Realität und Wirklichkeit in der Moderne

Texte zu Literatur, Kunst, Fotografie und Film

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Vorlesungen über die Ästhetik, 1845

Georg Wilhelm Friedrich Hegel

Quelle

Georg Friedrich Wilhelm Hegel: "Vorlesungen über die Ästhetik I", in: Werke. Bd. 13. Auf der Grundlage der Werke von 1832-1845. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1986, S. 40-43, 48-52, 60-61, 64-65, 70-72, 80-83, 104-115, 127-153. ISBN: 978-3-518-28213-7.

Erstausgabe

"Vorlesungen über die Ästhetik I", in: Werke. Bd. 13. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten. 18 Bde. Bd. 10/1-3. Vorlesungen über die Ästhetik. Berlin: Duncker & Humblot 1832–1845.

Genre

Vorlesung

Medium

Kunst, Literatur

[40] […] Bei dem Gegenstande jeder Wissenschaft kommt zunächst [41] zweierlei in Betracht: erstens, daß ein solcher Gegenstand ist, und zweitens, was er ist.

Über den ersten Punkt pflegt sich in den gewöhnlichen Wissenschaften wenig Schwierigkeit zu erheben. Ja, es könnte zunächst sogar lächerlich erscheinen, wenn sich die Forderung auftäte, es solle in der Astronomie und Physik bewiesen werden, daß es eine Sonne, Gestirne, magnetische Erscheinungen usw. gebe. In diesen Wissenschaften, die es mit sinnlich Vorhandenem zu tun haben, werden die Gegenstände aus der äußeren Erfahrung genommen, und statt sie zu beweisen, wird es für hinreichend gehalten, sie zu weisen. Doch schon innerhalb der nicht-philosophischen Disziplinen können Zweifel über das Sein ihrer Gegenstände aufkommen, wie z. B. in der Psychologie, der Lehre vom Geiste, der Zweifel, ob es eine Seele, einen Geist gibt, d. h. ein von dem Materiellen verschiedenes, für sich selbständiges Subjektives, oder in der Theologie, daß ein Gott ist. Wenn ferner die Gegenstände subjektiver Art, d. h. nur im Geiste und nicht als äußerlich sinnliche Objekte vorhanden sind, so wissen wir, im Geiste sei nur, was er durch seine Tätigkeit hervorgebracht hat. Hiermit tritt sogleich die Zufälligkeit ein, ob Menschen diese innere Vorstellung oder Anschauung in sich produziert haben oder nicht und, wenn auch das erstere wirklich der Fall ist, ob sie solche Vorstellung nicht auch wieder verschwinden gemacht oder dieselbe wenigstens zu einer bloß subjektiven Vorstellung herabgesetzt haben, deren Inhalt kein Sein an und für sich selbst zukomme; wie z. B. das Schöne häufig als nicht an und für sich in der Vorstellung notwendig, sondern als ein bloß subjektives Gefallen, ein nur zufälliger Sinn ist angesehen worden. Schon unsere äußeren Anschauungen, Beobachtungen und Wahrnehmungen sind oft täuschend und irrig, aber noch viel mehr sind es die inneren Vorstellungen, wenn sie auch die größte Lebendigkeit in sich haben und uns unwiderstehlich zur Leidenschaft fortreißen sollten.

Jener Zweifel nun, ob ein Gegenstand der inneren Vor[42]stellung und Anschauung überhaupt sei oder nicht, wie jene Zufälligkeit, ob das subjektive Bewußtsein ihn in sich erzeugt und ob die Art und Weise, wie es ihn vor sich gebracht, dem Gegenstande seinem Anundfürsichsein nach auch entsprechend sei, erregt im Menschen gerade das höhere wissenschaftliche Bedürfnis, welches fordert, daß, wenn es uns auch so vorkomme, als ob ein Gegenstand sei oder daß es einen solchen gebe, derselbe dennoch müsse seiner Notwendigkeit nach aufgezeigt oder bewiesen werden.

Mit diesem Beweise, wird er wahrhaft wissenschaftlich entwickelt, ist sodann zugleich der anderen Frage, was ein Gegenstand sei, Genüge geleistet. Dies auseinanderzusetzen würde uns jedoch an diesem Orte zuweit führen, und es ist darüber nur folgendes anzudeuten.

Wenn von unserem Gegenstande, dem Kunstschönen, die Notwendigkeit aufgezeigt werden soll, so wäre zu beweisen, daß die Kunst oder das Schöne ein Resultat von Vorhergehendem sei, das, seinem wahren Begriffe nach betrachtet, mit wissenschaftlicher Notwendigkeit zum Begriffe der schönen Kunst hinüberführt. Indem wir nun aber von der Kunst anfangen, ihren Begriff und dessen Realität, nicht aber das ihrem eigenen Begriff zufolge ihr Vorangehende in seinem Wesen abhandeln wollen, so hat die Kunst für uns als besonderer wissenschaftlicher Gegenstand eine Voraussetzung, die außerhalb unserer Betrachtung liegt und, als ein anderer Inhalt wissenschaftlich abgehandelt, einer anderen philosophischen Disziplin angehört. Es bleibt deshalb nichts übrig, als den Begriff der Kunst sozusagen lemmatisch aufzunehmen, was bei allen besonderen philosophischen Wissenschaften, wenn sie vereinzelt betrachtet werden sollen, der Fall ist. Denn erst die gesamte Philosophie ist die Erkenntnis des Universums als in sich eine organische Totalität, die sich aus ihrem eigenen Begriffe entwickelt und, in ihrer sich zu sich selbst verhaltenden Notwendigkeit zum Ganzen in sich zurückgehend, sich mit sich als eine Welt der Wahrheit zusammenschließt. In der Krone dieser wissenschaftlichen [43] Notwendigkeit ist jeder einzelne Teil ebensosehr einerseits ein in sich zurückkehrender Kreis, als er andererseits zugleich einen notwendigen Zusammenhang mit anderen Gebieten hat, – ein Rückwärts, aus dem er sich herleitet, wie ein Vorwärts, zu dem er selbst in sich weitertreibt, insofern er fruchtbar Anderes wieder aus sich erzeugt und für die wissenschaftliche Erkenntnis hervorgehen läßt. Die Idee des Schönen also, mit der wir anfangen, zu beweisen, d. h. sie der Notwendigkeit nach aus den für die Wissenschaft vorangehenden Voraussetzungen herzuleiten, aus deren Schoße sie geboren wird, ist nicht unser gegenwärtiger Zweck, sondern das Geschäft einer enzyklopädischen Entwicklung der gesamten Philosophie und ihrer besonderen Disziplinen. Für uns ist der Begriff des Schönen und der Kunst eine durch das System der Philosophie gegebene Voraussetzung. Da wir aber dies System und den Zusammenhang der Kunst mit demselben hier nicht erörtern können, so haben wir den Begriff des Schönen noch nicht wissenschaftlich vor uns, sondern was für uns vorhanden ist, sind nur die Elemente und Seiten desselben, wie sie in den verschiedenen Vorstellungen vom Schönen und der Kunst schon im gewöhnlichen Bewußtsein sich vorfinden oder vormals gefaßt worden sind. Von hier aus wollen wir dann erst auf die gründlichere Betrachtung jener Ansichten übergehen, um dadurch den Vorteil zu erlangen, zunächst eine allgemeine Vorstellung von unserem Gegenstande sowie durch die kurze Kritik eine vorläufige Bekanntschaft mit den höheren Bestimmungen zu bewirken, mit welchen wir es in der Folge zu tun haben werden. In dieser Weise wird unsere letzte einleitende Betrachtung gleichsam das Einläuten zum Vortrage der Sache selbst vorstellen und eine allgemeine Sammlung und Richtung auf den eigentlichen Gegenstand bezwecken.

[48] […] c) Eine dritte Ansicht, welche die Vorstellung vom Kunstwerk als einem Produkte menschlicher Tätigkeit betrifft, bezieht sich auf die Stellung des Kunstwerks zu den äußeren Erscheinungen der Natur. Hier lag dem gewöhnlichen Bewußtsein die Meinung nahe, daß das Kunstprodukt des Menschen dem Naturprodukte nachstehe. Denn das Kunstwerk hat kein Gefühl in sich und ist nicht das durch und durch Belebte, sondern, als äußerliches Objekt betrachtet, tot. Das Lebendige aber pflegen wir höher zu schätzen als das Tote. Daß das Kunstwerk nicht in sich selbst bewegt und lebendig sei, ist freilich zugegeben. Das natürlich Lebendige ist nach innen und außen eine zweckmäßig bis in alle kleinsten Teile ausgeführte Organisation, während das Kunstwerk nur in seiner Oberfläche den Schein der Lebendigkeit erreicht, nach innen aber gemeiner Stein oder Holz und Leinwand oder, wie in der Poesie, Vorstellung ist, die in Rede und Buchstaben sich äußert. Aber diese Seite äußerlicher Existenz ist es nicht, welche ein Werk zu einem Produkte der schönen Kunst macht; Kunstwerk ist es nur, insofern es, aus dem Geiste entsprungen, nun auch dem Boden des Geistes angehört, die Taufe des Geistigen erhalten hat und nur dasjenige darstellt, was nach dem Anklänge des Geistes gebildet ist. Menschliches Interesse, der geistige Wert, den eine Begebenheit, ein individueller Charakter, eine Handlung in ihrer Verwicklung und ihrem Ausgange hat, wird im Kunstwerke aufgefaßt und reiner und durchsichtiger hervorgehoben, als es auf dem Boden der sonstigen, [49] unkünstlerischen Wirklichkeit möglich ist. Dadurch steht das Kunstwerk höher als jedes Naturprodukt, das diesen Durchgang durch den Geist nicht gemacht hat; wie z. B. durch die Empfindung und Einsicht, aus welcher heraus in der Malerei eine Landschaft dargestellt wird, dies Geisteswerk einen höheren Rang einnimmt als die bloß natürliche Landschaft. Denn alles Geistige ist besser als jedes Naturerzeugnis. Ohnehin stellt kein Naturwesen göttliche Ideale dar, wie es die Kunst vermag.

Was nun der Geist in Kunstwerken seinem eigenen Innern entnimmt, dem weiß er auch nach seiten der äußerlichen Existenz hin eine Dauer zu geben; die einzelne Naturlebendigkeit dagegen ist vergänglich, schwindend und in ihrem Aussehen veränderlich, während das Kunstwerk sich erhält, wenn auch nicht die bloße Dauer, sondern das Herausgehobensein geistiger Beseelung seinen wahrhaftigen Vorzug der natürlichen Wirklichkeit gegenüber ausmacht.

Diese höhere Stellung des Kunstwerkes wird aber dennoch wieder von einer anderen Vorstellung des gewöhnlichen Bewußtseins bestritten. Denn die Natur und ihre Erzeugnisse, heißt es, seien ein Werk Gottes, durch seine Güte und Weisheit erschaffen, das Kunstprodukt dagegen sei nur ein Menschenwerk, nach menschlicher Einsicht von Menschenhänden gemacht. In dieser Entgegenstellung der Naturproduktion als eines göttlichen Schaffens und der menschlichen Tätigkeit als einer nur endlichen liegt sogleich der Mißverstand, als ob Gott im Menschen und durch den Menschen nicht wirke, sondern den Kreis dieser Wirksamkeit auf die Natur allein beschränke. Diese falsche Meinung ist gänzlich zu entfernen, wenn man zum wahren Begriffe der Kunst hindurchdringen will, ja es ist dieser Ansicht gegenüber die entgegengesetzte festzuhalten, daß Gott mehr Ehre von dem habe, was der Geist macht, als von den Erzeugnissen und Gebilden der Natur. Denn es ist nicht nur Göttliches im Menschen, sondern in ihm ist es in einer Form tätig, die in ganz anderer, höherer Weise dem Wesen Gottes gemäß ist [50] als in der Natur. Gott ist Geist, und im Menschen allein hat das Medium, durch welches das Göttliche hindurchgeht, die Form des bewußten, sich tätig hervorbringenden Geistes; in der Natur aber ist dies Medium das Bewußtlose, Sinnliche und Äußerliche, das an Wert dem Bewußtsein bei weitem nachsteht. Bei der Kunstproduktion nun ist Gott ebenso wirksam wie bei den Erscheinungen der Natur, das Göttliche aber, wie es im Kunstwerk sich kundgibt, hat, als aus dem Geiste erzeugt, einen entsprechenden Durchgangspunkt für seine Existenz gewonnen, während das Dasein in der bewußtlosen Sinnlichkeit der Natur keine dem Göttlichen angemessene Weise der Erscheinung ist.

d) Ist nun das Kunstwerk als Erzeugnis des Geistes vom Menschen gemacht, so fragt es sich schließlich, um aus dem Bisherigen ein tieferes Resultat zu ziehen, welches das Bedürfnis des Menschen sei, Kunstwerke zu produzieren. Auf der einen Seite kann diese Hervorbringung als ein bloßes Spiel des Zufalls und der Einfälle angesehen werden, das ebensogut zu unterlassen als auszuführen sei; denn es gebe noch andere und selbst bessere Mittel, das ins Werk zu richten, was die Kunst bezwecke, und der Mensch trage noch höhere und wichtigere Interessen in sich, als die Kunst zu befriedigen vermöge. Auf der anderen Seite aber scheint die Kunst aus einem höheren Triebe hervorzugehen und höheren Bedürfnissen, ja zuzeiten den höchsten und absoluten, Genüge zu tun, indem sie an die allgemeinsten Weltanschauungen und die religiösen Interessen ganzer Epochen und Völker gebunden ist. – Diese Frage nach dem nicht zufälligen, sondern absoluten Bedürfnis der Kunst können wir vollständig noch nicht beantworten, indem sie konkreter ist, als die Antwort hier schon ausfallen könnte. Wir müssen uns deshalb begnügen, für jetzt nur folgendes festzustellen.

Das allgemeine und absolute Bedürfnis, aus dem die Kunst (nach ihrer formellen Seite) quillt, findet seinen Ursprung darin, daß der Mensch denkendes Bewußtsein ist, d. h. daß [51] er, was er ist und was überhaupt ist, aus sich selbst für sich macht. Die Naturdinge sind nur unmittelbar und einmal, doch der Mensch als Geist verdoppelt sich, indem er zunächst wie die Naturdinge ist, sodann aber ebensosehr für sich ist, sich anschaut, sich vorstellt, denkt und nur durch dies tätige Fürsichsein Geist ist. Dies Bewußtsein von sich erlangt der Mensch in zwiefacher Weise: erstens theoretisch, insofern er im Innern sich selbst sich zum Bewußtsein bringen muß, was in der Menschenbrust sich bewegt, was in ihr wühlt und treibt, und überhaupt sich anzuschauen, vorzustellen, was der Gedanke als das Wesen findet, sich zu fixieren und in dem aus sich selbst Hervorgerufenen wie in dem von außen her Empfangenen nur sich selber zu erkennen hat. – Zweitens wird der Mensch durch praktische Tätigkeit für sich, indem er den Trieb hat, in demjenigen, was ihm unmittelbar gegeben, was für ihn äußerlich vorhanden ist, sich selbst hervorzubringen und darin gleichfalls sich selbst zu erkennen. Diesen Zweck vollführt er durch Veränderung der Außendinge, welchen er das Siegel seines Innern aufdrückt und in ihnen nun seine eigenen Bestimmungen wiederfindet. Der Mensch tut dies, um als freies Subjekt auch der Außenwelt ihre spröde Fremdheit zu nehmen und in der Gestalt der Dinge nur eine äußere Realität seiner selbst zu genießen. Schon der erste Trieb des Kindes trägt diese praktische Veränderung der Außendinge in sich; der Knabe wirft Steine in den Strom und bewundert nun, die Kreise, die im Wasser sich ziehen, als ein Werk, worin er die Anschauung des Seinigen gewinnt. Dieses Bedürfnis geht durch die vielgestaltigsten Erscheinungen durch bis zu der Weise der Produktion seiner selbst in den Außendingen, wie sie im Kunstwerk vorhanden ist. Und nicht nur mit den Außendingen verfährt der Mensch in dieser Weise, sondern ebenso mit sich selbst, seiner eigenen Naturgestalt, die er nicht läßt, wie er sie findet, sondern die er absichtlich verändert. Dies ist die Ursache allen Putzes und Schmuckes, und wäre er noch so barbarisch, geschmacklos, völlig verun[52]staltend oder gar verderblich wie die Frauenfüße der Chinesen oder Einschnitte in Ohren und Lippen. Denn nur beim Gebildeten geht die Veränderung der Gestalt, des Benehmens und jeder Art und Weise der Äußerung aus geistiger Bildung hervor.

Das allgemeine Bedürfnis zur Kunst also ist das vernünftige, daß der Mensch die innere und äußere Welt sich zum geistigen Bewußtsein als einen Gegenstand zu erheben hat, in welchem er sein eigenes Selbst wiedererkennt.

[…] [60] […]

γγ) Hieraus nun folgt, daß das Sinnliche im Kunstwerk freilich vorhanden sein müsse, aber nur als Oberfläche und Schein des Sinnlichen erscheinen dürfe. Denn der Geist sucht im Sinnlichen des Kunstwerks weder die konkrete Materiatur, die empirische innere Vollständigkeit und Ausbreitung des Organismus, welche die Begierde verlangt, noch den allgemeinen, nur ideellen Gedanken, sondern er will sinnliche Gegenwart, die zwar sinnlich bleiben, aber ebensosehr von dem Gerüste seiner bloßen Materialität befreit werden soll. Deshalb ist das Sinnliche im Kunstwerk im Vergleich mit dem unmittelbaren Dasein der Naturdinge zum bloßen Schein erhoben, und das Kunstwerk steht in der Mitte zwischen der unmittelbaren Sinnlichkeit und dem ideellen Gedanken. Es ist noch nicht reiner Gedanke, aber seiner Sinnlichkeit zum Trotz auch nicht mehr bloßes materielles Dasein, wie Steine, Pflanzen und organisches Leben, sondern das Sinnliche im Kunstwerk ist selbst ein ideelles, das aber, als nicht das Ideelle des Gedankens, zugleich als Ding noch äußerlich vorhanden ist. Dieser Schein des Sinnlichen nun tritt für den Geist, wenn er die Gegenstände frei sein läßt, [61] ohne jedoch in ihr wesentliches Inneres hinabzusteigen (wodurch sie gänzlich aufhören würden, für ihn als einzelne äußerlich zu existieren), nach außen hin als die Gestalt, das Aussehen oder als Klingen der Dinge auf. Deshalb bezieht sich das Sinnliche der Kunst nur auf die beiden theoretischen Sinne des Gesichts und Gehörs, während Geruch, Geschmack und Gefühl vom Kunstgenuß ausgeschlossen bleiben. Denn Geruch, Geschmack und Gefühl haben es mit dem Materiellen als solchem und den unmittelbar sinnlichen Qualitäten desselben zu tun; Geruch mit der materiellen Verflüchtigung durch die Luft, Geschmack mit der materiellen Auflösung der Gegenstände, und Gefühl mit Wärme, Kälte, Glätte usf. Aus diesem Grunde können es diese Sinne nicht mit den Gegenständen der Kunst zu tun haben, welche sich in ihrer realen Selbständigkeit erhalten sollen und kein nur sinnliches Verhältnis zulassen. Das für diese Sinne Angenehme ist nicht das Schöne der Kunst. Die Kunst bringt deshalb von Seiten des Sinnlichen her absichtlich nur eine Schattenwelt von Gestalten, Tönen und Anschauungen hervor, und es kann gar nicht die Rede davon sein, daß der Mensch, indem er Kunstwerke ins Dasein ruft, aus bloßer Ohnmacht und um seiner Beschränktheit willen nur eine Oberfläche des Sinnlichen, nur Schemen darzubieten wisse. Denn diese sinnlichen Gestalten und Töne treten in der Kunst nicht nur ihrer selbst und ihrer unmittelbaren Gestalt wegen auf, sondern mit dem Zweck, in dieser Gestalt höheren geistigen Interessen Befriedigung zu gewähren, da sie von allen Tiefen des Bewußtseins einen Anklang und Wiederklang im Geiste hervorzurufen mächtig sind. In dieser Weise ist das Sinnliche in der Kunst vergeistigt, da das Geistige in ihr als versinnlicht erscheint.

[…] [64] […]

3. Zweck der Kunst

Da fragt es sich nun, welches das Interesse, der Zweck sei, den sich der Mensch bei Produktion solchen Inhalts in Form von Kunstwerken vorsetzt. Dies war der dritte Gesichtspunkt, den wir in Rücksicht auf das Kunstwerk aufstellten und dessen nähere Erörterung uns endlich zu dem wahren Begriff der Kunst selbst hinüberführen wird. Werfen wir in dieser Beziehung einen Blick auf das gewöhnliche Bewußtsein, so ist seine geläufigste Vorstellung, die uns einfallen kann,

a) das Prinzip von der Nachahmung der Natur . Dieser [65] Ansicht nach soll die Nachahmung als die Geschicklichkeit, Naturgestalten, wie sie vorhanden sind, auf eine ganz entsprechende Weise nachzubilden, den wesentlichen Zweck der Kunst ausmachen, und das Gelingen dieser der Natur entsprechenden Darstellung soll die volle Befriedigung geben.

α) In dieser Bestimmung liegt zunächst nur der ganz formelle Zweck, daß, was sonst schon in der Außenwelt und wie es da ist, nun auch vom Menschen danach, so gut er es mit seinen Mitteln vermag, zum zweiten Male gemacht werde. Dies Wiederholen kann aber sogleich als eine αα) überflüssige Bemühung angesehen werden, da wir, was Gemälde, Theateraufführungen usf. nachahmend darstellen, Tiere, Naturszenen, menschliche Begebenheiten, sonst schon in unseren Gärten oder im eigenen Hause oder in Fällen aus dem engeren und weiteren Bekanntenkreise vor uns haben. Und näher kann dies überflüssige Bemühen sogar als ein übermütiges Spiel angesehen werden, das ββ) hinter der Natur zurückbleibt. Denn die Kunst ist beschränkt in ihren Darstellungsmitteln und kann nur einseitige Täuschungen, z. B. nur für einen Sinn den Schein der Wirklichkeit hervorbringen und gibt in der Tat, wenn sie bei dem formellen Zweck bloßer Nachahmung stehenbleibt, statt wirklicher Lebendigkeit überhaupt nur die Heuchelei des Lebens.

[…] [71] […] Diesen allseitigen Reichtum des Inhalts soll die Kunst einerseits ergreifen, um die natürliche Erfahrung unseres äußerlichen Daseins zu ergänzen, und andererseits jene Leidenschaften überhaupt erregen, damit die Erfahrungen des Lebens uns nicht ungerührt lassen und wir nun für alle Erscheinungen die Empfänglichkeit erlangen möchten. Solch eine Erregung geschieht nun aber in diesem Gebiete nicht durch die wirkliche Erfahrung selbst, sondern nur durch den Schein derselben, indem die Kunst ihre Produktionen täuschend an die Stelle der Wirklichkeit setzt. Die Möglichkeit dieser Täuschung durch den Schein der Kunst beruht darauf, daß alle Wirklichkeit beim Menschen [durch] das Medium der Anschauung und Vorstellung hindurchgehen muß und durch dies Medium erst in Gemüt und Willen eindringt. Hierbei nun ist es gleichgültig, ob die unmittelbare äußere Wirklichkeit ihn in Anspruch nimmt oder ob dies durch einen anderen Weg geschieht, nämlich durch Bilder, Zeichen und Vorstellungen, welche den Inhalt der Wirklichkeit in sich haben und darstellen. Der Mensch kann sich Dinge, welche nicht wirklich sind, vorstellen, als wenn sie wirklich wären. Ob es daher die äußere Wirklichkeit oder nur der Schein derselben ist, durch welche eine Lage, ein Verhältnis, irgendein Lebensinhalt überhaupt an uns gebracht wird: es bleibt für unser Gemüt dasselbe, um uns dem Wesen eines solchen Gehaltes gemäß zu betrüben und zu erfreuen, zu rühren und zu erschüttern und uns die Gefühle und Leidenschaften des Zorns, Hasses, Mitleidens, der Angst, Furcht, Liebe, Achtung [72] und Bewunderung, der Ehre und des Ruhms durchlaufen zu machen.

Diese Erweckung aller Empfindungen in uns, das Hindurchziehen unseres Gemüts durch jeden Lebensinhalt, das Verwirklichen aller dieser inneren Bewegungen durch eine nur täuschende äußere Gegenwart ist es vornehmlich, was in dieser Beziehung als die eigentümliche, ausgezeichnete Macht der Kunst angesehen wird.

Indem nun aber die Kunst auf diese Weise Gutes und Schlechtes dem Gemüt und der Vorstellung einzuprägen und zum Edelsten zu stärken wie zu den sinnlichsten, eigennützigsten Gefühlen der Lust zu entnerven die Bestimmung haben soll, so ist ihr damit noch eine ganz formelle Aufgabe gestellt, und ohne für sich festen Zweck gäbe sie dann nur die leere Form für jede mögliche Art des Inhalts und Gehalts ab.

[…] [81] […] Denn einerseits sehen wir den Menschen in der gemeinen Wirklichkeit und irdischen Zeitlichkeit befangen, von dem Bedürfnis und der Not bedrückt, von der Natur bedrängt, in die Materie, sinnlichen Zwecke und deren Genuß verstrickt, von Naturtrieben und Leidenschaften beherrscht und fortgerissen; andererseits erhebt er sich zu ewigen Ideen, zu einem Reiche des Gedankens und der Freiheit, gibt sich als Wille allgemeine Gesetze und Bestimmungen, entkleidet die Welt von ihrer belebten, blühenden Wirklichkeit und löst sie zu Abstraktionen auf, indem der Geist sein Recht und seine Würde nun allein in der Rechtlosigkeit und Mißhandlung der Natur behauptet, der er die Not und Gewalt heimgibt, welche er von ihr erfahren hat. Mit dieser Zwiespältigkeit des Lebens und Bewußtseins ist nun aber für die moderne Bildung und ihren Verstand die Forderung vorhanden, daß solch ein Widerspruch sich auflöse. Der Verstand jedoch kann sich von der Festigkeit der Gegensätze nicht lossagen; die Lösung bleibt deshalb für das Bewußtsein ein bloßes Sollen, und die Gegenwart und Wirklichkeit bewegt sich nur in der Unruhe des Herüber und Hinüber, das eine Versöhnung sucht, ohne sie zu finden. Da ergeht denn die Frage, ob solch allseitiger durchgreifender Gegensatz, der über das bloße Sollen und Postulat der Auflösung nicht hinauskommt, das an und für sich Wahre und der höchste Endzweck überhaupt sei. Ist die allgemeine Bildung in dergleichen Widerspruch hineingeraten, so wird es die Aufgabe der Philosophie, die Gegensätze aufzuheben, d. i. zu zeigen: weder der eine in seiner Abstraktion noch der andere in gleicher Einseitigkeit hätten Wahrheit, sondern seien das Sichselbstauflösende; die Wahrheit liege erst in der Versöhnung und Vermittlung beider, und diese Vermittlung sei keine bloße Forderung, son[82]dern das an und für sich Vollbrachte und stets sich Vollbringende. Diese Einsicht stimmt mit dem unbefangenen Glauben und Wollen unmittelbar zusammen, das gerade diesen aufgelösten Gegensatz stets vor der Vorstellung hat und ihn sich im Handeln zum Zwecke setzt und ausführt. Die Philosophie gibt nur die denkende Einsicht in das Wesen des Gegensatzes, insofern sie zeigt, wie das, was Wahrheit ist, nur die Auflösung desselben ist, und zwar in der Weise, daß nicht etwa der Gegensatz und seine Seiten gar nicht, sondern daß sie in Versöhnung sind.

Indem nun der letzte Endzweck, die moralische Besserung, auf einen höheren Standpunkt hindeutete, so werden wir diesen höheren Standpunkt uns auch für die Kunst vindizieren müssen. Dadurch fällt sogleich die schon bemerklich gemachte falsche Stellung fort, daß die Kunst als Mittel für moralische Zwecke und den moralischen Endzweck der Welt überhaupt durch Belehrung und Besserung zu dienen und somit ihren substantiellen Zweck nicht in sich, sondern in einem anderen habe. Wenn wir deshalb jetzt noch von einem Endzweck zu sprechen fortfahren, so ist zunächst die schiefe Vorstellung zu entfernen, welche in der Frage nach einem Zwecke die Nebenbedeutung der Frage nach einem Nutzen festhält. Das Schiefe liegt hier darin, daß sich das Kunstwerk sodann auf ein anderes beziehen soll, das als das Wesentliche, Seinsollende für das Bewußtsein hingestellt ist, so daß nun das Kunstwerk nur als ein nützliches Werkzeug zur Realisation dieses außerhalb des Kunstbereichs selbständig für sich geltenden Zwecks Gültigkeit haben würde. Hiergegen steht zu behaupten, daß die Kunst die Wahrheit in Form der sinnlichen Kunstgestaltung zu enthüllen, jenen versöhnten Gegensatz darzustellen berufen sei und somit ihren Endzweck in sich, in dieser Darstellung und Enthüllung selber habe. Denn andere Zwecke, wie Belehrung, Reinigung, Besserung, Gelderwerb, Streben nach Ruhm und Ehre, gehen das Kunstwerk als solches nichts an und bestimmen nicht den Begriff desselben.

[…] [104] […] I. Was zunächst den ersten und zweiten Teil angeht, so ist, um das Nachfolgende verständlich zu machen, sogleich wieder daran zu erinnern, daß die Idee als das Kunstschöne nicht die Idee als solche ist, wie sie eine metaphysische Logik als das Absolute aufzufassen hat, sondern die Idee, insofern sie zur Wirklichkeit fortgestaltet und mit dieser Wirklichkeit in unmittelbar entsprechende Einheit getreten ist. Denn die Idee als solche ist zwar das an und für sich Wahre selbst, aber das Wahre erst seiner noch nicht objektivierten Allgemeinheit nach; die Idee als das Kunstschöne aber ist die Idee mit der näheren Bestimmung, wesentlich individuelle Wirklichkeit zu sein sowie eine individuelle Gestaltung der Wirklichkeit mit der Bestimmung, in sich wesentlich die Idee erscheinen zu lassen. Hiernach ist schon die Forderung [105] ausgesprochen, daß die Idee und ihre Gestaltung als konkrete Wirklichkeit einander vollendet adäquat gemacht seien. So gefaßt, ist die Idee als ihrem Begriff gemäß gestaltete Wirklichkeit das Ideal. Die Aufgabe solchen Entsprechens nun könnte zunächst ganz formell in dem Sinne verstanden werden, daß die Idee diese oder jene Idee sein dürfte, wenn nur die wirkliche Gestalt, gleichgültig welche, gerade diese bestimmte Idee darstellte. Die geforderte Wahrheit des Ideals ist dann aber mit der bloßen Richtigkeit verwechselt, welche darin besteht, daß irgendeine Bedeutung auf gehörige Weise ausgedrückt und ihr Sinn deshalb in der Gestalt unmittelbar wiederzufinden sei. In diesem Sinne ist das Ideal nicht zu nehmen. Denn irgendein Inhalt kann dem Maßstabe seines Wesens nach ganz adäquat zur Darstellung kommen, ohne auf die Kunstschönheit des Ideals Anspruch machen zu dürfen. Ja, im Vergleich mit idealer Schönheit wird die Darstellung sogar mangelhaft erscheinen. In dieser Beziehung ist im voraus zu bemerken, was erst später erwiesen werden kann, daß die Mangelhaftigkeit des Kunstwerks nicht nur etwa stets als subjektive Ungeschicklichkeit anzusehen ist, sondern daß die Mangelhaftigkeit der Form auch von der Mangelhaftigkeit des Inhalts herrührt. Wie z. B. die Chinesen, Inder, Ägypter bei ihren Kunstgestalten, Götterbildern und Götzen formlos oder von schlechter, unwahrer Bestimmtheit der Form blieben und der wahren Schönheit sich nicht bemächtigen konnten, weil ihre mythologischen Vorstellungen, der Inhalt und Gedanke ihrer Kunstwerke noch in sich unbestimmt oder von schlechter Bestimmtheit, nicht aber der in sich selbst absolute Inhalt waren. Je vortrefflicher in diesem Sinne die Kunstwerke werden, von desto tieferer innerer Wahrheit ist auch ihr Inhalt und Gedanke. Und dabei ist dann nicht nur etwa an die größere oder geringere Geschicklichkeit zu denken, mit welcher die Naturgestalten, wie sie in der äußeren Wirklichkeit vorhanden sind, aufgefaßt und nachgebildet werden. Denn auf gewissen Stufen des Kunstbewußtseins und der [106] Darstellung ist das Verlassen und Verzerren der Naturgebilde nicht unabsichtliche technische Übungslosigkeit und Ungeschicklichkeit, sondern absichtliches Verändern, welches vom Inhalt, der im Bewußtsein ist, ausgeht und von demselben gefordert wird. So gibt es von dieser Seite her unvollkommene Kunst, die in technischer und sonstiger Hinsicht in ihrer bestimmten Sphäre ganz vollendet sein kann, doch dem Begriff der Kunst selbst und dem Ideal gegenüber als mangelhaft erscheint. Nur in der höchsten Kunst ist die Idee und Darstellung in dem Sinne einander wahrhaft entsprechend, daß die Gestalt der Idee in sich selbst die an und für sich wahre Gestalt ist, weil der Inhalt der Idee, welchen sie ausdrückt, selber der wahrhaftige ist. Dazu gehört, wie schon angedeutet worden, daß die Idee in sich und durch sich selbst als konkrete Totalität bestimmt sei und dadurch an sich selbst das Prinzip und Maß ihrer Besonderung und Bestimmtheit der Erscheinung habe. Die christliche Phantasie z. B. wird Gott nur in menschlicher Gestalt und deren geistigem Ausdruck darstellen können, weil Gott selber hier vollständig in sich als Geist gewußt ist. Die Bestimmtheit ist gleichsam die Brücke zur Erscheinung. Wo diese Bestimmtheit nicht Totalität ist, die aus der Idee selbst herfließt, wo die Idee nicht als die sich selbst bestimmende und besondernde vorgestellt ist, bleibt sie abstrakt und hat die Bestimmtheit und somit das Prinzip für die besondere, ihr allein gemäße Erscheinungsweise nicht in sich selbst, sondern außerhalb ihrer. Deshalb hat denn die noch abstrakte Idee auch die Gestalt noch als nicht durch sie gesetzte, äußerliche. Die in sich konkrete Idee dagegen trägt das Prinzip ihrer Erscheinungsweise in sich selbst und ist dadurch ihr eigenes freies Gestalten. So bringt erst die wahrhaft konkrete Idee die wahre Gestalt hervor, und dieses Entsprechen beider ist das Ideal.

II. Weil nun aber die Idee in dieser Weise konkrete Einheit ist, so kann diese Einheit erst durch die Auseinanderbreitung und Wiedervermittlung der Besonderheiten der Idee ins [107] Kunstbewußtsein treten, und durch diese Entwicklung erhält die Kunstschönheit eine Totalität besonderer Stufen und Formen. Nachdem wir also das Kunstschöne an und für sich betrachtet haben, müssen wir Sehen, wie das ganze Schöne sich in seine besonderen Bestimmungen zersetzt. Dies gibt, als den zweiten Teil, die Lehre von den Kunstformen. Ihren Ursprung finden diese Formen in der unterschiedenen Art, die Idee als Inhalt zu erfassen, wodurch eine Unterschiedenheit der Gestaltung, in welcher sie erscheint, bedingt ist. Die Kunstformen sind deshalb nichts als die verschiedenen Verhältnisse von Inhalt und Gestalt, Verhältnisse, welche aus der Idee selbst hervorgehen und dadurch den wahren Einteilungsgrund dieser Sphäre geben. Denn die Einteilung muß immer in dem Begriffe liegen, dessen Besonderung und Einteilung sie ist.

Wir haben hier drei Verhältnisse der Idee zu ihrer Gestaltung zu betrachten.

1. Den Anfang nämlich erstens macht die Idee, insofern sie selbst noch in ihrer Unbestimmtheit und Unklarheit oder in schlechter, unwahrer Bestimmtheit zum Gehalt der Kunstgestalten gemacht wird. Als unbestimmt hat sie an sich selbst noch nicht diejenige Individualität, welche das Ideal erheischt; ihre Abstraktion und Einseitigkeit läßt die Gestalt äußerlich mangelhaft und zufällig. Die erste Kunstform ist deshalb mehr ein bloßes Suchen der Verbildlichung als ein Vermögen wahrhafter Darstellung. Die Idee hat die Form noch in sich selber nicht gefunden und bleibt somit nur das Ringen und Streben danach. Wir können diese Form im allgemeinen die symbolische Kunstform nennen. Die abstrakte Idee hat in dieser Form ihre Gestalt außerhalb ihrer in dem natürlichen sinnlichen Stoff, von welchem nun das Gestalten ausgeht und daran gebunden erscheint. Die Gegenstände der Naturanschauungen werden einerseits zunächst gelassen, wie sie sind, doch zugleich [wird] die substantielle Idee als ihre Bedeutung in sie hineingelegt, so daß sie nun dieselbe auszudrücken den Beruf erhalten und so interpretiert [108] werden sollen, als ob in ihnen die Idee selbst gegenwärtig wäre. Dazu gehört, daß die Gegenstände der Wirklichkeit in sich eine Seite haben, nach welcher hin sie eine allgemeine Bedeutung darzustellen imstande sind. Da aber ein vollständiges Entsprechen noch nicht möglich ist, so kann dies Beziehen nur eine abstrakte Bestimmtheit betreffen, wie wenn im Löwen z. B. die Stärke gemeint ist.

Bei dieser Abstraktion der Beziehung kommt andererseits ebenso die Fremdheit der Idee und der Naturerscheinungen ins Bewußtsein, und wenn sich nun auch die Idee, welche keine andere Wirklichkeit zu ihrem Ausdruck hat, in allen diesen Gestalten ergeht, in ihrer Unruhe und Maßlosigkeit in ihnen sich sucht, aber sie dennoch sich nicht adäquat findet, so steigert sie nun die Naturgestalten und Erscheinungen der Wirklichkeit selber ins Unbestimmte und Maßlose; sie taumelt in ihnen herum, sie braut und gärt in ihnen, tut ihnen Gewalt an, verzerrt und spreizt sie unnatürlich auf und versucht, durch Zerstreuung, Unermeßlichkeit und Pracht der Gebilde die Erscheinung zur Idee zu erheben. Denn die Idee ist hier noch das mehr oder weniger Unbestimmte, Ungestaltbare, die Naturgegenstände aber in ihrer Gestalt sind durchweg bestimmt.

Bei der Unangemessenheit beider gegeneinander wird das Verhältnis der Idee zur Gegenständlichkeit daher ein negatives, denn sie als Inneres ist selbst unzufrieden mit solcher Äußerlichkeit und setzt sich als deren innere allgemeine Substanz über alle diese ihr nicht entsprechende Gestaltenfülle erhaben fort. In dieser Erhabenheit wird dann freilich die Naturerscheinung und menschliche Gestalt und Begebenheit genommen und gelassen, wie sie ist, doch zugleich als unangemessen gegen ihre Bedeutung erkannt, welche sich weit über allen Weltinhalt hinaushebt.

[…] [111] […] 3. Die romantische Kunstform hebt die vollendete Einigung der Idee und ihrer Realität wieder auf und setzt sich selbst, wenn auch auf höhere Weise, in den Unterschied und Gegensatz beider Seiten zurück, der in der symbolischen Kunst unüberwunden geblieben war. Die klassische Kunstform nämlich hat das Höchste erreicht, was die Versinnlichung der Kunst zu leisten vermag, und wenn an ihr etwas mangelhaft ist, so ist es nur die Kunst selber und die Beschränktheit der Kunstsphäre. Diese Beschränktheit ist darin zu setzen, daß die Kunst überhaupt das seinem Begriff nach unendliche konkrete Allgemeine, den Geist, in sinnlich konkreter Form zum Gegenstande macht und im Klassischen die vollendete Ineinsbildung des geistigen und des sinnlichen Daseins als Entsprechen beider hinstellt. Bei diesem Verschmolzensein aber kommt in der Tat der Geist nicht seinem wahren Begriffe nach zur Darstellung. Denn der Geist ist die unendliche Subjektivität der Idee, die als absolute Innerlichkeit sich nicht frei für sich herauszugestalten vermag, wenn sie im Leiblichen als in ihrem gemäßen Dasein ergossen bleiben soll. Aus diesem Prinzip heraus hebt die romantische Kunstform jene ungetrennte Einheit der klassischen wieder auf, weil sie einen Inhalt gewonnen hat, der über die klassische Kunstform und deren Ausdrucksweise hinausgeht. Dieser Inhalt – um an bekannte Vorstellungen zu erinnern – fällt mit dem zusammen, was das Christentum von Gott als Geist aussagt, im Unterschiede des griechischen Götterglaubens, welcher den wesentlichen und angemessensten Inhalt für die klassische Kunst ausmacht. In dieser ist der konkrete Inhalt an sich die Einheit menschlicher und göttlicher Natur, eine Einheit, welche, eben weil sie nur unmittelbar und an sich ist, auch auf unmittelbare und sinnliche Weise zur adäquaten Manifestation kommt. Der griechische Gott ist für die unbefangene Anschauung und sinnliche [112] Vorstellung und deshalb seine Gestalt die leibliche des Menschen, der Kreis seiner Macht und seines Wesens ein individuell besonderer und dem Subjekt gegenüber eine Substanz und Macht, mit der das subjektive Innere nur an sich in Einheit ist, nicht aber diese Einheit als innerliches subjektives Wissen selber hat. Die höhere Stufe nun ist das Wissen dieser an sich seienden Einheit, wie die klassische Kunstform dieselbe zu ihrem im Leiblichen vollendet darstellbaren Gehalte hat. Dies Erheben aber des Ansich ins selbstbewußte Wissen bringt einen ungeheuren Unterschied hervor. Es ist der unendliche Unterschied, der z. B. den Menschen überhaupt vom Tiere trennt. Der Mensch ist Tier, doch selbst in seinen tierischen Funktionen bleibt er nicht als in einem Ansich stehen wie das Tier, sondern wird ihrer bewußt, erkennt sie und erhebt sie, wie z. B. den Prozeß der Verdauung, zu selbstbewußter Wissenschaft. Dadurch löst der Mensch die Schranke seiner ansichseienden Unmittelbarkeit auf, so daß er deshalb gerade, weil er weiß, daß er Tier ist, aufhört, Tier zu sein, und sich das Wissen seiner als Geist gibt. – Wird nun in solcher Weise das Ansich der vorigen Stufe, die Einheit menschlicher und göttlicher Natur, aus einer unmittelbaren zu einer bewußten Einheit erhoben, so ist das wahre Element für die Realität dieses Inhalts nicht mehr das sinnliche unmittelbare Dasein des Geistigen, die leibliche menschliche Gestalt, sondern die selbstbewußte Innerlichkeit. Deshalb tritt nun das Christentum, weil es Gott als Geist, und nicht als individuellen, besonderen Geist, sondern als absoluten, im Geist und in der Wahrheit zur Vorstellung bringt, von der Sinnlichkeit des Vorstellens in die geistige Innerlichkeit zurück und macht diese und nicht das Leibliche zum Material und Dasein ihres Gehaltes. Ebenso ist die Einheit der menschlichen und göttlichen Natur eine gewußte und nur durch das geistige Wissen und im Geist zu realisierende Einheit. Der neue, dadurch errungene Inhalt ist deswegen nicht an die sinnliche Darstellung, als entsprechende, gebunden, sondern befreit von [113] diesem unmittelbaren Dasein, welches negativ gesetzt, überwunden und in die geistige Einheit reflektiert werden muß. In dieser Weise ist die romantische Kunst das Hinausgehen der Kunst über sich selbst, doch innerhalb ihres eigenen Gebiets und in Form der Kunst selber.

Wir können deshalb kurz dabei stehenbleiben, daß auf dieser dritten Stufe die freie konkrete Geistigkeit, die als Geistigkeit für das geistige Innere erscheinen soll, den Gegenstand ausmacht. Die Kunst, diesem Gegenstande gemäß, kann daher einerseits nicht für die sinnliche Anschauung arbeiten, sondern für die mit ihrem Gegenstande einfach als mit sich selbst zusammengehende Innerlichkeit, für die subjektive Innigkeit, das Gemüt, die Empfindung, welche als geistige zur Freiheit in sich selber hinstrebt und ihre Versöhnung nur im inneren Geiste sucht und hat. Diese innere Welt macht den Inhalt des Romantischen aus und wird deshalb als dieses Innere und im Schein dieser Innigkeit zur Darstellung gebracht werden müssen. Die Innerlichkeit feiert ihren Triumph über das Äußere und läßt im Äußeren selbst und an demselben diesen Sieg erscheinen, durch welchen das sinnlich Erscheinende zur Wertlosigkeit herniedersinkt.

Andererseits aber bedarf auch diese Form, wie alle Kunst, der Äußerlichkeit zu ihrem Ausdrucke. Indem nun die Geistigkeit sich in sich selbst aus dem Äußeren und der unmittelbaren Einheit mit demselben zurückgezogen hat, so wird die sinnliche Äußerlichkeit des Gestaltens eben deswegen wie im Symbolischen als unwesentliche, vorübergehende, und in gleicher Weise der subjektive endliche Geist und Wille bis zur Partikularität und Willkür der Individualität, des Charakters, Tuns usf., der Begebenheit, Verwicklung usf. aufgenommen und zur Darstellung gebracht. Die Seite des äußeren Daseins ist der Zufälligkeit überantwortet und den Abenteuern der Phantasie preisgegeben, deren Willkür ebenso das Vorhandene, wie es vorhanden ist, widerspiegeln als auch die Gestalten der Außenwelt durch[114]einanderwürfeln und fratzenhaft verziehen kann. – Denn dies Äußere hat seinen Begriff und Bedeutung nicht mehr wie im Klassischen in sich und an sich selber, sondern im Gemüt, das seine Erscheinung, statt im Äußeren und dessen Form der Realität, in sich selber findet und dies Versöhntsein mit sich in allem Zufall, allem für sich sich gestaltenden Akzidentellen, allem Unglück und Schmerz, ja im Verbrechen selber zu bewahren oder wiederzugewinnen vermag.

Dadurch kommt die Gleichgültigkeit, Unangemessenheit und Trennung von Idee und Gestalt – wie im Symbolischen – von neuem hervor, doch mit dem wesentlichen Unterschiede, daß im Romantischen die Idee, deren Mangelhaftigkeit im Symbol die Mängel des Gestaltens herbeiführte, nun als Geist und Gemüt in sich vollendet zu erscheinen hat und aus dem Grunde dieser höheren Vollendung sich der entsprechenden Vereinigung mit dem Äußeren entzieht, indem sie ihre wahre Realität und Erscheinung nur in sich selber suchen und vollbringen kann.

[…] [127] Stellung der Kunst im Verhältnis zur endlichen Wirklichkeit und zur Religion und Philosophie

Indem wir aus der Einleitung in die wissenschaftliche Betrachtung unseres Gegenstandes hineintreten, ist es vorerst die allgemeine Stellung des Kunstschönen im Gebiete der Wirklichkeit überhaupt sowie der Ästhetik im Verhältnis zu anderen philosophischen Disziplinen, welche wir kurz zu bezeichnen haben, um den Punkt auszumachen, von welchem eine wahre Wissenschaft des Schönen ausgehen müsse.

Da könnte es zweckmäßig scheinen, zunächst von den verschiedenen Versuchen, das Schöne denkend zu fassen, eine Erzählung zu geben und diese Versuche zu zergliedern und zu beurteilen. Doch ist dies teils in der Einleitung bereits geschehen, teils kann es überhaupt einer wahrhaften Wissenschaftlichkeit nicht darauf ankommen, nur nachzusehen, was andere recht oder unrecht gemacht haben, oder von ihnen nur zu lernen. Eher schon ließe sich umgekehrt noch einmal darüber ein Wort vorausschicken, daß viele der Meinung sind, das Schöne ließe sich überhaupt, eben darum, weil es das Schöne sei, nicht in Begriffe fassen und bleibe daher für das Denken ein unbegreiflicher Gegenstand. Auf solche Behauptung ist an dieser Stelle kurz zu erwidern, daß, wenn auch heutigentags alles Wahre für unbegreiflich und nur die Endlichkeit der Erscheinung und die zeitliche Zufälligkeit für begreiflich ausgegeben wird, gerade das Wahre allein schlechthin begreiflich ist, weil es den absoluten Begriff und näher die Idee zu seiner Grundlage hat. Die Schönheit aber ist nur eine bestimmte Weise der Äußerung und Darstellung des Wahren und steht deshalb dem begreifenden Denken, wenn es wirklich mit der Macht des Begriffes ausgerüstet ist, durchaus nach allen Seiten hin offen. Freilich ist es in neuerer Zeit keinem Begriffe schlechter gegangen als dem Begriffe selber, dem Begriffe an und für sich, denn unter Begriff [128] pflegt man gewöhnlich eine abstrakte Bestimmtheit und Einseitigkeit des Vorstellens oder des verständigen Denkens zu verstehen, mit welcher natürlich weder die Totalität des Wahren noch die in sich konkrete Schönheit denkend kann zum Bewußtsein gebracht werden. Denn die Schönheit, wie bereits gesagt und später noch auszuführen ist, ist nicht solche Abstraktion des Verstandes, sondern der in sich selbst konkrete absolute Begriff und, bestimmter gefaßt, die absolute Idee in ihrer sich selbst gemäßen Erscheinung.

Wenn wir, was die absolute Idee in ihrer wahrhaftigen Wirklichkeit sei, kurz bezeichnen wollen, so müssen wir sagen, sie sei Geist, und zwar nicht etwa der Geist in seiner endlichen Befangenheit und Beschränktheit, sondern der allgemeine unendliche und absolute Geist, der aus sich selber bestimmt, was wahrhaft das Wahre ist. Fragen wir nur unser gewöhnliches Bewußtsein, so drängt sich freilich vom Geist die Vorstellung auf, als ob er der Natur gegenüberstehe, der wir dann die gleiche Würde zuschreiben. Doch in diesem Nebeneinander und Bezogensein der Natur und des Geistes als gleich wesentlicher Gebiete ist der Geist nur in seiner Endlichkeit und Schranke, nicht in seiner Unendlichkeit und Wahrheit betrachtet. Dem absoluten Geiste nämlich steht die Natur weder als von gleichem Werte noch als Grenze gegenüber, sondern erhält die Stellung, durch ihn gesetzt zu sein, wodurch sie ein Produkt wird, dem die Macht einer Grenze und Schranke genommen ist. Zugleich ist der absolute Geist nur als absolute Tätigkeit und damit als absolute Unterscheidung seiner in sich selbst zu fassen. Dies Andere nun, als das er sich von sich unterscheidet, ist einerseits eben die Natur, und der Geist [ist] die Güte, diesem Anderen seiner selbst die ganze Fülle seines eigenen Wesens zu geben. Die Natur haben wir deshalb selber als die absolute Idee in sich tragend zu begreifen, aber sie ist die Idee in der Form, durch den absoluten Geist als das Andere des Geistes gesetzt zu sein. Wir nennen sie insofern ein Geschaffenes. Ihre Wahrheit aber ist deshalb das Setzende [129] selber, der Geist als die Idealität und Negativität, indem er sich zwar in sich besondert und negiert, aber diese Besonderung und Negation seiner als die durch ihn gesetzte ebenso aufhebt und, statt darin eine Grenze und Schranke zu haben, mit seinem Anderen sich in freier Allgemeinheit mit sich selbst zusammenschließt. Diese Idealität und unendliche Negativität macht den tiefen Begriff der Subjektivität des Geistes aus. Als Subjektivität nun aber ist der Geist zunächst nur erst an sich die Wahrheit der Natur, indem er seinen wahren Begriff noch nicht für sich selber gemacht hat. Die Natur steht ihm somit nicht als das durch ihn gesetzte Andere, in welchem er zu sich selber zurückkehrt, gegenüber, sondern als unüberwundenes, beschränkendes Anderssein, auf welches, als auf ein vorgefundenes Objekt, der Geist als das Subjektive in seiner Existenz des Wissens und Wollens bezogen bleibt und nur die andere Seite zur Natur zu bilden vermag. In diese Sphäre fällt die Endlichkeit des theoretischen sowohl als des praktischen Geistes, die Beschränktheit im Erkennen und das bloße Sollen im Realisieren des Guten. Auch hier wie in der Natur ist die Erscheinung ihrem wahrhaften Wesen ungleich, und wir erhalten noch den verwirrenden Anblick von Geschicklichkeiten, Leidenschaften, Zwecken, Ansichten und Talenten, die sich suchen und fliehen, für- und gegeneinander arbeiten und sich durchkreuzen, während sich bei ihrem Wollen und Bestreben, Meinen und Denken die mannigfaltigsten Gestalten des Zufalls fördernd oder störend einmischen. Dies ist der Standpunkt des nur endlichen, zeitlichen, widersprechenden und dadurch vergänglichen, unbefriedigten und unseligen Geistes. Denn die Befriedigungen, die diese Sphäre bietet, sind in der Gestalt ihrer Endlichkeit selbst immer noch beschränkt und verkümmert, relativ und vereinzelt. Der Blick, das Bewußtsein, Wollen und Denken erhebt sich deshalb über sie und sucht und findet seine wahre Allgemeinheit, Einheit und Befriedigung anderswo: im Unendlichen und Wahren. Diese Einheit und Befriedigung, zu welcher die treibende Vernünftigkeit [129] des Geistes den Stoff seiner Endlichkeit hinaufhebt, ist dann erst die wahre Enthüllung dessen, was die Erscheinungswelt ihrem Begriff nach ist. Der Geist erfaßt die Endlichkeit selber als das Negative seiner und erringt sich dadurch seine Unendlichkeit. Diese Wahrheit des endlichen Geistes ist der absolute Geist. – In dieser Form nun aber wird der Geist nur wirklich als absolute Negativität; er setzt in sich selber seine Endlichkeit und hebt sie auf. Dadurch macht er sich in seinem höchsten Gebiete für sich selbst zum Gegenstande seines Wissens und Wollens. Das Absolute selber wird Objekt des Geistes, indem der Geist auf die Stufe des Bewußtseins tritt und sich in sich als Wissendes und diesem gegenüber als absoluter Gegenstand des Wissens unterscheidet. Von dem früheren Standpunkte der Endlichkeit des Geistes aus ist der Geist, der von dem Absoluten als gegenüberstehendem unendlichen Objekte weiß, dadurch als das davon unterschiedene Endliche bestimmt. In der höheren spekulativen Betrachtung aber ist es der absolute Geist selber, der, um für sich das Wissen seiner selbst zu sein, sich in sich unterscheidet und dadurch die Endlichkeit des Geistes setzt, innerhalb welcher er sich absoluter Gegenstand des Wissens seiner selber wird. So ist er absoluter Geist in seiner Gemeinde, das als Geist und Wissen seiner wirkliche [sic] Absolute.

Dies ist der Punkt, bei welchem wir in der Philosophie der Kunst zu beginnen haben. Denn das Kunstschöne ist weder die logische Idee, der absolute Gedanke, wie er im reinen Elemente des Denkens sich entwickelt, noch ist es umgekehrt die natürliche Idee, sondern es gehört dem geistigen Gebiete an, ohne jedoch bei den Erkenntnissen und Taten des endlichen Geistes stehenzubleiben. Das Reich der schönen Kunst ist das Reich des absoluten Geistes. Daß dies der Fall sei, können wir hier nur andeuten; der wissenschaftliche Beweis fällt den vorangehenden philosophischen Disziplinen anheim; der Logik, deren Inhalt die absolute Idee als solche ist, der Naturphilosophie wie der Philosophie der endlichen Sphären des Geistes. Denn in diesen Wissenschaften hat sich [131] darzutun, wie die logische Idee ihrem eigenen Begriff nach sich ebensosehr in das Dasein der Natur umzusetzen als aus dieser Äußerlichkeit zum Geist und aus der Endlichkeit desselben wiederum zum Geist in seiner Ewigkeit und Wahrheit zu befreien hat.

Aus diesem Standpunkte, welcher der Kunst in ihrer höchsten, wahrhaften Würde gebührt, erhellt sogleich, daß sie mit Religion und Philosophie sich auf demselben Gebiete befindet. In allen Sphären des absoluten Geistes enthebt der Geist sich den beengenden Schranken seines Daseins, indem er sich aus den zufälligen Verhältnissen seiner Weltlichkeit und dem endlichen Gehalte seiner Zwecke und Interessen zu der Betrachtung und dem Vollbringen seines Anundfürsichseins erschließt.

Diese Stellung der Kunst im Gesamtgebiete des natürlichen und geistigen Lebens können wir zum näheren Verständnis konkreter in folgender Weise auffassen. Überblicken wir den totalen Inhalt unseres Daseins, so finden wir schon in unserem gewöhnlichen Bewußtsein die größte Mannigfaltigkeit der Interessen und ihrer Befriedigung. Zunächst das weite System der physischen Bedürfnisse, für welche die großen Kreise der Gewerbe in ihrem breiten Betrieb und Zusammenhang, Handel, Schiffahrt und die technischen Künste arbeiten; höher hinauf die Welt des Rechts, der Gesetze, das Leben in der Familie, die Sonderung der Stände, das ganze umfassende Gebiet des Staats; sodann das Bedürfnis der Religion, das sich in jedem Gemüte finden und in dem kirchlichen Leben sein Genügen erhält; endlich die vielfach geschiedene und verschlungene Tätigkeit in der Wissenschaft, die Gesamtheit der Kenntnis und Erkenntnis welche alles in sich faßt. Innerhalb dieser Kreise tut sich nun auch die Tätigkeit in der Kunst, das Interesse für die Schönheit und die geistige Befriedigung in deren Gebilden hervor. Da fragt es sich nun nach der inneren Notwendigkeit solch eines Bedürfnisses im Zusammenhange der übrigen Lebens- und Weltgebiete. Zunächst finden wir diese Sphären nur [132] überhaupt als vorhandene vor. Der wissenschaftlichen Forderung nach handelt es sich aber um die Einsicht in ihren wesentlichen inneren Zusammenhang und ihre wechselseitige Notwendigkeit. Denn sie stehen nicht etwa nur im Verhältnis des bloßen Nutzens zueinander, sondern vervollständigen sich, insofern in dem einen Kreise höhere Weisen der Tätigkeit liegen als in dem anderen; weshalb der untergeordnetere über sich selbst hinausdrängt und nun durch tiefere Befriedigung weitergreifender Interessen das ergänzt wird, was in einem früheren Gebiete keine Erledigung finden kann. Erst dies gibt die Notwendigkeit eines inneren Zusammenhanges.

Erinnern wir uns desjenigen, was wir schon über den Begriff des Schönen und der Kunst festgestellt haben, so fanden wir darin Gedoppeltes: erstens einen Inhalt, einen Zweck, eine Bedeutung, sodann den Ausdruck, die Erscheinung und Realität dieses Inhalts, und beide Seiten drittens so voneinander durchdrungen, daß das Äußere, Besondere ausschließlich als Darstellung des Inneren erscheint. Im Kunstwerk ist nichts vorhanden, als was wesentliche Beziehung auf den Inhalt hat und ihn ausdrückt. Was wir den Inhalt, die Bedeutung nannten, ist das in sich Einfache, die Sache selbst auf ihre einfachsten, wenn auch umfassenden Bestimmungen zurückgebracht, im Unterschiede der Ausführung. So läßt z. B. sich der Inhalt eines Buches in ein paar Worten oder Sätzen anzeigen, und es darf nichts anderes im Buche vorkommen, als wovon im Inhalt das Allgemeine bereits angegeben ist. Dies Einfache, dies Thema gleichsam, das die Grundlage für die Ausführung bildet, ist das Abstrakte, die Ausführung dagegen erst das Konkrete.

Beide Seiten nun aber dieses Gegensatzes haben nicht die Bestimmung, gleichgültig und äußerlich nebeneinander zu bleiben – wie z. B. einer mathematischen Figur, Dreieck, Ellipse, als dem in sich einfachen Inhalt, in der äußeren Erscheinung die bestimmte Größe, Farbe usf. gleichgültig ist –, sondern die als bloßer Inhalt abstrakte Bedeutung hat [133] in sich selbst die Bestimmung, zur Ausführung zu kommen und sich dadurch konkret zu machen. Damit tritt wesentlich ein Sollen ein. Wie sehr auch ein Gehalt für sich selber gelten kann, so sind wir doch mit dieser abstrakten Geltung nicht zufrieden und verlangen nach Weiterem. Zunächst ist dies nur ein unbefriedigtes Bedürfnis und im Subjekt als etwas Ungenügendes, das sich aufzuheben und zur Befriedigung fortzuschreiten strebt. Wir können in diesem Sinne sagen, der Inhalt sei zunächst subjektiv, ein nur Inneres, dem gegenüber das Objektive steht, so daß nun die Forderung darauf hinausläuft, dies Subjektive zu objektivieren. Solch ein Gegensatz des Subjektiven und der gegenüberliegenden Objektivität, sowie das Sollen, ihn aufzuheben, ist eine schlechthin allgemeine Bestimmung, welche sich durch alles hindurchzieht. Schon unsere physische Lebendigkeit und mehr noch die Welt unserer geistigen Zwecke und Interessen beruht auf der Forderung, was zunächst nur subjektiv und innerlich da ist, durchzuführen durch die Objektivität und dann erst in diesem vollständigen Dasein sich befriedigt zu finden. Indem nun der Inhalt der Interessen und Zwecke zunächst nur in der einseitigen Form des Subjektiven vorhanden und die Einseitigkeit eine Schranke ist, erweist sich dieser Mangel zugleich als eine Unruhe, ein Schmerz, als etwas Negatives, das sich als Negatives aufzuheben hat und deshalb, dem empfundenen Mangel abzuhelfen, die gewußte, gedachte Schranke zu überschreiten treibt. Und zwar nicht in dem Sinne, daß dem Subjektiven überhaupt nur die andere Seite, das Objektive, abgehe, sondern in dem bestimmteren Zusammenhange, daß dies Fehlen im Subjektiven selbst und für dasselbe ein Mangel und eine Negation in ihm selber sei, welche es wieder zu negieren strebt. An sich selbst nämlich, seinem Begriffe nach, ist das Subjekt das Totale, nicht das Innere allein, sondern ebenso auch die Realisation dieses Inneren am Äußeren und in demselben. Existiert es nun einseitig nur in der einen Form, so gerät es dadurch gerade in den Widerspruch, dem Begriff nach das Ganze, seiner [134] Existenz nach aber nur die eine Seite zu sein. Erst durch das Aufheben solcher Negation in sich selbst wird sich daher das Leben affirmativ. Diesen Prozeß des Gegensatzes, Widerspruches und der Lösung des Widerspruches durchzumachen ist das höhere Vorrecht lebendiger Naturen; was von Hause aus nur affirmativ ist und bleibt, ist und bleibt ohne Leben. Das Leben geht zur Negation und deren Schmerz fort und ist erst durch die Tilgung des Gegensatzes und Widerspruches für sich selbst affirmativ. Bleibt es freilich beim bloßen Widerspruche, ohne ihn zu lösen, stehen, dann geht es an dem Widerspruch zugrunde.

Dies wären, in ihrer Abstraktion betrachtet, die Bestimmungen, deren wir an dieser Stelle bedürfen.

Den höchsten Inhalt nun, welchen das Subjektive in sich zu befassen vermag, können wir kurzweg die Freiheit nennen. Die Freiheit ist die höchste Bestimmung des Geistes. Zunächst ihrer ganz formellen Seite nach besteht sie darin, daß das Subjekt in dem, was demselben gegenübersteht, nichts Fremdes, keine Grenze und Schranke hat, sondern sich selber darin findet. Schon dieser formellen Bestimmung nach ist dann alle Not und jedes Unglück verschwunden, das Subjekt mit der Welt ausgesöhnt, in ihr befriedigt und jeder Gegensatz und Widerspruch gelöst. Näher aber hat die Freiheit das Vernünftige überhaupt zu ihrem Gehalte: die Sittlichkeit z. B. im Handeln, die Wahrheit im Denken. Indem nun aber die Freiheit selbst zunächst nur subjektiv und nicht ausgeführt ist, steht dem Subjekt das Unfreie, das nur Objektive als die Naturnotwendigkeit gegenüber, und es entsteht sogleich die Forderung, diesen Gegensatz zur Versöhnung zu bringen. Auf der anderen Seite findet sich im Inneren und Subjektiven selbst ein ähnlicher Gegensatz. Zur Freiheit gehört einerseits das in sich selbst Allgemeine und Selbständige, die allgemeinen Gesetze des Rechts, des Guten, Wahren usf., auf der anderen Seite stellen sich die Triebe des Menschen, die Empfindungen, die Neigungen, Leidenschaften und alles, was das konkrete Herz des Menschen als einzelnen in [135] sich faßt. Auch dieser Gegensatz geht zum Kampfe, zum Widerspruche fort, und in diesem Streite entsteht dann alle Sehnsucht, der tiefste Schmerz, die Plage und Befriedigungslosigkeit überhaupt. Die Tiere leben in Frieden mit sich und den Dingen um sie her, doch die geistige Natur des Menschen treibt die Zweiheit und Zerrissenheit hervor, in deren Widerspruch er sich herumschlägt. Denn in dem Innern als solchem, in dem reinen Denken, in der Welt der Gesetze und deren Allgemeinheit kann der Mensch nicht aushalten, sondern bedarf auch des sinnlichen Daseins, des Gefühls, Herzens, Gemüts usf. Die Philosophie denkt den Gegensatz, der dadurch hereinkommt, wie er ist, seiner durchgreifenden Allgemeinheit nach und geht auch zur Aufhebung desselben in gleich allgemeiner Weise fort; der Mensch aber in der Unmittelbarkeit des Lebens dringt auf eine unmittelbare Befriedigung. Solche Befriedigung durch das Auflösen jenes Gegensatzes finden wir am nächsten im System der sinnlichen Bedürfnisse. Hunger, Durst, Müdigkeit, Essen, Trinken, Sattigkeit, Schlaf usf. sind in dieser Sphäre Beispiele solch eines Widerspruchs und seiner Lösung. Doch in diesem Naturgebiete des menschlichen Daseins ist der Inhalt der Befriedigungen endlicher und beschränkter Art; die Befriedigung ist nicht absolut und geht deshalb auch zu neuer Bedürftigkeit rastlos wieder fort; das Essen, die Sättigung, das Schlafen hilft nichts, der Hunger, die Müdigkeit fangen morgen von vorn wieder an. Weiter sodann im Elemente des Geistigen erstrebt der Mensch eine Befriedigung und Freiheit im Wissen und Wollen, in Kenntnissen und Handlungen. Der Unwissende ist unfrei, denn ihm gegenüber steht eine fremde Welt, ein Drüben und Draußen, von welchem er abhängt, ohne daß er diese fremde Welt für sich selber gemacht hätte und dadurch in ihr als in dem Seinigen bei sich selber wäre. Der Trieb der Wißbegierde, der Drang nach Kenntnis, von der untersten Stufe an bis zur höchsten Staffel philosophischer Einsicht hinauf, geht nur aus dem Streben hervor, jenes Verhältnis der Unfreiheit aufzuheben [136] und sich die Welt in der Vorstellung und im Denken zu eigen zu machen. In der umgekehrten Weise geht die Freiheit im Handeln darauf aus, daß die Vernunft des Willens Wirklichkeit erlange. Diese Vernunft verwirklicht der Wille im Staatsleben. Im wahrhaft vernünftig gegliederten Staat sind alle Gesetze und Einrichtungen nichts als eine Realisation der Freiheit nach deren wesentlichen Bestimmungen. Ist dies der Fall, so findet die einzelne Vernunft in diesen Institutionen nur die Wirklichkeit ihres eigenen Wesens und geht, wenn sie diesen Gesetzen gehorcht, nicht mit dem ihr Fremden, sondern nur mit ihrem Eigenen zusammen. Willkür heißt man zwar oft gleichfalls Freiheit; doch Willkür ist nur die unvernünftige Freiheit, das Wählen und Selbstbestimmen nicht aus der Vernunft des Willens, sondern aus zufälligen Trieben und deren Abhängigkeit von Sinnlichem und Äußerem.

Die physischen Bedürfnisse, das Wissen und Wollen des Menschen erhalten nun also in der Tat eine Befriedigung in der Welt und lösen den Gegensatz von Subjektivem und Objektivem, von innerer Freiheit und äußerlich vorhandener Notwendigkeit in freier Weise auf. Der Inhalt aber dieser Freiheit und Befriedigung bleibt dennoch beschränkt, und so behält auch die Freiheit und das Sichselbstgenügen eine Seite der Endlichkeit. Wo aber Endlichkeit ist, da bricht auch der Gegensatz und Widerspruch stets wieder von neuem durch, und die Befriedigung kommt über das Relative nicht hinaus. Im Recht und seiner Wirklichkeit z. B. ist zwar meine Vernünftigkeit, mein Wille und dessen Freiheit anerkannt, ich gelte als Person und werde als solche respektiert; ich habe Eigentum, und es soll mir zu eigen bleiben; kommt es in Gefahr, so verschafft mir das Gericht mein Recht. Diese Anerkennung aber und Freiheit betrifft nur immer wieder einzelne relative Seiten und deren einzelne Objekte: dies Haus, diese Summe Geldes, dies bestimmte Recht, Gesetz usf., diese einzelne Handlung und Wirklichkeit. Was das Bewußtsein darin vor sich hat, sind Einzelheiten, welche sich wohl zueinander verhalten und eine Gesamtheit der Bezie[136]hungen ausmachen, aber in selbst nur relativen Kategorien und unter mannigfachen Bedingnissen, bei deren Herrschaft die Befriedigung ebensosehr momentan eintreten als auch ausbleiben kann. Nun bildet zwar weiter hinauf das Staatsleben als Ganzes eine in sich vollendete Totalität; Fürst, Regierung, Gerichte, Militär, Einrichtung der bürgerlichen Gesellschaft, Geselligkeit usf., die Rechte und Pflichten, die Zwecke und ihre Befriedigung, die vorgeschriebenen Handlungsweisen, die Leistungen, wodurch dies Ganze seine stete Wirklichkeit bewerkstelligt und behält – dieser gesamte Organismus ist in einem echten Staate rund, vollständig und ausgeführt in sich. Das Prinzip selbst aber, als dessen Wirklichkeit das Staatsleben da ist und worin der Mensch seine Befriedigung sucht, ist, wie mannigfaltig es auch in seiner inneren und äußeren Gliederung sich entfalten mag, dennoch ebensosehr wieder einseitig und abstrakt in sich selbst. Es ist nur die vernünftige Freiheit des Willens, welche darin sich expliziert; es ist nur der Staat, und wiederum nur dieser einzelne Staat, und dadurch selbst wieder eine besondere Sphäre des Daseins und deren vereinzelte Realität, in welcher die Freiheit wirklich wird. So fühlt der Mensch auch, daß die Rechte und Verpflichtungen in diesen Gebieten und ihrer weltlichen und selbst wieder endlichen Weise des Daseins nicht ausreichend sind; daß sie in ihrer Objektivität wie in Beziehung auf das Subjekt noch einer höheren Bewährung und Sanktionierung bedürfen.

Was der in dieser Beziehung von allen Seiten her in Endlichkeit verstrickte Mensch sucht, ist die Region einer höheren, substantielleren Wahrheit, in welcher alle Gegensätze und Widersprüche des Endlichen ihre letzte Lösung und die Freiheit ihre volle Befriedigung finden können. Dies ist die Region der Wahrheit an sich selbst, nicht des relativ Wahren. Die höchste Wahrheit, die Wahrheit als solche, ist die Auflösung des höchsten Gegensatzes und Widerspruchs. In ihr hat der Gegensatz von Freiheit und Notwendigkeit, von Geist und Natur, von Wissen und Gegenstand, Gesetz und [138] Trieb, der Gegensatz und Widerspruch überhaupt, welche Form er auch annehmen möge, als Gegensatz und Widerspruch keine Geltung und Macht mehr. Durch sie erweist sich, daß weder die Freiheit für sich als subjektive, abgesondert von der Notwendigkeit, absolut ein Wahres sei, noch ebenso der Notwendigkeit, für sich isoliert, Wahrhaftigkeit dürfe zugeschrieben werden. Das gewöhnliche Bewußtsein dagegen kommt über diesen Gegensatz nicht hinaus und verzweifelt entweder in dem Widerspruch oder wirft ihn fort und hilft sich sonst auf andere Weise. Die Philosophie aber tritt mitten in die sich widersprechenden Bestimmungen hinein, erkennt sie ihrem Begriff nach, d. h. als in ihrer Einseitigkeit nicht absolut, sondern sich auflösend, und setzt sie in die Harmonie und Einheit, welche die Wahrheit ist. Diesen Begriff der Wahrheit zu fassen, ist die Aufgabe der Philosophie. Nun erkennt zwar die Philosophie den Begriff in allem und ist dadurch allein begreifendes, wahrhaftiges Denken, doch ein anderes ist der Begriff, die Wahrheit an sich und die ihr entsprechende oder nichtentsprechende Existenz. In der endlichen Wirklichkeit erscheinen die Bestimmungen, welche der Wahrheit zugehören, als ein Außereinander, als eine Trennung dessen, was seiner Wahrheit nach untrennbar ist. So ist das Lebendige z. B. Individuum, tritt aber als Subjekt ebensosehr in Gegensatz gegen eine umgebende unorganische Natur. Nun enthält der Begriff allerdings diese Seiten, doch als ausgesöhnte; die endliche Existenz aber treibt sie auseinander und ist dadurch eine dem Begriff und der Wahrheit ungemäße Realität. In dieser Weise ist der Begriff wohl überall; der Punkt jedoch, auf welchen es ankommt, besteht darin, ob der Begriff auch seiner Wahrheit nach in dieser Einheit wirklich wird, in welcher die besonderen Seiten und Gegensätze in keiner realen Selbständigkeit und Festigkeit gegeneinander verharren, sondern nur noch als ideelle, zu freiem Einklang versöhnte Momente gelten. Die Wirklichkeit dieser höchsten Einheit erst ist die Region der Wahrheit, Freiheit und Be[139]friedigung. Wir können das Leben in dieser Sphäre, diesen Genuß der Wahrheit, welcher als Empfindung Seligkeit, als Denken Erkenntnis ist, im allgemeinen als das Leben in der Religion bezeichnen. Denn die Religion ist die allgemeine Sphäre, in welcher die eine konkrete Totalität dem Menschen als sein eigenes Wesen und als das der Natur zum Bewußtsein kommt und diese eine wahrhaftige Wirklichkeit allein sich ihm als die höchste Macht über das Besondere und Endliche erweist, durch welche alles sonst Zertrennte und Entgegengesetzte zur höheren und absoluten Einheit zurückgebracht wird.

Durch die Beschäftigung mit dem Wahren als dem absoluten Gegenstande des Bewußtseins gehört nun auch die Kunst der absoluten Sphäre des Geistes an und steht deshalb mit der Religion im spezielleren Sinne des Worts wie mit der Philosophie ihrem Inhalte nach auf ein und demselben Boden. Denn auch die Philosophie hat keinen anderen Gegenstand als Gott und ist so wesentlich rationelle Theologie und als im Dienste der Wahrheit fortdauernder Gottesdienst.

Bei dieser Gleichheit des Inhalts sind die drei Reiche des absoluten Geistes nur durch die Formen unterschieden, in welchen sie ihr Objekt, das Absolute, zum Bewußtsein bringen.

Die Unterschiede dieser Formen liegen im Begriff des absoluten Geistes selber. Der Geist als wahrer Geist ist an und für sich und dadurch kein der Gegenständlichkeit abstrakt-jenseitiges Wesen, sondern innerhalb derselben im endlichen Geiste die Erinnerung des Wesens aller Dinge: das Endliche in seiner Wesentlichkeit sich ergreifend und somit selber wesentlich und absolut. Die erste Form nun dieses Erfassens ist ein unmittelbares und eben darum sinnliches Wissen, ein Wissen in Form und Gestalt des Sinnlichen und Objektiven selber, in welchem das Absolute zur Anschauung und Empfindung kommt. Die zweite Form sodann ist das vorstellende Bewußtsein, die dritte endlich das freie Denken des absoluten Geistes.

[140] I. Die Form der sinnlichen Anschauung nun gehört der Kunst an, so daß die Kunst es ist, welche die Wahrheit in Weise sinnlicher Gestaltung für das Bewußtsein hinstellt, und zwar einer sinnlichen Gestaltung, welche in dieser ihrer Erscheinung selbst einen höheren, tieferen Sinn und Bedeutung hat, ohne jedoch durch das sinnliche Medium hindurch den Begriff als solchen in seiner Allgemeinheit erfaßbar machen zu wollen; denn gerade die Einheit desselben mit der individuellen Erscheinung ist das Wesen des Schönen und dessen Produktion durch die Kunst. Nun vollbringt sich diese Einheit allerdings in der Kunst auch im Elemente der Vorstellung und nicht nur in dem sinnlicher Äußerlichkeit, besonders in der Poesie; doch auch in dieser geistigsten Kunst ist die Einigung von Bedeutung und individueller Gestaltung derselben – wenn auch für das vorstellende Bewußtsein – vorhanden und jeder Inhalt in unmittelbarer Weise gefaßt und an die Vorstellung gebracht. Überhaupt ist sogleich festzustellen, daß die Kunst, da sie das Wahre, den Geist zu ihrem eigentlichen Gegenstande hat, die Anschauung desselben nicht durch die besonderen Naturgegenstände als solche, durch Sonne z. B., Mond, Erde, Gestirne usw., zu geben vermag. Dergleichen sind freilich sinnliche Existenzen, aber vereinzelte, welche für sich genommen die Anschauung des Geistigen nicht gewähren.

Wenn wir der Kunst nun diese absolute Stellung geben, so lassen wir dadurch ausdrücklich die oben bereits erwähnte Vorstellung beiseite liegen, welche die Kunst als zu vielfach anderweitigem Inhalt und sonstigen ihr fremden Interessen brauchbar annimmt. Dagegen bedient sich die Religion häufig genug der Kunst, um die religiöse Wahrheit näher an die Empfindung zu bringen oder für die Phantasie zu verbildlichen, und dann steht die Kunst allerdings in dem Dienste eines von ihr unterschiedenen Gebiets. Wo die Kunst jedoch in ihrer höchsten Vollendung vorhanden ist, da enthält sie gerade in ihrer bildlichen Weise die dem Gehalt der Wahrheit entsprechendste und wesentlichste Art der Exposition. So [141] war bei den Griechen z. B. die Kunst die höchste Form, in welcher das Volk die Götter sich vorstellte und sich ein Bewußtsein von der Wahrheit gab. Darum sind die Dichter und Künstler den Griechen die Schöpfer ihrer Götter geworden, d. h. die Künstler haben der Nation die bestimmte Vorstellung vom Tun, Leben, Wirken des Göttlichen, also den bestimmten Inhalt der Religion gegeben. Und zwar nicht in der Art, daß diese Vorstellungen und Lehren bereits vor der Poesie in abstrakter Weise des Bewußtseins als allgemeine religiöse Sätze und Bestimmungen des Denkens vorhanden gewesen und von den Künstlern sodann erst in Bilder eingekleidet und mit dem Schmuck der Dichtung äußerlich umgeben worden wären, sondern die Weise des künstlerischen Produzierens war die, daß jene Dichter, was in ihnen gärte, nur in dieser Form der Kunst und Poesie herauszuarbeiten vermochten. Auf anderen Stufen des religiösen Bewußtseins, auf welchen der religiöse Gehalt sich der künstlerischen Darstellung weniger zugänglich zeigt, behält die Kunst in dieser Beziehung einen beschränkteren Spielraum.

Dies wäre die ursprüngliche, wahre Stellung der Kunst als nächste unmittelbare Selbstbefriedigung des absoluten Geistes.

[…] [147] […] a) Was nun die Natur des Begriffs als solchen anbetrifft, so ist er an sich selbst nicht etwa die abstrakte Einheit den Unterschieden der Realität gegenüber, sondern als Begriff schon die Einheit unterschiedener Bestimmtheiten und damit konkrete Totalität. So sind die Vorstellungen Mensch, blau usf. zunächst nicht Begriffe, sondern abstrakt-allgemeine Vorstellungen zu nennen, die erst zum Begriff werden, wenn in ihnen dargetan ist, daß sie unterschiedene Seiten in Einheit enthalten, indem diese in sich selbst bestimmte Einheit den Begriff ausmacht; wie z. B. die Vorstellung „blau“ als Farbe die Einheit, und zwar spezifische Einheit, von Hell und Dunkel zu ihrem Begriffe hat und die Vorstellung „Mensch“ die Gegensätze von Sinnlichkeit und Vernunft, Körper und Geist befaßt, der Mensch jedoch nicht nur aus diesen Seiten als gleichgültigen Bestandstücken zusammengesetzt ist, sondern dem Begriff nach dieselben in konkreter, vermittelter Einheit enthält. Der Begriff aber ist so sehr absolute Einheit seiner Bestimmtheiten, daß dieselben nichts für sich selber bleiben und zu selbständiger Vereinzelung, wodurch sie aus ihrer Einheit heraustreten würden, sich nicht [148] entfremden können2. Dadurch enthält der Begriff alle seine Bestimmtheiten in Form dieser ihrer ideellen Einheit und Allgemeinheit, die seine Subjektivität im Unterschiede des Realen und Objektiven ausmacht. So ist z. B. das Gold von spezifischer Schwere, bestimmter Farbe, besonderem Verhältnis zu verschiedenartigen Säuren. Dies sind unterschiedene Bestimmtheiten und dennoch schlechthin in Einem. Denn jedes feinste Teilchen Gold enthält sie in untrennbarer Einheit. Für uns treten sie auseinander, an sich aber, ihrem Begriffe nach sind sie in ungetrennter Einheit. Von gleicher selbständigkeitsloser Identität sind die Unterschiede, welche der wahre Begriff in sich hat. Ein näheres Beispiel bietet uns die eigene Vorstellung, das selbstbewußte Ich überhaupt. Denn was wir Seele und näher Ich heißen, ist der Begriff selbst in seiner freien Existenz. Das Ich enthält eine Menge der unterschiedensten Vorstellungen und Gedanken in sich, es ist eine Welt der Vorstellungen; doch dieser unendlich mannigfaltige Inhalt, insofern er im Ich ist, bleibt ganz körperlos und immateriell und gleichsam zusammengepreßt in dieser ideellen Einheit, als das reine, vollkommen durchsichtige Scheinen des Ich in sich selbst. Dies ist die Weise, in welcher der Begriff seine unterschiedenen Bestimmungen in ideeller Einheit enthält.

Die näheren Begriffsbestimmungen nun, welche dem Begriff seiner eigenen Natur nach zugehören, sind das Allgemeine, Besondere und Einzelne. Jede dieser Bestimmungen für sich genommen wäre eine bloße einseitige Abstraktion. In dieser Einseitigkeit jedoch sind sie nicht im Begriffe vorhanden, da er ihre ideelle Einheit ausmacht. Der Begriff ist deshalb das Allgemeine, das sich einerseits durch sich selbst zur Bestimmtheit und Besonderung negiert, andererseits aber diese Besonderheit, als Negation des Allgemeinen, ebensosehr wieder aufhebt. Denn das Allgemeine kommt in dem Besonderen, welches nur die besonderen Seiten des Allgemeinen selber ist, [149] zu keinem absolut Anderen und stellt deshalb im Besonderen seine Einheit mit sich als Allgemeinem wieder her. In dieser Rückkehr zu sich ist der Begriff unendliche Negation; Negation nicht gegen Anderes, sondern Selbstbestimmung, in welcher er sich nur auf sich beziehende affirmative Einheit bleibt. So ist er die wahrhafte Einzelheit als die in ihren Besonderheiten sich nur mit sich selber zusammenschließende Allgemeinheit. Als höchstes Beispiel dieser Natur des Begriffs kann das gelten, was oben über das Wesen des Geistes kurz ist berührt worden.

Durch diese Unendlichkeit in sich ist der Begriff an sich selbst schon Totalität. Denn er ist die Einheit mit sich im Anderssein und dadurch das Freie, das alle Negation nur als Selbstbestimmung und nicht als fremdartige Beschränkung durch Anderes hat. Als diese Totalität aber enthält der Begriff bereits alles, was die Realität als solche zur Erscheinung bringt und die Idee zur vermittelten Einheit zurückführt. Die da meinen, sie hätten an der Idee etwas ganz Anderes, Besonderes gegen den Begriff, kennen weder die Natur der Idee noch des Begriffes. Zugleich aber unterscheidet sich der Begriff von der Idee dadurch, daß er die Besonderung nur in abstracto ist, denn die Bestimmtheit, als im Begriff, bleibt in der Einheit und ideellen Allgemeinheit, welche das Element des Begriffs ist, gehalten. Dann aber bleibt der Begriff selbst noch in der Einseitigkeit stehen und ist von dem Mangel behaftet, daß er, obschon an sich selbst die Totalität, dennoch nur der Seite der Einheit und Allgemeinheit das Recht freier Entwicklung vergönnt. Weil diese Einseitigkeit nun aber dem eigenen Wesen des Begriffs unangemessen ist, hebt der Begriff dieselbe seinem eigenen Begriff nach auf. Er negiert sich als diese ideelle Einheit und Allgemeinheit und entläßt nun, was dieselbe in ideeller Subjektivität in sich schloß, zu realer selbständiger Objektivität. Der Begriff durch eigene Tätigkeit setzt sich als die Objektivität.

b) Die Objektivität, für sich betrachtet, ist daher selber [150] nichts anderes als die Realität des Begriffs, aber der Begriff in Form selbständiger Besonderung und realer Unterscheidung aller Momente, deren ideelle Einheit der Begriff als subjektiver war.

Da es nun aber nur der Begriff ist, der in der Objektivität sich Dasein und Realität zu geben hat, so wird die Objektivität an ihr selber den Begriff zur Wirklichkeit bringen müssen. Der Begriff jedoch ist die vermittelte ideelle Einheit seiner besonderen Momente. Innerhalb ihres realen Unterschiedes hat sich deshalb die ideelle, begriffsmäßige Einheit der Besonderheiten an ihnen selber ebensosehr wiederherzustellen. Wie die reale Besonderheit hat auch deren zur Idealität vermittelte Einheit an ihnen zu existieren. Dies ist die Macht des Begriffs, der seine Allgemeinheit nicht in der zerstreuten Objektivität aufgibt oder verliert, sondern diese seine Einheit gerade durch die Realität und in derselben offenbar macht. Denn es ist sein eigener Begriff, sich in seinem Anderen die Einheit mit sich zu bewahren. Nur so ist er die wirkliche und wahrhaftige Totalität.

c) Diese Totalität ist die Idee. Sie nämlich ist nicht nur die ideelle Einheit und Subjektivität des Begriffs, sondern in gleicher Weise die Objektivität desselben, aber die Objektivität, welche dem Begriffe nicht als ein nur Entgegengesetztes gegenübersteht, sondern in welcher der Begriff sich als auf sich selbst bezieht. Nach beiden Seiten des subjektiven und objektiven Begriffs ist die Idee ein Ganzes, zugleich aber die sich ewig vollbringende und vollbrachte Übereinstimmung und vermittelte Einheit dieser Totalitäten. Nur so ist die Idee die Wahrheit und alle Wahrheit.

2. Das Dasein der Idee

Alles Existierende hat deshalb nur Wahrheit, insofern es eine Existenz ist der Idee. Denn die Idee ist das allein wahrhaft Wirkliche. Das Erscheinende nämlich ist nicht dadurch schon wahr, daß es inneres oder äußeres Dasein hat und überhaupt [151] Realität ist, sondern dadurch allein, daß diese Realität dem Begriff entspricht. Erst dann hat das Dasein Wirklichkeit und Wahrheit. Und zwar Wahrheit nicht etwa in dem subjektiven Sinne, daß eine Existenz meinen Vorstellungen sich gemäß zeige, sondern in der objektiven Bedeutung, daß das Ich oder ein äußerer Gegenstand, Handlung, Begebenheit, Zustand in seiner Wirklichkeit den Begriff selber realisiere. Kommt diese Identität nicht zustande, so ist das Daseiende nur eine Erscheinung, in welcher sich statt des totalen Begriffs nur irgendeine abstrakte Seite desselben objektiviert, welche, insofern sie sich gegen die Totalität und Einheit in sich verselbständigt, bis zur Entgegensetzung gegen den wahren Begriff verkümmern kann. So ist denn nur die dem Begriff gemäße Realität eine wahre Realität, und zwar wahr, weil sich in ihr die Idee selber zur Existenz bringt. […]

2 In der 1. Auflage: „sich nicht realisieren können“.

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Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, 1845

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