Realität und Wirklichkeit in der Moderne

Texte zu Literatur, Kunst, Fotografie und Film

TEI DownloadPermalink: http://gams.uni-graz.at/o:reko.sche.1800

System des transscendentalen Idealismus, 1800

Friedrich W. J. Schelling

Quelle

Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: Werke 9. System des transscendentalen Idealismus (1800). Teilbd. 1. Editorischer Bericht zur Edition des Textes. Text, hrsg. von Harld Korten/Paul Ziche. Stuttgart: Frommann-Holzboog 2005, S. 29-48, 55-58, 64-68, 74-78, 307-330. ISBN 3-7728-1903-6.

Erstausgabe

System des transscendentalen Idealismus. Tübingen: Cotta 1800

Genre

Abhandlung

Medium

Kunst

[29] EINLEITUNG

§. 1.

Begriff der Transscendental-Philosophie.

1. Alles Wissen beruht auf der Uebereinstimmung eines Objectiven mit einem Subjectiven. – Denn man weiß nur das Wahre; die Wahrheit aber wird allgemein in die Uebereinstimmung der Vorstellungen mit ihren Gegenständen gesetzt.

2. Wir können den Inbegriff alles blos Objectiven in unserm Wissen Natur nennen; der Inbegriff alles Subjectiven dagegen heiße das Ich, oder die Intelligenz. Beide Begriffe sind sich entgegengesetzt. Die Intelligenz wird ursprünglich gedacht als das blos Vorstellende, die Natur als das blos Vorstellbare, jene als das Bewußte, diese als das Bewußtlose. Nun ist aber in jedem Wissen ein wechselseitiges Zusammentreffen beider (des Bewußten und des an sich Bewußtlosen) nothwendig; die Aufgabe ist: dieses Zusammentreffen zu erklären.

3. Im Wissen selbst – indem ich weiß – ist Objectives und Subjectives so vereinigt, daß man nicht sagen kann, welchem von beiden die Priorität zukomme. Es ist hier kein Erstes und kein Zweites, beide sind gleichzeitig und Eins. – Indem ich diese Identität erklären will, muß ich sie schon aufgehoben haben. Um sie zu erklären, muß ich, da mir außer jenen beiden Factoren des Wissens (als Erklärungs-Princip) sonst nichts gegeben ist, nothwendig den Einen dem andern vorsetzen, von dem Einen ausgehen, um von ihm auf den andern zu kommen; von welchem von beiden ich ausgehe, ist durch die Aufgabe nicht bestimmt.

4. Es sind also nur zwei Fälle möglich.

[30] A. Entweder wird das Objective zum Ersten gemacht, und gefragt: wie ein Subjectives zu ihm hinzukomme, das mit ihm übereinstimmt?

Der Begriff des Subjectiven ist nicht enthalten im Begriff des Objectiven, vielmehr schließen sich beide gegenseitig aus. Das Subjective muß also zum Objectiven hinzukommen. – Im Begriff der Natur liegt es nicht, daß auch ein Intelligentes sey, was sie vorstellt. Die Natur, so scheint es, würde seyn, wenn auch nichts wäre, was sie vorstellte. Die Aufgabe kann also auch so ausgedrückt werden: Wie kommt zu der Natur das Intelligente hinzu, oder wie kommt die Natur dazu, vorgestellt zu werden?

Die Aufgabe nimmt die Natur oder das Objective als Erstes an. Sie ist also ohne Zweifel Aufgabe der Naturwissenschaft, die dasselbe thut. – Daß die Naturwissenschaft der Auflösung jener Aufgabe wirklich – und ohne es zu wissen – wenigstens sich nähere, kann hier nur kurz gezeigt werden.

Wenn alles Wissen gleichsam zwei Pole hat, die sich wechselseitig voraussetzen, und fordern, so müßen sie in allen Wissenschaften sich suchen; es muß daher nothwendig zwei Grundwissenschaften geben, und es muß unmöglich seyn, von dem Einen Pol auszugehen, ohne auf den andern getrieben zu werden. Die nothwendige Tendenz aller Naturwissenschaft ist also, von der Natur auf‘s Intelligente zu kommen. Dieß, und nichts anders liegt dem Bestreben zu Grunde, in die Naturerscheinungen Theorie zu bringen. – Die höchste Vervollkommnung der Naturwissenschaft wäre die vollkommene Vergeistigung aller Naturgesetze zu Gesetzen des Anschauens und des Denkens. Die Phänomene (das Materielle) müssen völlig verschwinden, und nur die Gesetze (das Formelle) bleiben. Daher kommt es, daß je mehr in der Natur selbst das Gesetzmäßige hervorbricht, desto mehr die Hülle verschwindet, die Phänomene selbst geistiger werden, und zuletzt völlig aufhören. Die optischen Phänomene sind nichts anders, als eine Geometrie, deren Linien durch das Licht gezogen werden, und dieses Licht selbst ist schon von zweideutiger Materialität. In den Erscheinungen des Magnetismus verschwindet schon alle materielle Spur, und von den Phänomenen der Gravitation, welche selbst Naturforscher nur als unmittelbar geistige Ein[31]wirkung begreifen zu können glaubten, bleibt nichts zurück, als ihr Gesetz, dessen Ausführung im Großen der Mechanismus der Himmelsbewegungen ist. – Die vollendete Theorie der Natur würde diejenige seyn, kraft welcher die ganze Natur sich in eine Intelligenz auflöste. – Die todten und bewußtlosen Producte der Natur sind nur mißlungene Versuche der Natur, sich selbst zu reflectiren, die sogenannte todte Natur aber überhaupt eine unreife Intelligenz, daher in ihren Phänomenen noch bewußtlos schon der intelligente Charakter durchblickt. – Das höchste Ziel, sich selbst ganz Object zu werden, erreicht die Natur erst durch die höchste und letzte Reflexion, welche nichts anders, als der Mensch, oder, allgemeiner, das ist, was wir Vernunft nennen, durch welche zuerst die Natur vollständig in sich selbst zurückkehrt, und wodurch offenbar wird, daß die Natur ursprünglich identisch ist mit dem, was in uns als Intelligentes und Bewußtes erkannt wird.

Dieß mag hinreichend seyn, zu beweisen, daß die Naturwissenschaft die nothwendige Tendenz hat, die Natur intelligent zu machen; eben durch diese Tendenz wird sie zur Natur-Philosophie, welche die Eine nothwendige Grundwissenschaft der Philosophie ist.A

B. Oder das Subjective wird zum Ersten gemacht, und die Aufgabe ist die: wie ein Objectives hinzukomme, das mit ihm übereinstimmt?

Wenn alles Wissen auf der Uebereinstimmung dieser beiden beruht, so ist die Aufgabe: diese Uebereinstimmung zu erklären, ohne Zweifel die höchste für alles Wissen, und wenn, wie allgemein zugestanden wird, die Philosophie die höchste und oberste aller Wissenschaften ist, ohne Zweifel die Hauptaufgabe der Philosophie.

[32] Aber die Aufgabe fordert nur Erklärung jenes Zusammentreffens überhaupt, und läßt völlig unbestimmt, wovon die Erklärung ausgehe, was sie zum Ersten und was sie zum Zweiten machen soll. – Da auch beide entgegengesetzte sich wechselseitig nothwendig sind, so muß das Resultat der Operation dasselbe seyn, von welchem Punkte man ausgeht.

Das Objective zum Ersten zu machen, und das Subjective daraus abzuleiten, ist, wie so eben gezeigt worden, Aufgabe der Natur-Philosophie.

Wenn es also eine Transscendental-Philosophie giebt, so bleibt ihr nur die entgegengesetzte Richtung übrig, vom Subjectiven als vom Ersten und Absoluten auszugehen, und das Objective aus ihm entstehen zu lassen. In die beiden möglichen Richtungen der Philosophie haben sich also Natur- und Transscendental-Philosophie getheilt, und wenn alle Philosophie darauf ausgehen muß, entweder aus der Natur eine Intelligenz, oder aus der Intelligenz eine Natur zu machen, so ist die Transscendental-Philosophie, welche diese letztere Aufgabe hat, die andere nothwendige Grundwissenschaft der Philosophie.

§. 2.

Folgesätze.

Wir haben durch das bisherige nicht nur den Begriff der Transscendental-Philosophie deducirt, sondern dem Leser zugleich einen Blick in das ganze System der Philosophie verschafft, das, wie man sieht, durch zwei Grundwissenschaften vollendet wird, die, einander entgegengesetzt im Princip und der Richtung, sich wechselseitig suchen und ergänzen. Nicht das ganze System der Philosophie, sondern nur die Eine Grundwissenschaft desselben soll hier aufgestellt, und dem abgeleiteten Begriff zufolge vorerst genauer charakterisirt werden.B

[33] 1) Wenn der Transscendental-Philosophie das Subjective – das Erste, und einziger Grund aller Realität, einziges Erklärungsprincip alles andern ist (§. 1.), so beginnt sie nothwendig mit dem allgemeinen Zweifel an der Realität des Objectiven.

Wie der nur aufs Objective gerichtete Natur-Philosoph nichts so sehr zu verhindern sucht, als Einmischung des Subjectiven in sein Wissen, so umgekehrt der Transscendental-Philosoph nichts so sehr, als Einmischung des Objectiven in das rein subjective Princip des Wissens. – Das Abscheidungsmittel ist der absolute Skepticismus – nicht der halbe, nur gegen die gemeinen Vorurtheile der Menschen gerichtete, der doch nie auf den Grund sieht, sondern der durchgreifende Skepticismus, der nicht gegen einzelne Vorurtheile, sondern gegen das Grundvorurtheil sich richtet, mit welchem alle andern von selbst fallen müßen. Denn außer den künstlichen, in den Menschen hineingebrachten Vorurtheilen, giebt es weit ursprünglichere, nicht durch Unterricht oder Kunst, sondern durch die Natur selbst in ihn gelegte, die, außer dem Philosophen, allen übrigen statt der Principien alles Wissens, und dem bloßen Selbstdenker sogar als Probierstein aller Wahrheit gelten.

Das Eine Grundvorurtheil, auf welches alle andre sich reduciren, ist kein andres, als daß es Dinge außer uns gebe; ein Fürwahrhalten, das, weil es nicht auf Gründen, noch auf Schlüßen beruht (denn es giebt keinen einzigen probehaltigen Beweis dafür), und doch durch keinen entgegengesetzten Beweis sich ausrotten läßt, (naturam furca expellas, tamen usque redibit,) Ansprüche macht auf unmittelbare Gewißheit, da es sich doch auf etwas von uns ganz Verschiedenes, ja uns Entgegengesetztes bezieht, von dem man gar nicht einsieht, wie es in das unmittelbare Bewußtseyn komme, – für nichts mehr, als für ein Vorurtheil – zwar für ein angebohrnes und ursprüngliches – aber deßwegen nicht minder für Vorurtheil geachtet werden kann.

Den Widerspruch, daß ein Satz, der seiner Natur nach nicht unmittelbar gewiß seyn kann, doch eben so blindlings, und ohne Gründe, wie ein solcher angenommen wird, weiß der Transscendental-Philosoph nicht zu lösen, [34] als durch die Voraussetzung, daß jener Satz versteckterweise und ohne daß man es bis jetzt einsieht – nicht zusammenhange, sondern identisch, und Eins und dasselbe sey, mit einem unmittelbar Gewissen, und diese Identität aufzuzeigen, wird eigentlich das Geschäft der Transscendental-Philosophie seyn.

2) Nun giebt es aber selbst für den gemeinen Vernunftgebrauch nichts unmittelbar Gewisses außer dem Satz: Ich bin; der, weil er außerhalb des unmittelbaren Bewußtseyns selbst die Bedeutung verliert, die individuellste aller Wahrheiten, und das absolute Vorurtheil ist, das zuerst angenommen werden muß, wenn irgend etwas anderes gewiß seyn soll. – Der Satz: Es giebt Dinge außer uns, wird also für den Transscendental-Philosophen auch nur gewiß seyn durch seine Identität mit dem Satze: Ich bin, und seine Gewißheit wird auch nur gleich seyn der Gewißheit des Satzes, von welchem er die seinige entlehnt.

Das transscendentale Wissen würde sich diesemnach vom gemeinen durch zwei Punkte unterscheiden.

Erstens, daß ihm die Gewißheit vom Daseyn der Außendinge ein bloßes Vorurtheil ist, über das es hinaus geht, um seine Gründe aufzusuchen. (Es kann dem Transscendental-Philosophen nie darum zu thun seyn, das Daseyn der Dinge an sich zu beweisen, sondern nur, daß es ein natürliches und nothwendiges Vorurtheil ist, äußere Gegenstände als wirklich anzunehmen.)

Zweitens, daß es die beiden Sätze: Ich bin, und: es sind Dinge außer mir, die im gemeinen Bewußtseyn zusammenfließen, trennt, (den Einen dem Andern vorsetzt,) eben um ihre Identität beweisen, und den unmittelbaren Zusammenhang, der in jenem nur gefühlt wird, wirklich aufzeigen zu können. Durch den Act dieser Trennung selbst, wenn er vollständig ist, versetzt er sich in die transscendentale Betrachtungsart, welche keineswegs eine natürliche, sondern eine künstliche ist.

[35] 3) Wenn dem Transscendental-Philosophen nur das Subjective ursprüngliche Realität hat, so wird er auch nur das Subjective im Wissen sich unmittelbar zum Object machen: das Objective wird ihm nur indirect zum Object werden, und anstatt daß im gemeinen Wissen das Wissen selbst (der Act des Wissens) über dem Object verschwindet, wird im transscendentalen umgekehrt über dem Act des Wissens das Object als solches verschwinden. Das transscendentale Wissen ist also ein Wissen des Wissens, insofern es rein subjectiv ist.

So gelangt z. B. von der Anschauung nur das Objective zum gemeinen Bewußtsein, das Anschauen selbst verliert sich im Gegenstand; indeß die transscendentale Betrachtungsart vielmehr nur durch den Act des Anschauens hindurch das Angeschaute erblickt. – So ist das gemeine Denken ein Mechanismus, in welchem Begriffe herrschen, aber ohne als Begriffe unterschieden zu werden; indeß das transscendentale Denken jenen Mechanismus unterbricht, und, indem es des Begriffs als Acts sich bewußt wird, zum Begriff des Begriffs sich erhebt. – Im gemeinen Handeln wird über dem Object der Handlung das Handeln selbst vergessen; das Philosophiren ist auch ein Handeln, aber nicht ein Handeln nur, sondern zugleich ein beständiges Selbstanschauen in diesem Handeln.

Die Natur der transscendentalen Betrachtungsart muß also überhaupt darin bestehen, daß in ihr, auch das, was in allem andern Denken, Wissen oder Handeln das Bewußtseyn flieht, und absolut nicht-objectiv ist, zum Bewußtseyn gebracht, und objectiv wird, kurz, in einem beständigen sich-selbst-Object-werden des Subjectiven.

Die transscendentale Kunst wird eben in der Fertigkeit bestehen, sich beständig in dieser Duplicität des Handelns und des Denkens zu erhalten.

[36] §. 3.

Vorläufige Eintheilung der Transscendental-Philosophie.

Vorläufig ist diese Eintheilung, weil die Principien der Eintheilung erst in der Wissenschaft selbst abgeleitet werden können.

Wir gehen auf den Begriff der Wissenschaft zurück.

Die Transscendental-Philosophie hat zu erklären, wie das Wissen überhaupt möglich sey, vorausgesetzt, daß das Subjective in demselben als das Herrschende oder Erste angenommen werde?

Es ist also nicht ein einzelner Theil, noch ein besonderer Gegenstand des Wissens, sondern das Wissen selbst, und das Wissen überhaupt, was sie sich zum Object macht.

Nun reducirt sich aber alles Wissen auf gewisse ursprüngliche Ueberzeugungen, oder ursprüngliche Vorurtheile; diese einzelnen Ueberzeugungen muß die Transscendental-Philosophie auf Eine ursprüngliche Ueberzeugung zurückführen; diese Eine, aus welcher alle andere abgeleitet werden, wird ausgedrückt im ersten Princip dieser Philosophie, und die Aufgabe, ein solches zu finden, heißt nichts anders, als das absolut-Gewiße zu finden, durch welches alle andere Gewißheit vermittelt ist.

Die Eintheilung der Transscendental-Philosophie selbst wird bestimmt durch jene ursprünglichen Ueberzeugungen, deren Gültigkeit sie in Anspruch nimmt. Diese Ueberzeugungen müßen vorerst im gemeinen Verstande aufgesucht werden. – Wenn man sich also auf den Standpunkt der gemeinen Ansicht zurück versetzt, so findet man folgende Ueberzeugungen tief eingegraben in dem menschlichen Verstand.

A. Daß nicht nur unabhängig von uns eine Welt von Dingen außer uns existire, sondern auch daß unsere Vorstellungen so mit ihnen übereinstimmen, daß an den Dingen nichts anders ist, als was wir an ihnen vor[37]stellen. – Der Zwang in unsern objectiven Vorstellungen wird daraus erklärt, daß die Dinge unveränderlich bestimmt, und durch diese Bestimmtheit der Dinge mittelbar auch unsere Vorstellungen bestimmt seyen. Durch diese erste und ursprünglichste Ueberzeugung ist die erste Aufgabe der Philosophie bestimmt: zu erklären, wie Vorstellungen absolut übereinstimmen können mit ganz unabhängig von ihnen existirenden Gegenständen? – Da auf der Annahme: daß die Dinge gerade das sind, was wir an ihnen vorstellen, daß wir also allerdings die Dinge erkennen, wie sie an sich sind, die Möglichkeit aller Erfahrung beruht, (denn was wäre die Erfahrung, und wohin würde sich z. B. die Physik verirren, ohne jene Voraussetzung der absoluten Identität des Seyns und des Erscheinens?) – so ist die Auflösung dieser Aufgabe identisch mit der theoretischen Philosophie, welche die Möglichkeit der Erfahrung zu untersuchen hat.

B. Die zweyte eben so ursprüngliche Ueberzeugung ist, daß Vorstellungen, die ohne Nothwendigkeit, durch Freyheit, in uns entstehen, aus der Welt des Gedankens in die wirkliche Welt übergehen, und objective Realität erlangen können.

Diese Ueberzeugung ist der ersten entgegengesetzt. Nach der ersten wird angenommen: die Gegenstände seyen unveränderlich bestimmt, und durch sie unsere Vorstellungen, nach der andern: die Gegenstände seyen veränderlich, und zwar durch die Causalität von Vorstellungen in uns. Nach der ersten Ueberzeugung findet ein Uebergang aus der wirklichen Welt in die Welt der Vorstellung, oder ein Bestimmtwerden der Vorstellung durch ein Objectives, nach der zweyten ein Uebergang aus der Welt der Vorstellung in die wirkliche, oder ein Bestimmtwerden des Objectiven durch eine (frey entworfene) Vorstellung in uns statt.

Durch diese zweyte Ueberzeugung ist ein zweytes Problem bestimmt, dieses: wie durch ein bloß Gedachtes ein Objectives veränderlich sey, so, daß es mit dem Gedachten vollkommen übereinstimme?

Da auf jener Voraussetzung die Möglichkeit alles freyen Handelns beruht, so ist die Auflösung dieser Aufgabe practische Philosophie.

[38] C. Aber mit diesen beyden Problemen sehen wir uns in einen Widerspruch verwickelt. – Nach B wird gefordert eine Herrschaft des Gedankens (des Ideellen) über die Sinnenwelt; wie ist aber eine solche denkbar, wenn (nach A) die Vorstellung in ihrem Ursprung schon nur die Sklavin des Objectiven ist? – Umgekehrt, ist die wirkliche Welt etwas von uns ganz Unabhängiges, wornach (als ihrem Urbild) unsere Vorstellung sich richten muß (nach A), so ist unbegreiflich, wie hinwiederum die wirkliche Welt sich nach Vorstellungen in uns richten könne (nach B). – Mit Einem Wort, über der theoretischen Gewißheit geht uns die practische, über der practischen die theoretische verloren; es ist unmöglich, daß zugleich in unserem Erkenntniß Wahrheit, und in unserem Wollen Realität sey.

Dieser Widerspruch muß aufgelöst werden, wenn es überhaupt eine Philosophie giebt – und die Auflösung dieses Problems, oder die Beantwortung der Frage: wie können die Vorstellungen zugleich als sich richtend nach den Gegenständen, und die Gegenstände als sich richtend nach den Vorstellungen gedacht werden? ist nicht die erste, aber die höchste Aufgabe der Transscendental-Philosophie.

Es ist leicht einzusehen, daß dieses Problem weder in der theoretischen, noch in der practischen Philosophie aufgelöst werden kann, sondern in einer höhern, die das verbindende Mittelglied beyder, und weder theoretisch, noch practisch, sondern beydes zugleich ist.

Wie zugleich die objective Welt nach Vorstellungen in uns, und Vorstellungen in uns nach der objectiven Welt sich bequemen, ist nicht zu begreifen, wenn nicht zwischen den beyden Welten, der ideellen und der reellen, eine vorherbestimmte Harmonie existirt. Diese vorherbestimmte Harmonie aber ist selbst nicht denkbar, wenn nicht die Thätigkeit, durch welche die objective Welt producirt ist, ursprünglich identisch ist mit der, welche im Wollen sich äußert, und umgekehrt.

Nun ist es allerdings eine productive Thätigkeit, welche im Wollen sich äußert; alles freye Handeln ist productiv, nur mit Bewußtseyn productiv. Setzt man nun, da beyde Thätigkeiten doch nur im Princip Eine seyn sollen, daß dieselbe Thätigkeit, welche im freyen Handeln mit Bewußtseyn pro[39]ductiv ist, im Produciren der Welt ohne Bewußtseyn productiv sey, so ist jene vorausbestimmte Harmonie wirklich, und der Widerspruch gelöst.

Setzt man, dieß alles verhalte sich wirklich so, so wird jene ursprüngliche Identität der im Produciren der Welt geschäftigen Thätigkeit, mit der, welche im Wollen sich äußert, in den Producten der ersten sich darstellen, und diese Producte werden erscheinen müßen als Producte einer zugleich bewußten und bewußtlosen Thätigkeit.

Die Natur, als Ganzes sowohl, als in ihren einzelnen Producten wird, als ein mit Bewußtseyn hervorgebrachtes Werk, und doch zugleich als Product des blindesten Mechanismus erscheinen müssen; sie ist zweckmäßig, ohne zweckmäßig erklärbar zu seyn. – Die Philosophie der Naturzwecke, oder die Teleologie ist also jener Vereinigungs-Punkt der theoretischen und practischen Philosophie.

D. Es ist bisher nur überhaupt die Identität der bewußtlosen Thätigkeit, welche die Natur hervorgebracht hat, und der bewußten, die im Wollen sich äußert, postulirt worden, ohne daß entschieden wäre, wohin das Princip jener Thätigkeit falle, ob in die Natur, oder in uns?

Nun ist aber das System des Wissens nur alsdann als vollendet zu betrachten, wenn es in sein Princip zurückkehrt. – Die Transscendental-Philosophie wäre also nur alsdann vollendet, wenn sie jene Identität – die höchste Auflösung ihres ganzen Problems – in ihrem Princip, (im Ich) nachweisen könnte.

Es wird also postulirt, daß im Subjectiven, im Bewußtseyn selbst, jene zugleich bewußte und bewußtlose Thätigkeit aufgezeigt werde.

Eine solche Thätigkeit ist allein die ästhetische, und jedes Kunstwerk ist nur zu begreifen als Product einer solchen. Die idealische Welt der Kunst, und die reelle der Objecte sind also Producte einer und derselben Thätigkeit; [40] das Zusammentreffen beyder, (der bewußten und der bewußtlosen) ohne Bewußtseyn, giebt die wirkliche, mit Bewußtseyn die ästhetische Welt.

Die objective Welt ist nur die ursprüngliche, noch bewußtlose Poesie des Geistes; das allgemeine Organon der Philosophie – und der Schlußstein ihres ganzen Gewölbes – die Philosophie der Kunst.

§. 4.

Organ der Transscendental-Philosophie.

1) Das einzig unmittelbare Object der transscendentalen Betrachtung ist das Subjective (§. 2.); das einzige Organ dieser Art zu philosophiren also der innere Sinn, und ihr Object von der Art, daß es nicht einmal so, wie das der Mathematik, Object der äußern Anschauung werden kann. – Das Object der Mathematik ist freilich so wenig außerhalb des Wissens vorhanden, als das der Philosophie. Das ganze Daseyn der Mathematik beruht auf der Anschauung, sie existirt also auch nur in der Anschauung, aber diese Anschauung selbst ist eine äußere. Dazu kommt, daß es doch der Mathematiker nie unmittelbar mit der Anschauung (der Construction) selbst, sondern nur mit dem Construirten zu thun hat, was sich allerdings äußerlich darstellen läßt, indeß der Philosoph lediglich auf den Act der Construction selbst sieht, der ein absolut innerer ist.

2) Noch mehr, die Objecte des Transscendental-Philosophen existiren gar nicht, als in so fern sie frei producirt werden. – Zu dieser Production kann man nicht nöthigen, so wie man etwa durch die äußere Verzeichnung einer mathematischen Figur nöthigen kann, dieselbe innerlich anzuschauen. Gleichwohl beruht ebenso, wie die Existenz einer mathematischen Figur auf dem äußern Sinn beruht, die ganze Realität eines philosophischen Begriffs einzig auf dem innern Sinn. Das ganze Object dieser Philosophie ist kein anders, als das Handeln der Intelligenz nach bestimmten Gesetzen. Dieses Handeln ist nur zu begreifen durch eigene unmittelbare innere Anschauung, und diese ist wieder nur durch Production möglich. Aber nicht genug. Im Philosophiren ist man nicht blos das Object, sondern immer zugleich das [41] Subject der Betrachtung. Zum Verstehen der Philosophie sind also zwei Bedingungen erforderlich, erstens, daß man in einer beständigen innern Thätigkeit, in einem beständigen Produciren jener ursprünglichen Handlungen der Intelligenz, zweitens, daß man in beständiger Reflexion auf dieses Produciren begriffen, mit einem Wort, daß man immer zugleich das Angeschaute (producirende) und das Anschauende sey.

3) Durch diese beständige Duplicität des Producirens und Anschauens soll Object werden, was sonst durch nichts reflectirt wird. – Es kann hier nicht, wohl aber in der Folge bewiesen werden, daß dieses Reflectirtwerden des absolut unbewußten und nichtobjectiven, nur durch einen ästhetischen Act der Einbildungskraft möglich ist. Indeß ist aus dem, was schon hier bewiesen worden ist, so viel offenbar, daß alle Philosophie productiv ist. Die Philosophie beruht also eben so gut, wie die Kunst, auf dem productiven Vermögen, und der Unterschied beyder blos auf der verschiedenen Richtung der productiven Kraft. Denn anstatt daß die Production in der Kunst nach außen sich richtet, um das unbewußte durch Producte zu reflectiren, richtet sich die philosophische Production unmittelbar nach innen, um es in intellectueller Anschauung zu reflectiren. – Der eigentliche Sinn, mit dem diese Art der Philosophie aufgefaßt werden muß, ist also der ästhetische, und eben darum die Philosophie der Kunst das wahre Organon der Philosophie. (§. 3.)

Aus der gemeinen Wirklichkeit giebt es nur zwei Auswege, die Poesie, welche uns in eine idealische Welt versetzt, und die Philosophie, welche die wirkliche Welt ganz vor uns verschwinden läßt. – Man sieht nicht ein, warum der Sinn für Philosophie eben allgemeiner verbreitet seyn sollte, als der für Poesie, besonders unter der Claße von Menschen, die, sey es durch Gedächtnis-Werk, (nichts tödtet unmittelbarer das productive), oder durch todte, alle Einbildungskraft vernichtende, Speculation das ästhetische Organ völlig verloren haben.

[42] 4) Es ist unnöthig, sich mit den Gemeinplätzen von Wahrheitssinn, von gänzlicher Sorglosigkeit wegen der Resultate aufzuhalten, obgleich man fragen möchte, welche andere Ueberzeugung dem noch heilig seyn könne, der die gewißeste (daß Dinge außer uns sind) in Anspruch nimmt. – Eher können wir noch einen Blick werfen auf die sogenannten Ansprüche des gemeinen Verstandes.

Der gemeine Verstand hat in Sachen der Philosophie gar keine Ansprüche, als die, welche jeder Gegenstand der Untersuchung hat, vollkommen erklärt zu werden.

Es ist nicht etwa darum zu thun, zu beweisen, daß wahr sey, was er für wahr hält, sondern nur darum, die Unvermeidlichkeit seiner Täuschungen aufzudecken. – Es bleibt dabei, daß die objective Welt nur zu den nothwendigen Einschränkungen gehört, welche das Selbstbewußtseyn, (das Ich bin,) möglich machen; für den gemeinen Verstand ist es genug, wenn aus dieser Ansicht selbst wiederum die Nothwendigkeit der seinigen abgeleitet wird.

Zu diesem Behuf ist es nothwendig, nicht nur, daß das innere Triebwerk unserer geistigen Thätigkeit aufgeschloßen, der Mechanismus des notwendigen Vorstellens enthüllt, sondern auch, daß gezeigt werde, durch welche Eigenthümlichkeit unserer Natur es nothwendig ist, daß, was blos in unserem Anschauen Realität hat, uns als etwas außer uns vorhandenes reflectirt wird.

Wie die Naturwissenschaft den Idealismus aus dem Realismus hervorbringt, indem sie die Naturgesetze zu Gesetzen der Intelligenz vergeistigt, oder zum Materiellen das Formelle hinzufügt, (§. 1.) so die Transscendental-Philosophie den Realismus aus dem Idealismus, dadurch, daß sie die Gesetze der Intelligenz zu Naturgesetzen materialisirt, oder zum Formellen das Materielle hinzubringt.

[43] […] Erster Abschnitt.

Von der Nothwendigkeit und Beschaffenheit

eines höchsten Princips des Wissens.

1. Es wird indeß als Hypothese angenommen, daß in unserem Wissen überhaupt Realität sey, und gefragt: was die Bedingungen dieser Realität seyen? – Ob in unserem Wissen wirklich Realität sey, wird davon abhangen, ob diese erst abgeleiteten Bedingungen nachher wirklich sich aufzeigen laßen.

Wenn alles Wissen auf der Uebereinstimmung eines Objectiven und Subjectiven beruht (Einl. §. 1.), so besteht unser ganzes Wissen aus Sätzen, die nicht unmittelbar wahr sind, die ihre Realität von etwas anderem entlehnen.

Die bloße Zusammenstimmung eines Subjectiven mit einem Subjectiven begründet kein eigentliches Wissen. Und umgekehrt, das eigentliche Wissen setzt ein Zusammentreffen von Entgegengesetzten voraus, deren Zusammentreffen nur ein Vermitteltes seyn kann.

Es muß also etwas allgemein Vermittelndes in unserem Wissen geben, was einziger Grund des Wissens ist.

[44] 2) Es wird als Hypothese angenommen, in unserem Wissen sey ein System, das heißt, es sey ein Ganzes, was sich selbst trägt, und in sich selbst zusammenstimmt. – Der Skeptiker läugnet diese Voraussetzung, wie die erste, und sie ist, wie jene, nur durch die That selbst zu beweisen. – Was war es denn, wenn auch unser Wissen, ja wenn unsere ganze Natur in sich selbst widersprechend wäre? – Also nur angenommen, unser Wissen sey ein ursprüngliches Ganzes, deßen Grundriß das System der Philosophie seyn soll, so wird wiederum vorläufig nach den Bedingungen eines solchen gefragt.

Da jedes wahre System, (wie z. B. das des Weltbaues), den Grund seines Bestehens in sich selbst haben muß, so muß, wenn es ein System des Wissens giebt, das Princip desselben innerhalb des Wissens selbst liegen.

3) Dieses Princip kann nur Eines seyn. Denn alle Wahrheit ist sich absolut gleich. Es mag wohl Grade der Wahrscheinlichkeit geben, die Wahrheit hat keine Grade; was wahr ist, ist gleich wahr. – Daß aber die Wahrheit aller Sätze des Wissens eine absolut gleiche sey, ist unmöglich, wenn sie ihre Wahrheit von verschiedenen Principien (Vermittlungsgliedern) entlehnen, es muß also nur Ein (vermittelndes) Princip in allem Wissen seyn.

4) Dieses Princip ist mittelbar oder indirect Princip jeder Wissenschaft, aber unmittelbar und direct nur Princip der Wissenschaft alles Wissens, oder der Transscendental-Philosophie.

Durch die Aufgabe, eine Wissenschaft des Wissens, d. h. eine solche, welche das Subjective zum Ersten und Höchsten macht, aufzustellen, wird man also unmittelbar auf ein höchstes Princip alles Wissens getrieben.

Alle Einwendungen gegen ein solches absolut höchstes Princip des Wissens sind schon durch den Begriff der Transscendental-Philosophie abgeschnitten. Alle entspringen nur daher, daß man die Beschränktheit der ersten Aufgabe dieser Wissenschaft übersieht, welche gleich anfangs von allem Objectiven abstrahirt, und nur das Subjective im Auge behält.

[45] Es ist gar nicht die Rede von einem absoluten Princip des Seyns, denn gegen ein solches gelten alle jene Einwürfe, sondern von einem absoluten Princip des Wissens.

Nun ist aber offenbar, daß wenn es nicht eine absolute Gränze des Wissens – etwas gäbe, das uns, selbst ohne daß wir uns seiner bewußt sind, im Wissen absolut fesselt und bindet, und das uns, indem wir wissen, nicht einmal zum Object wird, ebendeßwegen, weil es Princip alles Wissens ist – daß es alsdann überhaupt nie zu einem Wissen, nicht einmal zu einem einzelnen kommen könnte.

Der Transscendental-Philosoph fragt nicht, welcher letzte Grund unsers Wissens mag außer demselben liegen, sondern, was ist das Letzte in unserem Wissen selbst, über das wir nicht hinauskönnen? – Er sucht das Princip des Wissens innerhalb des Wissens; (es ist also selbst etwas, das gewußt werden kann).

Die Behauptung, es giebt ein höchstes Princip des Wissens, ist nicht wie die, es giebt ein absolutes Princip des Seyns, eine positive, sondern eine negative, einschränkende Behauptung, in der nur so viel liegt: es giebt irgend ein Letztes, von welchem alles Wissen sich anfängt, und jenseits dessen kein Wissen ist.

Da der Transscendental-Philosoph (Einl. §. 1.) überall nur das Subjective sich zum Object macht, so behauptet er auch nur, daß es subjectiv, das heißt, daß es für uns irgend ein erstes Wissen gebe: ob es abstrahirt von uns, jenseits dieses ersten Wissens noch überhaupt etwas gebe, kümmert ihn vorerst gar nicht, und darüber muß die Folge entscheiden.

Dieses erste Wissen ist für uns nun ohne Zweifel das Wissen von uns selbst, oder das Selbstbewußtseyn. Wenn der Idealist dieses Wissen zum Princip der Philosophie macht, so ist dieß der Beschränktheit seiner ganzen Aufgabe gemäß, die außer dem Subjectiven des Wissens nichts zum Object hat. – Daß das Selbstbewußtseyn der feste Punkt sey, an den für uns alles [46] geknüpft ist, bedarf keines Beweises. – Daß nun aber dieses Selbstbewußtseyn nur die Modification eines höhern Seyns – (vielleicht eines höhern Bewußtseyns, und dieses eines noch höhern, und so ins unendliche fort) seyn könne – mit Einem Wort, daß auch das Selbstbewußtseyn noch etwas überhaupt Erklärbares seyn möge, erklärbar aus etwas, von dem wir nichts wissen können, weil eben durch das Selbstbewußtseyn die ganze Synthesis unsers Wissens erst gemacht wird – geht uns als Transscendental-Philosophen nichts an; denn das Selbstbewußtseyn ist uns nicht eine Art des Seyns, sondern eine Art des Wissens, und zwar die höchste und äußerste, die es überhaupt für uns giebt.

Es läßt sich sogar, um noch weiter zu gehen, beweisen, und ist zum Theil schon oben (Einl. §. 1.) bewiesen worden, daß selbst, wenn das Objective willkührlich als das Erste gesetzt wird, wir doch nie über das Selbstbewußtseyn hinauskommen. Wir werden alsdann in unsern Erklärungen entweder in‘s Unendliche zurückgetrieben, vom Begründeten zum Grund, oder wir müßen die Reihe willkührlich abbrechen, dadurch, daß wir ein Absolutes, das von sich selbst die Ursache und die Wirkung – Subject und Object – ist, und da dieß ursprünglich nur durch Selbstbewußtseyn möglich ist, – dadurch, daß wir wieder ein Selbstbewußtseyn als Erstes setzen; dieß geschieht in der Naturwissenschaft, für welche das Seyn eben so wenig ursprünglich ist, wie für die Transscendental-Philosophie, (s. den Entwurf eines Systems der Natur-Philosophie S. 5.), und welche das einzig Reelle in ein Absolutes setzt, das von sich selbst Ursache und Wirkung ist – in die absolute Identität des Subjectiven und Objectiven, die wir Natur nennen, und die in der höchsten Potenz wieder nichts anders als Selbstbewußtseyn ist.

Der Dogmatismus, dem das Seyn das Ursprüngliche ist, kann überhaupt nur durch einen unendlichen Regressus erklären; denn die Reihe von Ursachen und Wirkungen, an welchen seine Erklärung fortläuft, könnte nur durch Etwas, was zugleich Ursache und Wirkung von sich ist, geschloßen werden; aber eben dadurch würde er in Naturwissenschaft verwandelt, welche selbst wiederum in ihrer Vollendung in das Princip des transscen[47]dentalen Idealismus zurückkehrt. (Der consequente Dogmatismus existirt nur im Spinozismus; der Spinozismus kann aber als reelles System wiederum nur als Naturwissenschaft fortdauren, deren letztes Resultat wieder Princip der Transscendental-Philosophie wird.)

Aus dem allem ist offenbar, daß das Selbstbewußtseyn den ganzen auch in‘s Unendliche erweiterten Horizont unsers Wissens umgränzt, und in jeder Richtung das Höchste bleibt. Jedoch bedarf es zum gegenwärtigen Zweck dieser weitaussichtigen Gedanken nicht, sondern nur der Reflexion über den Sinn unserer ersten Aufgabe. – Jeder wird ohne Zweifel folgendes Räsonnement verständlich und evident finden.

Es ist mir vorerst blos darum zu thun, in mein Wissen selbst ein System zu bringen, und innerhalb des Wissens selbst dasjenige zu suchen, wodurch alles einzelne Wissen bestimmt ist. – Nun ist aber ohne Zweifel das, wodurch alles in meinem Wissen bestimmt ist, das Wissen von mir selbst . – Da ich mein Wissen nur in sich selbst begründen will, so frage ich nicht weiter nach dem letzten Grund jenes ersten Wissens (des Selbstbewußtseyns), der, wenn es einen solchen giebt, nothwendig ausserhalb des Wissens liegen muß. Das Selbstbewußtseyn ist der lichte Punkt im ganzen System des Wissens, der aber nur vorwärts, nicht rückwärts leuchtet. – Selbst zugegeben, daß dieses Selbstbewußtseyn nur die Modification eines von ihm unabhängigen Seyns wäre, was freylich keine Philosophie begreiflich machen kann, so ist es für mich jetzt keine Art des Seyns, sondern eine Art des Wissens, und nur in dieser Qualität betrachte ich es hier. Durch die Beschränktheit meiner Aufgabe, die mich in‘s Unendliche zurück in den Umkreis des Wissens einschließt, wird es mir ein Selbstständiges, und zum absoluten Princip, – nicht alles Seyns, sondern alles Wissens, da alles Wissen, (nicht nur das meinige,) davon ausgehen muß. – Daß das Wissen überhaupt, daß insbesondere dieses erste Wissen abhängig sey von einer von ihm unabhängigen Existenz, hat noch kein Dogmatiker bewiesen. Es ist bis jetzt eben so möglich, daß alle Existenz nur die Modification eines Wissens, als daß alles Wissen nur die Modification einer Existenz ist. – Jedoch davon ganz abstrahirt, ganz abgesehen davon, ob das Nothwendige überhaupt die Existenz, das Wissen blos das Accidens der Existenz ist – für unsere Wissenschaft wird das Wissen eben dadurch selbstständig, daß wir dasselbe [48] blos, so wie es in sich selbst begründet, d. h. insofern es blos subjectiv ist, in Betrachtung ziehen.

[…] [55] […]

Erläuterungen.

a) Wenn wir jetzt zurücksehen auf den Grundsatz der Identität A = A, so finden wir, daß wir unmittelbar aus diesem unser Princip ableiten konnten. – In jedem identischen Satz, wurde behauptet, werde das Denken mit sich selbst verglichen, was denn ohne Zweifel durch einen Denkact geschieht. Der Satz A = A setzt also ein Denken voraus, das unmittelbar sich selbst zum Object wird; aber ein solcher sich selbst zum Object werdender Denkact ist nur im Selbstbewußtseyn. Wie man aus einem Satz der Logik blos als solchem etwas Reelles herausklauben könne, ist freilich nicht einzusehen, wohl aber wie man durch Reflexion auf den Denkact in diesem Satze etwas Reelles, z. B. aus den logischen Functionen des Unheils Categorien und so aus jedem identischen Satz den Act des Selbstbewußtseyns, finden könne.

b) Daß im Selbstbewußtseyn Subject und Object des Denkens Eins seyen, kann jedem nur durch den Act des Selbstbewußtseyns selbst klar werden. Es gehört dazu, daß man zugleich diesen Act vornehme, und in diesem Act wieder auf sich reflectire. – Das Selbstbewußtseyn ist der Act, wodurch sich das Denkende unmittelbar zum Object wird, und umgekehrt, dieser Act [56] und kein anderer ist das Selbstbewußtseyn. – Dieser Act ist eine absolut-freye Handlung, zu der man wohl angeleitet, aber nicht genöthigt werden kann. – Die Fertigkeit, sich in diesem Act anzuschauen, sich als Gedachtes und als Denkendes zu unterscheiden, und in dieser Unterscheidung wieder als identisch anzuerkennen, wird in der Folge beständig vorausgesetzt.

c) Das Selbstbewußtseyn ist ein Act, aber durch jeden Act kommt uns etwas zu Stande. – Jedes Denken ist ein Act, und jedes bestimmte Denken ein bestimmter Act; aber durch jedes solches entsteht uns auch ein bestimmter Begriff. Der Begriff ist nichts anders, als der Act des Denkens selbst, und abstrahirt von diesem Act ist er nichts. Durch den Act des Selbstbewußtseyns muß uns gleichfalls ein Begriff entstehen, und dieser ist kein anderer, als der des Ich. Indem ich mir durch das Selbstbewußtseyn zum Object werde, entsteht mir der Begriff des Ich, und umgekehrt, der Begriff des Ich ist nur der Begriff des Selbstobjectwerdens.

d) Der Begriff des Ich kommt durch den Act des Selbstbewußtseyns zu Stande, außer diesem Act ist also das Ich nichts, seine ganze Realität beruht nur auf diesem Act, und es ist selbst nichts, als dieser Act. Das Ich kann also nur vorgestellt werden als Act überhaupt, und es ist sonst nichts.

Ob das äußere Object nichts von seinem Begriffe verschiedenes, ob auch hier Begriff und Object Eines, ist eine Frage, die erst entschieden werden muß; daß aber der Begriff des Ich, d. h. der Act, wodurch das Denken überhaupt sich zum Object wird, und das Ich selbst (das Object) absolut Eins seyen, bedarf keines Beweises, da das Ich offenbar außer diesem Act nichts ist, und überhaupt nur in diesem Act ist.

Es ist hier also jene ursprüngliche Identität des Denkens und des Objects, des Erscheinens und Seyns, die wir suchten, und die sonst nirgends angetroffen wird. Das Ich ist gar nicht vor jenem Act, wodurch das Denken sich selbst zum Object wird, es ist also selbst nichts anders, als das sich Object werdende Denken, und sonach absolut nichts außer dem Denken. – Daß so vielen diese Identität des Gedachtwerdens und des Entstehens beym Ich verborgen bleibt, hat allein darinn seinen Grund, daß sie weder den Act des [57] Selbstbewußtseyns mit Freyheit vollziehen, noch in diesem Act auf das in demselben entstehende reflectiren können. – Was das erste betrifft, so ist zu bemerken, daß wir das Selbstbewußtseyn, als Act wohl unterscheiden vom blos empirischen Bewußtseyn; was wir insgemein Bewußtseyn nennen, ist etwas nur an Vorstellungen von Objecten fortlaufendes, was die Identität im Wechsel der Vorstellungen unterhält, also blos empirischer Art, indem ich dadurch freilich meiner selbst, aber nur als des Vorstellenden bewußt bin. – Der Act aber, von welchem hier die Rede ist, ist ein solcher, wodurch ich meiner nicht mit dieser oder jener Bestimmung, sondern ursprünglich bewußt werde, und dieses Bewußtseyn heißt im Gegensatz gegen jenes, reines Bewußtseyn, oder Selbstbewußtseyn κατ‘ έξοχ.

Die Genesis dieser beiden Arten von Bewußtseyn läßt sich noch auf folgende Art deutlich machen. Man überlasse sich ganz der unwillkührlichen Succession der Vorstellungen, so werden diese Vorstellungen, so mannichfaltig und verschieden sie seyn mögen, doch als zu Einem identischen Subject gehörig erscheinen. Reflectire ich auf diese Identität des Subjects in den Vorstellungen, so entsteht mir der Satz: Ich denke. Dieses Ich denke ist es, was alle Vorstellungen begleitet, und die Continuität des Bewußtseyns zwischen ihnen unterhält. – Macht man aber von allem Vorstellen sich frey, um seiner ursprünglich bewußt zu werden, so entsteht – nicht der Satz: Ich denke, sondern der Satz: Ich bin, welcher ohne Zweifel ein höherer Satz ist. In dem Satz: Ich denke, liegt schon der Ausdruck einer Bestimmung, oder Affection des Ich; der Satz: Ich bin, dagegen ist ein unendlicher Satz, weil es ein Satz ist, der kein wirkliches Prädicat hat, der aber eben deswegen die Position einer Unendlichkeit möglicher Prädicate ist.

e) Das Ich ist nichts von seinem Denken Verschiedenes, das Denken des Ichs und das Ich selbst sind absolut Eins; das Ich also überhaupt nichts außer dem Denken, also auch kein Ding, keine Sache, sondern das ins Unendliche fort nichtobjective. Dieß ist so zu verstehen. Das Ich ist allerdings Object, aber nur für sich selbst, es ist also nicht ursprünglich in der [58] Welt der Objecte, es wird erst zum Object, dadurch daß es sich selbst zum Object macht, und es wird Object nicht für etwas äußeres, sondern immer nur für sich selbst. –

Alles andere, was nicht Ich ist, ist ursprünglich Object, ebendeßwegen nicht Object für sich selbst, sondern für ein Anschauendes außer ihm. Das ursprünglich Objective ist immer nur ein Erkanntes, nie ein Erkennendes. Das Ich wird nur durch sein Selbsterkennen ein Erkanntes. – Die Materie heißt eben deßwegen selbstlos, weil sie kein Innres hat, und ein nur in fremder Anschauung begriffenes ist.

f) Ist das Ich kein Ding, keine Sache, so kann man auch nach keinem Prädicat des Ichs fragen, es hat keines, als eben dieses, daß es kein Ding ist. Der Charakter des Ichs liegt eben darinn, daß es kein anderes Prädicat hat, als das des Selbstbewußtseyns. […]

[64] Allgemeine Anmerkungen.

1) Der Widerspruch, der durch die voranstehende Deduction aufgelöst ist, war folgender: die Wissenschaft des Wissens kann von nichts Objectivem ausgehen, denn sie beginnt eben mit dem allgemeinen Zweifel an der Realität des Objectiven. Das Unbedingt-Gewisse kann also für sie nur in dem absolut Nichtobjectiven liegen, welches auch die Nichtobjectivität der identischen Sätze (als der einzig unbedingt gewissen) beweist. – Wie nun aber aus diesem ursprünglich Nichtobjectiven ein Objectives entspringe, wäre nicht zu begreifen, wenn nicht jenes Nichtobjective ein Ich wäre, d. h. ein Princip, das sich selbst Object wird. – Nur was nicht ursprünglich Object ist, kann sich selbst zum Object machen, und dadurch Object werden. Aus dieser ursprünglichen Duplicität in ihm selbst entfaltet sich für das Ich alles Objective, das in sein Bewußtseyn kommt, und nur jene ursprüngliche Identität in der Duplicität ist es, die in alles synthetische Wissen Vereinigung und Zusammenhang bringt.

2) Ueber den Sprachgebrauch dieser Philosophie mögen einige Bemerkungen nöthig seyn.

Kant findet es in seiner Anthropologie merkwürdig, daß dem Kind, sobald es anfange, von sich selbst durch Ich zu sprechen, eine neue Welt aufzugehen scheine. Es ist dieß in der That sehr natürlich; es ist die intellectuelle Welt, die sich ihm öffnet, denn was zu sich selbst Ich sagen kann, erhebt sich ebendadurch über die objective Welt, und tritt aus fremder Anschauung in seine eigene. – Die Philosophie muß ohne Zweifel von demjenigen Begriff ausgehen, der die ganze Intellectualität in sich befaßt, und aus welchem sie sich entwickelt.

[65] Es ist ebendaraus zu ersehen, daß im Begriff des Ich etwas höheres, als der bloße Ausdruck der Individualität liegt, daß es der Act des Selbstbewußtseyns überhaupt ist, mit welchem gleichzeitig allerdings das Bewußtseyn der Individualität eintreten muß, der aber selbst nichts Individuelles enthält. – Nur von dem Ich als Act des Selbstbewußtseyns überhaupt ist bis jetzt die Rede, und aus ihm erst muß alle Individualität abgeleitet werden.

Ebensowenig als unter dem Ich, als Princip, das individuelle gedacht wird, wird das empirische – im empirischen Bewußtseyn vorkommende Ich gedacht. Das reine Bewußtseyn auf verschiedene Art bestimmt und eingeschränkt, giebt das empirische, beide sind also blos durch ihre Schranken verschieden, hebt die Schranken des empirischen auf, und ihr habt das absolute Ich, von dem hier die Rede ist. – Das reine Selbstbewußtseyn ist ein Act, der außerhalb aller Zeit liegt, und alle Zeit erst constituirt: das empirische Bewußtseyn ist das nur in der Zeit, und der Succession der Vorstellungen sich erzeugende. –

Die Frage: ob das Ich ein Ding an sich, oder eine Erscheinung sey – diese Frage ist an sich widersinnig. Es ist überhaupt kein Ding, weder Ding an sich, noch Erscheinung.

Das Dilemm, womit man hierauf antwortet: Alles muß entweder Etwas seyn oder Nichts, u. s. w. beruht auf der Zweideutigkeit des Begriffs Etwas. Soll Etwas überhaupt etwas Reelles im Gegensatz gegen das blos Eingebildete bezeichnen, so muß das Ich wohl etwas Reelles seyn, da es Princip aller Realität ist. Aber ebenso klar ist, daß es ebendeßwegen, weil es Princip aller Realität ist, nicht in demselben Sinne reell seyn kann, wie das, welchem blos abgeleitete Realität zukommt. Die Realität, welche jene für die einzig wahre halten, die der Dinge, ist eine blos geliehene und nur der Wiederschein jener höhern. – Das Dilemm beym Lichte betrachtet, heißt also eben so viel, als: Alles ist entweder ein Ding oder Nichts; welches sogleich als falsch einleuchtet, da es allerdings einen höhern Begriff giebt, als den des Dings, nämlich den des Handelns, der Thätigkeit.

[66] Dieser Begriff muß wohl höher seyn, als der des Dings, da die Dinge selbst nur als Modificationen einer auf verschiedene Weise eingeschränkten Thätigkeit zu begreifen sind. – Das Seyn der Dinge besteht wohl nicht in einer bloßen Ruhe, oder Unthätigkeit. Denn selbst alle Raumerfüllung ist nur ein Grad von Thätigkeit, und jedes Ding nur ein bestimmter Grad von Thätigkeit, mit welchem der Raum erfüllt wird. –

Da dem Ich auch keines von den Prädicaten zukommt, die den Dingen zukommen, so erklärt sich daraus das Paradoxon, daß man vom Ich nicht sagen kann, daß es ist. Man kann nämlich vom Ich nur deßwegen nicht sagen, daß es ist, weil es das Seyn-selbst ist. – Der ewige in keiner Zeit begriffene Act des Selbstbewußtseyns, den wir Ich nennen, ist das, was allen Dingen das Daseyn giebt, was also selbst keines andern Seyns bedarf, von dem es getragen wird, sondern sich selbst tragend und unterstützend, objectiv, als das ewige Werden, subjectiv als das unendliche Produciren erscheint.

3) Ehe wir zur Aufstellung des Systems selbst schreiten, ist es nicht unnütz, zu zeigen, wie das Princip zugleich theoretische und practische Philosophie begründen könne, welches als nothwendiger Charakter des Princips sich von selbst versteht.

Daß das Princip Princip der theoretischen und practischen Philosophie zugleich sey, ist nicht möglich, ohne daß es selbst theoretisch und practisch zugleich sey. Da nun ein theoretisches Princip ein Lehrsatz, ein practisches aber ein Gebot ist, so wird in der Mitte zwischen beyden etwas liegen müßen – und dieß ist das Postulat, welches an die practische Philosophie gränzt, weil es eine bloße Forderung ist, an die theoretische, weil es eine rein theoretische Construction fordert. – Woher das Postulat seine zwingende Kraft entlehne, erklärt sich zugleich daraus, daß es practischen Forderungen verwandt ist. Die intellectuelle Anschauung ist etwas, das man fordern und anmuthen kann; wer das Vermögen einer solchen nicht hat, sollte es wenigstens haben.

[67] 4) Was jeder, der uns bisher aufmerksam gefolgt ist, von selbst einsieht, ist, daß der Anfang und das Ende dieser Philosophie Freyheit ist, das absolut Indemonstrable, was sich nur durch sich selbst beweist. – Was in allen andern Systemen der Freyheit den Untergang droht, wird in diesem System aus ihr selbst abgeleitet. – Das Seyn ist in diesem System nur die aufgehobene Freyheit. In einem System, das das Seyn zum Ersten und Höchsten macht, muß nicht nur das Wissen die bloße Copie eines ursprünglichen Seyns, sondern auch alle Freyheit nur nothwendige Täuschung seyn, weil man das Princip nicht kennt, dessen Bewegungen ihre scheinbaren Aeußerungen sind.

[68] Zweyter Hauptabschnitt.

Allgemeine Deduction des transscendentalen Idealismus.

vorerinnerung.

1. Der Idealismus ist schon in unserem ersten Grundsatze ausgedrückt. Denn weil das Ich unmittelbar durch sein Gedachtwerden auch ist, (denn es ist nichts anders, als das Sichselbstdenken), so ist der Satz Ich = Ich = dem Satz: Ich bin, anstatt daß der Satz A = A nur so viel sagt: wenn A gesetzt ist, ist es sich selbst gleich gesetzt. Die Frage: ist es denn gesetzt, ist vom Ich gar nicht möglich. Ist nun der Satz: Ich bin, Princip aller Philosophie, so kann es auch keine Realität geben, als die der Realität dieses Satzes gleich ist. Aber dieser Satz sagt nicht, daß ich für irgend etwas außer mir, sondern nur, daß ich für mich selbst bin. Also wird auch alles, was überhaupt ist, nur für das Ich seyn können, eine andere Realität wird es überhaupt nicht geben.

[…] [74] A. Das Ich ist als Ich unbegräntzt, nur indem es begräntzt wird.

Es fragt sich, wie so etwas sich denken lasse?

aa) Das Ich ist alles, was es ist, nur für sich selbst. Das Ich ist unendlich, heißt also, es ist unendlich für sich selbst. – Man setze einen Augenblick, das Ich sey unendlich, aber ohne es für sich selbst zu seyn, so wäre zwar ein Unendliches, aber dieses Unendliche wäre nicht Ich. (Man versinnliche sich das Gesagte durch das Bild des unendlichen Raums, der ein Unendliches ist, ohne Ich zu seyn, und der gleichsam das aufgelöste Ich, das Ich ohne Reflexion, repräsentirt.)

bb) Das Ich ist unendlich für sich selbst, heißt, es ist unendlich für seine Selbstanschauung. Aber das Ich, indem es sich anschaut, wird endlich. Dieser Widerspruch ist nur dadurch aufzulösen, daß das Ich in dieser Endlichkeit sich unendlich wird, d. h. daß es sich anschaut als ein unendliches Werden.

cc) Aber ein Werden läßt sich nicht denken als unter Bedingung einer Begräntzung. Man denke eine unendlich producirende Thätigkeit als sich ausbreitend ohne Widerstand, so wird sie mit unendlicher Schnelligkeit produciren, ihr Product ist ein Seyn, nicht ein Werden. Die Bedingung alles Werdens also ist die Begräntzung, oder die Schranke.

dd) Aber das Ich soll nicht nur ein Werden, es soll ein unendliches Werden seyn. Damit es ein Werden sey, muß es beschränkt seyn. Damit es ein unendliches Werden sey, muß die Schranke aufgehoben werden. (Wenn die producirende Thätigkeit nicht über ihr Product (ihre Schranke) hinausstrebt, so ist das Product nicht productiv, d. h. es ist kein Werden. Wann aber die Production in irgend einem bestimmten Puncte vollendet, die Schranke also aufgehoben ist, (denn die Schranke ist nur im Gegensatz gegen die Thätigkeit, die über sie hinausstrebt), so war die producirende Thätigkeit nicht unendlich.) Die Schranke soll also aufgehoben werden, und zugleich nicht aufgehoben werden. Aufgehoben, damit das Werden ein unendliches, nicht aufgehoben, damit es nie aufhöre, ein Werden zu seyn.

[75] ee) Dieser Widerspruch kann nur durch den Mittelbegriff einer unendlichen Erweiterung der Schranke aufgelöst werden. Die Schranke wird aufgehoben für jeden bestimmten Punct, aber sie wird nicht absolut aufgehoben, sondern nur in‘s Unendliche hinausgerückt.

Die (in‘s Unendliche erweiterte) Begräntztheit ist also Bedingung, unter welcher allein das Ich als Ich unendlich seyn kann.

Die Begräntztheit jenes Unendlichen ist also unmittelbar durch seine Ichheit, d. h. dadurch gesetzt, daß es nicht blos ein Unendliches, sondern zugleich ein Ich, d. h. ein Unendliches für sich selbst ist.

B) Das Ich ist begräntzt nur dadurch, daß es unbegräntzt ist.

Man setze, dem Ich werde eine Gräntze gesetzt, ohne sein Zuthun. Diese Gräntze falle in jeden beliebigen Punct C. Geht die Thätigkeit des Ichs nicht bis zu diesem Punct, oder gerade nur bis zu diesem Punct, so ist er keine Gräntze für das Ich. Allein daß die Thätigkeit des Ichs auch nur bis zu dem Punct C. gehe, kann man nicht annehmen, ohne daß es ursprünglich in‘s Unbestimmte hin, d. h. unendlich thätig sey. Der Punct C existirt also für das Ich selbst nur dadurch, daß es über ihn hinausstrebt, aber jenseits dieses Puncts liegt die Unendlichkeit, denn zwischen dem Ich und der Unendlichkeit liegt nichts als dieser Punct. Also ist das unendliche Streben des Ichs selbst Bedingung, unter welcher es begräntzt wird, d. h. seine Unbegräntztheit ist Bedingung seiner Begräntztheit.

g) Aus den beyden Sätzen A) und B) wird auf folgende Art weiter geschlossen:

aa) Wir konnten die Begräntztheit des Ichs nur deduciren als Bedingung seiner Unbegräntztheit. Nun ist aber die Schranke Bedingung der Unbegräntztheit nur dadurch, daß sie in‘s Unendliche erweitert wird. Aber das Ich kann die Schranke nicht erweitern, ohne auf sie zu handeln, und nicht auf sie handeln, ohne daß sie unabhängig von diesem Handeln existirt. Die Schranke wird also reell, nur durch das Ankämpfen des Ichs gegen die [76] Schranke. Richtete das Ich nicht seine Thätigkeit dagegen, so wäre sie keine Schranke für das Ich, d. h. (weil sie nur negativ – in Bezug auf das Ich setzbar ist,) sie wäre überhaupt nicht.

Die Thätigkeit, welche gegen die Schranke sich richtet, ist nach dem Beweis von B) keine andere, als die ursprünglich in‘s Unendliche gehende Thätigkeit des Ichs, d. h. diejenige Thätigkeit, welche allein dem Ich jenseits des Selbstbewußtseyns zukommt.

bb) Nun erklärt aber diese ursprünglich unendliche Thätigkeit allerdings, wie die Schranke reell, nicht aber, wie sie auch ideell werde, d. h. sie erklärt wohl das Begräntztseyn des Ichs überhaupt, nicht aber sein Wissen um die Begräntztheit, oder sein Begräntztseyn für sich selbst.

cc) Nun muß aber die Schranke zugleich reell und ideell seyn. Reell d. h. unabhängig vom Ich, weil das Ich sonst nicht wirklich begränzt ist, ideell, abhängig vom Ich, weil das Ich sonst sich nicht selbst setzt, anschaut als begränzt. Beyde Behauptungen, die, daß die Schranke reell, und die, daß sie blos ideell sey, sind aus dem Selbstbewußtseyn zu deduciren. Das Selbstbewußtseyn sagt, daß das Ich für sich selbst begräntzt sey; damit es begräntzt sey, muß die Schranke unabhängig seyn von der begräntzten Thätigkeit, damit begräntzt für sich selbst, abhängig vom Ich. Der Widerspruch dieser Behauptungen ist also nur aufzulösen durch einen Gegensatz, der im Selbstbewußtseyn selbst statthat. Die Schranke ist abhängig vom Ich heißt: es ist in ihm eine andere Thätigkeit außer der begräntzten, von welcher sie unabhängig seyn muß. Es muß also außer jener in‘s Unendliche gehenden Thätigkeit, die wir, weil sie allein reell begräntzbar ist, die reelle nennen wollen, eine andere im Ich seyn, die wir die ideelle nennen können. Die Schranke ist reell für die ins Unendliche gehende, oder – weil eben diese unendliche Thätigkeit im Selbstbewußtseyn begräntzt werden soll – für die objective Thätigkeit des Ichs, ideell also für eine entgegengesetzte, nichtobjective, an sich unbegräntzbare Thätigkeit, welche jetzt genauer charakterisirt werden muß.

[77] dd) Es sind uns außer jenen beyden Thätigkeiten, deren eine wir vorerst blos postuliren als nothwendig zur Erklärung der Begräntztheit des Ichs keine andern Factoren des Selbstbewußtseyns gegeben. Die zweyte ideelle oder nichtobjective Thätigkeit muß also von der Art seyn, daß durch sie zugleich der Grund des Begräntztwerdens der objectiven, und des Wissens um dieses Begräntztseyn gegeben ist. Da nun die ideelle ursprünglich nur als die anschauende (subjective) von jener gesetzt ist, um durch sie die Begräntztheit des Ichs als Ich zu erklären, so muß angeschaut- und begräntztwerden für die zweyte, objective, Thätigkeit Eins und dasselbe seyn. Dies ist zu erklären aus dem Grundcharakter des Ich. Die zweyte Thätigkeit, wenn sie Thätigkeit eines Ich seyn soll, muß zugleich begräntzt werden, und angeschaut werden als begräntzt, denn eben in dieser Identität des Angeschautwerdens und Seyns liegt die Natur des Ich. Dadurch, daß die reelle Thätigkeit begräntzt ist, muß sie auch angeschaut, und dadurch, daß sie angeschaut wird, auch begräntzt werden, beydes muß absolut Eines seyn.

ee) Beyde Thätigkeiten, ideelle und reelle, setzen sich wechselseitig voraus. Die reelle ursprünglich in‘s Unendliche strebende, aber zum Behuf des Selbstbewußtseyns zu begräntzende Thätigkeit ist nichts ohne ideelle, für welche sie in ihrer Begräntztheit unendlich ist, (nach dd). Hinwiederum ist die ideelle Thätigkeit nichts, ohne anzuschauende, begräntzbare, eben deßwegen reelle.

Aus dieser wechselseitigen Voraussetzung beyder Thätigkeiten zum Behuf des Selbstbewußtseyns wird der ganze Mechanismus des Ich abzuleiten seyn.

ff) So wie sich beyde Thätigkeiten wechselseitig voraussetzen, so auch Idealismus und Realismus. Reflectire ich blos auf die ideelle Thätigkeit, so entsteht mir Idealismus, oder die Behauptung, daß die Schranke blos durch das Ich gesetzt ist. Reflectire ich blos auf die reelle Thätigkeit, so entsteht mir Realismus, oder die Behauptung, daß die Schranke unabhängig [78] vom Ich ist. Reflectire ich auf beyde zugleich, so entsteht mir ein drittes aus beyden, was man Ideal-Realismus nennen kann, oder was wir bisher durch den Namen transscendentaler Idealismus bezeichnet haben.

gg) In der theoretischen Philosophie wird die Idealität der Schranke erklärt, (oder: wie die Begräntztheit, die ursprünglich nur für das freye Handeln existirt, Begräntztheit für das Wissen werde?) die practische Philosophie hat die Realität der Schranke, (oder: wie die Begräntztheit, die ursprünglich eine blos subjective ist, objectiv werde?) zu erklären. Theoretische Philosophie also ist Idealismus, practische Realismus, und nur beyde zusammen das vollendete System des transscendentalen Idealismus.

Wie sich Idealismus und Realismus wechselseitig voraussetzen, so theoretische und practische Philosophie, und im Ich selbst ist ursprünglich Eins und verbunden, was wir zum Behuf des jetzt aufzustellenden Systems trennen müßen. […]

[307] Fünfter Hauptabschnitt.

hauptsätze der Teleologie nach Grundsätzen

des transscendentalen idealismus.

So gewiß, als die Erscheinung der Freyheit nur zu begreifen ist durch Eine identische Thätigkeit, welche blos zum Behuf des Erscheinens sich in bewußte, und bewußtlose getrennt hat, so gewiß muß die Natur, als das ohne Freyheit Hervorgebrachte erscheinen als ein Product, das zweckmässig ist, ohne einem Zweck gemäß hervorgebracht zu seyn, d. h. als ein Product, das, obgleich Werk des blinden Mechanismus, doch so aussieht, als ob es mit Bewußtseyn hervorgebracht wäre.

1. Die Natur muß als zweckmäßiges Product erscheinen. Der transscendentale Beweis wird geführt aus der nothwendigen Harmonie der bewußtlosen mit der bewußten Thätigkeit. Der Beweis aus der Erfahrung gehört nicht in die Transscendental-Philosophie, wir gehen daher sogleich zu dem zweyten Satz über. Nämlich

2. Die Natur ist nicht zweckmäßig der Production nach, d. h. obgleich sie alle Charaktere eines zweckmäßigen Products an sich trägt, ist sie doch [308] in ihrem Ursprung nicht zweckmäßig, und durch das Bestreben, sie aus einer zweckmäßigen Production zu erklären, wird der Charakter der Natur, und eben das, was sie zur Natur macht, aufgehoben. Denn das Eigenthümliche der Natur beruht eben darauf, daß sie in ihrem Mechanismus, und obgleich selbst nichts, als blinder Mechanismus, doch zweckmäßig ist. Hebe ich den Mechanismus auf, so hebe ich die Natur selbst auf. Der ganze Zauber, welcher z. B. die organische Natur umgiebt, und den man erst mit Hülfe des transscendentalen Idealismus ganz zu durchdringen vermag, beruht auf dem Widerspruch, daß diese Natur, obgleich Product blinder Naturkräfte, doch durchaus, und durchein zweckmäßig ist. Aber eben dieser Widerspruch, welcher durch die transscendentalen Grundsätze a priori sich deduciren läßt, wird durch die teleologischen Erklärungsarten aufgehoben.

Die Natur in ihren zweckmäßigen Formen spricht figürlich zu uns, sagt Kant, die Auslegung ihrer Chiffernschrift giebt uns die Erscheinung der Freyheit in uns. In dem Naturproduct ist noch beysammen, was sich im freyen Handeln zum Behuf des Erscheinens getrennt hat. Jede Pflanze ist ganz, was sie seyn soll, das Freye in ihr ist nothwendig, und das Nothwendige frey. Der Mensch ist ein ewiges Bruchstück, denn entweder ist sein Handeln nothwendig, und dann nicht frey, oder frey, und dann nicht nothwendig und gesetzmäßig. Die vollständige Erscheinung der vereinigten Freyheit und Nothwendigkeit in der Aussenwelt giebt mir also allein die organische Natur, und dieß ließ sich schon zum voraus aus der Stelle schließen, die sie in der Reihe von Productionen in der theoretischen Philosophie einnimmt, indem sie unsern Ableitungen zufolge selbst schon ein objectiv gewordenes Produciren, insofern also an das freye Handeln gräntzend, jedoch ein bewußtloses Anschauen des Producirens, insofern also selbst wieder ein blindes Produciren ist.

[309] Dieser Widerspruch nun, daß Ein und dasselbe Product zugleich blindes Product, und doch zweckmäßig sey, ist schlechthin in keinem System, ausser dem des transscendentalen Idealismus zu erklären, indem jedes andere entweder die Zweckmäßigkeit der Producte, oder den Mechanismus im Hervorbringen derselben läugnen, also eben jene Coexistenz aufheben muß. Entweder nimmt man an, die Materie bilde sich von selbst zu zweckmässigen Producten, wodurch wenigstens begreiflich wird, wie die Materie, und der Zweckbegriff sich in den Producten durchdringen, so schreibt man der Materie entweder absolute Realität bey, welches im Hylozoismus geschieht, ein widersinnisches System, insofern es die Materie selbst als intelligent annimmt, oder nicht, so muß die Materie als die bloße Anschauungsweise eines intelligenten Wesens gedacht werden, so daß alsdann der Zweckbegriff und das Object eigentlich nicht in der Materie, sondern in der Anschauung jenes Wesens sich durchdringen, wo denn der Hylozoismus selbst wieder auf den transscendentalen Idealismus zurückführt. Oder man nimmt die Materie als absolut unthätig an, und läßt die Zweckmäßigkeit in ihren Producten hervorgebracht seyn durch eine Intelligenz ausser ihr, so nämlich, daß der Begriff dieser Zweckmäßigkeit der Production selbst vorangegangen, so ist nicht zu begreifen, wie der Begriff und das Object in‘s Unendliche sich durchdrungen, wie mit einem Wort das Product nicht Kunstproduct, sondern Naturproduct sey. Denn der Unterschied des Kunst- und des Naturproducts beruht eben darauf, daß in jenem der Begriff nur der Oberfläche des Objects aufgedrückt, in diesem aber in das Object selbst übergegangen, und von ihm schlechthin unzertrennlich ist. Diese absolute Identität des Zweckbegriffs mit dem Object selbst, ist nun aber blos aus einer Production zu erklären, in welcher bewußte und bewußtlose Thätigkeit sich vereinigen, aber eine solche ist wiederum nur in einer Intelligenz möglich. Nun läßt sich aber wohl begreifen, wie eine schöpferische Intelligenz sich selbst, nicht aber, wie sie andern ausser sich eine Welt darstellen könne. Also sehen wir uns hier wiederum auf den transscendentalen Idealismus zurückgetrieben.

Die Zweckmäßigkeit der Natur im Ganzen sowohl, als in einzelnen Producten läßt sich nur begreiffen aus einer Anschauung, in welcher der Begriff [310] des Begriffs, und das Object selbst ursprünglich und ununterscheidbar vereinigt sind, denn alsdann wird das Product zwar erscheinen müssen als zweckmäßig, weil die Production selbst schon bestimmt war durch das Princip, welches in das Freye und nicht Freye zum Behuf des Bewußtseyns sich trennt, und doch kann wiederum der Zweckbegriff nicht als vorangegangen der Production gedacht werden, weil in jener Anschauung beyde noch ununterscheidbar waren. Daß nun alle teleologischen Erklärungsarten, d. h. diejenigen, welche den Zweckbegriff, das der bewußten Thätigkeit Entsprechende, dem Object, welches der bewußtlosen Thätigkeit entspricht, vorangehen lassen, in der That alle wahre Naturerklärung aufheben, und dadurch für das Wissen in seiner Vollkommenheit selbst verderblich werden, erhellt aus dem bisherigen von selbst so offenbar, daß es keiner weitern Erklärung, auch nicht einmal durch Beyspiele bedarf.

II.

Die Natur in ihrer blinden und mechanischen Zweckmäßigkeit repräsentirt mir allerdings eine ursprüngliche Identität der bewußten, und der bewußtlosen Thätigkeit, aber sie repräsentirt mir jene Identität nicht als eine solche, deren letzter Grund im Ich selbst liegt. Der Transscendental-Philosoph sieht es wohl, daß das Princip derselben das Letzte in uns ist, was schon im ersten Act des Selbstbewußtseyns sich trennt, und auf welches das ganze Bewußtseyn mit allen seinen Bestimmungen aufgetragen ist, aber das Ich selbst sieht es nicht. Nun war ja aber die Aufgabe der ganzen Wissenschaft eben die, wie dem Ich selbst der letzte Grund der Harmonie zwischen Subjectivem und Objectivem objectiv werde?

Es muß also in der Intelligenz selbst eine Anschauung sich aufzeigen lassen, durch welche in Einer und derselben Erscheinung das Ich für sich selbst bewußt, und bewußtlos zugleich ist, und erst durch eine solche Anschau[311]ung bringen wir die Intelligenz gleichsam ganz aus sich selbst heraus, erst durch eine solche ist also auch das ganze Problem der Transscendental-Philosophie, (die Uebereinstimmung des Subjectiven und Objectiven zu erklären) gelöst.

Durch die erste Bestimmung, nämlich daß bewußte und bewußtlose Thätigkeit in Einer und derselben Anschauung objectiv werden, unterscheidet sich diese Anschauung von der, welche wir in der practischen Philosophie ableiten konnten, wo die Intelligenz nur für die innere Anschauung bewußt, für die äussere aber bewußtlos war.

Durch die zweyte Bestimmung, nämlich daß das Ich in Einer und derselben Anschauung für sich selbst bewußt, und bewußtlos zugleich werde, unterscheidet sich die hier postulirte Anschauung von der, welche wir in den Naturproducten haben, wo wir zwar jene Identität erkennen, aber nicht als Identität, deren Princip im Ich selbst liegt. Jede Organisation ist ein Monogramm jener ursprünglichen Identität, aber um sich in diesem Reflex zu erkennen, muß das Ich sich unmittelbar schon in jener Identität erkannt haben.

Wir haben nichts zu thun, als die Merkmale dieser jetzt abgeleiteten Anschauung zu analysiren, um die Anschauung selbst zu finden, welche zum voraus zu urtheilen keine andere, als die Kunstanschauung seyn kann.

[312] Sechster Hauptabschnitt.

Deduction eines allgemeinen Organs der Philosophie, oder: Hauptsätze der Philosophie der Kunst nach Grundsätzen des transscendentalen idealismus.

§. I.

Deduction des Kunstproducts überhaupt.

Die postulirte Anschauung soll zusammenfassen, was in der Erscheinung der Freyheit, und was in der Anschauung des Naturproducts getrennt existirt, nämlich Identität des Bewußten und Bewußtlosen im Ich, und Bewußtseyn dieser Identität. Das Product dieser Anschauung wird also einerseits an das Naturproduct, andererseits an das Freyheitsproduct gräntzen, und die Charaktere beyder in sich vereinigen müssen. Kennen wir das Product der Anschauung, so kennen wir auch die Anschauung selbst, wir brauchen also nur das Product abzuleiten, um die Anschauung abzuleiten.

Das Product wird mit dem Freyheitsproduct gemein haben, daß es ein mit Bewußtseyn hervorgebrachtes, mit dem Naturproduct, daß es ein bewußtlos hervorgebrachtes ist. In der ersten Rücksicht wird es also das umgekehrte des organischen Naturproducts seyn. Wenn aus dem organischen Product die bewußtlose (blinde) Thätigkeit als bewußte reflectirt wird, so wird umgekehrt aus dem Product, von welchem hier die Rede ist, die bewußte Thätigkeit als bewußtlose, (objective) reflectirt werden, oder wenn das organische Product mir die bewußtlose Thätigkeit als bestimmt durch die bewußte reflectirt, so wird umgekehrt das Product, welches hier abgeleitet wird, die bewußte Thätigkeit als bestimmt durch die bewußtlose reflectiren. Kürzer: [313] die Natur fängt bewußtlos an, und endet bewußt, die Production ist nicht zweckmäßig, wohl aber das Product. Das Ich in der Thätigkeit, von welcher hier die Rede ist, muß mit Bewußtseyn (subjectiv) anfangen, und im Bewußtlosen oder objectiv enden, das Ich ist bewußt der Production nach, bewußtlos in Ansehung des Products.

Wie sollen wir uns nun aber eine solche Anschauung transscendental erklären, in welcher die bewußtlose Thätigkeit durch die bewußte bis zur vollkommnen Identität mit ihr gleichsam hindurchwirkt? – Wir reflectiren vorerst darauf, daß die Thätigkeit eine bewußte seyn soll. Nun ist es aber schlechthin unmöglich, daß mit Bewußtseyn etwas Objectives hervorgebracht werde, was doch hier verlangt wird. Objectiv ist nur, was bewußtlos entsteht, das eigentlich Objective in jener Anschauung muß also auch nicht mit Bewußtseyn hinzugebracht werden können. Wir können uns hierüber unmittelbar auf die Beweise berufen, die schon wegen des freyen Handelns geführt worden sind, daß nämlich das Objective in demselben durch etwas von der Freyheit Unabhängiges hinzukomme. Der Unterschied ist nur der, daß im freyen Handeln die Identität beyder Thätigkeiten aufgehoben seyn muß, eben darum, damit das Handeln als frey erscheine. Auch können die beyden Thätigkeiten im freyen Handeln nie absolut identisch werden, weshalb auch das Object des freyen Handelns nothwendig ein unendliches, nie vollständig realisirtes ist, denn wäre es vollständig realisirt, so fielen die bewußte und die objective Thätigkeit in Eins zusammen, d. h. die Erscheinung der Freyheit hörte auf. Was nun durch die Freyheit schlechthin unmöglich war, soll durch das jetzt postulirte Handeln möglich seyn, welches aber eben um diesen Preis aufhören muß, ein freyes Handeln zu seyn, und ein solches wird, in welchem Freyheit und Nothwendigkeit absolut vereinigt sind. Nun sollte aber doch die Production mit Bewußtseyn geschehen, welches unmöglich ist, ohne daß beyde getrennt seyn. Hier ist also ein offenbarer [314] Widerspruch. Bewußte, und bewußtlose Thätigkeit sollen absolut Eins seyn im Product, gerade wie sie es im organischen Product auch sind, aber sie sollen auf andere Art Eines seyn, beyde sollen Eines seyn für das Ich selbst. Dieß ist aber unmöglich, als wenn das Ich sich der Production bewußt ist. Aber ist das Ich der Production sich bewußt, so müssen beyde Thätigkeiten getrennt seyn, denn dieß ist nothwendige Bedingung des Bewußtseyns der Production. Beyde Thätigkeiten müssen also Eines seyn, denn sonst ist keine Identität, beyde müssen getrennt seyn, denn sonst ist Identität, aber nicht für das Ich. Wie ist dieser Widerspruch aufzulösen?

Beyde Thätigkeiten müssen getrennt seyn zum Behuf des Erscheinens, des Objectivwerdens der Production, gerade so, wie sie im freyen Handeln zum Behuf des Objectivwerdens des Anschauens getrennt seyn müssen. Aber sie können nicht in‘s Unendliche getrennt seyn, wie beym freyen Handeln, weil sonst das Objective niemals eine vollständige Darstellung jener Identität wäre. Die Identität beyder sollte aufgehoben seyn nur zum Behuf des Bewußtseyns, aber die Production soll in Bewußtlosigkeit enden, also muß es einen Punct geben, wo beyde in Eins zusammenfallen, und umgekehrt, wo beyde in Eines zusammenfallen, muß die Production aufhören, als eine freye zu erscheinen.

Wenn dieser Punct in der Production erreicht ist, so muß das Produciren absolut aufhören, und es muß dem Producirenden unmöglich seyn, weiter zu produciren, denn die Bedingung alles Producirens ist eben die Entgegensetzung der bewußten, und der bewußtlosen Thätigkeit, diese sollen hier [315] aber absolut zusammentreffen, es soll also in der Intelligenz aller Streit aufgehoben, aller Widerspruch vereinigt seyn.

Die Intelligenz wird also in einer vollkommenen Anerkennung der im Product ausgedrückten Identität, als einer solchen, deren Princip in ihr selbst liegt, d. h. sie wird in einer vollkommenen Selbstanschauung enden. Da es nun die freye Tendenz zur Selbstanschauung in jener Identität war, welche die Intelligenz ursprünglich mit sich selbst entzweyte, so wird das Gefühl, was jene Anschauung begleitet, das Gefühl einer unendlichen Befriedigung seyn. Aller Trieb zu produciren steht mit der Vollendung des Products stille, o alle Widersprüche sind aufgehoben, alle Räthsel gelöst. Da die Production ausgegangen war von Freyheit, d. h. von einer unendlichen Entgegensetzung der beyden Thätigkeiten, so wird die Intelligenz jene absolute Vereinigung beyder, in welcher die Production endet, nicht der Freyheit zuschreiben können, denn gleichzeitig mit der Vollendung des Products ist alle Erscheinung der Freyheit hinweggenommen; sie wird sich durch jene Vereinigung selbst überrascht und beglückt fühlen, d. h. sie gleichsam als freywillige Gunst einer höhern Natur ansehen, die das Unmögliche durch sie möglich gemacht hat.

Dieses Unbekannte aber, was hier die objective und die bewußte Thätigkeit in unerwartete Harmonie setzt, ist nichts anders, als jenes Absolute, welches den allgemeinen Grund der prästabilirten Harmonie zwischen dem Bewußten und dem Bewußtlosen enthält. Wird also jenes Absolute reflectirt aus dem Product, so wird es der Intelligenz erscheinen, als Etwas, das über ihr ist, und was selbst entgegen der Freyheit zu dem, was mit Bewußtseyn und Absicht begonnen war, das Absichtslose hinzubringt.

[316] Dieses unveränderlich Identische, was zu keinem Bewußtseyn gelangen kann, und nur aus dem Product widerstrahlt, ist für das Producirende eben das, was für das Handelnde das Schicksal ist, d. h. eine dunkle unbekannte Gewalt, die zu dem Stückwerk der Freyheit das Vollendete, oder das Objective hinzubringt, und wie jene Macht, welche durch unser freyes Handeln ohne unser Wissen, und selbst wider unsern Willen nicht vorgestellte Zwecke realisirt, Schicksal genannt wird, so wird das Unbegreifliche, was ohne Zuthun der Freyheit, und gewissermaaßen der Freyheit entgegen, in welcher ewig sich flieht, was in jener Production vereinigt ist, zu dem Bewußten das Objective hinzubringt, mit dem dunklen Begriff des Genies bezeichnet.

Das postuline Product ist kein anderes, als das Genieproduct, oder, da das Genie nur in der Kunst möglich ist, das Kunstproduct.

Die Deduction ist vollendet, und wir haben zunächst nichts zu thun, als durch vollständige Analysis zu zeigen, daß alle Merkmale der postulirten Production in der ästhetischen zusammentreffen.

Daß alle ästhetische Production auf einem Gegensatz von Thätigkeiten beruhe, läßt sich schon aus der Aussage aller Künstler, daß sie zur Hervorbringung ihrer Werke unwillkührlich getrieben werden, daß sie durch Production derselben nur einen unwiderstehlichen Trieb ihrer Natur befriedigen, mit Recht schliessen, denn wenn jeder Trieb von einem Widerspruch ausgeht, so, daß den Widerspruch gesetzt die freye Thätigkeit unwillkührlich wird, so muß auch der künstlerische Trieb aus einem solchen Gefühl eines innern Widerspruchs hervorgehen. Dieser Widerspruch aber, da er den ganzen Menschen mit allen seinen Kräften in Bewegung setzt, ist ohne Zweifel ein Widerspruch, der das Letzte in ihm, die Wurzel seines ganzen Daseyns angreift. Es ist gleichsam, als ob in den seltenen Menschen, wel[317]che vor andern Künstler sind im höchsten Sinne des Worts, jenes unveränderlich Identische, auf welches alles Daseyn aufgetragen ist, seine Hülle, mit der es sich in andern umgiebt, abgelegt habe, und so wie es unmittelbar von den Dingen afficirt wird, ebenso auch unmittelbar auf alles zurückwirke. Es kann also nur der Widerspruch zwischen dem Bewußten und dem Bewußtlosen im freyen Handeln seyn, welcher den künstlerischen Trieb in Bewegung setzt, so wie es hinwiederum nur der Kunst gegeben seyn kann, unser unendliches Streben zu befriedigen, und auch den letzten und äussersten Widerspruch in uns aufzulösen.

So wie die ästhetische Production ausgeht vom Gefühl eines scheinbar unauflöslichen Widerspruchs, ebenso endet sie nach dem Bekenntniß aller Künstler, und aller, die ihre Begeisterung theilen, im Gefühl einer unendlichen Harmonie, und daß dieses Gefühl, was die Vollendung begleitet, zugleich eine Rührung ist, beweist schon, daß der Künstler die vollständige Auflösung des Widerspruchs, die er in seinem Kunstwerk erblickt, nicht sich selbst, sondern einer freywilligen Gunst seiner Natur zuschreibt, die, so unerbittlich sie ihn in Widerspruch mit sich selbst setzte, ebenso gnädig den Schmerz dieses Widerspruchs von ihm hinwegnimmt, denn so wie der Künstler unwillkührlich, und selbst mit innerem Widerstreben zur Production getrieben wird, (daher bey den Alten die Aussprüche: pati Deum u. s. w. daher überhaupt die Vorstellung von Begeisterung durch fremden Anhauch) ebenso kommt auch das Objective zu seiner Production gleichsam ohne sein Zuthun, d. h. selbst blos objectiv hinzu. Ebenso wie der verhängnißvolle Mensch nicht vollführt, was er will, oder beabsichtigt, sondern was er durch ein unbegreifliches Schicksal, unter dessen Einwirkung er steht, vollführen muß, so scheint der Künstler, so absichtsvoll er ist, doch in Ansehung dessen, was das eigentlich Objective in seiner Hervorbringung ist, unter der Einwirkung einer Macht zu stehen, die ihn von allen andern [318] Menschen absondert, und ihn Dinge auszusprechen oder darzustellen zwingt, die er selbst nicht vollständig durchsieht, und deren Sinn unendlich ist. Da nun jenes absolute Zusammentreffen der beyden sich fliehenden Thätigkeiten schlechthin nicht weiter erklärbar, sondern blos eine Erscheinung ist, die obschon unbegreiflich, doch nicht geläugnet werden kann, so ist die Kunst die einzige und ewige Offenbarung, die es giebt, und das Wunder, das, wenn es auch nur Einmal existirt hätte, uns von der absoluten Realität jenes Höchsten überzeugen müßte.

Wenn nun ferner die Kunst durch zwey von einander völlig verschiedene Thätigkeiten vollendet wird, so ist das Genie weder die Eine noch die andere, sondern das, was über beyden ist. Wenn wir in der Einen jener beyden Thätigkeiten, der bewußten nämlich, das suchen müßen, was insgemein Kunst genannt wird, was aber nur der Eine Theil derselben ist, nämlich dasjenige an ihr, was mit Bewußtseyn, Überlegung und Reflexion ausgeübt wird, was auch gelehrt und gelernt, durch Überlieferung und durch eigene Übung erreicht werden kann, so werden wir dagegen in dem Bewußtlosen, was in die Kunst mit eingeht, dasjenige suchen müßen, was an ihr nicht gelernt, nicht durch Übung, noch auf andere Art erlangt werden, sondern allein durch freye Gunst der Natur angebohren seyn kann, und welches dasjenige ist, was wir mit einem Wort die Poësie in der Kunst nennen können.

Es erhellt aber eben daraus von selbst, daß es eine höchst unnütze Frage wäre, welchem von den beyden Bestandtheilen der Vorzug vor dem andern zukomme, da in der That jeder derselben ohne den andern keinen Werth hat, und nur beyde zusammen das Höchste hervorbringen. Denn obgleich das, was nicht durch Übung erreicht wird, sondern mit uns gebohren ist, allgemein als das Herrlichere betrachtet wird, so haben doch die Götter auch die Ausübung jener ursprünglichen Kraft an das ernstliche Bemühen der Menschen, an den Fleiß und die Überlegung so fest geknüpft, daß die Poësie selbst wo sie angebohren ist, ohne die Kunst nur gleichsam todte Producte hervorbringt, an welchen kein menschlicher Verstand sich ergötzen kann, und welche durch die völlig blinde Kraft, die darin wirksam ist, alles Urtheil [319] und selbst die Anschauung von sich zurückstoßen. Es läßt sich vielmehr umgekehrt noch eher erwarten, daß Kunst ohne Poësie als daß Poësie ohne Kunst etwas zu leisten vermöge, theils weil nicht leicht ein Mensch von Natur ohne alle Poesie, obgleich viele ohne alle Kunst sind, theils weil das anhaltende Studium der Ideen großer Meister den ursprünglichen Mangel an objectiver Kraft einigermaaßen zu ersetzen im Stande ist, obgleich dadurch immer nur ein Schein von Poësie enstehen kann, der an seiner Oberflächlichkeit im Gegensatz gegen die unergründliche Tiefe, welche der wahre Künstler, obwohl er mit der grösten Besonnenheit arbeitet, unwillkührlich in sein Werk legt, und welche weder er, noch irgend ein anderer ganz zu durchdringen vermag, so wie an vielen andern Merkmalen, z. B. dem großen Werth, den er auf das blos Mechanische der Kunst legt, an der Armuth der Form, in welcher er sich bewegt, u.s.w. leicht unterscheidbar ist.

Es erhellt nun aber auch von selbst, daß ebensowenig, als Poësie und Kunst einzeln und für sich, ebensowenig auch eine abgesonderte Existenz beyder das Vollendete hervorbringen könne, daß also, weil die Identität beyder nur ursprünglich seyn kann und durch Freyheit schlechthin unmöglich und unerreichbar ist, das Vollendete nur durch das Genie möglich sey, welches ebendeßwegen für die Ästhetik dasselbe ist, was das Ich für die Philosophie, nämlich das Höchste absolut Reelle, was selbst nie objectiv wird, aber Ursache alles Objectiven ist.

§. 2

Charakter des Kunstproducts.

a) Das Kunstwerk reflectirt uns die Identität der bewußten und der bewußtlosen Thätigkeit. Aber der Gegensatz dieser beyden ist ein unendlicher, und er wird aufgehoben ohne alles Zuthun der Freyheit. Der Grundcharakter [320] des Kunstwerks ist also eine bewußtlose Unendlichkeit. Der Künstler scheint in seinem Werk außer dem, was er mit offenbarer Absicht darein gelegt hat, instinctmäßig gleichsam eine Unendlichkeit dargestellt zu haben, welche ganz zu entwickeln, kein endlicher Verstand fähig ist. Um uns nur durch Ein Beyspiel deutlich zu machen, so ist die griechische Mythologie von der es unläugbar ist, daß sie einen unendlichen Sinn, und Symbole für alle Ideen in sich schließt, unter einem Volk, und auf eine Weise entstanden, welche beyde eine durchgängige Absichtlichkeit in der Erfindung, und in der Harmonie, mit der alles zu Einem großen Ganzen vereinigt ist, unmöglich annehmen lassen. So ist es mit jedem wahren Kunstwerk, indem jedes, als ob eine Unendlichkeit von Absichten darinn wäre, einer unendlichen Auslegung fähig ist, wobey man doch nie sagen kann, ob diese Unendlichkeit im Künstler selbst gelegen habe, oder aber blos im Kunstwerk liege. Dagegen in dem Product, welches den Charakter des Kunstwerks nur heuchelt. Absicht und Regel an der Oberfläche liegen und so beschränkt und umgräntzt erscheinen, daß das Product nichts anders als der getreue Abdruck der bewußten Thätigkeit des Künstlers, und durchaus nur ein Object für die Reflexion, nicht aber für die Anschauung ist, welche im Angeschauten sich zu vertiefen liebt, und nur auf dem Unendlichen zu ruhen vermag.

b) Jede ästhetische Production geht aus vom Gefühl eines unendlichen Widerspruchs, also muß auch das Gefühl, was die Vollendung des Kunstproducts begleitet, das Gefühl einer solchen Befriedigung seyn, und dieses Gefühl muß auch wiederum in das Kunstwerk selbst übergehen. Der äußere Ausdruck des Kunstwerks ist also der Ausdruck der Ruhe, und der stillen Größe, selbst da, wo die höchste Spannung des Schmerzens oder der Freude ausgedrückt werden soll.

Jede ästhetische Production geht aus von einer an sich unendlichen Trennung der beyden Thätigkeiten, welche in jedem freyen Produciren getrennt sind. Da nun aber diese beyden Thätigkeiten im Product als vereinigt [321] dargestellt werden sollen, so wird durch dasselbe ein Unendliches endlich dargestellt. Aber das Unendliche endlich dargestellt ist Schönheit. Der Grundcharakter jedes Kunstwerks, welcher die beyden vorhergehenden in sich begreift, ist also die Schönheit, und ohne Schönheit ist kein Kunstwerk. Denn ob es gleich erhabene Kunstwerke giebt, und Schönheit und Erhabenheit in gewisser Rücksicht sich entgegengesetzt sind, indem eine Naturscene z. B. schön seyn kann, ohne deßhalb erhaben zu seyn, und umgekehrt, so ist doch der Gegensatz zwischen Schönheit und Erhabenheit ein solcher, der nur in Ansehung des Objects, nicht aber in Ansehung des Subjects der Anschauung stattfindet, indem der Unterschied des schönen und erhabenen Kunstwerks nur darauf beruht, daß, wo Schönheit ist, der unendliche Widerspruch im Object selbst aufgehoben ist, anstatt daß, wo Erhabenheit ist, der Widerspruch nicht im Object selbst vereinigt, sondern nur bis zu einer Höhe gesteigert ist, bey welcher er in der Anschauung unwillkührlich sich aufhebt, welches alsdann ebensoviel ist, als ob er im Object aufgehoben wäre. Es läßt sich auch sehr leicht zeigen, daß die Erhabenheit auf demselben Widerspruch beruht, auf welchem auch die Schönheit beruht, indem immer, wenn ein Object erhaben genannt wird, durch die bewußtlose Thätigkeit eine Größe aufgenommen wird, welche in die bewußte aufzunehmen unmöglich ist, wodurch denn das Ich mit sich selbst in einen Streit versetzt wird, welcher nur in einer ästhetischen Anschauung enden kann, welche beyde Thätigkeiten in unerwartete Harmonie setzt, nur daß die Anschauung, welche hier nicht im Künstler, sondern im anschauenden Subject selbst liegt, völlig unwillkührlich ist, indem das Erhabene, (ganz anders als das blos Abentheuerliche, was der Einbildungskraft gleichfalls einen Widerspruch vorhält, welchen aber aufzulösen nicht der Mühe werth ist) alle Kräfte des Gemüths in Bewegung setzt, um den die ganze intellectuelle Existenz bedrohenden Widerspruch aufzulösen.

[322] Nachdem nun die Charaktere des Kunstwerks abgeleitet sind, so ist zugleich auch der Unterschied desselben von allen andern Producten ins Licht gesetzt.

Denn vom organischen Naturproduct unterscheidet sich das Kunstproduct hauptsächlich dadurch, daß die organische Production nicht vom Bewußtseyn, also auch nicht von dem unendlichen Widerspruch ausgeht, welcher Bedingung der ästhetischen Production ist. Das organische Naturproduct wird also auch nicht nothwendig schön seyn, und wenn es schön ist, so wird die Schönheit, weil ihre Bedingung in der Natur nicht als existirend gedacht werden kann, als schlechthin zufällig erscheinen, woraus sich das ganz eigenthümliche Interesse an der Naturschönheit, nicht insofern sie Schönheit überhaupt, sondern insofern sie bestimmt Naturschönheit ist, erklären läßt. Es erhellt daraus von selbst, was von der Nachahmung der Natur als Princip der Kunst zu halten sey, da weit entfernt, daß die blos zufällig schöne Natur der Kunst die Regel gebe, vielmehr, was die Kunst in ihrer Vollkommenheit hervorbringt, Princip und Norm für die Beurtheilung der Naturschönheit ist.

Wodurch sich das ästhetische Product vom gemeinen Kunstproduct unterscheide, ist leicht zu beurtheilen, da alle ästhetische Hervorbringung in ihrem Princip eine absolut freye ist, indem der Künstler zu derselben zwar durch einen Widerspruch, aber nur durch einen solchen, der in dem Höchsten seiner eigenen Natur liegt, getrieben werden kann, anstatt daß jede andere Hervorbringung durch einen Widerspruch veranlaßt wird, der ausser dem eigentlich producirenden liegt, und also auch jede einen Zweck außer sich hat. Aus jener Unabhängigkeit von äußern Zwecken entspringt jene Heiligkeit und Reinheit der Kunst, welche so weit geht, daß sie nicht etwa nur die Verwandtschaft mit allem, was blos Sinnenvergnügen ist, welches [323] von der Kunst zu verlangen, der eigentliche Charakter der Barbarei ist, oder mit dem Nützlichen, welches von der Kunst zu fordern nur einem Zeitalter möglich ist, das die höchsten Efforts des menschlichen Geistes in ökonomische Erfindungen setzt, sondern selbst die Verwandtschaft mit allem, was zur Moralität gehört, ausschlägt, ja selbst die Wissenschaft, welche in Ansehung ihrer Uneigennützigkeit am nächsten an die Kunst gräntzt, blos darum, weil sie immer auf einen Zweck außer sich geht, und zuletzt selbst nur als Mittel für das Höchste (die Kunst) dienen muß, weit unter sich zurückläßt.

Was insbesondere das Verhältniß der Kunst zur Wissenschaft betrifft, so sind sich beyde in ihrer Tendenz so sehr entgegengesetzt, daß wenn die Wissenschaft je ihre ganze Aufgabe gelös‘t hätte, wie sie die Kunst immer gelös‘t hat, beyde in Eines zusammen fallen, und übergehen müßten, welches der Beweis völlig entgegengesetzter Richtungen ist. Denn obgleich die Wissenschaft in ihrer höchsten Function mit der Kunst Eine und dieselbe Aufgabe hat, so ist doch diese Aufgabe, wegen der Art sie zu lösen, für die Wissenschaft eine unendliche, so, daß man sagen kann, die Kunst sey das Vorbild der Wissenschaft, und wo die Kunst sey, soll die Wissenschaft erst hinkommen. Es läßt sich ebendaraus auch erklären, warum und inwiefern es in Wissenschaften kein Genie giebt, nicht etwa, als ob es unmöglich wäre, daß eine wissenschaftliche Aufgabe genialisch gelöst werde, sondern weil dieselbe Aufgabe, deren Auflösung durch Genie gefunden werden kann, auch mechanisch auflösbar ist, dergleichen z. B. das Newtonische Gravitationssystem ist, welches eine genialische Erfindung seyn konnte, und in seinem ersten Erfinder Kepler wirklich war, aber ebensogut auch eine ganz scientifische Erfindung seyn konnte, was es auch durch Newton geworden ist. Nur das, was die Kunst hervorbringt, ist allein und nur durch Genie möglich, weil in jeder Aufgabe, welche die Kunst aufgelöst hat, ein unendlicher Widerspruch vereinigt ist. Was die Wissenschaft hervorbringt, kann durch Genie hervorgebracht seyn, aber es ist nicht nothwendig dadurch hervorgebracht. Es ist und bleibt daher in Wissenschaften problematisch, d. h. man kann wohl immer bestimmt sagen, wo es nicht ist, aber nie, wo es ist. Es giebt nur wenige Merkmale, aus welchen in Wissenschaften sich auf [324] Genie schließen läßt; (daß man darauf schließen muß, zeigt schon eine ganz eigene Bewandtniß der Sache). Es ist z. B. sicherlich da nicht, wo ein Ganzes, dergleichen ein System ist, theilweise, und gleichsam durch Zusammensetzung entsteht. Man müßte also umgekehrt Genie da voraussetzen, wo offenbar die Idee des Ganzen den einzelnen Theilen vorangegangen ist. Denn da die Idee des Ganzen doch nicht deutlich werden kann, als dadurch, daß sie in den einzelnen Theilen sich entwickelt, und doch hinwiederum die einzelnen Theile nur durch die Idee des Ganzen möglich sind, so scheint hier ein Widerspruch zu seyn, der nur durch einen Act des Genies, d. h. durch ein unerwartetes Zusammentreffen der bewußtlosen mit der bewußten Thätigkeit möglich ist. Ein anderer Vermuthungsgrund des Genies in Wissenschaften wäre, wenn einer Dinge sagt, und Dinge behauptet, deren Sinn er entweder der Zeit nach, in der er gelebt hat, oder seinen sonstigen Äußerungen nach unmöglich ganz durchsehen konnte, wo er also etwas scheinbar mit Bewußtseyn aussprach, was er doch nur bewußtlos aussprechen konnte. Allein daß auch diese Vermuthungsgründe höchst trüglich seyn können, ließe sich sehr leicht auf verschiedene Art beweisen.

Das Genie ist dadurch von allem anderen, was blos Talent oder Geschicklichkeit ist, abgesondert, daß durch dasselbe ein Widerspruch aufgelöst wird, der absolut und sonst durch nichts anders auflösbar ist. In allem, auch dem gemeinsten und alltäglichsten Produciren wirkt mit der bewußten Täthigkeit eine bewußtlose zusammen; aber nur ein Produciren, dessen Bedingung ein unendlicher Gegensatz beyder Thätigkeiten war, ist ein ästhetisches, und nur durch Genie mögliches.

§. 3.

Folgesätze.

Nachdem wir das Wesen und den Charakter des Kunstproducts so vollständig, als es zum Behuf der gegenwärtigen Untersuchung nöthig war, abgeleitet haben, so ist uns nichts übrig, als das Verhältniß anzugeben, in welchem die Philosophie der Kunst zu dem ganzen System der Philosophie überhaupt steht.

[325] 1 ) Die ganze Philosophie geht aus, und muß ausgehen von einem Princip, das als das absolut Identische schlechthin nichtobjectiv ist. Wie soll nun aber dieses absolut Nichtobjective doch zum Bewußtseyn hervorgerufen und verstanden werden, was nothwendig ist, wenn es Bedingung des Verstehens der ganzen Philosophie ist? Daß es durch Begriffe ebensowenig aufgefaßt, als dargestellt werden könne, bedarf keines Beweises. Es bleibt also nichts übrig, als daß es in einer unmittelbaren Anschauung dargestellt werde, welche aber wiederum selbst unbegreiflich, und da ihr Object etwas schlechthin nichtobjectives seyn soll, sogar in sich selbst widersprechend zu seyn scheint. Wenn es denn nun aber doch eine solche Anschauung gäbe, welche das absolut Identische, an sich weder Sub- noch Objective zum Object hat, und wenn man sich wegen dieser Anschauung, welche nur eine intellectuelle seyn kann, auf die unmittelbare Erfahrung beriefe, wodurch kann denn nun auch diese Anschauung wieder objectiv, d. h. wie kann außer Zweifel gesetzt werden, daß sie nicht auf einer blos subjectiven Täuschung beruhe, wenn es nicht eine allgemeine, und von allen Menschen anerkannte Objectivität jener Anschauung giebt? Diese allgemein anerkannte, und auf keine Weise hinwegzuläugnende Objectivität der intellectuellen Anschauung ist die Kunst selbst. Denn die ästhetische Anschauung eben ist die obojectiv gewordene intellectuelle. Das Kunstwerk nur reflectirt mir, was sonst durch nichts reflectirt wird, jenes absolut Identische, was selbst im Ich schon sich getrennt hat; was also der Philosoph schon im ersten Act des [326] Bewußtseyns sich trennen läßt, wird, sonst für jede Anschauung unzugänglich, durch das Wunder der Kunst aus ihren Producten zurückgestrahlt.

Aber nicht nur das erste Princip der Philosophie, und die erste Anschauung, von welcher sie ausgeht, sondern auch der ganze Mechanismus, den die Philosophie ableitet, und auf welchem sie selbst beruht, wird erst durch die ästhetische Production objectiv.

Die Philosophie geht aus von einer unendlichen Entzweyung entgegengesetzter Thätigkeiten; aber auf derselben Entzweyung beruht auch jede ästhetische Production, und dieselbe wird durch jede einzelne Darstellung der Kunst vollständig aufgehoben. Was ist denn nun jenes wunderbare Vermögen, durch welches nach der Behauptung des Philosophen in der productiven Anschauung ein unendlicher Gegensatz sich aufhebt? Wir haben diesen Mechanismus bisher nicht vollständig begreiflich machen können, weil es nur das Kunstvermögen ist, was ihn ganz enthüllen kann. Jenes productive Vermögen ist dasselbe, durch welches auch der Kunst das Unmögliche gelingt, nämlich einen unendlichen Gegensatz in einem endlichen Product aufzuheben. Es ist das Dichtungsvermögen, was in der ersten Potenz die ursprüngliche Anschauung ist, und umgekehrt, es ist nur die in der höchsten Potenz sich wiederhohlende productive Anschauung, was wir Dichtungsvermögen nennen. Es ist Ein und dasselbe, was in beyden thätig ist, das einzige, wodurch wir fähig sind, auch das widersprechende zu denken, und [327] zusammenzufaßen, – die Einbildungskraft. Es sind also auch Producte Einer und derselben Thätigkeit, was uns jenseits des Bewußtseyns als wirkliche, dießseits des Bewußtseyns als idealische, oder als Kunstwelt erscheint. Aber ebendieß, daß bey sonst ganz gleichen Bedingungen des Entstehens, der Ursprung der einen jenseits, der andern dießseits des Bewußtseyns liegt, macht den ewigen, und nie aufzuhebenden Unterschied zwischen beyden.

Denn obgleich die wirkliche Welt ganz aus demselben ursprünglichen Gegensatz hervorgeht, aus welchem auch die Kunstwelt, welche gleichfalls als Ein großes Ganzes gedacht werden muß, und in allen ihren einzelnen Producten nur das Eine Unendliche darstellt, hervorgehen muß, so ist doch jener Gegensatz jenseits des Bewußtseyns nur insoweit unendlich, daß durch die objective Welt als Ganzes, niemals aber durch das einzelne Object ein Unendliches dargestellt wird, anstatt daß jener Gegensatz für die Kunst ein unendlicher ist in Ansehung jedes einzelnen Objects, und jedes einzelne Product derselben die Unendlichkeit darstellt. Denn wenn die ästhetische Production von Freyheit ausgeht, und wenn eben für die Freyheit jener Gegensatz der bewußten und der unbewußten Thätigkeit ein absoluter ist, so giebt es eigentlich auch nur Ein absolutes Kunstwerk, welches zwar in ganz verschiedenen Exemplaren existiren kann, aber doch nur Eines ist, wenn es gleich in der ursprünglichsten Gestalt noch nicht existiren sollte. Es kann gegen diese Ansicht kein Vorwurf seyn, daß mit derselben die große Freygebigkeit, welche mit dem Prädicate des Kunstwerks getrieben wird, nicht bestehen kann. Es ist nichts ein Kunstwerk, was nicht ein Unendliches unmittelbar oder wenigstens im Reflex darstellt. Werden wir z. B. auch solche Gedichte Kunstwerke nennen, welche ihrer Natur nach nur das Einzelne und Subjective darstellen? Dann werden wir auch jedes Epigramm, das nur eine augenblickliche Empfindung, einen gegenwärtigen Eindruck aufbewahrt, mit diesem Namen belegen müssen, da doch die großen Meister, die sich in solchen Dichtungsarten geübt, die Objectivität selbst nur durch das Ganze ihrer Dichtungen hervorzubringen suchten, und sie nur als Mittel gebrauchten, ein ganzes unendliches Leben darzustellen, und durch vervielfältigte Spiegel zurückzustrahlen.

[328] 2) Wenn die ästhetische Anschauung nur die objectiv gewordene transscendentale ist, so versteht sich von selbst, daß die Kunst das einzige wahre und ewige Organon zugleich und Document der Philosophie sey, welches immer und fortwährend aufs neue beurkundet, was die Philosophie äußerlich nicht darstellen kann, nämlich das Bewußtlose im Handeln und Produciren, und seine ursprüngliche Identität mit dem Bewußten. Die Kunst ist ebendeßwegen dem Philosophen das Höchste, weil sie ihm das Allerheiligste gleichsam öffnet, wo in ewiger und ursprünglicher Vereinigung gleichsam in Einer Flamme brennt, was in der Natur und Geschichte gesondert ist, und was im Leben und Handeln ebenso wie im Denken ewig sich fliehen muß. Die Ansicht, welche der Philosoph von der Natur künstlich sich macht, ist für die Kunst die ursprüngliche und natürliche. Was wir Natur nennen, ist ein Gedicht, das in geheimer wunderbarer Schrift verschloßen liegt. Doch könnte das Räthsel sich enthüllen, würden wir die Odyßee des Geistes darinn erkennen, der wunderbar getäuscht, sich selber suchend, sich selber flieht; denn durch die Sinnenwelt blickt nur wie durch Worte der Sinn, nur wie durch halbdurchsichtigen Nebel das Land der Phantasie, nach dem wir trachten. Jedes herrliche Gemählde entsteht dadurch gleichsam, daß die unsichtbare Scheidewand aufgehoben wird, welche die wirkliche und idealische Welt trennt, und ist nur die Öffnung, durch welche jene Gestalten und Gegenden der Phantasiewelt, welche durch die wirkliche nur unvollkommen hindurchschimmert, völlig hervortreten. Die Natur ist dem Künstler nicht mehr, als sie dem Philosophen ist, nämlich nur die unter beständigen Einschränkungen erscheinende idealische Welt, oder nur der unvollkommene Widerschein einer Welt, die nicht außer ihm, sondern in ihm existirt.

Woher denn nun aber dieser Verwandtschaft der Philosophie und der Kunst unerachtet der Gegensatz beyder komme, diese Frage ist schon durch das Vorhergehende hinlänglich beantwortet.

Wir schließen daher mit der folgenden Bemerkung. – Ein System ist vollendet, wenn es in seinen Anfangspunct zurückgeführt ist. Aber eben dieß ist der Fall mit unserem System. Denn eben jener ursprüngliche Grund aller Harmonie des Subjectiven und Objectiven, welcher in seiner ursprünglichen [329] Identität nur durch die intellectuelle Anschauung dargestellt werden konnte, ist es, welcher durch das Kunstwerk aus dem Subjectiven völlig herausgebracht, und ganz objectiv geworden ist, dergestalt, daß wir unser Object, das Ich selbst, allmählig bis auf den Punct geführt, auf welchem wir selbst standen, als wir anfiengen, zu philosophiren.

Wenn es nun aber die Kunst allein ist, welcher das, was der Philosoph nur subjectiv darzustellen vermag, mit allgemeiner Gültigkeit objectiv zu machen, gelingen kann, so ist, um noch diesen Schluß daraus zu ziehen, zu erwarten, daß die Philosophie, so wie sie in der Kindheit der Wissenschaft von der Poesie gebohren, und genährt worden ist, und mit ihr alle diejenigen Wissenschaften, welche durch sie der Vollkommenheit entgegengeführt werden, nach ihrer Vollendung als ebensoviel einzelne Ströme in den allgemeinen Ocean der Poesie zurückfließen, von welchem sie ausgegangen waren. Welches aber das Mittelglied der Rückkehr der Wissenschaft zur Poesie seyn werde, ist im Allgemeinen nicht schwer zu sagen, da ein solches Mittelglied in der Mythologie existirt hat, ehe diese, wie es jetzt scheint, unauflösliche Trennung geschehen ist. Wie aber eine neue Mythologie, welche nicht Erfindung des einzelnen Dichters, sondern eines neuen nur Einen Dichter gleichsam vorstellenden Geschlechts seyn kann, selbst entstehen könne, dieß ist ein Problem, dessen Auflösung allein von den künftigen Schicksalen der Welt, und dem weiteren Verlauf der Geschichte zu erwarten ist.

[330] Allgemeine Anmerkung zu dem ganzen System.

Wenn der Leser, welcher unserem Gang bis hierher aufmerksam gefolgt ist, den Zusammenhang des Ganzen nun nochmals sich überlegt, so wird er ohne Zweifel folgende Bemerkungen machen:

Daß das ganze System zwischen zwey Extreme fällt, deren Eines durch die intellectuelle, das andere durch die ästhetische Anschauung bezeichnet ist. Was die intellectuelle Anschauung für den Philosophen ist, das ist die ästhetische für sein Object. Die erste, da sie blos zum Behuf der besondern Richtung des Geistes, welche er im Philosophiren nimmt, nothwendig ist, kommt im gemeinen Bewußtseyn überhaupt nicht vor; die andere, da sie nichts anders, als die allgemeingültig, oder objectiv gewordene intellectuelle ist, kann wenigstens in jedem Bewußtseyn vorkommen. Es läßt sich aber eben daraus auch einsehen, daß und warum Philosophie als Philosophie nie allgemeingültig werden kann. Das Eine, welchem die absolute Objectivität gegeben ist, ist die Kunst. Nehmt, kann man sagen, der Kunst die Objectivität, so hört sie auf zu seyn, was sie ist, und wird Philosophie; gebt der Philosophie die Objectivität, so hört sie auf Philosophie zu seyn, und wird Kunst. – Die Philosophie erreicht zwar das Höchste, aber sie bringt bis zu diesem Punct nur gleichsam ein Bruchstück des Menschen. Die Kunst bringt den ganzen Menschen, wie er ist, dahin, nämlich zur Erkenntniß des Höchsten, und darauf beruht der ewige Unterschied, und das Wunder der Kunst. […]

A Die weitere Ausführung des Begriffs einer Natur-Philosophie, und ihrer notwendigen Tendenz ist in den Schriften des Verfassers: Entwurf eines Systems der Natur-Philosophie, verbunden mit der Einleitung zu diesem Entwurf, und den Erläuterungen, welche das erste Heft der Zeitschrift für speculative Physik enthalten wird, zu suchen.

B Erst durch die Vollendung des Systems der Transscendentalphilosophie wird man der Nothwendigkeit einer Natur-Philosophie, als ergänzender Wissenschaft, inne werden, und dann auch aufhören, an jene Forderungen zu machen, welche nur eine Natur-Philosophie erfüllen kann.

Alles ein-/ausblenden

Themen

  • Realitätskonzept
    • Natur
    • Realität
    • Sein
    • Welt
  • Struktur-Verhältnis-Funktion
    • Natur
    • Realität
    • Reelle, das
    • Welt
  • Textrepräsentant

Kategorien

Thematische Kategorien

  • Struktur-Verhältnis-Funktion
    • Nachahmung

Einzelkategorien

  • Ästhetik
    • Erhabenheit
    • Genie
    • Künstler
    • Schönheit
  • Besonderer Begriff
    • Bewusste, das
    • Bewusstlose, das
  • Disziplin und Stil
    • Ästhetik
    • Idealismus
    • Mathematik
    • Naturwissenschaften
    • Philosoph
    • Philosophie
    • Realismus
  • Episteme
    • Denken
    • Einbildung
    • Einbildungskraft
    • Freiheit
    • Gesetz
    • Handeln, das
    • Ich
    • Objekt
    • objektiv
    • Objektive, das
    • Phänomen
    • Sein
    • Selbstbewusstsein
    • Subjektive, das
    • Tätigkeit
    • Wissen
    • Wollen, das
  • Feld
    • Kunst
    • Wissenschaft
  • Person
    • Kant, Immanuel
  • Realitätsbegriff
    • Natur
    • Realität
    • Reelle, das
    • Welt
  • Wahrnehmungsform
    • anschauen
    • Anschauung
    • Erscheinen, das

Friedrich W. J. Schelling: System des transscendentalen Idealismus, 1800

Zum Seitenanfang