Realität und Wirklichkeit in der Moderne

Texte zu Literatur, Kunst, Fotografie und Film

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Interview with Samuel Wagstaff Jr., 1966

Tony Smith

Quelle

Tony Smith: "Interview with Samuel Wagstaff, Jr.", in: Charles Harrison/Paul Wood (Hrsg.): Kunsttheorie im 20. Jahrhundert. Künstlerschriften, Kunstkritik, Kunstphilosophie, Manifeste, Statements, Interviews. Für die deutsche Ausgabe ergänzt von Sebastian Zeidler. Bd. II. 1940 – 1991. Übersetzt von Jürgen Blasius u.a. Ostfildern-Ruit: Verlag Gerd Hatje 1998, S. 913. ISBN 3-7757-0739-5.

Erstausgabe

"Talking with Tony Smith" [interview by Samuel Wagstaff, Jr.], in: Artforum 12 (1966), S. 18-19.

Genre

Interview

Medium

Kunst

[913] Kunst halte ich für etwas ungeheuer Großes, Ausgedehntes. Ich glaube, Schnellstraßensysteme stürzen deswegen ein, weil sie keine Kunst sind. Die heutige Kunst ist Briefmarkenkunst. […] Wenn ich an Kunst denke, dann in einem öffentlichen Kontext, nicht im Sinne von transportablen Werken. Kunst ist einfach da. […]

Als ich Anfang der fünfziger Jahre an der Cooper Union unterrichtete, erzählte mir jemand, wie ich auf den noch unfertigen New Jersey Turnpike kommen könnte. Ich nahm drei Studenten mit und fuhr von irgendwo in den Meadows nach New Brunswick. Es war stockfinstere Nacht, und es gab keine Beleuchtung, keine Fahrbahn- oder Randmarkierungen, überhaupt nichts außer dem dunklen Asphalt, der durch flaches Land führte, das in der Ferne von Hügeln gesäumt und durch aufragende Bauwerke, Rauch und farbige Lichter unterbrochen wurde. Diese Fahrt war eine aufschlußreiche Erfahrung. Die Straße und vieles an der Landschaft war künstlich, und doch konnte man sie nicht ein Kunstwerk nennen. Andererseits gab sie mir etwas, was mir die Kunst nie gegeben hatte. Zuerst wußte ich nicht, was, aber die Wirkung war, daß es mich von vielen Ansichten befreite, die ich über Kunst gehabt hatte. Da gab es offenbar eine Wirklichkeit, die in der Kunst bisher keinen Ausdruck gefunden hatte.

Die Erfahrung auf der Straße war etwas planhaft Strukturiertes, aber nicht gesellschaftlich Anerkanntes. Ich dachte damals: Es dürfte wohl klar sein, daß dies das Ende der Kunst ist. Nach einer derartigen Erfahrung kommt einem die meiste Malerei ganz schön bildhaft vor. Es gibt keine Möglichkeit, diese Erfahrung einzurahmen, man muß sie einfach machen. Später entdeckte ich in Europa ein paar verlassene Flugzeugrollbahnen – aufgegebene Arbeiten, surrealistische Landschaften, etwas, dem jede Funktion fremd ist, erschaffene Welten ohne Tradition. Eine künstliche Landschaft ohne Beispiel in der Kultur tat sich mir auf. In Nürnberg gibt es einen Exerzierplatz, der groß genug ist, um zwei Millionen Menschen Platz zu bieten. Das ganze Gelände wird von hohen Einfassungen und Türmen umschlossen. Der Zugang besteht aus drei Betonstufen, jede vierzig Zentimeter hoch, die sich ungefähr anderthalb Kilometer weit erstrecken. […]

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Themen

  • Struktur-Verhältnis-Funktion
    • Wirklichkeit
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Tony Smith: Interview with Samuel Wagstaff Jr., 1966

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