Realität und Wirklichkeit in der Moderne

Texte zu Literatur, Kunst, Fotografie und Film

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Theorie des Films, 1960

Siegfried Kracauer

Quelle

Siegfried Kracauer: Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit. Vom Verfasser revidierte Übersetzung von Friedrich Walter und Ruth Zellschan. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1975, S. 9-14; 25-36, 38-50; 55-65, 67-69; 386-402. ISBN 3-518-28146-1.

Erstausgabe

Theory of Film. The Redemption of Physical Reality. New York: Princeton University Press 1960. ISBN 0-691-03704-3.

Genre

Buch

Medium

Film, Fotografie

[9] Vorwort

Es erscheint mir nur als fair, den Leser von vornherein darauf aufmerksam zu machen, daß dieses Buch nicht all das enthält, was er darin suchen mag. Es vernachlässigt die Zeichentrickfilme und vermeidet es, an die Probleme des Farbfilms zu rühren. Auch bleiben gewisse neuere Entwicklungen und Erweiterungen des Mediums unerörtert. Zweifellos wären noch andere Unterlassungen zu nennen; in der Tat, einige Gegenstände, die in den meisten Filmbüchern eine große Rolle spielen, sind entweder nur am Rande erwähnt oder ganz unter den Tisch gefallen. Aber der Leser selber wird rasch diese Lücken herausfinden, wenn sie denn Lücken sind.

Wovon handelt nun eigentlich das Buch? Es befaßt sich ausschließlich mit dem normalen Schwarz-Weiß-Film, wie er sich aus der Fotografie entwickelt hat. Der Grund, warum ich mich auf ihn beschränke, liegt auf der Hand: Da Film ein sehr komplexes Medium ist, besteht die beste Methode, zu seinem Kern vorzudringen, darin, daß man, zumindest zeitweilig, seine weniger wesentlichen Ingredienzen und Spielarten unbeachtet läßt. Ich habe durchweg dieses praktische Verfahren angewandt. Und nebenbei bemerkt, ist das hier behandelte Gebiet wirklich so beschränkt? Von Lumières ersten Filmstreifen bis Fellinis Cabiria, von birth of Nation bis aparajito, von potemkin bis paisa präsentieren sich alle wichtigen filmischen Zeugnisse in schwarzweiß und innerhalb des traditionellen Formats.

Kurz, mein Buch entspringt der Absicht, Einblick in die besondere Natur des fotografischen Films zu gewinnen. Wenn es, was ich zu hoffen wage, seinen Zweck halbwegs erfüllt, muß das darin Gesagte natürlich auf alle Elemente und Derivate des Mediums anwendbar sein. Um so eher ließe sich argumentieren, daß ich mich im Interesse der Vollständigkeit auch über den Farbfilm, die Breitwand, das Fernsehen und dergleichen mehr hätte verbreiten sollen. Nun schließt aber zum Beispiel das Thema Farbe zahlreiche Probleme in sich, die auf kursorische Art gar nicht erfaßt werden können. Um ein solches Problem zu erwähnen: Erfahrung zeigt, daß gegen alle Erwartung natürliche Farben, wie sie von der Kamera regi[10]striert werden, dahin tendieren, die realistischen Effekte, deren Schwarz-Weiß-Filme fähig sind, nicht so sehr zu verstärken als vielmehr abzuschwächen. Auch die Breitwand gibt Anlaß zu manchen Fragen, die monographischer Behandlung bedürfen. Auf der einen Seite gehören diese Dinge zweifellos hierher; auf der andern erfordern sie Untersuchungen, die vielleicht eine zu große Belastung für ein Buch darstellen, das den Grundeigentümlichkeiten des Films gewidmet ist. Offenbar befinde ich mich in einem Dilemma. Oder vielmehr, ich befände mich darin, wäre ich nicht abgeneigt, durch Gegenden zu hasten, in denen man verweilen sollte. Meiner festen Meinung nach täte man besser daran, Farbprobleme und ähnliche Themen gesondert zu erörtern. In der Tat, seit wann wäre es nötig, alles und jedes zur selben Zeit zu sagen?

An diesem Punkt sei gleich ein andrer möglicher Einwand vorweggenommen. Vielleicht wird sich der Leser darüber wundern, daß ich mich bei der Begründung meiner Ansichten nicht aufs Zeugnis neuerer Filme beschränke, die ihm noch frisch in der Erinnerung sind, sondern ihn so oft auf Filme verweise, die er längst vergessen hat oder überhaupt nicht kennt. Dieses alte Zeug, so mag er mir entgegenhalten, ist schwierig nachzuprüfen; ganz davon zu schweigen, daß es wahrscheinlich in mancher Hinsicht überholt ist. Und das wird ihn vermutlich veranlassen, die Gültigkeit oder den Grad der Gültigkeit vieler meiner Argumente und Schlußfolgerungen anzuzweifeln. Wären sie nicht von größerem Interesse, wenn sie sich vorwiegend auf moderne Erzeugnisse stützten?

Ich halte diesen Gedankengang für irrig. Selbst wenn ich nur das neueste Material verwendet hätte, würde ich doch binnen weniger Jahre beschuldigt werden, meine Zuflucht zu veralteten Beispielen genommen zu haben. Was heute in aller Munde ist, ist morgen in Vergessenheit gesunken; das Kino verschlingt gefräßig seine eigenen Kinder. Auch kann nicht wohl behauptet werden, die jüngsten Filme seien immer das letzte Wort der Filmkunst. Wir wissen zur Genüge, daß technische Neuerungen keinerlei Fortschritt in bezug auf Planung und Ausführung nach sich zu ziehen brauchen; und die Schlachtszenen in D. W. Griffiths the birth of Nation – einem Film aus dem Jahre 1915 – sind niemals wieder erreicht, geschweige denn übertroffen worden.

Außerdem wäre eine zu starke Betonung moderner Verfahrensweisen mit meinen Zielen unvereinbar gewesen. Da es mir darum geht, die eigentümliche Beschaffenheit des Mediums herauszuarbeiten, bin ich, was mein Beweismaterial betrifft, natürlich auf Filme aller Perioden angewiesen. Hieraus erklärt sich, warum ich mich immer wieder auf eine Zufallsmischung von alten und neuen Beispielen beziehe. Oft genug ist das schein[11]bar Neue nichts weiter als eine Variation alter Modelle. Alle sinnvollen Nahaufnahmen gehen auf den Film after many years (enoch arden 1908) zurück, in dem D. W. Griffith zum ersten Mal ihre dramatischen Möglichkeiten demonstrierte. Ebenso enthalten heutige Experimentalfilme nur wenig, was nicht in den französischen Avantgarde-Filmen der zwanziger Jahre gefunden werden könnte. In jedem solchen Fall habe ich es vorgezogen, mich an die Prototypen zu halten, in denen die Intentionen, denen sie ihr Dasein verdanken, noch kräftiger pulsieren als in allem, was ihnen folgt.

Im übrigen sind diese alten Filme keineswegs verschwunden. Sie werden von den Film-Archiven in New York, Paris, London und anderswo regelmäßig gezeigt; auch spezialisieren sich einzelne Lichtspielhäuser auf Reprisen oder greifen auf sie als Lückenbüßer zurück. Wenn es mehr solcher Gelegenheiten gäbe, wäre das Publikum weniger geneigt, etwas für eine „neue Welle“ zu halten, was in Wirklichkeit eine alte Geschichte ist – womit ich selbstverständlich keineswegs bestreiten will, daß von Zeit zu Zeit doch neue Wellen aufschäumten; man denke nur an die neorealistische Bewegung im Nachkriegs-Italien.

Was meine Einstellung zum Film betrifft, so werde ich gewiß nicht versuchen, sie im voraus zu umreißen. Doch scheint es mir angebracht, hier wenigstens auf einige ihrer besonderen Merkmale hinzuweisen, damit der Leser eine ungefähre Idee von dem bekommt, was ihn erwartet. Mein Buch unterscheidet sich von den meisten Schriften dieses Gebiets darin, daß es eine materiale Ästhetik ist, nicht eine formale. Es befaßt sich mit Inhalten. Es beruht auf der Annahme, daß der Film im wesentlichen eine Erweiterung der Fotografie ist und daher mit diesem Medium eine ausgesprochene Affinität zur sichtbaren Welt um uns her gemeinsam hat. Filme sind sich selber treu, wenn sie physische Realität wiedergeben und enthüllen. Nun schließt diese Realität viele Phänomene ein, die wir kaum wahrnehmen würden, wenn die Filmkamera nicht die Fähigkeit besäße, sie sozusagen im Flug zu erfassen. Und da jedes Medium den Dingen besonders zugetan ist, die es allein darstellen kann, scheint das Kino vom Wunsch beseelt, vorübergleitendes materielles Leben festzuhalten, Leben in seiner vergänglichsten Form. Straßenmengen, unbeabsichtigte Gebärden und andere flüchtige Eindrücke sind seine Hauptnahrung. Bezeichnenderweise fanden die Zeitgenossen Lumières dessen Filme – die ersten, die je gemacht wurden – deshalb so bewundernswert, weil sie „das Zittern der vom Wind erregten Blätter“ zeigten.

Ich nehme also an, daß Filme dem Medium in dem Maße entsprechen, in dem sie die Welt vor unseren Augen durchdringen. Diese Annahme – [12] die Voraussetzung und Achse meines Buchs – zieht zahlreiche Fragen nach sich. Wie ist es Filmen zum Beispiel möglich, vergangene Ereignisse wiederzubeleben oder Fantasien zu realisieren und dennoch eine filmische Qualität zu bewahren? Wie steht es um die Rolle des Tons? Wenn uns Filme mit unserer sichtbaren Umwelt konfrontieren sollen, dann hängt offenbar viel von der Art und Weise ab, in der das gesprochene Wort, Geräusche und Musik auf die Bilder abgestimmt werden. Eine dritte Frage betrifft den Charakter der Handlung: eignen sich alle Storytypen unterschiedslos für filmische Darstellung, oder passen sich einige solcher Typen dem Medium besser an als die übrigen? Indem ich diese und andere Fragen beantworte, fördere ich all das zutage, was in meiner Annahme von der fotografischen Natur des Films beschlossen liegt.

Eine Idee zu akzeptieren heißt noch nicht, ihrer Konsequenzen bewußt zu werden oder sie gar zu bejahen. Obwohl der Leser mir wahrscheinlich darin zustimmen wird, daß das Kino der physischen Seite des Lebens in und um uns zugewandt ist, mag er nicht bereit sein, gewisse Folgerungen zu ziehen, die sich aus der Voreingenommenheit des Films für die äußere Welt ergeben. Da ist etwa das Problem der Storytypen: die meisten Menschen halten es für selbstverständlich, daß alles, was im Theater gezeigt oder im Roman erzählt werden kann, sich ebensogut in der Sprache des Films ausdrücken lasse. Von einem rein formalen Gesichtspunkt aus ist diese Erwartung durchaus berechtigt. Daher die weitverbreitete Meinung, die Tragödie sei dem Film nicht nur genau so zugänglich wie jedes andere literarische Genre, sondern gehöre sogar zu den nobelsten Anliegen des Mediums – jenen, die es auf die Stufe einer Kunstform erheben.

Eben deshalb neigen kulturbeflissene Kinobesucher dazu, zum Beispiel Orson Welles‘ othello oder Renato Castellanis romeo and juliet den ungebildeten Effekten eines Hitchcock-Thrillers vorzuziehen. Zweifellos stellen diese zwei Verfilmungen einfallsreiche Versuche dar, Shakespeares Tragödien auf die Leinwand zu übertragen. Aber sind es Filme in dem Sinne, daß sie uns Dinge sehen und verstehen ließen, die nur das Kino mitzuteilen privilegiert ist? Sicherlich nicht. Bei all seiner Bewunderung für sie kann der Zuschauer nicht umhin zu fühlen, daß ihre Handlungen nicht aus dem materiellen Leben herauswachsen, das sie einbeziehen, sondern ihm von außen her auferlegt sind. Selbst in diesen Produkten großen Kunstverstands ist das Tragische weniger ein organischer Bestandteil als ein zusätzliches Element.

Ich halte dafür, daß Film und Tragödie miteinander unvereinbar sind. Diese Ansicht, die einer formalen Ästhetik unmöglich wäre, folgt gerade[13]wegs aus den Voraussetzungen meines Buches. Wenn Film ein fotografisches Medium ist, muß er auf die weiten Räume der äußeren Realität ausgerichtet sein – eine offene, grenzenlose Welt, die nur wenig Ähnlichkeit zeigt mit dem begrenzten und geordneten Kosmos, den die Tragödie setzt. Ungleich diesem Kosmos, in dem das Schicksal sich den Zufall dienstbar macht und alles Licht auf menschliches Handeln fällt, ist die Welt des Films ein Fluß zufälliger Ereignisse, der sowohl Menschen wie leblose Objekte mit sich führt. Durch Bilder solcher Ereignisse kann Tragisches nicht beschworen werden; es ist eine ausschließlich geistige Erfahrung, die keine Entsprechungen in der Kamera-Realität hat...

Ich möchte hier schon erwähnen, daß alles, was sich aus der fotografischen Natur des Films ergeben mag, zu dem Problem seines Verhältnisses zur Kunst hinführt. Geht man von der Annahme aus, daß das Kino die Hauptmerkmale der Fotografie beibehält, so wird man unmöglich den weitverbreiteten Glauben oder Anspruch gutheißen können, wonach Film im selben Sinne eine Kunst ist wie die traditionellen Kunstmedien. Diese verzehren das Rohmaterial, aus dem sie entstehen, während Filme als ein Erzeugnis von Kamera-Arbeit es darzubieten genötigt sind. Wie zielbewußt die Filmkamera auch dirigiert werden mag, sie würde aufhören, eine Kamera zu sein, wenn sie nicht sichtbare Phänomene um ihrer selbst willen registrierte. Sie erfüllt ihre Bestimmung, indem sie das „Zittern der Blätter“ wiedergibt. Wenn Film Kunst ist, dann eine solche, die sich von den andern Künsten unterscheidet. Zusammen mit Fotografie ist Film die einzige Kunst, die ihr Rohmaterial mehr oder weniger intakt läßt. Was an Kunst in Filme eingeht, entspringt daher der Fähigkeit ihrer Schöpfer, im Buch der Natur zu lesen. Der Filmkünstler hat Züge eines fantasiebegabten Lesers oder eines Entdeckers, der von unersättlicher Neugier getrieben wird.

All dies heißt, daß Filme sich an die Oberfläche der Dinge klammern. Sie scheinen um so filmischer zu sein, je weniger sie sich direkt auf inwendiges Leben, Ideologien und geistige Belange richten. Das erklärt, warum viele kultureifrige Leute das Kino verschmähen. Sie befürchten, daß seine unleugbare Vorliebe fürs Äußerliche uns dazu verleiten könnte, unsere höheren Aspirationen über den kaleidoskopartigen Bildern vergänglicher Erscheinungen zu vernachlässigen. Das Kino, sagt Valéry, lenkt den Zuschauer vom Kern seines Seins ab.

So plausibel dieses Verdikt auch klingt, es erscheint mir unhistorisch und oberflächlich, weil es der menschlichen Situation in unserer Zeit nicht gerecht wird. Vielleicht ist unsere Situation so geartet, daß wir das sich uns entziehende Wesentliche im Leben nur dann zu ergreifen ver[14]mögen, wenn wir uns das scheinbar Unwesentliche einverleiben? Vielleicht führt der Weg heute vom Körperlichen, und durch es hindurch, zum Spirituellen? Und vielleicht hilft uns das Kino, uns von „unten“ nach „oben“ zu bewegen? Es ist in der Tat meine Überzeugung, daß der Film, unser Zeitgenosse, eine definitive Beziehung zu der Epoche hat, in die er hineingeboren ist; daß er unseren innersten Bedürfnissen genau dadurch Rechnung trägt, daß er – zum ersten Mal – die Außenwelt exponiert und so, nach Gabriel Marcels Worten, unser Verhältnis zu „dieser Erde, die unsere Wohnstätte ist“, inniger gestaltet.

Diese wenigen Andeutungen mögen genügen; denn meine Überzeugung gründet sich auf Beobachtungen und Gedanken, die sich nicht weiter abkürzen lassen. Ich habe versucht, sie im letzten Kapitel zu entfalten, das die vorhergehenden ästhetischen Betrachtungen sowohl vervollständigt wie transzendiert. Tatsächlich geht es weit über den Film hinaus. Wie im Verlauf des Buchs zahlreiche Filme in der Absicht analysiert werden, verschiedene Punkte meiner Theorie zu illustrieren, so wird in diesem Schlußkapitel das Kino selber in die Perspektive von etwas Umfassenderem gerückt – einer Verhaltensweise zur Welt, einer Form menschlicher Existenz.

Ich will mit einer persönlichen Erinnerung schließen. Ich war noch sehr jung, als ich meinen ersten Film sah. Der Eindruck, den er in mir hinterließ, muß berauschend gewesen sein, denn ich beschloß dann und dort, meine Erfahrung zu Papier zu bringen. Wenn ich mich recht erinnere, war dies mein frühestes literarisches Projekt. Ob ich es je ausführte, habe ich vergessen. Aber ich habe nicht seinen umständlichen Titel vergessen, den ich, kaum aus dem Kino zurück, unverzüglich einem Fetzen Papier anvertraute. Der Titel lautete: „Film als der Entdecker der Schönheiten des alltäglichen Lebens“. Und ich erinnere mich, als wäre es heute, der Schönheiten selber. Was mich so tief bewegte, war eine gewöhnliche Vorstadtstraße, gefüllt mit Lichtern und Schatten, die sie transfigurierten. Einige Bäume standen umher, und im Vordergrund war eine Pfütze, in der sich unsichtbare Hausfassaden und ein Stück Himmel spiegelten. Dann störte eine Brise die Schatten auf, und die Fassaden mit dem Himmel darunter begannen zu schwanken. Die zitternde Oberwelt in der schmutzigen Pfütze – dieses Bild hat mich niemals verlassen.

Siegfried Kracauer (New York City, Juni 1960)

[…] [25] I. Fotografie

Diese Untersuchung geht von der Voraussetzung aus, daß jedes Medium einen spezifischen Charakter hat, der bestimmte Arten von Mitteilungen begünstigt, während er sich gegen andere sperrt. Selbst diejenigen Philosophen, deren Blick vornehmlich auf das allen Künsten Gemeinsame gerichtet ist, können nicht umhin, die Existenz und mögliche Bedeutung solcher Unterschiede zuzugeben. So gesteht z. B. Susanne Langer in ihrer Philosophy in a New Key zögernd ein, daß „das Medium, in dem unsere Ideen natürliche Gestalt annehmen, diese nicht nur auf bestimmte Formen, sondern auch auf bestimmte Gebiete beschränkt“.1

Wie aber können wir das „Wesen“ des fotografischen Mediums erfassen? Eine phänomenologische Beschreibung, die sich auf intuitive Einsicht gründet, dürfte kaum zum Kern des Gegenstandes hinführen. Geschichtliche Bewegungen lassen sich nicht mit Hilfe von Vorstellungen begreifen, die sich gewissermaßen im Vakuum gebildet haben. Die Analyse der Fotografie muß vielmehr von den Anschauungen ausgehen, die im Verlauf ihrer Entwicklung über sie entstanden sind – Anschauungen, die auf diese oder jene Weise tatsächlich vorhandene Trends und Anwendungsmethoden widerspiegeln. Es ist also ratsam, zuerst die historisch gegebenen Ideen und Begriffe ins Auge zu fassen. Dieses Buch ist jedoch nicht als eine Geschichte der Fotografie oder auch des Films gedacht. Für unsere Zwecke wird es deshalb genügen, zwei Gruppen von Ideen über Fotografie zu untersuchen: die in ihrem Anfangsstadium entstandenen und die heute vorherrschenden. Sollte sich dabei herausstellen, daß die Gedanken der Pioniere und die zeitgenössischer Fotografen und Kritiker auf ungefähr die gleichen Fragen und Essenzen gerichtet sind, so würde das die Annahme bestätigen, daß die Fotografie spezifische Züge aufweist, und somit der Hypothese vom jeweils besonderen Charakter der Medien größeres Gewicht verleihen. Dergleichen Übereinstimmungen zwischen den Anschauungen und Trends verschiedener Epochen sollte man sogar erwarten. Denn die Prinzipien und Ideen, die zur Heraufkunft einer neuen historischen Entität beitragen, verschwinden nicht einfach wieder, nachdem diese ihr Anfangsstadium hinter sich gelassen hat; im Gegen[26]teil, in dem Maße, in dem sie wächst und sich ausbreitet, scheint sie dazu bestimmt, alle in jenen Prinzipien und Ideen beschlossenen Möglichkeiten herauszuarbeiten. Die Aristotelische Theorie der Tragödie dient auch heutigen Deutungen noch als ein gültiger Ausgangspunkt. Eine große Idee, sagt Whitehead, „gleicht einem geisterhaften Ozean, der in aufeinander folgenden Wellen der Spezialisierung ans Ufer menschlichen Lebens schlägt“.2

Historischer Überblick

Im folgenden historischen Überblick beabsichtige ich demgemäß, die wesentlichen Vorstellungen aufzuzeigen, die den sich anschließenden systematischen Betrachtungen zugrunde liegen.

Frühe Anschauungen und Trends

Nach der Erfindung der Daguerreotypie erkannten urteilsfähige Zeitgenossen unverzüglich die spezifischen Eigenschaften dieses neuen Mediums; sie bezeichneten sie einstimmig als die einzigartige Fähigkeit der Kamera, die sichtbare – oder potentiell sichtbare – physische Realität nicht nur wiederzugeben, sondern auch zu enthüllen. Man war sich allgemein bewußt, daß die Fotografie die Natur mit einer Vollkommenheit reproduziere, „die der der Natur selbst gleichkommt“.3 Als Arago und Gay-Lussac den Antrag auf Ankauf von Daguerres Erfindung durch die französische Regierung unterstützten, schwärmten sie von der „mathematischen Genauigkeit“4 und „unvorstellbaren Vollendung“,5 mit der die Kamera jede Einzelheit wiedergebe; sie sagten voraus, daß das Medium nicht nur den Wissenschaften, sondern auch der Kunst zugute kommen werde. Nicht anders lauteten die Berichte der Pariser Korrespondenten von New Yorker Zeitungen und Zeitschriften: sie waren des Lobes voll für die unerhörte Exaktheit, mit der Daguerreotypen „Steine unter Wasser am Rand eines Baches“6 oder ein „verwelktes, auf einem Mauervorsprung liegendes Blatt“7 kopierten. Kein Geringerer als Ruskin stimmte in den Jubel über den „sensationellen Realismus“ ein, wie ihn kleine Plattenaufnahmen mit Ansichten von Venedig zeigten. Es sei, schrieb er, „als habe ein Magier die Wirklichkeit verkleinert, um sie in ein verzaubertes Land zu versetzen“.8 In ihrer Begeisterung hoben diese Realisten des 19. Jahrhunderts einen wesentlichen Punkt hervor: daß [27] nämlich der Fotograf die Objekte vor seiner Linse reproduzieren müsse; daß er durchaus der Freiheit des Künstlers entrate, vorhandene Formen und ihre räumlichen Beziehungen zueinander über seiner inneren Vision zu vernachlässigen.

Die Erkenntnis von der Fähigkeit der Kamera zu sachlicher Feststellung ging Hand in Hand mit der Einsicht in ihre aufdeckende Kraft. Gay-Lussac betonte, daß keine Einzelheit, „kein selbst ganz unbemerkter Zug... dem Auge und dem Pinsel dieses neuen Malers“ entgehen könne.9 Bereits im Jahre 1839 wies ein Reporter des New Yorker Star bewundernd darauf hin, daß Fotografien unter einem Vergrößerungsglas winzige Einzelheiten zeigten, die man mit dem bloßen Auge niemals hätte entdecken können.10 Der amerikanische Schriftsteller und Arzt Oliver Wendell Holmes war einer der ersten, die die wissenschaftlichen Möglichkeiten der Kamera auswerteten. Zu Beginn der sechziger Jahre überzeugte er sich davon, daß menschliche Gehbewegungen, wie Momentaufnahmen sie ihm zeigten, sich ganz erheblich von den Vorstellungen unterscheiden, die sich Künstler davon gemacht hatten; und auf Grund seiner Beobachtungen wies er dann auf die Fehlerhaftigkeit der Beinprothesen hin, die damals für Invaliden des amerikanischen Bürgerkrieges hergestellt wurden. Andere Wissenschaftler folgten seinem Beispiel. Darwin verließ sich in seinem Werk The Expression of the Emotions in Man and Animals (1872) lieber auf Fotos als auf Stiche und bevorzugte Moment- den Zeitaufnahmen, da es ihm, so argumentierte er, mehr auf Wahrheit als auf Schönheit ankomme und Momentaufnahmen am zuverlässigsten „die vergänglichsten und flüchtigsten Nuancen des Gesichtsausdrucks“ festhielten.11

Viele folgenreiche Erfindungen sind anfangs so gut wie gar nicht zur Kenntnis genommen worden. Die Fotografie hingegen kam insofern unter einem Glücksstern zur Welt, als ihr der Boden schon bereitet war. Die Erkenntnis der sowohl aufzeigenden wie aufdeckenden Funktionen dieses „mit einem Gedächtnis begabten Spiegels“12, das heißt also seiner ihm innewohnenden realistischen Tendenz, war großenteils der Entschiedenheit zu verdanken, mit der damals realistische Impulse der romantischen Bewegung entgegenwirkten. Im Frankreich des 19. Jahrhunderts fiel der Aufstieg der Fotografie zeitlich mit der Ausbreitung des Positivismus zusammen: dieser verkörperte weniger ein philosophisches System als eine von vielen Denkern geteilte geistige Haltung, die metaphysische Spekulation zugunsten einer wissenschaftlichen Einstellung entmutigte und sich damit in völliger Übereinstimmung mit der fortschreitenden Industrialisierung befand.13

[28] In unserem Zusammenhang sind freilich nur die ästhetischen Implikationen dieser Haltung von Interesse. Das positivistische Denken erstrebte eine getreue, ganz unpersönliche Wiedergabe der Wirklichkeit im Sinne von Taines radikalem Ausspruch: „Ich will die Objekte so wiedergeben, wie sie sind oder wie sie wären, auch wenn ich nicht existierte.“ Was zählte, war nicht so sehr das Thema des Künstlers oder seine leicht zu täuschende Einbildungskraft, vielmehr seine unvoreingenommene Objektivität bei der Darstellung der sichtbaren Welt; daher der gleichzeitige Durchbruch der von aller romantischen Gefühlstönung freien plein-air-Malerei.14 So nachdrücklich die intellektuelle Bohème15 ihre künstlerische Wahrheitstreue auch betonen mochte, sie erwartete darum doch nicht weniger, daß die Wahrheit der Sache der Revolution dienen werde, die 1848 zeitweilig besiegt worden war; einige Jahre später nannte sich Courbet sowohl einen „Parteigänger der Revolution“ wie einen „aufrichtigen Freund der wahren Wahrheit“.16 Es war unvermeidlich, daß diese Wendung zum Realismus in der Kunst – die mit Courbets Begräbnis von Ornans (1850) noch an Nachdruck gewann und mit dem durch Flauberts Madame Bovary (1857) verursachten Skandal vorübergehend ihren Höhepunkt erreichte – die Fotografie in den Mittelpunkt rückte.17 War nicht gerade die Kamera ein ideales Hilfsmittel zur Durchdringung und unverzerrten Wiedergabe der Natur? Führende Wissenschaftler, Künstler und Kritiker waren von vornherein dazu geneigt, diese besonderen Möglichkeiten des neu auftauchenden Mediums zu verstehen und anzuerkennen.

Dennoch stießen die Anschauungen der Realisten auf scharfen Widerspruch, nicht nur bei Künstlern, sondern auch bei den Fotografen selbst. Kunst, so betonten die Gegner, erschöpfe sich nicht in der gemalten oder fotografierten Wiedergabe der Wirklichkeit; sie bedeute mehr als das; sie setze die schöpferische Fantasie des Künstlers bei der Gestaltung des ihm gegebenen Materials voraus. Im Jahre 1853 meinte Sir William Newton, das fotografische Bild könne und solle sich so abändern lassen, daß es mit den „anerkannten Grundsätzen der schönen Künste“ übereinstimme.18 Seine Anregung verhallte nicht ungehört. Zahlreiche Fotografen begnügten sich nun nicht mehr mit bloßen „Kopien“ der Natur, sondern strebten die Herstellung von Bildern an, die, wie ein englischer Kritiker forderte, auch der Schönheit gerecht würden, statt nur die Wahrheit darzustellen.19 Übrigens waren es in der Hauptsache keineswegs die vielen Maler unter den Fotografen, die diese Bestrebungen befürworteten und verwirklichten.

[29] Mit einigen rühmlichen Ausnahmen folgten die „Kunstfotografen“ jener Tage einer Tendenz, die „formgebend“ oder auch „schöpferisch“ genannt werden mag, da sie aus dem Drang hervorging, schöne Bilder frei zu komponieren, statt die Natur im Rohzustand zu reproduzieren. Aber dieser fotografische Schöpferdrang bekundete sich ausschließlich in Aufnahmen, die vorherrschende und allgemein beliebte Malweisen wiederholten; bewußt oder unbewußt ahmten diese Fotografen herkömmliche Kunststile nach, nicht unverstellte Realität.20 So tat sich der Bildhauer Adam-Salomon, einer der damals am höchsten geschätzten Kunstfotografen, mit Porträtaufnahmen hervor, die dank ihres „Rembrandtschen Helldunkels“ und ihrer malerisch drapierten Samtvorhänge den Dichter Lamartine dazu veranlaßten, seine ursprüngliche Meinung, Fotografien seien nichts als ein „Plagiat der Natur“,21 zu widerrufen. Der Anblick dieser Bilder gab Lamartine die Gewißheit, daß auch die Fotografie die höchsten Gipfel der Kunst zu erreichen vermöge. Was sich hier auf vergleichsweise hohem Niveau abspielte, verfestigte sich in den Niederungen gewerbsmäßiger Fotografie: ganze Scharen kunstbeflissener Fotografen kamen den Geschmacksbedürfnissen einer juste-milieu-Gesellschaft entgegen, die, allem Realismus abhold, nach wie vor romantische Malerei oder den akademischen Klassizismus von Ingres und seiner Schule bevorzugte.22 Zahllose Aufnahmen machten sich die Beliebtheit gestellter Genre-Bilder in historischen oder anderen Kostümen zunutze.23 Fotografieren wurde zu einer einträglichen Industrie, zumal auf dem Gebiet der Porträtaufnahmen, für die Disderi eine gängige Form und Formel gefunden hatte.24 Seine „Porträt-Visitenkarten“ schmeichelten sich von 1852 an mehr und mehr in die Gunst der Kleinbürgerschichten ein, die sich etwas darauf zugute taten, daß sie sich nun, noch dazu mit geringem Kostenaufwand, sprechend ähnlich abbilden lassen konnten – ein Privileg, das bisher der Aristokratie und dem zahlungsfähigen Großbürgertum vorbehalten war.25 Wie nicht anders zu erwarten, predigte auch Disderi das Evangelium der Schönheit.26 So entsprach es den Marktbedürfnissen. Im zweiten Kaiserreich opferten Berufsfotografen nicht minder als populäre Maler fotografische Wahrheit konventionellen Bildeffekten, indem sie die von der Natur stiefmütterlich behandelten Züge ihrer Kunden mit den erforderlichen Verschönerungen ausstatteten.27

Diese Bemühung um „Kunst“ brachte es mit sich, daß die Kunstfotografen die besonderen Eigenschaften des Mediums, wie die Realisten sie wahrnahmen, vernachlässigten, wenn nicht gar verleugneten. Schon 1843 verzichteten einzelne Daguerrotypisten darauf, mit ihrer Kamera die Realität zu erkunden, und gaben statt dessen weichzeichnenden Bildern den [30] Vorzug.28 Adam-Salomon verließ sich zur Erzielung künstlerischer Effekte auf Retuschen29 und Julia Margaret Cameron benutzte schlecht gemachte Linsen, um derart ohne die störende Einmischung „zufälliger“ Details zum „seelischen Gehalt“ ihrer Porträts vordringen zu können.30 Ähnlich empfahl Henry Peach Robinson den Gebrauch jeder Art von „Kniff, Trick und Kunstgriff“, damit sich bildliche Schönheit aus einer „Mischung des Realen mit dem Künstlichen“ ergebe.31

Kein Wunder, daß sich zwischen den Vorkämpfern des Realismus und ihren Gegnern eine lebhafte Diskussion entspann.32 Diese berühmt gewordene Auseinandersetzung, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Gemüter erregte, ohne jemals zu einer eindeutigen Lösung zu führen, beruhte auf einer beiden Seiten gemeinsamen Annahme – daß nämlich Fotografien die Natur kopierten. Aber damit hörte die Verständigung auch auf. Die Ansichten teilten sich scharf in der Frage der künstlerischen Bedeutung von Reproduktionen, die das Licht selbst hervorgebracht zu haben schien.

Die Realisten vermieden es zwar, Fotografie als eine Kunst zu identifizieren – tatsächlich neigten die radikaleren unter ihnen sogar dazu, künstlerische Bestrebungen insgesamt abzulehnen –, betonten aber nachdrücklich, die unbestechliche Objektivität der Kamera sei eine wertvolle Hilfe für den Künstler. Fotografie, so äußerte sich ein realistisch gesinnter Kritiker, rufe den Künstler zur Natur zurück und diene ihm deshalb als unerschöpfliche Quelle seiner Eingebungen.33 Taine und selbst Delacroix drückten sich ähnlich aus; Delacroix verglich die Daguerreotypie mit einem „Wörterbuch“ der Natur, in dem er den Malern sorgfältig nachzuschlagen riet.34

Die Kritiker im gegnerischen Lager verwarfen selbstverständlich die Idee, daß ein auf mechanische Nachahmung sich beschränkendes Medium künstlerische Eindrücke vermitteln oder zu ihnen verhelfen könne. In ihre Geringschätzung dieses minderwertigen Mediums mischten sich bittere Klagen über seinen wachsenden Einfluß, der, wie sie behaupteten, dem Kult des Realismus Beistand leiste und dadurch den hohen Zielen der Kunst abträglich sei.35 Baudelaire verachtete die Anbeter Daguerres unter den Künstlern, die doch nur sklavisch nachbildeten, was sie sähen, statt ihren Traumgesichten Gestalt zu geben.36 Die Kunstfotografen teilten diese Ansicht, freilich mit einem Vorbehalt: sie waren überzeugt, daß Fotografie sich nicht auf bloße Reproduktion zu beschränken brauche. Sie sei vielmehr ein Medium, das dem schöpferischen Künstler ebenso viele Möglichkeiten biete wie Malerei oder Literatur – vorausgesetzt, daß [31] er sich dabei von den besonderen Bedingungen der Kamera nicht behindern lasse, sondern jeglichen „Kniff, Trick und Kunstgriff“ anwende, um dem fotografischen Rohstoff Schönheit abzugewinnen.

All diese Argumente und Gegenargumente kommen uns heute schief vor. Beide Seiten ließen sich irreführen von dem naiven Realismus, der ihren Anschauungen zugrunde lag; so gelang es ihnen nicht, Art und Grad der schöpferischen Leistung zu würdigen, die in fotografische Bilder eingehen mag. Die einen wie die anderen waren durch die ihnen gemeinsamen Voraussetzungen daran gehindert, in das Wesen eines Mediums einzudringen, das weder Nachahmung noch Kunst im traditionellen Sinne ist. Aber wie schal diese alten Vorstellungen auch geworden sind – die zwei gegensätzlichen Tendenzen, aus denen sie einst ihre Kraft schöpften, haben sich nach wie vor am Leben erhalten.

Gegenwärtige Anschauungen und Trends

Eines der beiden Lager, in die moderne Fotografie gespalten ist, folgt der realistischen Tradition. Gewiß, Taines Bestreben, die Objekte so zu reproduzieren, wie sie sind, gehört endgültig der Vergangenheit an. Die Realisten von heute haben gelernt oder wieder erlernt, daß die Realität so ist, wie wir sie sehen. Aber wie sehr sie sich dessen auch bewußt sind, sie gleichen den Realisten des 19. Jahrhunderts doch darin, daß auch sie das Hauptgewicht auf die reproduzierenden und enthüllenden Fähigkeiten der Kamera legen und es folglich als Fotografen für ihre Aufgabe halten, die „bestmögliche Aussage über Tatsachen“ zu machen.37 Der verstorbene Edward Weston zum Beispiel pries die unvergleichliche Präzision, mit der Momentaufnahmen mechanisch die feinsten Einzelheiten registrieren, und schätzte die „ununterbrochene Folge unendlich zarter Abstufungen von Schwarz zu Weiß“.38 Seine Äußerung fällt um so mehr ins Gewicht, als er selbst es sich oft nicht versagen konnte, der Natur abstrakte Kompositionen abzugewinnen. Offensichtlich bezogen sich seine Worte mehr auf Enthüllungen der Kamera als auf Darstellungen des uns bereits Vertrauten. Was heute Bewunderung erregt, ist vor allem die durch technische Verbesserungen und wissenschaftliche Entdeckungen noch vielfach gesteigerte Kraft des Mediums, bisher ungeahnte Dimensionen der Wirklichkeit zu erschließen. Moholy-Nagy war zwar alles andre als ein Realist, aber auch er rühmte Aufnahmen, die Objekte aus ungewohnten Blickwinkeln oder Kombinationen von noch nie zusammen gesehenen Erscheinungen vorführen; die großartigen Entdeckungen [32] von Hochfrequenz-, Mikro- und Makrofotografie; die Einblicke, die infrarot-empfindliche Emulsionen gewähren. „Fotografie“, erklärte er, „ist der goldene Schlüssel, der die Tore zu den Wundern der Außenwelt öffnet.“39 Ist das dichterische Übertreibung? Der deutsche Fotograf Gustav Schenk macht in seinem Buch Schöpfung aus dem Wassertropfen den winzigen Kosmos sichtbar, der in einem Quadratmillimeter gewöhnlichen, in Bewegung befindlichen Wassers enthalten ist – eine unaufhörliche Folge so fantastischer Gebilde, daß sie eher geträumt als vorgefunden zu sein scheinen.

Indem uns realistische Fotografie derart die „Wunder der Außenwelt“ zeigt, hat sie zwei wichtige Funktionen übernommen, die sich in ihren früheren Entwicklungsphasen nicht voraussehen ließen. (Das mag auch erklären, warum Moholy-Nagy von den zeitgenössischen Leistungen der Kamera mit einer Wärme und Beteiligung spricht, wie man ihnen in entsprechenden Äußerungen des 19. Jahrhunderts nicht begegnete.)

Erstens hat moderne Fotografie unsere Sicht nicht nur wesentlich erweitert, sondern eben dadurch auch unserer Situation in einem technologischen Zeitalter angepaßt. Eines der Kennzeichen dieser Situation besteht darin, daß die Anschauungen und Perspektiven, die während langer Zeiträume der Vergangenheit den festen Rahmen für unsere Naturvorstellungen bildeten, relativiert worden sind. Im rein physischen Sinne wechseln wir heute unsere Standorte mit solcher Leichtigkeit und unvergleichlichen Geschwindigkeit, daß stetige Eindrücke von unaufhörlich sich wandelnden abgelöst werden: Luftbilder irdischer Landschaften sind uns alltäglich-vertraut geworden; kein einziges Objekt hat sich sein unveränderliches, endgültig erkennbares Aussehen bewahrt.

Ein Gleiches gilt auch für Phänomene intellektueller Art. Analytischer Betrachtung ergeben, lassen wir all die komplexen Wertsysteme Revue passieren, die uns in der Form von Religionen, Philosophien oder Kulturen überliefert sind, und zerlegen sie in ihre miteinander vergleichbaren Elemente; wodurch wir selbstverständlich ihren Anspruch auf absolute Gültigkeit schwächen. So finden wir uns mehr und mehr von geistigen Konfigurationen umgeben, die wir nach Belieben interpretieren können. Jede von ihnen nimmt vielfach schillernde Bedeutungen an, während die großen Glaubenslehren oder Ideen, denen sie entstammen, immer blasser werden. In derselben Weise hat die Fotografie unserem Bewußtsein die Auflösung traditioneller Perspektiven eingeprägt. Man denke nur an die vielen Aufnahmen, die ungewohnte Aspekte der Wirklichkeit darstellen – räumliche Tiefe und flächenhafte Ausdehnung sind aufs seltsamste miteinander verschlungen, und vermeintlich wohlbekannte Objekte verwan[33]deln sich in unverständliche Muster. Alles in allem haben die Realisten unter den modernen Fotografen viel dazu beigetragen, unsere Sehweise mit zeitgenössischen Erfahrungen auf anderen Gebieten in Einklang zu bringen. Das heißt, sie haben uns die wirkliche Beschaffenheit der Welt, in der wir heute leben, wahrnehmen lassen – keine geringe Leistung in Anbetracht der Widerstandskraft, die unseren Sehgewohnheiten eignet. Einige dieser Gewohnheiten haben sich denn auch hartnäckig erhalten. So mag zum Beispiel die Vorliebe für weite Durchblicke und landschaftliche Panoramen, wie viele Leute sie immer noch bekunden, sehr wohl auf eine frühere, weniger dynamische Epoche zurückgehen.

Zweitens hat die moderne Fotografie genau dadurch, daß sie mit traditionellen Sehweisen aufräumte, noch eine andere Funktion übernommen: sie hat ihrerseits die Kunst beeinflußt. Marcel Duchamp berichtet, daß sich im Jahre 1912, als er sein Bild Nu descendant un escalier malte, Pariser Künstlerkreise von stroboskopischen und Zeitlupen-Bildern stark angeregt fühlten.40 Welch ein Umschwung in den Beziehungen zwischen Fotografie und Malerei! Im 19. Jahrhundert hatte die Fotografie bestenfalls Künstlern als Hilfsmittel gedient, denen es um Treue zur Natur ging – einer noch im Sinne alter visueller Konventionen verstandenen Natur; in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wurden die wissenschaftlichen Leistungen der Kamera zu einer Quelle der Inspiration für Künstler, die jene Konventionen abzustreifen begannen.41 Es klingt paradox, daß von allen Medien gerade das der realistischen Fotografie zur Entwicklung der abstrakten Kunst beigetragen haben soll. Aber der gleiche technologische Fortschritt, der es der Fotografie ermöglichte, unsere Sehweise nachhaltig zu modernisieren, teilte sich auch dem Bewußtsein der Maler mit und drängte sie dazu, mit visuellen Klischees zu brechen, die man als veraltet empfand. Am Ende ist es nicht einmal überraschend, daß die Leistungen innerhalb der zwei Medien bis zu einem gewissen Grade übereinstimmen. Moderne Fotografien und abstrakte Gemälde haben eins gemeinsam: beide sind gleich weit von den Bildern entfernt, die man sich in einem technisch primitiveren Zeitalter von der Realität machen konnte. Daher der „abstrakte“ Charakter dieser Fotografien und ihre Oberflächenähnlichkeit mit moderner Malerei.

Aber wie früher, so wetteifern auch jetzt schöpferische Antriebe mit realistischen Intentionen. Obwohl Moholy-Nagy sich an den visuellen Bereicherungen realistischer Fotografie begeistern konnte und ihre Bedeutung für die Kunst dankbar anerkannte, war es ihm doch weit mehr darum zu tun, das Medium von den Fesseln „enger Naturwiedergabe“ zu befreien. [34] Er ließ sich dabei von dem Gedanken leiten, daß wir lernen sollten, Fotografie genauso wie Malerei als ein „ideales Instrument visuellen Ausdrucks“42 zu betrachten. „Wir wollen schöpferisch sein“, lautete seine Parole.43 Demgemäß stellte er, ähnlich wie Man Ray, die Lichtempfindlichkeit der fotografischen Platte in den Dienst von Schwarz-Weiß-Kompositionen, denen er die Gegenständlichkeit des fotografierten Materials unterordnete. Alle modernen Experimentalfotografen gehen im wesentlichen auf die gleiche Art vor. Es ist, als litten sie unter ihren Verpflichtungen der Natur im Rohzustand gegenüber; als glaubten sie, sie müßten, um Künstler zu sein, den gegebenen Rohstoff in Schöpfungen verwandeln, die ihn nicht so sehr reproduzieren als überwältigen. Sie benutzen oder kombinieren verschiedene Kunstgriffe und technische Verfahren – darunter Negative, Fotogramme, Mehrfachbelichtung, Solarisation, Runzelkorn usw. – um damit Bilder herzustellen, die uns vergegenwärtigen sollen, was Leo Katz, ein Experimentalfotograf, einmal „unsere subjektiven Erlebnisse, inneren Gesichte und die dynamischen Kräfte unserer Fantasie“ nannte.44

Zweifellos ist es diesen künstlerisch gesinnten Experimentatoren auch um rein fotografische Werte zu tun; es ist bezeichnend, daß sie Retuschen als unerlaubte Eingriffe in die angebliche Reinheit ihrer Laboratoriums-Verfahren ablehnen.45 Und dennoch sind sie offenkundig die Nachfahren der Kunstfotografen des 19. Jahrhunderts. So sehr sie auch davor zurückscheuen, nach dem Beispiel ihrer Vorgänger malerische Stile und Bildmotive zu imitieren, so streben sie doch Kunstwirkungen im traditionellen Sinne an; ihre Erzeugnisse könnten ebensogut abstrakten oder surrealistischen Gemälden nachgebildet sein. Darüber hinaus tendieren sie ebenso wie die frühen Vorkämpfer eines malerischen Stils dazu, die spezifischen Eigenschaften ihres Mediums zu vernachlässigen. Gewiß, im Jahre 1925 bezog sich Moholy-Nagy noch auf astronomische und Röntgen-Aufnahmen als die Vorbilder seiner „Fotogramme“46 aber seither scheint die – ohnehin schwache – Nabelschnur zwischen realistischer und experimenteller Fotografie vollständig gerissen zu sein. Von Andreas Feininger ging die Anregung aus, man solle „überflüssige und verwirrende Einzelheiten zugunsten ‚künstlerischer Vereinfachung‘ weglassen“; das Ziel der Fotografie als eines Kunstmediums, so verkündet er, „ist es nicht, die größtmögliche ‚Ähnlichkeit‘ mit dem dargestellten Gegenstand zu erreichen, sondern ein abstraktes Kunstwerk zu schaffen, das in Komposition, nicht Dokumentation gipfelt.“47 Er ist nicht der einzige, der die „Wunder der Außenwelt“ geringer veranschlagt als die Sichtbarmachung innerer Ausdruckswerte; in einer Abhandlung über den deut[35]schen Experimentalfotografen Otto Steinert wird dessen sogenannte „subjektive“ Fotografie als eine bewußte Abkehr von realistischen Methoden gekennzeichnet.“48

Aus all dem geht hervor, daß Sinn und Absicht der Fotografie nach wie vor umstritten sind. Die vom 19. Jahrhundert aufgeworfene Frage, ob Fotografie ein Kunstmedium sei oder sich doch zu einem solchen entwickeln könne, hat nichts von ihrer Aktualität verloren. Die modernen Realisten schwanken in ihren Antworten. Von dem Wunsch getrieben, die künstlerischen Möglichkeiten ihres Mediums in den Vordergrund zu rücken, verweisen sie oft und gern darauf, daß der Fotograf ja eine freie Wahl unter den sich darbietenden Gegenständen treffe; dies mag in der Tat erklären, weshalb seine Aufnahmen häufig persönliche Visionen zu sein scheinen und manche ästhetischen Befriedigungen gewähren. Aber ist er aus diesem Grunde dem Maler oder Dichter gleichzusetzen? Und ist das Ergebnis seiner Bemühungen ein Kunstwerk im strengen Sinne des Wortes? Diese entscheidenden Fragen verursachen im realistischen Lager viel Kopfzerbrechen; je nachdem die Beschränkungen einkalkuliert werden, die das Medium seinen Jüngern auferlegt, lauten die Antworten bald zuversichtlich bejahend, bald resigniert. Von dergleichen Zweifeln bleiben die Experimentalfotografen unangefochten. Sie durchhauen den gordischen Knoten, indem sie nachdrücklich versichern, daß Wiedergaben der zufälligen Realität, wie schön sie auch sein mögen, keinesfalls als Kunst gelten können. Kunst beginne erst, so argumentieren sie, wo die Abhängigkeit von unkontrollierbaren Bedingungen aufhöre. Und so versuchen Feininger und die andern dadurch, daß sie die registrierende Funktion der Kamera vorsätzlich außer acht lassen, Fotografie in das Kunstmedium umzuwandeln, das es ihrer Meinung nach ist.

Gegen Ende des Jahres 1951 veröffentlichte die New York Times einen Artikel von Lisette Model, der sich gegen künstlerische Formexperimente in der Fotografie aussprach und die Forderung nach unmittelbarer Lebensnähe erhob. Die Reaktionen darauf, die in der gleichen Zeitung veröffentlicht wurden, lassen deutlich erkennen, daß die geringste Herausforderung genügt, um die alten Gegensätze zwischen den Anhängern der realistischen Schule und den Vorkämpfern ungehemmten Schöpfertums wieder aufleben zu lassen. Einer der Briefschreiber, der sich selber als einen „ausgesprochenen Experimentalfotografen“ bezeichnete, warf Miss Model vor, daß sie die Freiheit des Künstlers, sein Medium zu benutzen, wie es ihm beliebe, willkürlich einzuschränken trachte. Ein anderer Leser hingegen stimmte ihr mit der Begründung zu, daß „Fotografen am besten [36] innerhalb der Grenzen ihres Mediums arbeiten“. Ein dritter wiederum wollte lieber überhaupt keine Meinung äußern, weil „alle Versuche ..., die Funktionen unserer Kunst genau zu definieren und formal zu bestimmen, nur zur Erstarrung führen können“.49 Plänkeleien wie diese beweisen, daß die Gegner sich so uneinig sind wie je zuvor.

Kurz, die Anschauungen und Richtungen, die zu Beginn der Fotografie vorherrschten, haben sich im Verlauf ihrer Entwicklung nicht wesentlich geändert. (Daß dem Medium neue Techniken und Inhalte zugewachsen sind, gehört hier nicht zur Sache.) Ferner gilt, daß sich durch die gesamte Geschichte der Fotografie zwei Tendenzen ziehen: die realistische, die in getreuen Wiedergaben der Natur gipfelt, und die formgebende, die künstlerische Schöpfungen erstrebt. Sehr oft stoßen die formgebenden Ansprüche mit dem Willen zum Realismus zusammen und besiegen ihn dabei. Fotografie ist der Schauplatz zweier Tendenzen, die einander sehr wohl widerstreiten mögen. Aus diesem Stand der Dinge ergeben sich gewisse ästhetische Probleme, die der Erörterung bedürfen.

[…] [38] […] Die fotografische Einstellung

Die Einstellung des Fotografen zu seinem Medium kann man „fotografisch“ nennen, wenn sie dem ästhetischen Grundprinzip entspricht. Das heißt aber, daß er im ästhetischen Interesse unter allen Umständen der realistischen Tendenz folgen muß. Das ist freilich nur die Mindestforderung. Aber wenn er sie erfüllt, wird er wenigstens Aufnahmen zustande bringen, die seinem Medium Genüge tun. Damit ist gemeint, daß eine unpersönliche, vollständig kunstlose Aufnahme ästhetisch einwandfrei ist, während es einer sonst schönen und vielleicht sogar sinnvollen Komposition an fotografischer Qualität gebrechen mag. Kunstlose Übereinstimmung mit dem Grundprinzip ist besonders befriedigend im Falle von Bildern, die unsere Sehweise mit unserer wirklichen Situation ins Einvernehmen bringen. Aufnahmen dieser Art brauchen keineswegs aus dem absichtlichem Bemühen des Fotografen hervorgegangen zu sein, den Eindruck von Kunstschöpfungen zu vermitteln. So verweist Beaumont Newhall auf die „Schönheit“ von Luftaufnahmen, die während des Krieges mit automatischen Kameras zu rein militärischen Zwecken gemacht wurden.55 Diese besondere Spielart von Schönheit ist wohlverstanden nur ein unbeabsichtigtes Nebenprodukt, das der ästhetischen Legitimität solcher mechanischen Naturerkundungen von sich aus nichts hinzufügt.

Wenn aber „Schnappschüsse“ im Sinne von ungestellten Aufnahmen (candid shots) dem Medium entsprechen, dann scheint es natürlich, sich den Fotografen als ein „Kamera-Auge“ zu denken, als jemanden, der, aller formgebenden Impulse entratend, ganz und gar dem Künstlertyp ent[39]spricht, wie er im Manifest der Realisten vom Jahre 1856 gefordert wurde. Darin hieß es, die Haltung des Künstlers gegenüber der Realität solle so unpersönlich sein, daß er zehnmal denselben Gegenstand reproduzieren könne, ohne daß seine Reproduktionen auch nur im geringsten voneinander abwichen.56 So faßt auch Proust die Aufgabe des Fotografen an jener Stelle von Die Welt der Guermantes auf, wo der Erzähler nach langer Abwesenheit unangemeldet den Salon seiner Großmutter betritt:

„Ich war da, oder eigentlich auch noch nicht, da sie es ja noch nicht wußte... Von meiner Person war... nur der Zeuge, der Beobachter in Hut und Reisemantel, der Fremde da, der nicht zum Hause gehört, der Photograph, der eine Aufnahme von Stätten machen soll, die man nicht wiedersehen wird. Was auf ganz mechanische Weise in diesem Moment in meinen Augen zustande kam, als ich meine Großmutter bemerkte, war wirklich eine Photographie. Wir sehen geliebte Wesen stets nur im lebendigen Zusammenhang, in der ständigen Bewegung unserer immerwährenden Zärtlichkeit, die, bevor sie den rein bildhaften Eindruck der Züge zu uns gelangen läßt, sie in ihren Wirbel reißt, sie mit Macht nach einer Vorstellung reguliert, die wir schon immer von ihnen hatten, und sie dieser anpaßt, mit ihr koinzidieren läßt. Wie denn hätte ich, da ich in die Stirn, die Wangen meiner Großmutter alles Zarteste und Beständigste ihres Geistes hineinlegte, da jeder gewohnheitsmäßige Blick eine Totenbeschwörung und jedes geliebte Gesicht ein Spiegel der Vergangenheit ist, nicht über alles hinwegsehen sollen, was an ihr schwerfälliger geworden und verwandelt war, wo doch unser Auge selbst angesichts der gleichgültigsten Schauspiele unseres Daseins, von Gedanken beladen, darin der klassischen Tragödie gleich, alle Bilder fortläßt, die nicht zur Handlung gehören, und nur die behält, die deren Absicht anschaulicher machen können? ... Und wie ein Kranker ... erblickte ich, für den meine Großmutter immer ein Teil meiner selbst geblieben war und der ich sie niemals anders als durch das Mittel meiner Seele erschaut hatte, immer an der gleichen Stelle der Vergangenheit, durch die transparente Schicht zusammenhängender, dicht aufeinandergelegter Erinnerungen hindurch, plötzlich in unserm Salon, der zum Bestandteil einer ganz neuen Welt, der Welt der Zeit geworden war, ... auf dem Kanapee sitzend, rot, schwerfällig, vulgär, krank, vor sich hindösend und mit etwas wirrem Blick über ein Buch hingleitend eine alte, von der Last der Jahre gebeugte Frau, die ich gar nicht kannte.“57

[40] Proust geht von der Voraussetzung aus, daß Liebe uns blind mache für die Veränderungen, die ein von uns geliebter Mensch im Lauf der Zeit erleidet. Deshalb ist es nur logisch, daß er gefühlsmäßige Abgelöstheit als die höchste Tugend des Fotografen hervorhebt. Er veranschaulicht diesen Gedanken noch weiterhin dadurch, daß er den Fotografen mit dem Zeugen, dem Beobachter, dem Fremden vergleicht – drei Typen, die nicht in die Vorgänge verstrickt sind, die sich vor ihren Augen abspielen. Sie können alles wahrnehmen, weil nichts, was sie sehen, von Erinnerungen beschwert ist, die sie fesseln und so ihren Blick beschränken würden. Der ideale Fotograf wäre demnach das Gegenteil des durch Liebe Geblendeten. Er gleicht einem Spiegel, der nicht zu unterscheiden weiß; er ist identisch mit der Kameralinse. Fotografie ist nach Proust das Produkt völliger Entfremdung.

Die Einseitigkeit dieser Definition liegt am Tag. Aber aus dem Zusammenhang ergibt sich, daß es Proust an dieser Stelle vor allem um die Darstellung eines inneren Zustandes zu tun war, in dem die Gewalt unfreiwilliger Erinnerungen die sie auslösenden äußeren Phänomene trübt. Und der Wunsch, den Kontrast zwischen diesem Bewußtseinszustand und dem des Fotografen klar herauszuarbeiten, veranlaßte ihn vielleicht dazu, sich den Glaubenssatz der extremen Realisten des 19. Jahrhunderts zu eigen zu machen, wonach der Fotograf – wie überhaupt jeder Künstler – der Natur einen Spiegel vorhält.

In Wirklichkeit gibt es einen solchen Spiegel gar nicht. Fotografen kopieren die Natur nicht bloß, sondern verwandeln sie dadurch, daß sie dreidimensionale Erscheinungen ins Flächenhafte übertragen und so aus dem Zusammenhang ihrer Umwelt lösen, wobei Schwarz, Grau und Weiß anstelle des äußeren Farbenspiels treten. Was aber den Vergleich mit einem Spiegel vollends unmöglich macht, sind nicht einmal so sehr diese unvermeidlichen Verwandlungen – die man außer Betracht lassen kann, weil, ihrer ungeachtet, Fotografien dennoch den Charakter von unabdingbaren Reproduktionen bewahren – es ist vielmehr die Art, in der wir die sichtbare Realität zur Kenntnis nehmen. Selbst Prousts entfremdeter Fotograf ordnet und gliedert spontan die auf ihn zuströmenden Eindrücke; die gleichzeitigen Wahrnehmungen seiner übrigen Sinne, gewisse seinem Nervensystem innewohnende Formkategorien des Wahrnehmens und nicht zuletzt seine allgemeinen inneren Anlagen drängen ihn dazu, den visuellen Rohstoff im Vorgang des Sehens zu organisieren.58 Und diese unbewußt sich abspielenden Tätigkeiten bedingen zwangsläufig die Aufnahmen, die er macht.

Wie verhält es sich aber mit den oben erwähnten Schnappschüssen, die [41] auf eine fast automatische Weise gewonnen werden? In ihrem Fall obliegt es dem Beschauer, ihnen Struktur zu geben. (Die von Newhall herangezogenen Luftaufklärungsbilder erschweren die konventionellen Prozesse des Strukturierens ihrer kaum zu identifizierenden Formen wegen, deren Undurchsichtigkeit den Betrachter oft zum Rückzug in die Dimension des Ästhetischen veranlaßt.) Objektivität im Sinne des realistischen Manifests ist unerreichbar. Wenn es sich aber so verhält, liegt keinerlei erkennbarer Grund vor, weshalb der Fotograf seine schöpferischen Fähigkeiten im Interesse des notwendigerweise vergeblichen Bemühens um diese Objektivität unterdrücken sollte. Vorausgesetzt, daß er sich bei der Wahl seiner Objekte von dem Entschluß leiten läßt, die Natur wiederzugeben und zu enthüllen, ist es sein gutes Recht, Motive, Blickfeld, Objektiv, Filter, Emulsion und Korn nach Maßgabe seiner künstlerischen Empfindungsfähigkeit zu wählen. Oder vielmehr, er muß wählerisch sein, um über die Mindestforderung hinauszugelangen. Denn die Natur wird sich ihm nicht erschließen, wenn er sie nicht unter Aufgebot all seiner Sinneskräfte und seines ganzen Wesens in sich aufzunehmen sucht. Das formgebende Streben braucht also mit der realistischen Tendenz nicht in Konflikt zu geraten. Im Gegenteil, es mag sie verwirklichen und erfüllen – eine Wechselwirkung, deren sich die Realisten des 19. Jahrhunderts noch nicht bewußt sein konnten. Im Gegensatz zu Prousts Auffassung sieht der Fotograf die Dinge in und mit seiner „Seele“.

Dennoch hat Proust recht, wenn er die fotografische Einstellung mit einem Zustand der Entfremdung in Zusammenhang bringt. Obwohl der Fotograf, der die Eigenschaften seines Mediums berücksichtigt, selten, wenn überhaupt je, gefühlsmäßig so unbeteiligt ist, wie Proust es ihm zuschreibt, so kann er darum doch nicht seine inneren Gesichte frei vergegenständlichen. Sein Problem besteht darin, die „richtige“ Mischung zwischen Wirklichkeitstreue und formgebendem Bemühen herzustellen – das heißt eine Mischung, in der dieses, so stark es auch entwickelt sein mag, seine Unabhängigkeit jener zuliebe aufgeben muß. „Statt sich in subjektiven Fantasien zu ergehen“, sagt Lewis Mumford, „muß der innere Impuls (des Fotografen) stets mit den äußeren Gegebenheiten im Einklang bleiben.“59 Einige frühe Kunstfotografen wie Nadar, David Octavius Hill und Robert Adamson wußten dieses prekäre Gleichgewicht zu erzielen. Wie stark sie auch von der Malerei beeinflußt waren, es kam ihnen doch in erster Linie darauf an, die wesentlichen Beschaffenheiten ihrer Modelle zu reproduzieren;60 die fotografische Qualität ihrer Porträtaufnahmen, erklärt Newhall, läßt sich auf die „Würde und Tiefe ihres Wahrnehmungsvermögens“ zurückführen.61

[42] Damit ist aber auch gesagt, daß die Wahl, die der Fotograf unter seinen Gegenständen trifft, mehr eine Sache der Einfühlung als die einer abgelösten Spontaneität ist. Er gleicht vielleicht noch am ehesten einem fantasiebegabten Leser, der sich bemüht, einen schwierigen Text zu studieren und zu entziffern. Dem Leser ähnlich, vertieft sich der Fotograf ins Buch der Natur. Dabei sollte, wie Paul Strand fordert, „die Intensität seines Schauens“ in „echter Achtung vor dem Gegenstand wurzeln, dem er sich gegenüber befindet.“62 Edward Weston meint dasselbe, wenn er sagt, daß „der Fotograf mit der Kamera über ein Mittel verfügt, das ihm gestattet, tief in die Natur der Dinge zu schauen und seine Gegenstände in ihrer elementaren Wirklichkeit darzustellen“.63 Dank der enthüllenden Kraft der Kamera hat der Fotograf auch etwas vom Entdecker an sich; unersättliche Neugier treibt ihn dazu, bisher noch unerschlossene Bezirke zu durchstreifen und ihre seltsamen Formen einzufangen. Er ruft alle Kräfte seines eigenen Wesens auf, nicht um sie in autonomen Schöpfungen zu entladen, sondern um sie in die Essenzen der auf ihn eindringenden Gegenstände aufzulösen. Nochmals, Proust hat recht: der subjektive Einsatz innerhalb dieses Mediums ist unabtrennbar von Prozessen der Entfremdung.

Hier scheint mir eine Bemerkung über die mögliche Rolle der Melancholie in fotografischen Gebilden nicht unangebracht. Es ist gewiß kein Zufall, daß Newhall in seiner History of Photography an zwei Stellen auf den melancholischen Charakter von Kamerawerk hinweist, das von echt fotografischem Geist beseelt ist. Er sagt von Marvilles Bildern von Pariser Straßen und Häusern, die unter Napoleon III. zum Untergang verurteilt waren, daß sie „die melancholische Schönheit einer versunkenen Vergangenheit“ besitzen,64 und zu den Pariser Straßenszenen von Atget bemerkt er, sie seien durchtränkt von der „Schwermut, die ein gutes Foto so eindringlich hervorrufen kann“.65 (Abb. I) Nun fühlt sich das melancholische Gemüt nicht nur zu elegischen Gegenständen hingezogen, sondern weist noch eine andere, wichtigere Eigenschaft auf: es begünstigt Selbstentfremdung, die ihrerseits Identifizierung mit einer Vielzahl von Objekten nach sich zieht. Der Niedergeschlagene strebt unwillkürlich danach, sich an die zufälligen Erscheinungen in seiner Umwelt zu verlieren; und er absorbiert sie mit einer Intensität, die nicht mehr durch seine besonderen Neigungen und Vorlieben bedingt ist. Seine Empfänglichkeit gleicht der des Proustschen Fotografen, der die Rolle des Fremden spielt. Filmregisseure haben diese Beziehung zwischen Melancholie und fotografischer Einstellung oft dazu ausgenutzt, einen solchen inneren Zustand sichtbar zu machen. Eine immer wiederkehrende Filmsequenz verläuft wie [43] folgt: man sieht, wie jemand in schwermütiger Stimmung ziellos umherstreift; während er so dahin wandert, ersteht seine Umwelt in Form zahlreicher aneinandergereihter Bilder von Hausfassaden, Neonlichtern, vereinzelten Straßenpassanten usw. Ihr scheinbar unmotiviertes Auftauchen wird von den Zuschauern wie selbstverständlich mit seiner Niedergeschlagenheit und der Entfremdung in ihrem Gefolge in Zusammenhang gebracht.

Die formgebende Tendenz kann so schwach werden, daß die aus ihr hervorgehenden Aufnahmen gerade noch die ästhetische Mindestforderung erfüllen; sie kann sich aber auch so stark durchsetzen, daß sie die realistische Tendenz zu überwältigen droht. Während der letzten Jahrzehnte hat mancher namhafte Fotograf seine Kräfte in Aufnahmen ausgelebt, die entweder beabsichtigen, dem gegebenen Rohmaterial auf den Grund zu gehen, oder dazu dienen, seine innere Bildwelt nach außen zu projizieren, oder gar beides miteinander zu vereinigen trachten. Moholy-Nagy hat einmal zu einer Aufnahme von Baumstämmen mit augenähnlichen Vertiefungen bemerkt: „Der Surrealist findet oft Bilder in der Natur vor, die seine eigenen Gefühle ausdrücken.“66 Man denke auch an Moholy-Nagys eigenes Foto Vom Berliner Rundfunkturm (Abb. 2) und an gewisse abstrakte oder beinah abstrakte Kompositionen, die sich bei näherem Hinsehen als Fels- und Bodenformationen, ungewohnte Kombinationen von Objekten oder von Gesichtern in Großaufnahme und dergleichen zu erkennen geben. (Abb. 3)

Bei Bildern dieser Art ist das Gleichgewicht zwischen Empathie und Spontaneität recht delikat. Der Fotograf, der solche Aufnahmen herstellt, ordnet seine formgebenden Impulse nicht seinen realistischen Intentionen unter, sondern scheint bestrebt, beiden gleichermaßen Geltung zu verschaffen. Er wird dazu, vielleicht ohne sich dessen bewußt zu sein, von zwei einander widerstrebenden Antrieben bestimmt: dem Wunsch, seine inneren Bilder herauszustellen, und dem Wunsch, äußere Formen zu registrieren. Doch um beide Antriebe miteinander zu versöhnen, verläßt er sich auf zufällige Einstimmigkeiten zwischen diesen Formen und Bildern. Daher die Mehrdeutigkeit solcher Fotos und ihre tour de force-Wirkung. Ein gutes Beispiel dafür ist die Aufnahme der Stühle im Sonnenlicht von Mary Ann Dorr (Abb. 4.67 Gewiß, auf der einen Seite wird sie den Eigenschaften des Mediums gerecht: das Stuhlgeflecht und die Schatten, die es wirft, existieren wirklich. Auf der andern aber ist dieselbe Aufnahme spürbar als Kunstschöpfung beabsichtigt: Schatten wie Stühle beeindrucken uns nicht so sehr als Naturobjekte denn als Elemente einer freien Komposition.

[44] Derartige unbestimmbare Grenzfälle bewahren sicherlich eine fotografische Qualität, solange sie erkennen lassen, daß der Fotograf sich dabei an den Text der Natur gehalten hat. Sie verlieren diese Qualität aber, wenn der Eindruck vorherrscht, daß die „Funde“ des Fotografen nur noch widerspiegeln, was er virtuell schon gefunden hatte, bevor er seine Kamera auf die Außenwelt richtete; dann erkundet er die Natur nicht mehr, sondern benutzt sie zu einer pseudo-realistischen Darstellung seiner eigenen Vision. Er mag sogar die angestrebte Übereinstimmung zwischen seiner spontanen Bilderwelt und dem Material der Wirklichkeit dadurch künstlich herbeiführen, daß er dieses ein wenig umfälscht.

Der Experimentalfotograf tendiert dazu, die Grenzregion zu überschreiten, die durch solche Verschmelzungen auseinanderstrebender Intentionen gekennzeichnet ist. Lassen sich seine Arbeiten überhaupt noch als Fotografien ansprechen? Fotogramme oder Rayographien (so genannt nach ihrem Erfinder Man Ray) verzichten auf die Kamera; und jene „schöpferischen“ Leistungen, die sich der Kamera bedienen, zehren das von ihnen herangezogene Rohmaterial völlig auf, indem sie es umgestalten. Ein gleiches gilt auch für Fotomontagen.68 Alle so beschaffenen Bildkompositionen sollte man vielleicht als eine besondere Spielart der graphischen Künste, nicht aber als Fotografie im strengen Sinne klassifizieren. Trotz ihrer augenscheinlichen Beziehungen zur Fotografie stehen sie ihr in Wirklichkeit fern. In der Tat versichern ja die Experimentalfotografen selber, daß ihre Werke einem besonderen Medium angehören und daß man sie als künstlerische Gestaltungen nicht mit jenen scheinbar abstrakten Reproduktionen der Realität verwechseln dürfe, die ästhetisch vielleicht nicht weniger reizvoll sind69 Aber ebensowenig wie dem Bereich der Fotografie lassen sich diese Schöpfungen dem der Malerei oder Zeichnung zuweisen. James Thrall Soby hat einmal von ihnen gesagt, daß „sie es nicht gut vertragen, wenn man sie als Bilder an die Wand hängt“.70 Es ist, als führe die Verwendung der Fotografie zu rein künstlerischen Zwecken in ein Niemandsland zwischen Reproduktion und freier Komposition.

Affinitäten

Aufnahmen, die der fotografischen Einstellung entsprechen – wo keine Mißverständnisse möglich sind, kann man sie kurzweg Fotografien nennen – besitzen gewisse Affinitäten, die ebenso konstant zu sein scheinen [45] wie die Eigentümlichkeiten des Mediums, dem sie angehören. Vier solcher Affinitäten mögen hier erörtert werden.

Erstens besitzt Fotografie eine ausgesprochene Affinität zur ungestellten Realität. Aufnahmen, die uns ihrem Wesen nach unmittelbar fotografisch anmuten, scheinen der Absicht zu entspringen, Natur im Rohzustand wiederzugeben, so wie sie unabhängig von uns existiert. Nun ist Natur besonders dort unserem Zugriff entzogen, wo sie sich in flüchtigen, rasch wechselnden Erscheinungen zu erkennen gibt, die nur die Kamera zu bannen vermag.71 Daraus erklärt sich das Entzücken der ersten Fotografen an solchen Gegenständen wie „einer Ansammlung von Staub in einer Hohlkehle“72 oder dem „spielerisch zufälligen Aufglitzern eines Sonnenstrahls“.73 (Übrigens war sich der über den Sonnenstrahl begeisterte Fox Talbot der Berechtigung seines Urteils so wenig sicher, daß er es unter Berufung auf das Vorbild der „alten niederländischen Meister“ zu legitimieren suchte.) Bei Porträtaufnahmen freilich verändern Fotografen häufig die ihnen gegebenen Bedingungen. Aber auf diesem Gebiet verfließen die Grenzen zwischen gestellter und ungestellter Realität; ein Porträtfotograf, der einem Kunden einen bestimmten Hintergrund gibt oder ihn bittet, den Kopf doch noch ein wenig zu senken, mag das sehr wohl in der Absicht tun, die typischen Züge seines Modells herauszubringen. Worauf es ankommt, ist sein Wunsch, die Natur sozusagen in ihrem Kern zu erfassen, so daß seine Porträts wie beiläufige Selbstgeständnisse aussehen, „erfüllt mit der Illusion von Leben“.74 Gewinnt aber der expressive Künstler im Fotografen die Oberhand über den fantasiebegabten Leser oder wißbegierigen Entdecker in ihm, dann verwandeln sich seine Porträts unweigerlich in jene zweideutigen Grenzfälle, von denen vorhin die Rede war. Sie wirken, als seien sie überkomponiert hinsichtlich der Belichtung und des gegenständlichen Arrangements; sie zeigen, wir fühlen es, nicht mehr die Realität im Fluß, sondern bringen ihre Elemente in einen Formzusammenhang, der an Gemälde erinnert.

Zweitens tendiert die Fotografie im Zuge ihres Bemühens um ungestellte Wirklichkeit zur Akzentuierung des Zufälligen. Momentaufnahmen leben geradezu von Vorgängen, die sich aufs Geratewohl und am Rand abspielen. „Wir wollen im Vorbeigehen alles ergreifen, was sich unseren Blicken unerwartet darbietet und irgendwie unser Interesse erregt“, äußerte sich ein Franzose über Momentaufnahmen, nahezu zehn Jahre vor dem Erscheinen der ersten Filme.75 Daher auch die Anziehungskraft, die der Großstadtverkehr mit seinen Menschenmengen auf den Fotografen ausübt. New Yorker Stereobilder aus dem Jahre 1859 zeigten eine ausgesprochene Vorliebe für das kaleidoskopische Gewimmel von Fahrzeugen und [46] Fußgängern;76 und etwas später schwelgten viktorianische Momentaufnahmen im selben ungegorenen Wirrwarr. Marville, Stieglitz, Atget – sie alle erblickten, wie schon bemerkt worden ist, im Großstadtbetrieb ein zeitgemäßes und besonders fotogenes Thema.77 Träume, die vom Leben in großen Städten genährt sind, verwirklichten sich so in bildlichen Wiedergaben zufälliger Begegnungen, seltsamer Überschneidungen und wunderbarer Koinzidenzen. Das heißt aber auch, daß selbst die typischsten Porträtbildnisse den Charakter des Zufälligen bewahren müssen – als wären sie im Vorbeigehen gepflückt und zitterten noch von ungeschlachter Existenz. Ebenso besagt diese Affinität zum Zufälligen, daß das Medium Bildern abhold ist, denen eine „straffe kompositorische Organisation“ aufgezwungen zu sein scheint.78 (Aufnahmen von den kompositorischen Erfindungen der Natur oder der vom Menschen geschaffenen Realität bleiben davon selbstverständlich unberührt.)

Drittens tendieren Fotografien dazu, die Vorstellung von Endlosigkeit zu erwecken. Dies folgt aus dem Nachdruck, den sie auf Zufallskomplexe legen, die kein Ganzes, sondern Fragmente darstellen. Gleichviel, ob es sich um Porträts oder Bilder von Vorgängen handelt, ein Foto hält dem Medium nur dann die Treue, wenn es den Gedanken an Vollständigkeit ausschließt. Sein Rahmen markiert eine vorläufige Grenze; sein Inhalt verweist auf andere Inhalte außerhalb des Rahmens; seine Struktur bezeichnet etwas, das sich nicht umfassen läßt – physisches Sein. Schriftsteller des 19. Jahrhunderts nannten dieses Etwas Natur oder Leben und waren überzeugt davon, daß Fotografie uns seine Unendlichkeit nahelegen solle. Blätter zum Beispiel, die sie zu den Lieblingsmotiven der Kamera zählten, lassen sich nicht „stellen“, sondern kommen in endlosen Mengen vor. In dieser Hinsicht besteht eine Analogie zwischen der fotografischen und der wissenschaftlichen Verfahrensweise: beide suchen ein unerschöpfliches Universum zu ergründen, dessen Ganzheit sich ihnen für immer entzieht.

Viertens endlich hat das Medium eine Affinität zum Unbestimmbaren, deren sich Proust aufs deutlichste bewußt war. Innerhalb des oben teilweise zitierten Abschnitts stellt er sich auch die Fotografien eines „Académicien“ vor, der gerade das „Institut de France“ verläßt. Was die Platte uns zeigen wird, so sagt er, wird „nicht das Heraustreten eines ‚Académicien‘ sein, der eine Droschke herbeirufen will, sondern sein stolpernder Gang, sein vorsichtiges Bemühen, nicht hintenüber zu fallen, die Kurve des Sturzes, die der berühmte Mann vollzieht, als wäre er betrunken oder der Boden mit Glatteis bedeckt.“79 Die Aufnahme, die Proust im Sinn hat, deutet nicht darauf hin, daß man sich das Mitglied der Aka[47]demie nun als eine würdelose Figur zu denken habe; sie unterläßt es nur, uns etwas über sein Gehabe im allgemeinen oder seine typischen Charakterzüge mitzuteilen. Sie isoliert ein momentanes Verhalten des „Académicien“ in so radikaler Weise, daß die Funktion dieses Verhaltens innerhalb der Gesamtstruktur seiner Persönlichkeit völlig offen bleibt. Die Szene ist in einen Zusammenhang gestellt, der selber nicht mitgegeben ist. Fotografien übermitteln, Proust zufolge, Rohmaterial ohne es zu definieren.

Zweifellos übertreibt Proust die Unbestimmbarkeit von Fotografien ebenso sehr wie ihren entpersönlichenden Charakter. Tatsächlich verleiht der Fotograf seinen Bildern Struktur und Bedeutung in dem Maße, in dem er eine überlegte Wahl trifft. Seine Bilder reproduzieren die Natur und spiegeln gleichzeitig seinen Versuch wider, sie zu assimilieren und zu entschlüsseln. Trotzdem hat Proust auch hier wieder, wie vorher schon mit dem Hinweis auf die Entfremdung des Fotografen, das Entscheidende richtig erkannt: denn wie wählerisch der Fotograf auch sein mag, seine Aufnahmen können die Tendenz zum Diffusen und Unorganisierten, die ihnen als Reproduktionen innewohnt, nicht verleugnen. Deshalb sind sie unvermeidlicherweise wie von einem Saum undeutlicher und vielfältiger Bedeutungen umgeben. (Gewiß läßt sich auch das traditionelle Kunstwerk in mehr als einem Sinne interpretieren. Aber da es aus deutbaren menschlichen Intentionen und Umständen hervorgeht, kann man die in ihm verkörperten Gehalte im Prinzip ermitteln; die der Fotografie hingegen sind zwangsläufig unbestimmbar, weil sie genötigt ist, ungestellte Natur selber zu zeigen, Natur in ihrer Undurchdringlichkeit. Mit einem Foto verglichen, hat jedes Gemälde einen relativ festlegbaren Sinn. Darum ist es eigentlich nur beim Werk des Fotografen angebracht, von vielfältigen Bedeutungen, vagem Sinngehalt und ähnlichem mehr zu reden.)

Wirkungen

Produkte eines Mediums mit so ausgesprochenen Affinitäten mögen sehr wohl spezifische Wirkungen ausüben, die von denen der überlieferten Kunstmedien verschieden sind. Drei solcher Wirkungen lassen sich unterscheiden.

Wir wissen, heißt es bei Newhall, daß Gegenstände „unrichtig dargestellt, verzerrt, gefälscht werden können ... und erfreuen uns sogar gelegentlich daran, aber dennoch vermag dieses Wissen unseren eingewurzelten Glauben an die Wahrheitstreue der Fotografie nicht zu erschüttern“.80

[48] Damit erklärt sich eine der geläufigsten Reaktionen auf Fotografien: seit Daguerres Zeiten hat man sie als Dokumente von unbezweifelbarer Echtheit gewertet. Baudelaire, der sowohl den Abstieg der Kunst zur Fotografie wie den Anspruch der Fotografie auf Kunst verächtlich anprangerte, gestand immerhin Fotos das Verdienst zu, daß sie all jene flüchtigen Erscheinungen registrieren und aufbewahren, die „einen Platz in den Archiven unseres Gedächtnisses“ verdienen.81 Von Anfang an erfreuten sich denn auch Fotografien als Andenken einer Beliebtheit, die sich nicht leicht überschätzen läßt. Es gibt wohl kaum eine Familie, in der man nicht stolz ein Album zeigte, das mit ganzen Geschlechtern lieber Angehöriger vor wechselnden Hintergründen gefüllt ist. Im Lauf der Zeit unterliegen diese Souvenirs einem Bedeutungswandel. Je blasser die Erinnerungen werden, die sich an sie knüpfen, desto mehr übernehmen sie dokumentarische Funktionen; ihre Wirkung als fotografische Reproduktionen überschattet endgültig die Anziehungskraft, die sie ursprünglich als Gedächtnisstützen ausübten. Während die Großmutter beim Durchblättern des Familienalbums noch einmal ihre Flitterwochen durchlebt, vertiefen ihre Enkel sich neugierig in den Anblick seltsam geschwungener Gondeln, vergangener Moden und alt-junger Gesichter, die sie selbst nicht mehr gekannt haben.

Unweigerlich werden sie sich dabei auch an Entdeckungen ergötzen, wunderliche Kleinigkeiten herauspickend, die der Großmutter in ihrer Jugend gar nicht aufgefallen waren. Es ist dieselbe Art von Befriedigung, die uns das Studium von Vergrößerungen gewährt, in denen nacheinander Dinge auftauchen, die wir im Original nicht vermutet hätten – und vielleicht noch weniger in der Wirklichkeit. Auch das ist eine typische Reaktion auf Fotografien. Wir schauen sie uns geradezu in der Hoffnung an, etwas Neues und Unerwartetes in ihnen zu finden – eine Zuversicht, mit der wir der enthüllenden Kraft der Kamera unseren Tribut entrichten.

Schließlich ist Fotografie auch stets als eine Quelle der Schönheit anerkannt worden. Aber Schönheit kann auf verschiedene Arten erfahren werden. All jene, die von einem Foto nicht erwarten, daß es sie in der gleichen Weise beeindrucken werde wie ein Gemälde, sind sich einig darüber, daß etwa Nadars Porträtaufnahmen, Bradys Szenen aus dem amerikanischen Bürgerkrieg oder Atgets Pariser Straßenbilder schön nicht als autonome Schöpfungen, sondern als sensitive und technisch einwandfreie Wiedergaben der Realität sind.82 Allgemein gesprochen können Fotos in dem Maße als schön gelten, in dem sie der fotografischen Einstellung Rechnung tragen. So würde sich die häufig gemachte Beobachtung erklären, daß Aufnahmen, die unsere Sicht erweitern, uns nicht nur als Kamera-Ent[49]hüllungen befriedigen, sondern uns auch ästhetisch ansprechen – wobei es im übrigen keine Rolle spielt, ob sie das Ergebnis einer sorgfältig getroffenen Auswahl oder, wie die Luftaufklärungsbilder, rein mechanische Erzeugnisse sind.

Fox Talbot nannte es einen der „Reize“ von Fotos, daß sie Dinge enthalten, die ihrem Hersteller unbekannt sind, Dinge, die er selbst erst in ihnen entdecken muß.83 Ähnlich äußerte Louis Delluc, eine der führenden Persönlichkeiten des französischen Films nach dem ersten Weltkrieg, sein Entzücken – ein ästhetisches Entzücken – über die staunenswerten Offenbarungen der Kodak-Bilder: „Dies ist es, was mich bezaubert: wie jeder zugeben wird, ist es ungewöhnlich, wenn man plötzlich in einem Film oder auf einer Platte bemerkt, daß das Gesicht eines Vorübergehenden, der vom Objektiv zufällig aufgepickt wurde, einen ganz einzigartigen Ausdruck hat; daß Madame X... unbewußt ihre klassische Haltung noch in zerstreuten Fragmenten bewahrt; und daß der uns vertraute eigentümliche Rhythmus von Bäumen, Wasser, Stoffen, Tieren sein Dasein dem Zusammenwirken von Einzelabläufen verdankt, deren Enthüllung erregend auf uns wirkt.“84 Der ästhetische Wert von Fotos scheint bis zu einem gewissen Grad eine Folge ihrer aufdeckenden Kräfte zu sein.* In unserer Reaktion auf Fotos durchdringen sich also Wißbegierde und Schönheitssinn. Fotos strahlen oft Schönheit aus, weil sie jene Begierde befriedigen. Wenn sie dabei – und darüber hinaus – in unbekannte Welträume und die Schlupfwinkel der Materie vordringen, mögen sie uns Einblick in eine Formenwelt gewähren, die in sich selbst schön ist.

Die Frage der Kunst

An diesem Punkt erhebt sich wieder die vielumstrittene Frage, ob Fotografie eine Kunst sei oder nicht. Die Kontroverse in ihrer heutigen Form ist vor allem dadurch bestimmt, daß die Vorkämpfer schöpferischer Ungebundenheit sich nur ungern mit den Begrenzungen abfinden, die der fotografische Vorgang ihrem Drang zur Formgebung auferlegt. In ihren Augen ist ein Fotograf, der sich die fotografische Einstellungsweise zu eigen macht, kein richtiger Künstler; und sie ihrerseits lehnen sich gegen die [50] Verpflichtung zum Reproduzieren auf, der er willig nachkommt. Das Problem, wie sie es sehen, läßt sich kaum zwingender formulieren als in Moholy-Nagys Definition des Experimentalfotografen: er sei ein Künstler, „der nicht nur eine Wahl trifft unter dem, was er vorfindet, sondern... Situationen schafft, bisher unbenutzte oder vernachlässigte Mittel einführt, die er im Interesse der Qualität des fotografischen Ausdrucks für notwendig hält“.85 Der Akzent liegt hier auf der Ausschaltung zufälliger Realität um der Sache der Kunst willen. Barbara Morgan, die sich mit Hilfe von Synchronisator und Röhrenblitzen ihr eigenes Universum schafft, erklärt, daß sie „dankbar ist für künstliches Licht und die schöpferische Freiheit, die es gewährt“.86

Der diesen Äußerungen zugrunde liegende Begriff von Kunst und Schöpfertum trifft zwar auf die traditionellen Künste zu, verdeckt aber die Tatsache, daß echt fotografische Wiedergaben ein hohes Maß von freier Wahl zulassen können. Um es genauer zu sagen, jener Kunstbegriff verdunkelt das für den Fotografen charakteristische und wahrhaft formgebende Bemühen darum, wichtige Aspekte physischer Realität darzustellen, ohne ihr dabei Gewalt anzutun – so daß das ins Blickfeld gerückte Rohmaterial sowohl intakt bleibt wie auch transparent gemacht wird. Dieses Bemühen hat zweifellos ästhetische Konsequenzen. Die von Stieglitz aufgenommene Gruppe zusammengedrängter Bäume ist ein denkwürdiges Bild herbstlicher Trauer. Die Momentaufnahmen von Cartier-Bresson erfassen Gesichtsausdrücke und Beziehungen zwischen Mensch und Architektur, die sehr ergreifend sind. (Abb. 5) Und Brassai versteht es, Mauern und nassen Pflastersteinen Sprache zu verleihen.

Warum sollte man also den Begriff „Kunst“ den freien Kompositionen der Experimentalfotografen vorbehalten, die in gewisser Hinsicht außerhalb des Gebiets der eigentlichen Fotografie liegen? Damit läuft man nur Gefahr, die Aufmerksamkeit von den wirklich charakteristischen Merkmalen des Mediums abzulenken. Vielleicht wäre es fruchtbarer, den Begriff „Kunst“ so lose anzuwenden, daß er, wenn auch unzulänglich, die aus wahrhaft fotografischem Geiste entstandenen Leistungen umfaßt – das heißt, Bilder, die weder Kunstwerke im traditionellen Sinn noch ästhetisch neutrale Erzeugnisse sind. Um der Sensibilität willen, die in sie eingeht, und der Schönheit wegen, die sie ausstrahlen mögen, wäre manches zugunsten eines solchen erweiterten Sprachgebrauchs zu sagen. [...]

[55] Eigenschaften des Mediums

Die Eigenschaften des Films lassen sich in Grundeigenschaften und technische Eigenschaften einteilen.

Seine Grundeigenschaften sind mit denen der Fotografie identisch. Filme sind, anders gesagt, in einzigartiger Weise dazu geeignet, physische Realität wiederzugeben und zu enthüllen, und streben ihr deshalb auch unabänderlich zu.

Nun gibt es verschiedene sichtbare Welten. Man denke zum Beispiel an eine Theateraufführung oder ein Gemälde: auch sie sind real und wahrnehmbar. Die einzige Realität aber, auf die es hier ankommt, ist die wirklich existierende, physische Realität – die vergängliche Welt, in der wir leben. (Physische Realität wird im folgenden auch „materielle Realität“ oder „physische Existenz“ oder „Wirklichkeit“ oder einfach „Natur“ genannt werden. Eine andere passende Bezeichnung mag „Kamera-Realität“ sein. Schließlich empfiehlt sich noch der Ausdruck „Leben“ – aus Gründen, die in Kapitel 4 hervortreten werden.) Die anderen sichtbaren Welten reichen in diese Welt hinein, ohne jedoch wirklich einen Teil von ihr zu bilden. Ein Theaterstück zum Beispiel suggeriert eine Welt für sich, die unverzüglich in sich zusammenfiele, würde man sie auf ihre reale Umwelt beziehen.

Als einem reproduzierenden Medium steht es dem Film gewiß auch frei, hervorragende Ballet- und Opernaufführungen und dergleichen wiederzugeben. Aber selbst wenn solche Reproduktionen den besonderen Erfordernissen der Leinwand gerecht zu werden versuchen, handelt es sich im Grunde um wenig mehr als „Konserven“, die hier nicht interessieren. Konservierungen von Aufführungen, die außerhalb der eigentlichen physischen Realität liegen, gehören bestenfalls zu den Nebenaufgaben eines Mediums, das in so besonderer Weise dazu geeignet ist, diese Realität zu erkunden. Damit ist nicht gesagt, daß sich beispielsweise Reproduktionen einzelner Bühnenszenen nicht auch in bestimmten Spielfilmen oder Filmgattungen filmgemäß verwenden ließen.

Von allen technischen Verfahrensweisen des Films ist der Schnitt oder die Montage die allgemeinste und zugleich unerläßlichste. Sie dient dazu, die einzelnen Aufnahmen zu einer sinnvollen Kontinuität zu vereinigen, und hat deshalb in der Fotografie keine Berechtigung. (Fotomontage ist mehr eine graphische Kunst als ein spezifisch fotografisches Genre.) Unter den spezielleren Filmtechniken gibt es einige, die von der Fotografie übernommen sind, wie Nahaufnahmen, weichzeichnende Bilder, die Benützung [56] von Negativen, Doppel- oder Mehrfachbelichtung usw. Andere wiederum, wie Überblenden, Zeitlupe und Zeitraffer, Rückwärts-Aufnahmen, bestimmte Tricks oder Sondereffekte gehören aus offensichtlichen Gründen ausschließlich dem Film an.

Diese wenigen Hinweise mögen genügen. Es ist unnötig, sich bei technischen Dingen aufzuhalten, die in den meisten früheren filmtheoretischen Werken behandelt worden sind.8 Im Unterschied zu diesen, die notwendig den Methoden des Schnitts, den Arten der Belichtung, den verschiedenen Effekten von Nahaufnahmen usw. viele Seiten widmen, befaßt sich das vorliegende Buch nur dann mit filmischen Techniken, wenn sie wirklich das Wesen des Films betreffen, wie es sich in seinen Grundeigenschaften kundgibt oder aus ihnen ableiten läßt. Mein Interesse gilt nicht dem Schnitt selbst, gleichgültig welchen Zwecken er dient, sondern dem Schnitt als einem Mittel, diejenigen Möglichkeiten des Mediums zu verwirklichen – oder, was auf dasselbe hinausläuft, zu verleugnen –, die seinen besonderen Beschaffenheiten entsprechen. Mit anderen Worten, meine Aufgabe ist nicht, allen nur erdenklichen Montagemethoden um ihrer selbst willen nachzugehen, sondern besteht darin darzutun, was sie etwa zu filmisch bedeutungsvollen Leistungen beizutragen vermögen. Probleme der Filmtechnik sollen zwar nicht vernachlässigt, aber doch nur dann berührt werden, wenn dies im Interesse von Fragen, die über das rein Technische hinausgehen, erforderlich ist.

Aus diesen Überlegungen ergibt sich etwas ohnehin Einleuchtendes: daß nämlich die Grundeigenschaften von den technischen Eigenschaften sehr verschieden sind. In der Regel gebührt jenen der Vorrang vor allem Technischen, weil sie es sind, von denen die filmische Qualität eines Films abhängt. Man stelle sich einen Film vor, der in Übereinstimmung mit den Grundeigenschaften interessante Aspekte physischer Realität auf technisch unzulängliche Art wiedergibt; vielleicht ist er ungeschickt belichtet oder fantasielos geschnitten. Dennoch ist solch ein Film in spezifischerem Sinne ein Film als einer, der sämtliche technische Hilfsmittel und Tricks virtuos zu einer Darbietung verwendet, die der Kamera-Realität keinerlei Rechnung trägt. Dies sollte jedoch nicht dazu verleiten, den Einfluß der technischen Eigenschaften zu unterschätzen. Man wird noch sehen, daß die kundige Anwendung verschiedener Techniken einem im übrigen nicht-realistischen Film manchmal ein gewisses filmisches Gepräge verleihen kann.*

[57] Die zwei Haupttendenzen

Wenn es zutrifft, daß der Film der Fotografie entwächst, müssen sich auch in ihm die realistische und die formgebende Tendenz auswirken. War es ein bloßer Zufall, daß beide sich fast gleichzeitig mit der Entstehung des Mediums manifestierten? Als gälte es, von Anfang an die ganze Spannweite filmischen Bemühens auszumessen, erschöpfte jede von ihnen ihre eigenen Möglichkeiten bis zum Rande. Ihre Exponenten waren Lumière, ein strikter Realist, und Méliès, der seiner künstlerischen Fantasie freien Lauf ließ. Die Filme, die sie machten, verkörperten sozusagen These und Antithese im Hegelschen Sinn.9

Lumière und Méliès

Lumières Filme enthielten eine wirkliche Neuerung im Vergleich mit den Darbietungen des Zootrops oder Edisons Guckkästen10: sie stellten das Alltagsleben nach der Art von Fotografien dar.11 Einige seiner frühen Streifen, wie le dejeuner de bebe oder la partie d‘ecarte, zeugen von der Freude des Amateurfotografen an Familien-Idyllen und Genreszenen.12 Und da war l‘arroseur arrose (der begossene Rasensprenger), ein Film, der sich der größten Beliebtheit erfreute, weil er dem Ablauf des Alltagslebens eine regelrechte Story zu entnehmen wußte, die obendrein noch eine komische Pointe hatte. Ein Gärtner begießt Blumen; während er nichtsahnend seiner Arbeit nachgeht, schleicht sich ein Lausbub heran, tritt auf den Schlauch und zieht seinen Fuß in dem Augenblick wieder zurück, in dem der verdutzte Gärtner die ausgetrocknete Mündung examiniert. Ein Strahl Wasser spritzt ihm direkt ins Gesicht. Die Handlung endet natürlich damit, daß der Gärtner dem Jungen nachjagt und ihn verprügelt. Dieser Film, Keimzelle und Urbild aller späteren Filmlustspiele, stellt einen fantasievollen Versuch dar, Fotografie zu einem Mittel des Geschichtenerzählens zu entwickeln.13 Dabei war die Story nichts weiter als ein Vorfall aus dem Alltagsleben. Aber gerade ihre fotografische Wirklichkeitstreue übte eine schockartige Wirkung auf Maxim Gorki aus: „Der Zuschauer glaubt“, schreibt er, „daß auch er im nächsten Augenblick vollgespritzt werde, und fährt unwillkürlich zurück.“14

Alles in allem aber scheint Lumière doch wohl erkannt zu haben, daß Geschichtenerzählen nicht zu seinen Aufgaben gehörte; es führte zu Problemen, auf die er sich lieber nicht einließ. Was er oder seine Firma an Spielfilmen herstellte – darunter einige weitere Lustspiele in der Art des [58] ersten, kleine historische Szenen usw. – ist nicht charakteristisch für seine Produktion.15 Die meisten seiner Filme bildeten unsere Umwelt zu keinem anderen Zweck ab, als sie darzustellen. Darin jedenfalls erblickte Mesguich, einer von Lumières „Star“-Kameraleuten, ihre eigentliche Mission. Als der Tonfilm schon in vollem Betrieb war, faßte er das Werk des Meisters einmal in folgenden Worten zusammen: „Meiner Ansicht nach haben die Brüder Lumière den wahren Bereich des Films richtig erschlossen und abgesteckt. Roman und Theater tun unserem Verlangen nach Kenntnis des menschlichen Herzens Genüge. Der Film ist die Dynamik des Lebens, der Natur und ihrer Manifestationen, der Menschenmengen und ihrer Bewegungen. Alles, was sich durch Bewegung kundgibt, ist ihm verwandt und zugehörig. Das Objektiv der Filmkamera öffnet sich auf die Welt.“16

In diesem Sinne war Lumières Kamera auf die Welt gerichtet. Als Beispiele dafür nehme man seine unsterblichen ersten Filmstreifen: sortie des usines lumiere, l‘arrivee d‘un train, la place des cordeliers lyon.17 Sie spielten sich in der Öffentlichkeit ab, auf Schauplätzen, wo es von Menschen wimmelte. Überfüllte Straßen, wie man sie zuerst in den Stereobildern aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts gesehen hatte, erschienen nun wieder auf der primitiven Leinwand. Es war Leben in seinen unkontrollierbarsten und unbewußtesten Augenblicken, ein Durcheinander kurzlebiger, sich ständig auflösender Formen, wie es nur der Kamera zugänglich ist. Die später so häufig nachgeahmte Bahnhofsaufnahme verdeutlichte mit ihrem Wirrwarr von Ankunft und Abfahrt die Zufälligkeit dieser Formen; und ihr fragmentarischer Charakter wurde durch die Rauchwolken veranschaulicht, die gemächlich emportrieben. Es ist aufschlußreich, daß Lumière das Motiv des Rauches mehrfach benutzt hat. Auch schien ihm viel daran gelegen, jeglichen persönlichen Eingriff in die gegebenen Tatsachen zu vermeiden. Als detachierte Feststellungen glichen seine Aufnahmen dem imaginären fotografischen Porträt der Großmutter, das Proust seinem Erinnerungsbild von ihr gegenüberstellt.

Lumières Zeitgenossen rühmten seine Filme um eben der Werte willen, auf die schon die Propheten und Vorläufer in ihren Ankündigungen des Mediums hingewiesen hatten. So war es verständlich, daß man jetzt mit Begeisterung vom „Zittern der im Winde sich regenden Blätter“ in Lumières Filmen sprach. Der Pariser Journalist Henri de Parville, der das Bild von den zitternden Blättern gebrauchte, definierte Lumières Hauptthema mit den Worten „Natur auf frischer Tat ertappt“.18 Andere gedachten der Dienste, die Lumières Erfindung der Wissenschaft leisten [59] würde.19 In Amerika verdrängte sein Kamera-Realismus allmählich Edisons Kinetoskop mit seinen gestellten Bildern.20

Lumières Wirkung auf das große Publikum ging bald vorüber. Schon 1897, kaum zwei Jahre, nachdem er seine ersten Filme gedreht hatte, begann seine Beliebtheit nachzulassen. Die Sensation hatte sich abgenutzt; die Blütezeit schien zu Ende zu sein. Mangelndes Publikumsinteresse veranlaßte Lumière, seine Produktion einzuschränken.21 Georges Méliès füllte die Lücke aus, die so entstand; er erneuerte und verstärkte die Anziehungskraft des Mediums, die sich abgeschwächt hatte. Damit soll nicht gesagt sein, daß er nicht gelegentlich dem Beispiel Lumières folgte. Auch er unterhielt sein Publikum anfänglich mit „Besichtigungsfahrten“ oder dramatisierte, im Geschmack der Zeit, realistisch gestellte aktuelle Ereignisse.22 Aber sein Hauptbeitrag zum Medium bestand doch darin, daß er die ungestellte Wirklichkeit durch Theaterillusionen, Alltagsvorfälle durch Spielhandlungen ersetzte.23

Die beiden Pioniere waren sich der radikalen Unterschiede ihrer Einstellung bewußt. Lumière sagte Méliès, der Film sei in seinen Augen nicht mehr als eine „wissenschaftliche Merkwürdigkeit“,24 womit er ihm zu verstehen geben wollte, daß sein, Lumières, „Kinematograph“ unmöglich irgendwelchen künstlerischen Zielen dienen könne. Méliès seinerseits gab 1897 einen Prospekt heraus, in dem er sich mit Lumière auseinandersetzte: „Die Herren Méliès und Reulos“, hieß es darin, „spezialisieren sich hauptsächlich in fantastischen oder künstlerischen Szenen, Reproduktionen von Theaterszenen usw.... und schaffen damit ein besonderes Genre, das von den bisher üblichen kinematografischen Darbietungen wie Straßenszenen und Bildern aus dem Alltagsleben grundverschieden ist.“25

Der gewaltige Erfolg, der Méliès beschieden war, zeigt an, daß seine Filme Bedürfnissen entgegenkamen, die Lumières fotografischer Realismus ungestillt gelassen hatte. Lumière wandte sich an den Beobachtungssinn des Publikums, an die Neugier, die „Natur auf frischer Tat ertappen“ wollte. Méliès in seiner Künstlerfreude am Spiel der Fantasie kümmerte sich nicht sonderlich darum, was in der Natur vorging. Der Zug in Lumières l‘arrivee d‘un train läßt keinen Zweifel an seiner Echtheit zu, während sein Gegenstück in Méliès‘ voyage travers l‘impossible eine Spielzeugeisenbahn ist, so unwirklich wie die Landschaft, durch die sie fährt. (Abb. 6, 7) Anstatt die Zufallsbewegungen gegebener Phänomene darzustellen, verband Méliès unbekümmert imaginäre Ereignisse miteinander, wie es den Erfordernissen seiner bezaubernden Märchenhand[60]lungen entsprach. Hatten denn nicht auch dem Film nahverwandte Medien die Schaulust schon auf ähnliche Art zu befriedigen gesucht? Den Kunstfotografen waren Bildkompositionen, die sie für ästhetisch reizvoll hielten, verlockender erschienen als sorgfältige Studien der Natur. Und noch kurz bevor die Filmkamera aufkam, hatte die Laterna Magica in der Vorführung biblischer Geschichten, Scottscher Romane und Shakespearescher Dramen geschwelgt.26

Aber obwohl sich Méliès die Fähigkeit der Kamera, die physische Welt wiederzugeben und zu enthüllen, nicht zunutze machte, erzeugte er doch seine Illusionen mehr und mehr mit Hilfe der dem Medium eigentümlichen Techniken. Einige davon entdeckte er durch reinen Zufall. Als er einmal auf der Pariser Place de l‘Opéra drehte, mußte er die Arbeit unterbrechen, weil sich der Celluloidstreifen nicht so aufwickelte wie er sollte; das unerwartete Resultat war ein Film, in dem sich aus unerfindlichen Gründen ein Autobus in einen Leichenwagen verwandelte.27 Gewiß, auch Lumière war nicht abgeneigt, eine Reihe von Vorgängen gelegentlich in umgekehrter Reihenfolge abrollen zu lassen, aber Méliès war der erste, der Filmtricks systematisch auswertete. Immer dazu bereit, sich von der Fotografie oder dem Theater anregen zu lassen, führte er zahlreiche neue Verfahren ein, die künftig eine große Rolle spielen sollten – darunter die Verwendung von Masken, Mehrfachbelichtung, Überblendungen, Überkopieren als eines Mittels, Geister erscheinen zu lassen, usw.28 Der Einfallsreichtum, mit dem er diese Techniken benutzte, flößte seinen spielerischen Geschichten und Zauberkunststücken eine Art filmischen Lebens ein. Schauspieler brauchten nun nicht mehr in der Versenkung zu verschwinden oder aus ihr aufzutauchen; Taschenspielertricks wurden von unglaublichen Verwandlungen abgelöst, wie sie nur der Film vollbringen konnte. Die in diesem Klima erzeugte Illusion hatte nichts mehr mit jener gemein, die der kundige Zauberer auf dem Podium heraufzubeschwören weiß. Es war filmische Illusion, und als solche ging sie über die der Bühne weit hinaus. „Ein Bildstreifen wie Méliès‘ le manoir du diable ist nur im Kino denkbar und nur dem Kino verpflichtet“ schreibt Henri Langlois, einer der besten Kenner der Frühzeit.29

Aber trotz seines Filmverständnisses blieb Méliès der Theaterregisseur, der er gewesen war. Er benutzte Fotografie in einem vor-fotografischen Geiste – zur Reproduktion einer von Bühnentraditionen belebten Kulissenwelt. In einem seiner größten Filme, le voyage dans la lune, beherbergt der Mond einen „Mann im Mond“, der Grimassen schneidet; und die Sterne sind Ochsenaugen, gefüllt mit den niedlichen Gesichtern von [61] Music-Hall-Choristinnen. Dem entsprach auch, daß sich die Schauspieler vor dem Publikum verbeugten, als stünden sie auf der Bühne. So sehr sich die Filme von Méliès in technischer Hinsicht vom Theater unterschieden, über dessen Bereich hinauszudrängen gelang ihnen deshalb nicht, weil sie keine echt filmischen Gegenstände in sich enthielten. Daraus erklärt sich auch, weshalb Méliès trotz seiner Erfindungskraft niemals auf den Gedanken geriet, die Kamera in Bewegung zu setzen30; mit seiner festgeschraubten Kamera verewigte er die Beziehung des Zuschauers zur Bühne. Als ideale Zuschauer schwebten ihm die traditionellen Theaterbesucher vor, seien es Erwachsene oder Kinder. Es scheint ein Körnchen Wahrheit in der Behauptung zu stecken, daß der Mensch mit zunehmendem Alter wieder dorthin zurückkehrt, von wo er einst auszog, um zu kämpfen und zu erobern. In seinen späteren Jahren wandte sich Méliès mehr und mehr vom theatralischen Film dem verfilmten Theater zu; er produzierte Feerien, die an die Ausstattungsrevuen des Pariser Châtelet erinnerten.31

Die realistische Tendenz

Filme, die der realistischen Tendenz folgen, gehen in zweierlei Hinsicht über die Fotografie hinaus. Erstens stellen sie Bewegung selber dar, nicht nur diese oder jene ihrer Phasen. Aber welche Arten von Bewegung zeigen sie? In der Frühzeit, solange die Kamera noch fest auf dem Boden stand, richtete der Regisseur sein Augenmerk naturgemäß auf materielle Phänomene, die sich bewegten; Leben auf der Leinwand galt nur dann als Leben, wenn es sich in der Form äußerer oder „objektiver“ Bewegung kundgab. Je mehr sich die verschiedenen Filmtechniken entwickelten, um so mehr verließ sich der Film auf die bewegte Kamera und die Möglichkeiten der Montage. Obwohl seine Stärke immer noch in der Wiedergabe von Bewegungen lag, die anderen Medien unzugänglich waren, so mußten doch diese Bewegungen nicht mehr unbedingt objektiv sein. Im technisch ausgereiften Film stehen „subjektive“ Bewegungen – das heißt solche, die der Zuschauer zu vollziehen aufgefordert wird – in ständigem Wettstreit mit objektiven. Der Zuschauer soll sich mit der schwenkenden, sich nach oben oder unten neigenden oder fahrenden Kamera identifizieren, die seine Aufmerksamkeit sowohl auf reglose wie auf bewegliche Gegenstände lenken will.32 Oder ein passendes Arrangement von Bildern soll das Publikum dazu veranlassen, weite räumliche oder zeitliche Gebiete zu durcheilen, so daß es fast gleichzeitig zum Zeugen von Vorgängen in verschiedenen Perioden und an verschiedenen Orten wird.

[62] Dennoch liegt der Hauptakzent nach wie vor auf objektiver Bewegung; das Medium scheint eine besondere Vorliebe für sie zu haben. „Wenn es eine Ästhetik des Films gibt“, sagt Rene Clair, „... läßt sie sich in einem Wort zusammenfassen: ‚Bewegung‘. Die äußere, vom Auge wahrgenommene Bewegung der Gegenstände, der wir heute die innere Bewegung der Handlung beifügen.“33 Daß Clair der äußeren Bewegung eine beherrschende Rolle zuschreibt, spiegelt, auf der theoretischen Ebene, ein hervorstechendes Merkmal seiner eigenen frühen Filme wider: die tänzerischen Evolutionen ihrer Figuren.

Zweitens kann der Film die physische Realität in all ihren vielfältigen Bewegungen mit Hilfe eines Zwischenverfahrens erfassen, auf das die Fotografie weniger angewiesen scheint: nämlich mit den Mitteln der Inszenierung. Um eine Geschichte zu erzählen, muß der Filmregisseur oft nicht nur die Handlung, sondern auch ihre Schauplätze in Szene setzen. Nun ist diese Heranziehung szenischer Künste zweifellos dann legitim, wenn die gestellte Welt die reale treu reproduziert. Entscheidend ist, daß die im Atelier aufgebaute Szenerie den Eindruck von Wirklichkeit hervorruft, so daß der Zuschauer glaubt, Vorgänge zu erblicken, die sich im realen Leben zugetragen haben und an Ort und Stelle fotografiert sein könnten.34

Einem interessanten Mißverständnis erliegend, befürwortet Emile Vuillermoz um der Sache des „Realismus“ willen Szenerien, welche die Realität so darstellen, wie sie ein Malerauge erblickt. Sie sind seiner Ansicht nach wirklicher als Aufnahmen der Realität selber, weil sie die Essenz dessen vermitteln, was diese Aufnahmen zeigen wollen. Aber vom Film her gesehen sind solche angeblich realistischen Szenerien nicht weniger gestellt, als es etwa eine kubistische oder abstrakte Komposition wäre. Denn statt des gegebenen Rohmaterials selbst bieten sie gewissermaßen nur einen Extrakt davon an. Mit anderen Worten, sie unterdrücken gerade jene Kamera-Realität, um deren Einverleibung es dem Film zu tun ist. Aus diesem Grund werden sie auf den sensitiven Kinobesucher eher peinlich wirken.35 (Die Probleme, die der fantastische Film stellt, der sich als solcher nur wenig um physische Realität kümmert, werden an späterer Stelle behandelt.)

Seltsamerweise ist es durchaus möglich, daß ein gestellter Vorgang aus dem realen Leben auf der Leinwand eine stärkere Illusion der Realität erweckt, als dies der originale Vorgang tun würde, wäre er direkt von der Kamera aufgenommen worden. Ernö Metzner, der die Szenenbilder zu den Atelieraufnahmen des Grubenunglücks in G. W. Pabsts Kameradschaft – einer Episode, die durchaus authentisch wirkt – entworfen [63] hatte, bestand darauf, daß Aufnahmen eines wirklichen Grubenunglücks wohl kaum den gleichen überzeugenden Effekt hervorgerufen hätten.36 Dennoch ist es fraglich, ob sich die Realität so genau inszenieren läßt, daß das Kamera-Auge keinen Unterschied zwischen dem Original und der Kopie entdeckt. Blaise Cendrars berührt diese Frage in einem hübschen Gedankenexperiment. Er imaginiert zwei Filmszenen, die völlig identisch miteinander sind, abgesehen von der Tatsache, daß die eine auf dem Montblanc aufgenommen ist, während die andere im Atelier gedreht wurde. Und er kommt zum Schluß, daß die echte Aufnahme eine Eigenschaft besitzt, die der Imitation fehlt. Auf dem Berggipfel meint er, gibt es gewisse „leuchtende oder auch anders beschaffene Strahlungen, die sich dem Film mitgeteilt und ihm eine Seele eingehaucht haben“.37 Vermutlich verhält es sich in der Tat so, daß sich große Teile unsrer Umwelt, der natürlichen wie der künstlichen, einer Vervielfältigung widersetzen.

Die formgebende Tendenz

Den formgebenden Fähigkeiten des Filmregisseurs ist ein weit größerer Spielraum gewährt als denen des Fotografen, weil der Film sich auf Dimensionen erstreckt, die der Fotografie unzugänglich sind. Sie unterscheiden sich je nach Bereich und Art der Komposition. Was die Bereiche betrifft, so haben sich Filmregisseure niemals nur darauf beschränkt, die der Kamera gegenüber befindliche physische Realität zu erschließen, sondern von Anfang an beharrlich versucht, in die Gebiete des Historischen und Fantastischen einzudringen. Man denke an Méliès. Selbst der realistisch gesinnte Lumière entsprach dem Verlangen des Publikums nach historischen Genreszenen. In kompositorischer Hinsicht sind die zwei Haupttypen Storyfilme und Filme ohne Spielhandlung. Diese lassen sich wiederum in Experimentalfilme und Tatsachenfilme aufteilen. Tatsachenfilme ihrerseits umfassen, teilweise oder vollständig, solche Gattungen wie den Lehrfilm, den Film über Kunst, die Wochenschau und den eigentlichen Dokumentarfilm.

Offenbar veranlassen einige dieser Dimensionen den Filmregisseur dringlicher als andere dazu, sein schöpferisches Streben auf Kosten der realistischen Tendenz auszuleben. Im Bereich des Fantastischen wurden von jeher Träume oder Visionen wiedergegeben, die sich auf höchst irrealen Schauplätzen abspielen. In red shoes (die roten schuhe) tanzt Moira Shearer in schlafwandlerischer Verzückung durch imaginäre Welten, die als Projektionen ihres Unterbewußtseins gemeint sind – ein Gemisch [64] von landschaftsähnlichen Formen, nahezu abstrakten Gebilden und üppigen Farbenschwelgereien, das alle Spuren von Kulissenmalerei an sich trägt. (Abb. 8) Detachierter Schöpferwillen entfernt sich so von den eigentlichen Interessen des Mediums. Verschiedene kompositionelle Dimensionen leisten der gleichen Tendenz Vorschub. Die meisten Experimentalfilme sind von vornherein nicht darauf aus, physische Wirklichkeit ins Blickfeld zu rücken; und in fast allen Spielfilmen mit einer theatralischen Story überschattet deren Bedeutung die des gegebenen Rohmaterials, das zur Darstellung der Handlung herangezogen wird. Im übrigen kann das formgebende Bemühen des Filmregisseurs seinen realistischen Verpflichtungen auch in Dimensionen Abbruch tun, die des Nachdrucks wegen, den sie auf physische Realität legen, solche Übergriffe gewöhnlich nicht begünstigen; es gibt genug Dokumentarfilme, deren authentische Aufnahmen nur dazu dienen, einen selbstgenügsamen Text zu untermalen.

Zusammenstöße zwischen den beiden Tendenzen

Filme, die zwei oder mehr Dimensionen miteinander kombinieren, sind sehr häufig; so enthalten zum Beispiel manche Spielfilme aus dem Alltagsleben auch eine Traumfolge oder eine dokumentarische Einlage. Solche Kombinationen können zu Zusammenstößen zwischen der realistischen und formgebenden Tendenz führen. Dazu kommt es immer dann, wenn ein Filmregisseur, der es nicht verschmäht, aus Kulissen eine imaginäre Welt zu erzeugen, sich gleichzeitig dazu verpflichtet fühlt, Kamera-Realität einzubeziehen. Den Schauplatz von Laurence Oliviers hamlet bildet das im Atelier erbaute, ausgesprochen kulissenhafte Schloß Helsingör, dessen labyrinthische Architektur offenbar Hamlets unergründliches Wesen widerspiegeln soll. Diese bizarren, gegen die Außenwelt hermetisch abgeschlossenen Strukturen erstreckten sich über den ganzen Film – mit einer einzigen Ausnahme: einer kleinen, an sich belanglosen Szene, in der jenseits des Traumbezirks das reale Meer sichtbar wird. Aber sobald der fotografierte Ozean auf der Leinwand erscheint, verspürt der Zuschauer etwas wie einen Schock. Er kann nicht umhin, diese kleine Szene als einen störenden Fremdkörper zu empfinden, als die Einmischung eines Elements, das mit dem Rest der Bilderwelt unvereinbar ist. Wie der Zuschauer dann darauf reagiert, hängt von seiner Sensibilität ab. Wer für die eigentümlichen Beschaffenheiten des Mediums nicht viel Sinn hat und sich deshalb auch das gestellte Schloß ohne weiteres gefallen läßt, mag den unvermuteten Anblick roher Natur als eine Entgleisung übel vermerken; wer [65] aber fürs spezifisch Filmische empfänglich ist, dem erhellt sich nun schlagartig der trügerische Charakter von Helsingörs mystischem Glanz. Ein anderes Beispiel bietet Renato Castellanis romeo and juliet (romeo und julia). Dieser Versuch, Shakespeares Drama in einer natürlichen Umwelt zu drehen, beruht offenbar auf der Annahme, daß sich die Kamera-Realität mit der dichterischen Realität von Shakespeares Verssprache verschmelzen lasse. Aber der Dialog sowohl wie die Handlung suggerieren ein Universum, das mit der Zufallswelt der wirklichen Straßen und Wälle Veronas so wenig gemein hat, daß alle Szenen, in denen sich die beiden ungleichartigen Welten zusammenschließen, den Zuschauer als ein unnatürliches Bündnis einander widerstreitender Kräfte berühren.

Zusammenstöße dieser Art sind jedoch keineswegs die Regel. Vielmehr deuten zahlreiche Beispiele darauf hin, daß die zwei Tendenzen, die sich das Medium streitig machen, auch auf manche andere Weise zueinander in Beziehung treten können. Einige dieser Beziehungen zwischen realistischem und formgebendem Bemühen sind ästhetisch befriedigender als die übrigen; ich will versuchen, sie im folgenden genauer zu definieren.

[…] [67] […] Das Problem der Kunst

Wer das Kino ein Kunstmedium nennt, denkt dabei zumeist an Filme, die traditionellen Kunstwerken darin gleichen, daß auch sie die Realität nicht so sehr durchforschen als frei gestalten. Diese Filme organisieren den Rohstoff des Lebens, auf den sie zurückgreifen, in der Form selbstgenüg[68]samer Kompositionen, anstatt ihn als ein in sich berechtigtes Element anzuerkennen. Anders gesagt: die gestalterischen Impulse sind so stark, daß sie die filmische Einstellung mit ihrem Bemühen um Kamera-Realität verleugnen. Zu den Filmtypen, die gemeinhin als künstlerisch gelten, zählen zum Beispiel die vorhin erwähnten, nach dem ersten Weltkrieg entstandenen Filme des deutschen Expressionismus; sie waren im Geist der Malerei konzipiert und schienen der Formel zu folgen, die Hermann Warm, einer der szenischen Gestalter des cabinet des dr. caligari, geprägt hatte: „Filme müssen verlebendigte Zeichnungen sein“40. Hierher gehören auch zahlreiche Experimentalfilme; alles in allem sind Filme dieser Art nicht nur als autonome Schöpfungen beabsichtigt, sondern setzen sich überdies oft über die physische Realität hinweg oder benutzen sie zu Zwecken, die den eigentlich fotografischen Intentionen fremd sind.* Auch werden durchkomponierte Spielfilme, die der Gestaltung bedeutungsvoller Themen und Ideen gewidmet sind, gern als Kunstwerke klassifiziert. Das gilt besonders für eine Anzahl von Verfilmungen hervorragender Theaterstücke und anderer literarischer Werke.

Aber ein solcher Gebrauch des Begriffes „Kunst“ im überlieferten Sinne ist irreführend. Er leistet der Annahme Vorschub, daß künstlerische Qualitäten gerade denjenigen Filmen zuerkannt werden müssen, welche die reproduzierenden Verpflichtungen des Mediums vernachlässigen, um mit Leistungen im Bereich der schönen Künste, des Theaters oder der Literatur zu wetteifern. Dieser Sprachgebrauch führt ganz offenbar dazu, den ästhetischen Wert von Filmen zu verdunkeln, die dem Medium wirklich entsprechen. Behält man den Begriff „Kunst“ Filmerzeugnissen wie Hamlet oder death of salesman vor, so wird man in der Tat Mühe haben, das hohe Maß künstlerischer Produktivität gebührend zu würdigen, die in manchen Dokumentarfilm eingeht, der materielle Phänomene um ihrer selbst willen festhält. Man denke an pluie (regen) von Ivens oder Flahertys nanook (nanuk) – Dokumentarfilme, die von gestalterischen Absichten durchdrungen sind: wie jeder sensitive Fotograf, so gleichen ihre Schöpfer dem fantasiebegabten Leser oder wißbegierigen Entdecker; und ihre Lesarten und Funde gehen aus der vollen Versenkung ins gegebene Material und seiner durchdachten Auswahl hervor. Man berücksichtige ferner, daß einige für die Filmherstellung erforderlichen Fertigkeiten – zumal der Schnitt – Aufgaben mit sich bringen, die dem Fotografen nicht gestellt sind. Und auch sie nehmen die künstlerischen Kräfte des Filmregisseurs in Anspruch.

[69] Dies führt geradewegs in ein terminologisches Dilemma. Der Begriff „Kunst“ läßt sich seiner festgelegten Bedeutung halber nicht auf wirklich „filmische“ Filme anwenden – das heißt Filme, die sich Aspekte der physischen Realität einverleiben, um sie uns erfahren zu lassen. Dennoch sind sie es und nicht die an traditionelle Kunstwerke erinnernden Filme, die ästhetisch gültig sind. Wenn der Film überhaupt eine Kunst ist, dann eine solche, die nicht mit den bestehenden Künsten verwechselt werden sollte.* Es erscheint gerechtfertigt, diesen delikaten Begriff lose auch auf Filme wie nanook, paisa oder Panzerkreuzer potemkin anzuwenden, die von Kamera-Leben durchtränkt sind. Definiert man sie aber als Kunst, so muß man sich stets vergegenwärtigen, daß selbst der schöpferischste Filmregisseur weit weniger unabhängig vom naturgegebenen Rohmaterial ist als der Maler oder Dichter; daß sich sein Schöpfertum darin bekundet, daß er die Natur in sich eindringen läßt und sie durchdringt.

[...][386[…Verfügbare Realität

Infolge des Schwindens der Ideologie ist, ungeachtet aller Bemühungen um neue Synthesen, die Welt, in der wir leben, mit Trümmern übersät. Es gibt keine Ganzheiten in dieser Welt, viel eher gilt, daß sie aus Fetzen von Zufallsereignissen besteht, deren Abfolge an die Stelle sinnvoller Kontinuität tritt. Dementsprechend muß das individuelle Bewußtsein als ein Aggregat von Glaubenssplittern und allerlei Tätigkeiten aufgefaßt werden; und da es dem inneren Leben an Struktur gebricht, haben Impulse aus psychosomatischen Regionen die Möglichkeit, aufzusteigen und die Zwischenräume zu füllen. Fragmentarische Individuen spielen ihre Rollen in einer fragmentarischen Realität.

Es ist die Welt von Proust, Joyce, Virginia Woolf. Prousts Werk beruht durchweg auf der Überzeugung, daß kein Mensch ein Ganzes darstellt und daß es unmöglich ist, einen Menschen zu kennen, weil er sich schon verändert, während wir uns noch Klarheit über unseren ersten Eindruck von ihm zu verschaffen suchen.21 Außerdem insistiert der moderne realistische Roman auf der „Auflockerung des Zusammenhangs im äußeren Geschehen.“22 Erich Auerbach benutzt einen Abschnitt aus Virginia Woolfs Roman To the Lighthouse, um dies zu illustrieren: „Was hier in dem Leuchtturmroman geschieht, das wurde in den Werken dieser Art überall ... versucht: den Akzent auf den beliebigen Vorgang zu legen, ihn nicht im Dienst eines planvollen Handlungszusammenhanges auszuwerten, [387] sondern in sich selbst...“23* Das Ergebnis ist, daß die Zufallsereignisse, die um ihrer selbst willen erzählt werden, sich nicht zu einem „zweckbestimmten Ganzen“ zusammenschließen.** Oder, wie Auerbach von diesen Romanen bemerkt: „Fast allen ist gemeinsam das Verschleierte, Unabgrenzbare ihres Sinnes…, undeutbare Symbolik…“24 (Ungefähr dasselbe kann auch von jedem Fellini-Film vor la dolce vita gesagt werden.)

Die im modernen Roman porträtierte Welt erstreckt sich von sporadischen intellektuellen Vorstellungen bis herunter zu verstreuten materiellen Geschehnissen. Es ist ein seelisch-geistiges Kontinuum, das die physische Dimension der Realität umgreift, ohne sie jedoch gesondert darzustellen. Wenn wir uns aber der herrschenden Abstraktheit entledigen wollen, müssen wir vor allem diese materielle Dimension ins Auge fassen, die von der Wissenschaft erfolgreich vom Rest der Welt abgelöst worden ist. Denn wissenschaftliche und technologische Abstraktionen bedingen nachhaltig unser Denken; und sie alle verweisen uns auf physische Phänomene, während sie uns gleichzeitig von deren Qualitäten weglocken. Daher die Dringlichkeit, genau diese gegebenen und doch ungegebenen Phänomene in ihrer Konkretheit zu begreifen. Das wesentliche Material „ästhetischer Wahrnehmung“ ist die physische Welt mit all dem, was sie uns zu verstehen geben mag. Wir können nur dann darauf hoffen, der Realität nahezukommen, wenn wir ihre untersten Schichten durchdringen.

Physische Realität als Domäne des Films

Aber wie können wir Zugang zu dieser „Unterwelt“ finden? Eines ist sicher: die Aufgabe, mit ihr in Berührung zu treten, wird durch Fotografie und Film erleichtert, die beide das physisch Gegebene nicht nur isolieren, sondern in seiner Darstellung ihren Höhepunkt erreichen. Lewis Mumford betont mit Recht die einzigartige Eignung der Fotografie für eine angemessene Schilderung der „komplizierten, miteinander zusammenhängenden Aspekte unserer modernen Umwelt“25. Und wo die Fotografie aufhört, beginnt, weit umfassender, der Film. Als Produkte von Wissenschaft und Technik sind die beiden Medien unsere Zeitgenossen in jedem Sinn des Wortes; so ist es nicht zu verwundern, daß sie den Neigungen und Bedürfnissen entgegenkommen, die aus unserer Situation [388] erwachsen. Wieder ist es Mumford, der das Kino zu einem dieser Bedürfnisse in Beziehung setzt; ihm zufolge kann Film dadurch eine zeitgemäße Mission erfüllen, daß er uns hilft, materielle Objekte (oder „Organismen“, wie er sie zu nennen beliebt) wahrzunehmen und zu würdigen: „Ohne daß der Film sich seiner Bestimmung bewußt wäre, zeigt er uns eine Welt sich durchdringender, sich beeinflussender Organismen; und er ermöglicht es uns, dieser Welt mit einem größeren Grad von Konkretheit innezuwerden.“26

Das ist noch nicht alles. Indem der Film die physische Realität wiedergibt und durchforscht, legt er eine Welt frei, die niemals zuvor zu sehen war, eine Welt, die sich dem Blick so entzieht wie Poes gestohlener Brief, der nicht gefunden werden kann, weil er in jedermanns Reichweite liegt. Gemeint ist hiermit natürlich nicht eine jener von den Naturwissenschaften annektierten Erweiterungen der Alltagswelt, sondern unsere gewöhnliche physische Umwelt selber. So merkwürdig es klingt: Straßen, Gesichter, Bahnhöfe usw., die doch vor unseren Augen liegen, sind bisher weitgehend unsichtbar geblieben. Warum?

Zunächst muß daran erinnert werden, daß die physische Natur beständig durch Ideologien verhüllt worden ist, deren Manifestationen auf den einen oder anderen Gesamtaspekt des Universums bezogen waren. (Sosehr auch realistische mittelalterliche Maler sich in der Darstellung des Häßlichen und Grauenhaften ergehen, die Realität, die sie aufzeigen, läßt Unmittelbarkeit vermissen; sie taucht nur auf, um wieder durch Arrangements kompositioneller oder anderer Art verzehrt zu werden, die ihr von außen auferlegt sind und holistische Vorstellungen wie Sünde, Jüngstes Gericht, Erlösung und dergleichen widerspiegeln.) Bedenkt man aber den Zusammenbruch traditioneller Werte und Normen, dann ist diese Erklärung unseres Versagens, die Welt um uns her wahrzunehmen, nicht länger überzeugend. Es scheint in der Tat logisch, den Schluß zu ziehen, daß jetzt, in einer Zeit des Zerfalls der Ideologie, materielle Objekte ihrer Hüllen und Schleier ledig sind, so daß wir sie um ihrer selbst willen zu würdigen vermögen. Dewey beeilt sich, so zu argumentieren; unsere Emanzipation „von fantasievollen Synthesen, die dem Wesen der Dinge zuwiderliefen“,27 werde durch ein neues Bewußtsein von diesen Dingen kompensiert. Und er schreibt diese Entwicklung nicht nur dem Verschwinden falscher Synthesen zu, sondern auch dem befreienden Einfluß der Wissenschaft. Die Wissenschaft, sagt er, „hat wenigstens einige Leute zur wachen Beobachtung von Dingen angespornt, deren Existenz wir früher nicht einmal ahnten.“28

Aber Dewey sieht nicht die Zweischneidigkeit der Wissenschaft. Auf der [389] einen Seite macht sie uns, wie er annimmt, empfänglich für die Welt, die der Gegenstand ihres Interesses ist; auf der andern tendiert sie dazu, diese selbe Welt aus unserem Blickfeld zu entfernen – ein Gegeneinfluß, den er nicht erwähnt. Der wirklich entscheidende Grund für die Fremdheit physischer Realität liegt in unserer Gewöhnung an abstraktes Denken unter der Herrschaft von Wissenschaft und Technik. Kaum befreien wir uns von den „alten Glaubensinhalten“, so werden wir dazu veranlaßt, die Qualitäten der Dinge zu eliminieren. So ziehen sich die Dinge weiter zurück. Und sicherlich sind sie um so ungreifbarer, als wir gewöhnlich nicht umhin können, sie aus der Perspektive konventioneller Meinungen und Zwecke zu betrachten, die über ihr in sich geschlossenes Sein hinausweisen. Daher würde es uns, wäre nicht die Filmkamera erfunden worden, eine enorme Anstrengung kosten, die Schranken zu überschreiten, die uns von unsrer alltäglichen Umgebung trennen.

Der macht Film sichtbar, was wir zuvor nicht gesehen haben oder vielleicht nicht einmal sehen konnten. Er hilft uns in wirksamer Weise, die materielle Welt mit ihren psycho-physischen Entsprechungen zu entdecken. Wir erwecken diese Welt buchstäblich aus ihrem Schlummer, ihrer potentiellen Nichtexistenz, indem wir sie mittels der Kamera zu erfahren suchen. Und wir sind imstande, sie zu erfahren, weil wir fragmentarisch sind. Das Kino kann als ein Medium definiert werden, das besonders dazu befähigt ist, die Errettung physischer Realität zu fördern. Seine Bilder gestatten uns zum ersten Mal, die Objekte und Geschehnisse, die den Fluß des materiellen Lebens ausmachen, mit uns fortzutragen.

Die Errettung der physischen Realität

Eine Kunst, die anders ist

Doch um uns die physische Realität erfahren zu lassen, müssen Filme wirklich zeigen, was sie zeigen. Diese Anforderung ist so wenig selbstverständlich, daß sie die Frage nach der Beziehung des Mediums zu den traditionellen Künsten aufwirft.

Strenggenommen stellen Malerei, Literatur, Theater usw., soweit sie Natur überhaupt einbeziehen, diese gar nicht dar. Sie benutzen sie vielmehr als Rohmaterial für Werke, die den Anspruch auf Autonomie stellen. Im Kunstwerk bleibt vom Rohmaterial selbst nichts übrig; oder genauer gesagt, alles, was davon übrigbleibt, ist so geformt, daß es die Intentio[390]nen des Kunstwerks erfüllen hilft. In gewissem Sinne verschwindet das realistische Material in den Intentionen des Künstlers. Seine schöpferische Fantasie mag sich zwar an realen Gegenständen und Ereignissen entzünden, aber anstatt sie in ihrem amorphen Zustand zu bewahren, gestaltet er sie spontan im Einklang mit den Formen und Vorstellungen, die sie in ihm wachrufen.

Das unterscheidet den traditionellen Künstler, sei er Maler oder Dichter, vom Filmregisseur; ungleich diesem würde er aufhören, Künstler zu sein, wenn er Leben im Rohzustand, wie es von der Kamera wiedergegeben wird, seinem Werk einverleibte. Wie realistisch er auch sein mag, er überwältigt eher die Realität, als daß er sie registriert. Und da es ihm freisteht, seinen formgebenden Tendenzen zu folgen, kann sich sein Werk zu einem sinnvollen Ganzen entwickeln. Deshalb bestimmt die Bedeutung eines Kunstwerks die seiner Elemente; oder umgekehrt, seine Elemente haben Bedeutung insoweit, als sie zur Wahrheit oder Schönheit beitragen, die dem Werk als Ganzem innewohnt. Ihre Funktion ist nicht, die Realität widerzuspiegeln, sondern eine Vision von ihr zu vergegenwärtigen. Kunst geht von oben nach unten. Vom entlegenen Gesichtspunkt der fotografischen Medien aus gilt das auch für Werke, die sich in Naturnachahmung ergehen, vom Zufall Gebrauch machen oder nach Art des Dadaismus Kunst sabotieren. Der Zeitungsfetzen in einer geglückten Collage verwandelt sich aus einer Musterprobe äußerer Realität in den Ausdruck einer „Ideen-Konzeption“, um Eisensteins Terminologie zu benutzen.*

Die Invasion der Kunst in den Film vereitelt die dem Kino eigenen Möglichkeiten. Wenn Filme, die von den traditionellen Künsten beeinflußt sind, es aus Gründen ästhetischer Reinheit vorziehen, die vorhandene physische Realität unbeachtet zu lassen, dann versäumen sie eine dem filmischen Medium vorbehaltene Chance. Und wenn sie unsere sichtbare Welt abbilden, so zeigen sie diese trotzdem nicht, weil die Aufnahmen von ihr dann nur den Zwecken einer Komposition dienen, die sich als künstlerisch ausgeben läßt; infolgedessen büßt das in solchen Filmen verwendete realistische Material seinen Charakter als Rohmaterial ein. Hierher gehören nicht nur künstlerisch anspruchsvolle Experimentalfilme – zum Beispiel un chien andalou von Buñuel und Dali –, sondern auch die unzähligen kommerziellen Filme, die, obwohl sie mit Kunst nicht das geringste zu schaffen haben, ihr dennoch einen halb-unbeabsichtigten Tribut zollen, indem sie den Spuren des Theaters folgen.

Niemandem fiele es ein, den Unterschied zwischen un chien andalou,[391einem Zwitter von großem künstlerischen Interesse, und der üblichen, sich ans Theater anlehnenden Filmproduktion zu verkleinern. Und doch stimmen das Routine-Erzeugnis und das Werk des Künstlers darin überein, daß sie das Medium den ihm eigentümlichen Bestrebungen entfremden. Verglichen mit umberto . oder cabiria, müssen theaterhafte Durchschnittsfilme und gewisse hochqualifizierte Avantgarde-Filme sozusagen in einen Topf geworfen werden, ungeachtet all dessen, was sie voneinander trennt. Filme dieser Art durchdringen nicht die materiellen Phänomene, die sie verwenden, sondern sie exploitieren sie; sie verwenden sie nicht in deren eigenem Interesse, sondern in der Absicht, ein sinnvolles Ganzes zu etablieren; und indem sie irgendein solches Ganzes herausstellen, verweisen sie uns von der materiellen Dimension zurück auf die der Ideologie. Kunst im Film ist reaktionär, weil sie Ganzheit symbolisiert und derart die Fortexistenz von Glaubensinhalten vorspiegelt, welche die physische Realität sowohl anrufen wie zudecken. Das Ergebnis sind Filme, die die herrschende Abstraktheit unterstützen.

Ihr quantitatives Übergewicht läßt sich nicht leugnen, sollte aber nicht dazu führen, das Vorkommen von Filmen zu unterschätzen, die sich gegen die „Lüge der ‚Kunst‘“ richten.29 Diese Filme reichen von schlichten TatsachenfilmenWochenschauen oder rein faktischen Dokumentarfilmen – bis zu ausgewachsenen Spielfilmen, die von den formgebenden Bestrebungen ihrer Autoren erfüllt sind. Die Filme der ersten Gruppe, die gar nicht Kunst sein wollen, folgen einfach der realistischen Tendenz – womit sie wenigstens der Mindestforderung der „filmischen Einstellung“ genügen.* In den hier gemeinten Spielfilmen dagegen treffen die realistische und die formgebende Tendenz aufeinander; aber diese versucht niemals, sich von jener zu emanzipieren oder sie gar zu überwältigen, wie sie es in jedem theaterhaften Film tut. Man denke an potemkin, die Stummfilmkomödien, greed (gier), mehrere Wildwest- und Gangsterfilme, la grande Illusion, die Hauptwerke des italienischen Neorealismus, los olvidados, les vacances de monsieur hulot, pather panchali usw.: sie alle verlassen sich weitgehend auf die Suggestivkraft des von der Kamera eingeheimsten Rohmaterials; und sie alle entsprechen mehr oder weniger Fellinis Gebot, ein „guter Film“ solle nicht auf die Autonomie eines Kunstwerks abzielen, sondern „Irrtümer in sich bergen wie das Leben, wie die Menschen“.30

Strebt das Kino Filmen dieser Art zu? Ihre besonderen Qualitäten haben jedenfalls die Tendenz, sich allenthalben in der Filmproduktion geltend [392] zu machen, oft an Stellen, wo man sie am wenigsten erwarten würde. Immer wieder geschieht es, daß ein im übrigen theatralischer Film eine Szene enthält, deren Bilder wie aus Versehen ihre eigene Story erzählen und uns vorübergehend die manifeste Story des Films vergessen lassen. Man könnte von einem solchen Film sagen, er sei schlecht komponiert; aber sein angebliches Gebrechen ist in Wahrheit sein einziges Verdienst. Der Trend zu halb-dokumentarischen Filmen ist, teilweise, ein Zugeständnis an die Vorzüge dramatischer Dokumentarfilme.* Die typische Komposition des Musicals spiegelt die prekären, wenn nicht antinomischen Beziehungen wider, die in der Tiefe des Mediums zwischen realistischer und formgebender Tendenz walten.** Kürzlich sind Versuche gemacht oder vielmehr wieder aufgenommen worden,*** von literarischen Vorbildern und starrer Story-Konstruktion dadurch loszukommen, daß man die Schauspieler extemporieren läßt. (Ob diese Versuche dazu angetan sind, echte Zufallsereignisse einzuführen, ist freilich eine andere Frage.) All das besagt nicht, daß Kamera-Realität und „Kunst“ einander ausschlössen. Aber wenn Filme, die wirklich zeigen, was sie zeigen, Kunst sind, dann sind sie Kunst von anderer Art. Film ist, zusammen mit Fotografie, tatsächlich die einzige Kunstart, die ihr Rohmaterial zur Schau stellt. Die besondere Kunst, die sich in filmischen Filmen bewährt, muß auf die Fähigkeit ihrer Schöpfer zurückgeführt werden, im Buch der Natur zu lesen. Der Filmkünstler gleicht einem fantasievollen Leser oder einem Entdecker, der von unstillbarer Neugierde getrieben wird.**** Er ist – um eine Definition zu wiederholen, die in einem früheren Zusammenhang gegeben wurde – „ein Mann, der mit dem Erzählen einer Geschichte beginnt, während der Dreharbeit aber so überwältigt wird von seinem eingeborenen Verlangen, die gesamte physische Realität einzubeziehen – und auch von dem Gefühl, er müsse sie einbeziehen, um die Story, jede Story überhaupt, filmgerecht zu erzählen –, daß er sich immer tiefer in den Dschungel der materiellen Phänomene hineinwagt, auf die Gefahr hin, sich unrettbar darin zu verlieren, wenn er nicht mittels großer Anstrengungen zur Landstraße zurückfindet, die er verlassen hat.“*****

[393] Momente des täglichen Lebens

Der Kinobesucher folgt den Bildern auf der Leinwand in einem traumartigen Zustand.* Man darf also annehmen, daß er physische Realität in ihrer Konkretheit wahrnimmt; genau gesagt, er erfährt einen Fluß zufälliger Ereignisse, verstreuter Objekte und namenloser Formen. Im Kino, ruft Michel Dard aus, „sind wir Brüder der Giftpflanzen, der Kieselsteine…“31 In der Tat bewirkt sowohl die Affinität des Films zum physischen Detail wie auch der Niedergang der Ideologie, daß wir, deren innere Welt aus Fragmenten besteht, nicht so sehr Ganzheiten in uns aufnehmen als „kleine Momente des materiellen Lebens“ (Balázs).** Nun kann aber materielles Leben zu verschiedenen Dimensionen gehören. Die Frage ist, ob die „kleinen Momente“, denen wir uns ausliefern, einer besonderen Lebenssphäre zugerechnet werden müssen.

In Spielfilmen sind diese kleinen Einheiten Elemente von Handlungen, die sich über alle erdenklichen Sphären erstrecken mögen. Sie können versuchen, die Vergangenheit zu rekonstruieren, können in Fantasien schwelgen, einen Glauben propagieren, einen individuellen Konflikt, ein merkwürdiges Abenteuer oder was immer darstellen. Man betrachte irgendein Element eines solchen Story-Films. Zweifellos hat es die Aufgabe, der Story zu dienen, zu der es gehört; aber gleichzeitig affiziert es uns auch stark, vielleicht sogar in erster Linie, als ein fragmentarisches Moment der sichtbaren Realität, umgeben von einem Hof unbestimmbarer Bedeutungen. Und in dieser Eigenschaft löst sich das Element von dem Konflikt, dem Glauben, dem Abenteuer ab, dem das Ganze der Story zustrebt. Ein Gesicht auf der Leinwand kann uns als eine ungewöhnliche Manifestation von Furcht oder Glück in seinen Bannkreis ziehen, ganz ungeachtet der Ereignisse, die seinen Ausdruck motivieren. Eine Straße, die als Hintergrund zu einem Streit oder einer Liebesaffäre dient, kann sich in den Vordergrund drängen und eine berauschende Wirkung ausüben. Straße und Gesicht eröffnen dann eine Dimension, die viel weiter reicht als die der Spielhandlung, der sie dienen. Diese Dimension erstreckt sich sozusagen unterhalb des Überbaus der spezifischen Story-Inhalte; sie besteht aus Momenten, die in unser aller Reichweite liegen, Momenten, die so allgemein oder alltäglich sind wie Geburt und Tod, wie ein Lächeln oder das „Zittern der im Winde sich regenden Blätter“.*** Gewiß, was [394] in jedem dieser Momente geschieht, sagt Erich Auerbach, „... betrifft zwar ganz persönlich die Menschen, die in ihm leben, aber doch auch eben dadurch das Elementare und Gemeinsame der Menschen überhaupt; gerade der beliebige Augenblick ist vergleichsweise unabhängig von den umstrittenen und wankenden Ordnungen, um welche die Menschen kämpfen und verzweifeln; er verläuft unterhalb derselben, als tägliches Leben.“32 Diese Beobachtung bezieht sich zwar auf den modernen Roman, gilt aber nicht weniger für den Film – falls man, was in diesem Zusammenhang möglich ist, die Tatsache ausklammert, daß die Elemente des Romans das seelisch-geistige Leben in einer Weise erfassen, die dem Film versagt ist.

Auerbachs beiläufiger Hinweis auf das „tägliche Leben“ enthält einen wichtigen Fingerzeig. Von den kleinen Zufalls-Momenten, die dir und mir und dem Rest der Menschheit gemeinsame Dinge betreffen, kann in der Tat gesagt werden, daß sie die Dimension des Alltagslebens konstituieren, dieser Matrize aller anderen Formen der Realität. Es ist eine sehr substantielle Dimension. Wenn man für einen Augenblick artikulierte Glaubensinhalte, ideologische Ziele, besondere Unternehmungen und dergleichen beiseite läßt, so bleiben immer noch die Sorgen und Befriedigungen, Zwiste und Feste, Bedürfnisse und Bestrebungen, die jeder Tag mit sich bringt. Als Produkte von Gewohnheiten und mikroskopisch kleinen Wechselwirkungen bilden sie ein elastisches Gewebe, das sich nur langsam ändert, das Kriege, Epidemien, Erdbeben und Revolutionen überlebt. Filme tendieren dazu, dieses Gewebe des täglichen Lebens zu entfalten,* dessen Komposition je nach Ort, Volk und Zeit wechselt. So helfen sie uns, unsere gegebene materielle Umwelt nicht nur zu würdigen, sondern überall hin auszudehnen. Sie machen aus der Welt virtuell unser Zuhause.

Das wurde schon in den frühen Tagen des Mediums gesehen. Der lange in Amerika lebende deutsche Kritiker Hermann G. Scheffauer sagte bereits 1920 voraus, der Mensch werde durch den Film „die Erde kennenlernen wie sein eigenes Haus, auch wenn er niemals über die engen Grenzen seines Dorfes hinauskommt.“33 Mehr als dreißig Jahre später äußert sich Gabriel Marcel in ähnlicher Weise. Er spricht dem Film, besonders dem Dokumentarfilm, die Kraft zu, „unsere Beziehung zu dieser Erde, die unsere Wohnstätte ist,“ zu vertiefen und inniger zu gestalten. „Und ich möchte noch sagen“, fügt er hinzu, „daß mir, der ich dazu neige, dessen müde zu werden, was ich gewohnheitsmäßig sehe – das heißt, was ich in Wirklichkeit gar nicht mehr sehe – diese dem Kino eigene Kraft buchstäblich erlösend (salvatrice) erscheint.“34 [395] Materielle Evidenz

Indem das Kino uns die Welt erschließt, in der wir leben, fördert es Phänomene zutag, deren Erscheinen im Zeugenstand folgenschwer ist. Es bringt uns Auge in Auge mit Dingen, die wir fürchten. Und es nötigt uns oft, die realen Ereignisse, die es zeigt, mit den Ideen zu konfrontieren, die wir uns von ihnen gemacht haben.

Das Haupt der Medusa

Wir haben in der Schule die Geschichte vom Haupt der Medusa gelernt, deren Gesicht mit seinen Riesenzähnen und seiner heraushängenden Zunge so schrecklich war, daß bei seinem Anblick Mensch und Tier zu Stein erstarrten. Als Athene Perseus beauftragte, das Ungeheuer zu erschlagen, warnte sie ihn, er dürfe niemals das Gesicht selber ansehen, nur sein Spiegelbild im blanken Schild, den sie ihm gab. Perseus folgte dem Rat der Athene und enthauptete die Medusa mit einer Sichel, die Hermes zu seiner Ausrüstung beigesteuert hatte.35

Die Moral des Mythos ist natürlich, daß wir wirkliche Greuel nicht sehen und auch nicht sehen können, weil die Angst, die sie erregen, uns lähmt und blind macht; und daß wir nur dann erfahren werden, wie sie aussehen, wenn wir Bilder von ihnen betrachten, die ihre wahre Erscheinung reproduzieren. Diese Bilder sind nicht von der Art jener, in denen künstlerische Fantasie unsichtbares Grauen zu gestalten sucht, sondern haben den Charakter von Spiegelbildern. Unter allen existierenden Medien ist es allein das Kino, das in gewissem Sinne der Natur den Spiegel vorhält und damit die „Reflexion“ von Ereignissen ermöglicht, die uns versteinern würden, träfen wir sie im wirklichen Leben an. Die Filmleinwand ist Athenes blanker Schild.

Aber das ist nicht alles. Der Mythos gibt außerdem zu verstehen, daß die Abbilder auf dem Schild oder der Leinwand Mittel zu einem Zweck sind; sie sollen den Zuschauer befähigen – mehr noch: dazu antreiben –, das Grauen zu köpfen, das sie spiegeln. Viele Kriegsfilme schwelgen in Grausamkeiten aus eben diesem Grund. Erfüllen solche Filme ihren Zweck? Im Mythos selber bedeutet die Enthauptung der Medusa noch nicht das Ende ihrer Herrschaft. Athene, so wird uns berichtet, befestigte den entsetzlichen Kopf an ihrer Ägis, um ihren Feinden Schrecken einzujagen. Perseus, dem Betrachter des Spiegelbilds, gelang es nicht, das Gespenst für immer zu bannen.

So erhebt sich die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, die Bedeutung solcher [396] Schreckensbilder in den ihnen zugrunde liegenden Intentionen oder ihren ungewissen Effekten zu suchen. Man denke an Georges Franjus le sang des betes, einen Dokumentarfilm über ein Pariser Schlachthaus: Pfützen von Blut breiten sich auf dem Boden aus, während Pferde und Kühe methodisch geschlachtet werden; eine Säge zerteilt Tierkörper, die noch voll warmen Lebens sind; und da ist die unergründliche Aufnahme der in Reihen angeordneten Kalbsköpfe – eine Art rustikalen Arrangements, das den Frieden eines geometrischen Ornaments atmet. (Abb. 59) Es wäre töricht, anzunehmen, diese unerträglich widrigen Bilder hätten die Absicht, die Botschaft des Vegetariertums zu verkünden; ebensowenig können sie als ein Versuch gebrandmarkt werden, dunkle Sehnsüchte nach Szenen der Zerstörung zu befriedigen.*

Die Spiegelbilder des Grauens sind Selbstzweck. Und als Bilder, die um ihrer selbst willen erscheinen, locken sie den Zuschauer, sie in sich aufzunehmen, um seinem Gedächtnis das wahre Angesicht von Dingen einzuprägen, die zu furchtbar sind, als daß sie in der Realität wirklich gesehen werden könnten. Wenn wir die Reihen der Kalbsköpfe oder die Haufen gemarterter menschlicher Körper in Filmen über Nazi-Konzentrationslager erblicken – und das heißt: erfahren –, erlösen wir das Grauenhafte aus seiner Unsichtbarkeit hinter den Schleiern von Panik und Fantasie. Diese Erfahrung ist befreiend insofern, als sie eines der mächtigsten Tabus beseitigt. Perseus‘ größte Tat bestand vielleicht nicht darin, daß er die Medusa köpfte, sondern daß er seine Furcht überwand und auf das Spiegelbild des Kopfes im Schild blickte. Und war es nicht gerade diese Tat, die ihn befähigte, das Ungeheuer zu enthaupten?

Konfrontationen

Bestätigende Bilder.· Filme oder Filmpassagen, die sichtbare materielle Realität mit unseren Vorstellungen von ihr konfrontieren, können diese Vorstellungen entweder bestätigen oder Lügen strafen. Die erste Möglichkeit ist von geringerem Interesse, weil sie selten echte Bestätigungen einbeschließt. Bestätigende Bilder werden in der Regel nicht dazu benutzt, eine Idee auf ihren Realitätsgehalt hin zu prüfen, sondern sollen uns dahin bringen, daß wir sie ohne zu fragen annehmen. Man erinnere sich der offen zur Schau gestellten Glückseligkeit der Kolchosenbauern in Eisensteins Generallinie, der begeisterten Menge, die Hitler in Nazifilmen zujubelt, der wunderbaren religiösen Wunder in Cecil B. De Milles [397] the ten commandments (die zehn gebote) usw. Trotz allem, welch unvergleichlicher showman De Mille doch war!)

All das ist fabrizierte Evidenz. Diese Scheinbestätigungen sollen uns glauben machen, nicht sehen lassen. Manchmal enthalten sie eine stereotype Aufnahme, die ihr Wesen schlagartig erhellt: ein Gesicht ist so gegen das Licht fotografiert, daß Haar und Wange von einer leuchtenden Linie umrahmt sind, die wie ein Heiligenschein anmutet. Die Aufnahme hat nicht eine enthüllende, vielmehr eine schmückende Funktion. Wann immer Bilder diese Funktion annehmen, können wir ziemlich sicher sein, daß sie dazu dienen, einen Glauben zu propagieren oder den Konformismus zu ermutigen. Im übrigen versteht es sich, daß nicht alle bestätigenden Bilder trügerisch sind. In le Journal d‘un cure de campagne beglaubigt das Gesicht des jungen Priesters mit eigentümlicher Kraft die ehrfurchtgebietende Realität seines religiösen Glaubens, seiner spirituellen Anfechtungen.

Entlarvungen · Natürlich sind bestätigende Bilder von geringerem Interesse als solche, die unsere Vorstellungen von der physischen Welt in Frage stellen. Nur dann können Filme die Realität, wie die Kamera sie einfängt, mit den falschen Vorstellungen, die wir uns über sie machen, konfrontieren, wenn die ganze Beweislast den Bildern und allein ihnen zufällt. Und da es ihre dokumentarische Qualität ist, auf die es dann ankommt, stehen derartige Konfrontationen sicherlich im Einklang mit der filmischen Einstellung; tatsächlich können sie ebenso direkt wie der Fluß des materiellen Lebens als Manifestation des Mediums gelten.

Kein Wunder, daß viele der vorhandenen Filme voll solcher Konfrontationen sind. Die Stummfilm-Komödie, wo sie zu komischen Effekten benutzt werden, hat sie aus den technischen Eigenschaften des Kinos entwickelt. In einer Schiffs-Szene von Chaplins the Immigrant macht ein von hinten gesehener Reisender lauter Bewegungen, die auf Seekrankheit schließen lassen; kaum aber wird er von der entgegengesetzten Seite gezeigt, so entpuppt er sich als ein Angler. Eine Änderung der Kamera-Position, und die Wahrheit kommt an den Tag. Es ist ein immer wiederkehrender Gag – eine Aufnahme klärt irgendein Mißverständnis auf, das durch die vorangegangenen Aufnahmen absichtlich genährt worden ist.

Ob es sich nun um Spaß oder Kritik handelt, das Prinzip bleibt dasselbe. Wie zu erwarten, war D. W. Griffith der erste, der die Kamera als ein Mittel der Entlarvung benutzte. Er betrachtete es als seine Aufgabe, „die Menschen sehen zu lehren“; und er war sich darüber klar, daß diese Aufgabe nicht nur die Darstellung unserer Umwelt, sondern auch die [398] Aufdeckung von Vorurteilen verlangte. Unter den vielen Modellen, die er zur Zeit des Ersten Weltkrieges schuf, befindet sich jene Szene aus broken blossoms, in der er das noble Gesicht des chinesischen Helden seines Films mit den Nahaufnahmen zweier Missionare kombiniert, deren Gesichter salbungsvolle Scheinheiligkeit ausstrahlen. Griffith konfrontiert so den Glauben an die Überlegenheit des weißen Mannes mit der Realität, auf die er sich angeblich gründet, und denunziert ihn durch eben diese Konfrontation als ein unhaltbares Vorurteil.

Dem Beispiel, das er gab, sind viele in der Absicht gefolgt, soziale Ungerechtigkeit und die mit ihr verbundenen Ideologien bloßzustellen. Bela Balázs, der um die „innerste Tendenz (des Kinos) ... zur Enthüllung und Entlarvung“ weiß, preist die Eisenstein- und Pudowkin-Filme der zwanziger Jahre als den Gipfel der Filmkunst, weil sie auf Konfrontationen dieser Art abzielen.36

Muß ausdrücklich gesagt werden, daß viele ihrer scheinbaren Enthüllungen in Wahrheit vehemente Propaganda-Botschaften sind? Aber so wennig [sic] wie die öffentliche Meinung kann dokumentarisches Film-Material unbegrenzt manipuliert werden; hier und da muß etwas Wahres ans Licht kommen. In Die letzten Tage von St. Petersburg zum Beispiel erhellt die Szene mit dem jungen Bauern, der an den Säulenpalästen der zaristischen Hauptstadt vorbeigeht, blitzartig das Bündnis, das autokratische Gewaltherrschaft mit architektonischem Glanz zu schließen pflegt. Es ist nicht nur das Sowjet-Kino, das Kamera-Exerzitien in sozialer Kritik begünstigt. John Ford zeigt das Elend herumziehender Landarbeiter in the grapes of wrath, und Jean Vigo geißelt in propos de nice das Dasein reicher Müßiggänger, indem er Zufalls-Momente ihres leeren Treibens darstellt. Eine der vollendetsten Leistungen auf diesem Gebiet ist Georges Franjus l‘hotel des invalides, ein Dokumentarfilm, der im Auftrag der französischen Regierung gedreht wurde. Oberflächlich gesehen, ist der Film nichts weiter als ein schlichter Bericht über eine Führung durch das historische Gebäude; von Touristen umgeben, ziehen die Führer, alte Kriegsinvaliden, von einem Ausstellungsstück zum andern, wobei sie sich über Napoleon, die gepanzerten Ritter und die siegreichen Schlachten verbreiten. Ihre abgeleierten Kommentare sind aber mit Bildern synchronisiert, die sie in subtiler Weise ihrer Bedeutung entleeren, so daß das Ganze zu einer Anklage gegen Militarismus und abgestandenen Heldenkult wird. (Abb. 60)

Oder es wird physische Realität in der Absicht exponiert, das Gewebe von Konventionen zu durchdringen. Erich von Stroheim läßt in greed und anderswo seine Kamera auf den krassesten Manifestationen des Le[399]bens verweilen – all dem, was sich unter der dünnen Schicht der Zivilisation umtreibt. In Chaplins Film monsieur verdoux, der in Entlarvungen geradezu schwelgt, steht die Totalaufnahme von dem See mit dem kleinen Kahn für den Traum eines Sonntagsfotografen von Frieden und Glück; aber der Traum wird durch die sich unmittelbar anschließende Nahaufnahme des Kahns zerstört, in dem Chaplin als Monsieur Verdoux gerade im Begriffe ist, ein weiteres Opfer zu ermorden. Wer genau hinsieht, wird des Grauens gewahr, das hinter der Idylle lauert. Dieselbe Moral kann Franjus Schlachthaus-Film entnommen werden, der tiefe Schatten auf den Prozeß des Lebens wirft.

Solche Entlarvungen haben eine Eigenschaft mit filmischen Motiven gemeinsam: ihre ansteckende Kraft ist so stark, daß durch ihre bloße Gegenwart ein im übrigen theaterhafter Film in so etwas wie einen richtigen Film verwandelt werden kann. Ingmar Bergmans det sjunde inseglet (das siebente Siegel) ist im wesentlichen ein Mysterienspiel, aber was sich hier an mittelalterlichem Glauben und Aberglauben zur Schau stellt, wird durchweg vom forschenden Geist des Ritters und dem ausgesprochenen Skeptizismus seines Schildknappen in Frage gezogen. Beide Charaktere neigen zu einer realistischen Einstellung. Und ihre säkularen Zweifel ziehen Konfrontationen nach sich, die den Film bis zu einem gewissen Grade dem Medium anpassen.

Von unten nach oben

Alles, was bisher gesagt wurde, bezieht sich auf Elemente oder Momente der physischen Realität, wie sie sich auf der Leinwand entfalten. So sehr nun die Bilder materieller Momente in sich selber bedeutungsvoll sind, in Wirklichkeit begnügen wir uns nicht damit, sie in uns aufzunehmen, sondern fühlen uns dazu gedrängt, das, was sie uns erzählen, in Zusammenhänge einzufügen, die das Ganze unserer Existenz betreffen. Michel Dard formuliert das so: „Indem das Kino alle Dinge aus ihrem Chaos heraushebt, bevor es sie wieder ins Chaos der Seele eintaucht, erzeugt es in dieser große Wellen, jenen vergleichbar, die ein sinkender Stein auf der Oberfläche des Wassers verursacht.“37

Diese großen in der Seele erregten Wellen treiben Vorstellungen und Urteile über den Sinn der von uns konkret erfahrenen Dinge ans Ufer. Filme, die unseren Wunsch nach solchen Propositionen befriedigen, können sehr wohl in die Dimension der Ideologie hineinreichen. Doch wenn sie dem Medium gemäß sind, werden sie nicht von einer vorgefaßten Idee zur [400] materiellen Welt herabsteigen, um diese Idee zu erhärten; umgekehrt, sie beginnen damit, physische Gegebenheiten auszukundschaften, und arbeiten sich dann in der von ihnen gewiesenen Richtung nach oben, zu irgendeinem Problem oder Glauben hin. Das Kino ist materialistisch gesinnt; es bewegt sich von „unten“ nach „oben“. Die Bedeutung seines natürlichen Hangs für eine Bewegung in dieser Richtung kann kaum überschätzt werden. Auf ihn führt Erwin Panofsky, der große Kunsthistoriker, den Unterschied zwischen Film und traditioneller Kunst zurück: „Die Verfahrensweisen aller früheren repräsentativen Kunstgattungen entsprechen zu einem höheren oder geringeren Grade einer idealistischen Konzeption der Welt. Diese Künste operieren sozusagen von oben nach unten, nicht von unten nach oben; sie beginnen mit einer Idee, die in formlose Materie projiziert wird, und nicht mit den Objekten, aus denen die physische Welt besteht... Das Kino, und nur das Kino, wird jener materialistischen Interpretation des Universums gerecht, die, ob wir es nun mögen oder nicht, die heutige Zivilisation durchdringt.“38

Geleitet vom Film, nähern wir uns also den Ideen, wenn überhaupt, nicht länger auf Straßen, die durch die Leere führen, sondern auf Pfaden, die sich durchs Dickicht der Dinge winden. Während der Theaterbesucher einem Schauspiel folgt, das in erster Linie seinen Geist beansprucht und durch diesen erst sein Empfindungsvermögen, befindet sich der Kinobesucher in einer Situation, in der er nur dann Fragen stellen und nach Antworten tasten kann, wenn er physiologisch saturiert ist. „Das Kino“, sagt Lucien Sève, „... verlangt vom Zuschauer eine neue Form der Aktivität: sein durchdringendes Auge muß sich vom Körperlichen zum Geistigen bewegen.“39 Auch Charles Dekeukeleire weist auf die Bedeutung dieser Aufwärtsbewegung hin: „Wenn die Sinne einen Einfluß auf unser geistiges Leben ausüben, dann wird das Kino dadurch, daß es die Zahl und Qualität unserer Sinneswahrnehmungen vermehrt, zu einem mächtigen Ferment der Spiritualität.“40

„The Family of Man“

Und wie steht es mit dem spirituellen Leben selber? Obwohl die Ideen, die Filme auf ihrem Weg von unten nach oben entwickeln, außerhalb des Bereiches dieses Buches liegen, sind doch zwei sie betreffende Bemerkungen angezeigt, und sei es nur, um das Bild abzurunden. Zunächst gilt, daß alle Versuche, eine Hierarchie unter diesen Ideen oder Botschaften zu errichten, bisher fehlgeschlagen sind. Béla Balázs‘ These, das Kino sei nur [401] dann wirklich Kino, wenn es revolutionären Zwecken diene,41 ist so unhaltbar, wie es die ihr verwandten Ansichten der Neorealisten und anderer Gruppen sind, die eine enge Beziehung des Mediums zum Sozialismus oder Kollektivismus postulieren.42* Auch Griersons Definition des Films, besser des Dokumentarfilms, als eines erzieherischen Instruments, eines Mittels zur Förderung verantwortungsbewußten Bürgertums, schließt nicht alle Möglichkeiten ein.43 Zahllose andere Propositionen sind gleichermaßen legitim. Da ist, um nur ein paar zu nennen, Fellinis, intensive Bemühung um das verlassene, obdachlose Individuum auf der Suche nach Sympathie und Sinn44; Buñuels Verstricktsein in die Grausamkeiten und Gelüste, welche die Rumpelkammern unserer Existenz füllen; Franjus Entsetzen über den Abgrund, der unser tägliches Leben ist, jenes Entsetzen, das einen jungen Menschen befällt, wenn er nachts aufwacht und plötzlich die Gegenwart des Todes spürt, das Beieinander von Lachen und Schlachten...

Eine der filmischen Propositionen verdient besondere Erwähnung, weil sie die gegenwärtige Annäherung zwischen den Völkern reflektiert und bejaht. Erich Auerbach spielt auf sie an, wenn er aus seiner Beobachtung, daß die im modernen Roman dargestellten Zufallsmomente des Lebens „das Elementare und Gemeinsame der Menschen überhaupt“ betreffen,** folgert: „Es muß aus der absichtslosen und vertiefenden Darstellung der gedachten Art zu entnehmen sein, wie sehr sich, unterhalb der Kämpfe, schon jetzt die Unterschiede zwischen den Lebens- und Denkformen der Menschen verringert haben... Unterhalb der Kämpfe und auch durch sie vollzieht sich ein wirtschaftlicher und kultureller Ausgleichsprozeß; es ist noch ein langer Weg bis zu einem gemeinsamen Leben der Menschen auf der Erde, doch das Ziel beginnt schon sichtbar zu werden…“45

Auerbach hätte hinzufügen können, daß die Aufgabe, die Menschheit auf dem Weg zu diesem Ziel sichtbar zu machen, den fotografischen Medien vorbehalten ist; sie allein sind in der Lage, die materiellen Aspekte gemeinsamen täglichen Lebens an vielen Orten wiederzugeben. Es ist kein Zufall, daß die Idee der Ausstellung The Family of Man*** von einem geborenen Fotografen stammt. Und einer der Gründe für den Welterfolg von Edward Steichens Ausstellung muß eben der Tatsache zugeschrieben werden, daß sie aus Fotografien besteht – Bildern, in deren Natur es liegt, [402] die Realität der von ihnen gemeinten Vision zu beglaubigen. Ihres fotografischen Charakters wegen sind Filme dazu prädestiniert, eben dieses Thema aufzugreifen.46 Manche tun es tatsächlich. So demonstriert der Film world without end von Paul Rotha und Basil Wright die Ähnlichkeit zwischen Mexikanern und Siamesen, demonstriert sie um so überzeugender, als er die Grenzen des Nivellierungsprozesses anerkennt: die verfallene Dorfkirche bringt es fertig zu überleben, und der alte Buddha meditiert über die Geschwindigkeit der Lastwagen.*

Oder man denke an Satyajit Rays aparajito, einen Episodenfilm, der reich ist an Szenen wie dieser: Die Kamera richtet sich auf die ornamentale Rinde eines alten Baums und senkt sich dann langsam zum Gesicht von Apus kranker Mutter herab, die sich nach ihrem Sohn in der großen Stadt sehnt. In der Ferne fährt ein Zug vorbei. Die Mutter geht schwerfällig zum Haus zurück, wo sie sich einbildet, Apu „Mutter“ rufen zu hören. Kommt er heim zu ihr? Sie steht auf und sieht hinaus ins leere nächtliche Dunkel, das Wasserreflexe und tanzende Irrlichter zum Glühen bringen. Indien ist in dieser Episode, aber nicht nur Indien. (Abbildung 61) „Was mir bemerkenswert an aparajito erscheint“, schreibt ein Leser der New York Times an den Redakteur der Filmseite, „ist dies: man sieht diese Gesichter in ihrer exotischen Schönheit, und man hat dennoch das Gefühl, als passierte dieselbe Geschichte jeden Tag irgendwo in Manhattan oder Brooklyn oder der Bronx.“47

Wie sehr diese Propositionen sich ihrem Inhalt nach unterscheiden mögen, sie alle durchdringen die vergängliche physische Realität, brennen durch sie hindurch. Doch um es nochmals zu sagen: ihr Bestimmungsziel gehört nicht mehr zu den Gegenständen dieser Untersuchung.

1 Langer, Philosophy in a New Key, S. 210

2 Whitehead, Adventures of Ideas, S. 27

3 Gay-Lussacs Rede im französischen Senat, 30. Juli 1839; zitiert nach Eder, Geschichte der Photographie, S. 312

4 a. a. O., S. 312

5 Aragos Rede in der französischen Deputiertenkammer, 3. Juli 1839; a. a. O., S. 304

6 Newhall, The History of Photography..., S. 17 f.

7 Newhall, „Photography and the Development of Kinetic Visualization“, Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, 1944, Bd. 7, S. 40. – Dieser Artikel ist ein wichtiger Beitrag zur Geschichte der Momentfotografie, die, Newhall zufolge (S. 40), noch nicht geschrieben worden ist.

8 Ruskin, Praeterita, S. 341

9 Zitiert nach Eder, a. a. O., S. 312

10 Newhall, The History of Photography ..., S. 21

11 Für die Hinweise auf Oliver Wendell Holmes und Darwin siehe Newhall, „Photography and the Development of Kinetic Visualization“, Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, 1944, Bd. 7, S. 41 f.

12 Newhall, The History of Photography, S. 27

13 Vgl. z.B. Überweg/Heinze, Grundriß der Geschichte der Philosophie, Bd. 5, S. 27

14 Freund, La Photographie en France au dix-neuvième siècle, S. 102-7. Für das Taine-Zitat siehe a. a. O., S. 103. – In ihrer ausgezeichneten Studie spürt Gisèle Freund den sozialen und ideologischen Trends nach, die einen Einfluß auf die Entwicklung der Fotografie ausübten. Ihr Buch ist nicht frei von Rückfällen in den Vulgär-Materialismus, aber diese Schwäche wird durch eine Fülle von Quellenmaterial reichlich aufgewogen.

15 a. a. O., S. 49, 53–57

16 Hauser, Sozialgeschichte der Kunst und Literatur, Bd. 2, S. 308

17 a. a. O., S. 308, 312; Freund, a. a. O., S. 106 f.

18 Newhall, The History of Photography, S. 71

19 a. a. O., S. 71

20 Weston, „Seeing Photographically“, The Complete Photographer, 1943, Bd. 9, Nr. 49: 3200

21 Newhall, a. a. O., S. 75 f.; Freund, a. a. O., S. 113

22 Hauser, a. a. O., Bd. 2, S. 312

23 Freund, a. a. O., S. 96

24 a. a. O., S. 12; Newhall, a. a. O., S. 43

25 Freund, a. a. O., S. 78 f.

26 a. a. O., S. 92

27 a. a. O., S. 83, 85, 90

28 Newhall, The History of Photography ..., S. 71 f.

29 a. a. O., S. 76

30 a. a. O., S. 81

31 a. a. O., S. 75

32 a. a. O., S. 71 f.; Freund, a. a. O., S. 69, 101

33 Freund, a. a. O., S. 107 f., 110-12

34 a. a. O., S. 117-19

35 a. a. O., S. 108 f.

36 a. a. O., S. 116 f.

37 So äußert sich z.B. der Maler und Fotograf Charles Sheeler, 1914; zitiert nach Newhall, a. a. O., S. 152

38 Weston, „Seeing Photographically“, The Complete Photographer, 1943, Bd. 9, Nr. 49: 3202. Siehe auch Moholy-Nagy, Malerei, Photographie, Film, S. 22

39 Moholy-Nagy, Vision in Motion, S. 206 f., 210

40 Newhall, a. a. O., S. 218. – Moholy-Nagy, Malerei, Photographie, Film, S. 27

41 Moholy-Nagy, Vision in Motion, S. 178

42 a. a. O., S. 178

43 Moholy-Nagy, Malerei, Photographie, Film, S. 22

44 Katz, „Dimensions in Photography“, The Complete Photographer, 1942, Bd. 4, Nr. 21: 1354

45 Newhall, a. a. O., S. 131

46 Moholy-Nagy, a. a. O., S. 24

47 Feininger, „Photographic Control Processes“, The Complete Photographer, 1942, Bd. 8, Nr. 43: 2802

48 Schmoll, „Vom Sinn der Photographie“, in Steinert, Subjektive Fotografie 2, S. 38

49 “Reaction to ‘Creative Photography’“, The New York Times, 16. Dezember 1951

55 Newhall, a. a. O., S. 218. Vgl. Moholy-Nagy, Vision in Motion, S. 177

56 Freund, La Photographie en France…, S. 105 f.

57 Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Bd. III, S. 203-05

58 Sherif und Cantril, The Psychology of Ego-lnvolvements, passim, z. B. S. 30, 33 f. – Arnheim, „Perceptual Abstraction and Art“, Psychological Review, März 1947, Bd. 54, Nr. 2

59 Mumford, Technics and Civilization, S. 339

60 Freund, a. a. O., S. 59

61 Newhall, The History of Photography…, S. 47

62 a. a. O., S. 150

63 Weston, „Seeing Photographically“, The Complete Photographer, 1943, Bd. 9, Nr. 49: 3205

64 Newhall, a. a. O., S. 91

65 a. a. O., S. 139

66 Moholy-Nagy, „Surrealism and the Photographer“, The Complete Photographer, 1943, Bd. 9, Nr. 52 : 3338

67 Ich schulde Mr. Edward Steichen Dank dafür, daß er diese Fotografie zu meiner Kenntnis brachte.

68 Vgl. Mumford, Technics and Civilization, S. 339

69 Vgl. Hajek-Halke, Experimentelle Fotografie, Vorwort S. 14. – Siehe auch die oben genannten Artikel von Katz, Feininger und Schmoll.

70 Zitiert nach Newhall, The History of Photography…, S. 213

71 Mumford, a. a. O., S. 340

72 Newhall, „Photography and the Development of Kinetic Visualization“, Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, 1944, Bd. 7, S. 40

73 Newhall, The History of Photography,.., S. 40; zitiert nach H. Fox Talbot, The Pencil of Nature, London 1844, S. 40

74 Newhall, a. a. O., S. 144; zitiert nach John A. Tennants Besprechung einer New Yorker Stieglitz-Ausstellung von 1921

75 Albert Londe, La photographie instantanée, Paris 1886, S. 139. – Ich verdanke diesen Hinweis Mr. Beaumont Newhall, der mir freundlicherweise einige seiner Notizen über Momentaufnahmen zur Verfügung stellte.

76 Newhall, „Photography and the Development of Kinetic Visualization“, Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, 1944, Bd. 7, S. 41

77 McCausland, „Alfred Stieglitz“, The Complete Photographer, 1943, Bd. 9, Nr. 51 : 3321

78 Newhall, The History of Photography..., S. 126

79 Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Bd. III, S. 204

80 Newhall, a. a. O., S. 91

81 Benjamin, „Über einige Motive bei Baudelaire“, in Walter Benjamin, Schriften, Bd. 1, S. 459

82 Vgl. Newhall, a. a. O., S. 140, 143

83 Newhall, a. a. O., S. 182; zitiert nach H. Fox Talbot, The Pencil of Nature, a. a. O., S. 52

84 Delluc, „Photographie“, in Lapierre, ed., Anthologie du cinéma, S. 135

* [49] Valéry bemerkt in Degas, dance, dessin, S. 73, daß im Falle fliegender Vögel Momentaufnahmen die Drucke japanischer Künstler bestätigen. Über die Ähnlichkeit zwischen Momentaufnahmen und japanischer Kunst, siehe Wolf-Czapek, Die Kinematographie..., S. 112 f.

85 Moholy-Nagy, Vision in Motion, S. 209

86 Newhall, The History of Photography..., S. 198; zitiert nach Morgan & Lester, ed., Graphic Graflex Photography, 1948, S. 218

8 (Kap. 2) Siehe z. B. Balázs, Der Geist des Films; Arnheim, Film als Kunst; Eisenstein, The Film Sense und Film Form; Pudowkin, Filmregie und Filmmanuskript und Film Technique and Film Acting; Rötha, The Film Till Now; Spottiswoode, A Grammar of the Film und Basic Film Techniques (University of California Syllabus Series No. 303); Karel Reisz, The Technique of Film Editing, usw.

* [56] Siehe S. 95-97, 130

9 Caveing („Dialectique du concept du cinéma“, Revue internationale de filmologie, Teil I: Juli-August 1947, Nr. 1; Teil II: Okt. 1948, Nr. 3-4) wendet nicht ohne Willkür die Prinzipien von Hegels Dialektik auf die Entwicklung des Kinos an. Die erste dialektische Phase besteht, ihm zufolge, aus Lumières Reproduktion der Realität und ihrer Antithese – völlige Illusionshaftigkeit, wie sie durch Méliès illustriert wird (siehe besonders Teil I, S. 74-78). – Ähnlich faßt Morin (Le cinéma ou l'homme imaginaire, S. 58) Méliès‘ „absolute Unrealität“ als die Antithese im Hegelschen Sinne zu Lumières „absolutem Realismus“ auf. – Siehe auch Sadoul, Histoire d'un art, S. 31

10 Sadoul, L’invention du cinéma, S. 21 f., 241, 246

11 Langlois, „Notes sur l’histoire du cinéma“, La revue du cinéma, Juli 1948, Bd. III, Nr. 15: 3

12 Sadoul, a. a. O., S. 247

13 a. a. O., S. 249, 252, 300; und Sadoul, Histoire d'un art, S. 21

14 Gorki, „Gorki on the Films, 1896“, New Theatre and Film, März 1937

15 Bessy und Duca, Louis Lumière, inventeur, S. 88. – Sadoul, a. a. O., S. 23 f.

16 Zitiert nach Sadoul, L‘invention du cinéma, S. 208. – Siehe auch S. 253

17 Sadoul, a. a. O., S. 242–44, 248. – Vardac, Stage to Screen, S. 166 f. – Vardac hebt hervor, daß das Theater des 19. Jahrhunderts, aus dem ständig wachsenden Verlangen nach Realismus heraus, ausgiebigen Gebrauch von besonderen Tricks machte. So erfand der Theaterdirektor Steele MacKaye, der kurz vor der Ankunft des Vitaskops starb, einen „Lichtvorhang“, um Effekte wie Aufblenden, Abblenden und Überblendung zu erzielen (S. 143).

18 Sadoul, a. a. O., S. 246

19 Bessy und Duca, Louis Lumière, inventeur, S. 49 f. – Sadoul, Histoire d'un art, S. 23

20 Sadoul, L’invention du cinéma, S. 222–24, 227

21 Sadoul, a. a. O., S. 332, und Sadoul, Histoire d'un art, S. 24

22 Sadoul, L’invention du cinéma, S. 322, 328

23 a. a. O., S. 332. – Langlois, „Notes sur l’histoire du cinéma“, La revue du cinéma, Juli 1948, Bd. III, Nr. 15: 10

24 Zitiert nach Bardèche und Brasillach, Histoire du cinéma, S. 18

25 Sadoul, L’invention du cinéma, S. 332

26 a. a. O., S. 102, 201; bes. 205

27 a. a. O., S. 324-26

28 Über Méliès‘ technische Neuerungen siehe Sadoul, Les pionniers du cinéma, S. 52-70 S. 52-70 [sic]

29 Langlois, „Notes sur l’histoire du cinéma“, La revue du cinéma, Juli 1948, Bd. III, Nr. 15: 5

30 Sadoul, a. a. O., S. 154, 166

31 Sadoul, L’invention du cinéma, S. 330 f.

32 Vgl. Meyerhoff, Tonfilm und Wirklichkeit, S. 13, 22

33 Clair, Réflexion faite, S. 96; Clair machte diese Äußerung im Jahre 1924.

34 a. a. O., S. 150

35 Vuillermoz, „Réalisme et expressionisme“, Cinéma (Les cahiers du mois, 16/17), 1925, S. 78 f.

36 Siehe Kracauer, From Caligari to Hitler, S. 240 (fehlt in der deutschen Ausgabe)

37 Berge, „Interview de Blaise Cendrars sur le cinéma“, Cinéma (Les cahiers du mois, 16/17), 1925, S. 141. – Bezüglich der mit der Inszenierung der Wirklichkeit verbundenen Probleme siehe auch Mauriac, L‘Amour du cinéma, S. 36, und Obraszow, „Film und Theater“, in Von der Filmidee zum Drehbuch, S. 54.

40 Siehe Kracauer, Von Caligari bis Hitler, S. 44

* [68] Über den Experimentalfilm siehe Kapitel 10

* [69] Arnold Hauser gehört zu den wenigen, die das gesehen haben. In seiner Philosophie der Kunstgeschichte, S. 401, sagte er: „Der Film ist die einzige Kunst, die beträchtliche Stücke der Wirklichkeit unverändert bestehen läßt. Er interpretiert sie wohl, die Interpretation bleibt aber eine fotografische.“ Trotz dieser Einsicht scheint sich jedoch Hauser ihrer Konsequenzen für den Film nicht ganz bewußt zu sein.

21 (Kap. 16) Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, passim, siehe z. B. Bd. I, S. 32, Bd. II, S. 652

22 Auerbach, Mimesis, S. 487

23 a. a. O., S. 492 f.

* [387] Vgl. S. 289 f.

** [387] Vgl. S. 292 f.

24 a. a. O., S. 492

25 Mumford, Technics and Civilization, S. 340

26 a. a. O., S. 343

27 Dewey, Art As Experience, S. 340

28 a. a. O., S. 339

* [390] Siehe S. 293

29 Zitiert nach Agel, „Du film en forme de chronicle“, in Astre, ed., Cinéma et roman, S. 155

* [391] Vgl. S. 282

30 Bachmann, „Federico Fellini: An Interview“, in Hughes, ed., Film: Book I, S. 103

* [392] Vgl. S. 340 f.

** [392] Siehe S. 204

*** [392] Vgl. S. 141, 338 (Hinweis auf Pabsts Regie seiner liebe der jeanne Ney), Anm.

**** [392] Siehe S. 42

***** [392] Siehe S. 336

* [393] Siehe Kapitel 9, passim; besonders S. 225 f.

31 Dard, Valeur humaine du cinéma, S. 15

** [393] Vgl. S. 79, 386 f.

*** [393] Siehe S. 58

32 Auerbach, Mimesis, S. 493

* [394] Siehe S. 109-11

33 Scheffauer, „The Vivifying of Space“, The Freeman, 24. Nov. und 1. Dez. 1920

34 Marcel, „Possibilités et limites de l'art cinématographique“, Revue internationale de filmologie, Juli-Dez. 1954, Bd. V, Nr. 18/19: 164

35 Siehe Graves, The Greek Myths, Bd. I, S. 127, 238 f.

* [396] Vgl. S. 91 f.

36 Balázs, Der Geist des Films, S. 215-17

37 Dard, Valeur humaine du cinéma, S. 16

38 Panofsky, „Style and Medium in the Motion Pictures“, Critique, Jan.-Feb. 1947, Bd I, Nr. 3: 27. Siehe auch Hauser, Sozialgeschichte der Kunst und Literatur, Bd. II, S. 955

39 Sève, „Cinéma et méthode“, Revue internationale de filmologie, Juli-Aug. 1947, Bd. I, Nr. 1: 46

40 Dekeukeleire, Le cinéma et la pensée, S. 15. – Vgl. auch L'Herbier, „Théâtre et cinéma“ in Ford, ed., Bréviaire du cinéma, S. 99

41 Balázs, a. a. O., S. 215-17

42 Siehe z. B. Faure, „Cinéma“, in Le rôle intellectuel du cinéma, S. 216-20; Hauser, a. a. O., Bd. II, S. 946-48

* [401] Vgl. S. 358

43 Hardy, ed., Grierson on Documentary, passim

44 Vgl. Bachmann, „Federico Fellini: An Interview“, in Hughes, ed., Film: Book I, S. 104 f.

** [401] Vgl. S. 394

45 Auerbach, Mimesis, S. 493

*** [401] Da der amerikanische Titel in den Ausstellungskatalogen der verschiedensten Länder erscheint, ist er hier beibehalten worden.

46 Vgl. Cohen-Séat, Essai sur les principes..., S. 30, 180 f.

* [402] Siehe S. 274

47 Laing, „Fine Fare“, The New York Times, 28. Juni 1959. (Ein Brief an den Film-Redakteur.)

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Siegfried Kracauer: Theorie des Films, 1960

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