemüse, als ihr in Melk auf eine Portion bekommt, also genug; wenn ich noch eine sehr gute Mehlspeis essen will, so zahle ich um 4 Kreuzer mehr, dabei ist das Brot schon eingerechnet. Jause und Nachtmahl ist eines, da kaufe ich mir Käse, Würstel, Schuster, die bei den Medizinern in hohem Ansehen stehen, und dergleichen mehr. Mit Frühstück brauche ich also im Tage durchschnittlich 18 [Kreuzer], Zins zahle ich 6 fl.
Alle Sonntage speise ich bei Onkel Fritz und muss dann immer den ganzen Nachmittag dort bleiben, was ich aber schon besprochen und dahin berichtet habe, dass es nicht sein kann, weil mich die Studien beschäftigen.
Du schreibst mir von einem Büchlein, welches euch so viel zu schaffen macht, suche in das Zimmer des Direktors zu kommen (es geht ja leicht), schau Dir den Titel gut an und schreibe mir ihn dann, so schicke ich Dir den ganzen Schmarrn, er wird schon in Wien irgendwo zu kaufen sein. Tue es gewiss oder wenn Du nicht kannst, so schreibe mir den Grund des Nichtkönnens, vielleicht lässt sich anders Rat schaffen.
Die Universitätsbibliothek ist mir geöffnet, ich kann lesen, was ich will, ich geh meistens Samstag hinein, wo ich mich historischen Studien widme. Hier sind alle Übersetzbücher und -büchlein vom Latein ins Deutsche und vom Deutschen ins Latein aufgespeichert, ich kann davon beliebige Einsicht nehmen, wenn ich in der philologischen Abteilung nachschaue, schreibe mir daher, was ihr beiläufig für Ausarbeitungen bekommt, vielleicht finde ich sie irgendwo. Lieber ist es mir aber, wenn Du mir gleich den Titel dieses Büchleins schreibst. Vorige Woche war ich stark strapaziert, auch Grund, warum ich Deinen Brief nicht beantwortete. Ich hatte nämlich immer zu sezieren. Du kannst Dir denken, wie es einem das erste Mal dabei geht, übrigens habe ich gehörig herumgeschnitten, nur das war ungustios, dass das Individuum an Phlebitis (Eiterung in den Gefäßen von φληβη = Ader) gestorben war und daher der Gestank und die Gefahr des Schneidens gleich groß waren.
Heute war in Wien großes Spektakel, denn es wurde einer aufgehängt, der zwei Juden umgebracht und die Schuld auf seinen Vater gab, bis es endlich doch erwiesen, dass er der Täter war. Leider traf seinen unschuldigen Vater in der Bestürzung der Schlag. Dieser Mensch sollte schon vor 14 Tagen erhängt werden, versuchte es aber zweimal sich den Hals abzuschneiden, wurde immer entdeckt, wieder geheilt und heute zum Galgen abgeführt, wie ich soeben bei Tische erfuhr, soll er aber eben, als man ihn aufziehen wollte, verschieden sein. Er war aus einem guten Hause, der Sohn eines reichen Kaufmannes, er hatte sehr viele Verwandte in Wien, die sich zu den größten Opfern bereit zeigten, ihn von dieser Schande und Galgenstrafe zu befreien, allein alle Bemühungen waren umsonst; morgen seh ich den Kadaver im Seziersaale.
Schreibe mir, wie es Heiss, Haas etc. geht, was ihr immer macht, wohin euer Spaziergang geht, ob ihr an mich denkt, wenn ihr auf die Straße geht, den Weg machten wir ja so oft miteinander. Und ich hoffe, wir werden ihn auch heuer noch miteinander machen, denn ich komme für jeden Fall nach Melk; ich werde den Vater recht sehr bitten, mir es zu erlauben. Ich schreibe Dir nächster Tage wieder, hoffe aber, ein ganz kurzes Schreiben von Dir sehr bald zu erhalten, wenn Du kannst natürlich, obiger Angelegenheit (des Büchleins) halber. Leb wohl! Dein Bruder
Alexander
Dein Brief ging erst am 24. November von Melk weg, wie ich aus dem Poststempel sehe.
Liebster Bruder!
Dein letzter Brief war mir sehr überraschend. Ich wünsche Dir viel Glück, eine gute Stimme und zartes Gehör zu Deinem neuen Studium. Es ist eine recht schöne Stimme, zweiter Tenor, wenn ich jetzt singen lernte, ich wünschte mir auch keine andere. Weil ich eben von Stimme rede, die vergangene Woche hatte ich wirklich eine sehr miserable. Volle acht Tage hatte ich mit Heiserkeit, Halsweh, Brustweh, Kopfweh, Nasenweh vulgo Schnupfen zu tun; es ist das ein recht verdrießlicher Zustand, den ich nicht sobald wieder bekommen möge. Melde meinen Handkuss an Frau von Lindner und einen Gruß an ihren Sohn, Du wirst sie wohl recht oft besuchen müssen. Wundere Dich nicht über die Kürze meiner Briefe, ich wüsste nicht, was ich Dir sonst schreiben kann.
Lebe wohl, es küsst Dich Dein Bruder
Emil
Lieber Bruder!
Lange schon hatte ich mir vorgenommen, Dir zu schreiben, konnte aber nie dazu kommen, da ich täglich im Seziersaale sehr viel zu tun habe. Ich befinde mich seit Donnerstag in Baden und werde wahrscheinlich bis 3. Jänner da bleiben. Du wirst vielleicht gehört haben, dass das Ministerium für heuer die Weihnachtsferien einstellen wollte; allein unsere Professoren wollen Ruhe haben und nahmen daher selbst Urlaub, was uns zu Gute kommt. Professor Hyrtl sagte einst nach einer Vorlesung: „Meine Herren, es geht das Gerücht, dass uns heuer die Weihnachtsferien genommen werden sollen, zu meiner Zeit waren Ferien, wir werden daher heuer in medio virtus machen und keine obligaten Vorlesungen halten, sondern nur unobligate, d.h. wer in den Seziersaal kommen will, der komme, wer nicht will, der bleibe aus, ich werde dort einiges demonstrieren“. So haben wir also trotz des Ministerialerlasses [frei], unter uns gesagt.
Castaldo ist nach Hause und wird euch in Melk besuchen, ich habe ihm Küsse und Grüße aufgegeben. Schreibe mir, wie es Dir geht, was Du die Feiertage machst etc. etc.; ich glaube aber, es wird eher, als Du diesen Brief bekommst, von Dir einer abgehen. Vater, Mutter, alle befinden sich wohl und sind sehr vergnügt über ihre Weihnachtsgeschenke. Auch Du wurdest bedacht, indem Dir die Schwestern etc., ich darf’s nicht sagen, damit Du überrascht bist.
Lebe wohl Dein Dich liebender Bruder
Alexander
Meine Handküsse an die Herren Direktoren und Professoren. Der beiliegende Brief Toni’s hätte schon an Deinem Geburtstag eintreffen sollen, da aber Vater nicht Zeit hatte, Dir zu schreiben, so wird er hier beigelegt. Vater, Mutter, Großmutter, Onkel August, der eben in Baden ist, sowie alle Geschwister lassen Dich küssen und grüßen.
Lieber Alexander!
Ich dachte mir ohnehin, dass Du Weihnachten in Baden zubringen wirst und lege diesen Brief bei, dass es gleich in einem geht. Mir geht es gut, ein Nachzügler meiner Unpässlichkeiten, ein sehr schmerzliches Ohrenstechen, ist nun auch vorüber und so befinde ich mich die Ferien hindurch, die vom vergangenen Freitag bis Montag dauern, recht wohl. Ich habe mehreres zu arbeiten, zu lesen. Abends spiele ich manchmal Schach etc., Du weißt ja, wie es geht. Du wirst wohl oft von medizinischen Sachen sprechen, wenn Du nachmittags den Vater begleitest, einst werde auch ich mich beteiligen und freue mich schon darauf. Am Neujahrstage trifft mich wieder dasselbe Geschäft wie im vorigen Jahre. – Unterhalte Dich recht gut die paar Ferientage, wenn ich so sagen darf. Ich schließe mit den herzlichsten Glückwünschen zum neuen Jahre. Es küsst Dich Dein guter Bruder
Emil
An meine Geschwister richte die herzlichsten Glückwünsche, Grüße und Küsse aus.