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Intentionalität, 1932
Ludwig Wittgenstein
Quelle
Ludwig Wittgenstein: "Intentionalität", in: Ein Reader, hrsg. von Anthony Kenny. Stuttgart: Reclam 1994, S. 85-86, 94. ISBN: 3-15-009470-4. Aus: Philosophische Grammatik, in: Werkausgabe in 8 Bde., hrsg. von Rush Rhees. Bd. 4. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1993, S. 102 f. ISBN: 3-518-28104-6.
Erstausgabe
Philosophische Grammatik [1913], hrsg. von Rush Rhees. Oxford: Basil Blackwell 1969. Wittgensteins Philosophische Bemerkungen und seine Philosophische Grammatik basieren auf den Manuskriptbänden I-X. Texte erstmals vollständig und absolut werktreu in der Wiener Ausgabe veröffentlicht. Bd. 5. Philosophische Grammatik (1996) [Mss113, 114]. Bd. 4. Bemerkungen zur Philosophie, Bemerkungen zur philosophischen Grammatik (1995) [Mss111, 112]. [Engl.] Philosophical Grammar, hrsg. von Rush Rhees, übersetzt von Anthony Kenny. Oxford: Basil Blackwell 1974.
Genre
Essay
Medium
Bild
[85] „Das soll er sein“ (dieses Bild stellt ihn vor), darin liegt das ganze Problem der Darstellung.
Was ist das Kriterium dafür, wie ist es zu verifizieren, daß dieses Bild das Porträt dieses Gegenstandes ist – d. h., ihn darstellen soll? Die Ähnlichkeit macht das Bild nicht zum Porträt (es könnte dem Einen täuschend ähnlich und dabei das Porträt eines Andern sein, dem es weniger ähnlich sieht).
Wie kann ich wissen, daß er das Bild als Porträt des N meint? – Nun, etwa indem er‘s sagt, oder drunter schreibt.
Welchen Zusammenhang hat das Porträt des N mit ihm? Etwa den, daß der Name darunter steht mit dem er angeredet wird.
Wenn ich mich an meinen Freund erinnere, ihn „vor mir sehe“, was ist hier der Zusammenhang des Erinnerungsbildes mit seinem Gegenstand? Die Ähnlichkeit?
Nun die Vorstellung als Bild kann ihm nur ähnlich sein.
Die Vorstellung von ihm ist ein ungemaltes Porträt.
Ich mußte auch in der Vorstellung seinen Namen unter das Bild schreiben, damit es zur Vorstellung von ihm wurde.
Ich habe den Vorsatz eine bestimmte Handlung auszuführen, ich hege einen Plan aus. Der Plan in meiner Seele soll darin bestehen, daß ich mich das und das tun sehe. Aber wie weiß ich, daß ich es bin den ich sehe? Nun ich bin es ja [86] nicht, sondern etwa ein Bild. Aber warum nenne ich es mein Bild?
„Wie weiß ich, daß ich es bin“: die Frage hat Sinn, wenn es z. B. heißt: „wie weiß ich, daß ich es bin, den ich dort sehe“. Und die Antwort gibt Merkmale, nach denen ich zu erkennen bin.
Daß aber mein Vorstellungsbild mich vertritt ist meine eigene Bestimmung. Und ich könnte ebensogut fragen: „woher weiß ich, daß das Wort ‚ich‘ mich vertritt?“, denn meine Gestalt im Bild war nur ein anderes Wort „ich“.
[…] [94] […] „Nur das intendierte Bild reicht als Maßstab an die Wirklichkeit heran. Von außen betrachtet steht es gleich tot und isoliert da.“ Es ist als hätten wir ein Bild erst so angeschaut, daß wir in ihm leben und die Gegenstände in ihm uns als wirkliche umgeben, und dann träten wir zurück und wären nun außerhalb, sähen den Rahmen und das Bild wäre eine bemalte Fläche. So, wenn wir intendieren, umgeben uns die Bilder der Intention und wir leben unter ihnen. Aber wenn wir aus der Intention heraustreten, so sind es bloße Flecke auf einer Leinwand, ohne Leben und ohne Interesse für uns. Wenn wir intendieren leben wir unter den Bildern (Schatten) der Intention zugleich mit den wirklichen Dingen. Denken wir, wir sitzen im verdunkelten Kino und leben im Vorgang des Films. Der Saal werde nun erhellt aber das Lichtspiel auf der Leinwand gehe weiter. Aber jetzt sehen wir es plötzlich „von außen“ als Bewegungen von lichten und dunkeln Flecken auf einer Leinwand. […]
Ludwig Wittgenstein: Intentionalität, 1932