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Weisen der Welterzeugung, 1978
Nelson Goodman
Quelle
Nelson Goodman: Weisen der Welterzeugung. Übersetzt von Max Looser. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1984, S. 88-91, 114-121, 126-133. ISBN: 3-518-57615-1.
Erstausgabe
Ways of Worldmaking. Indianapolis/Cambridge: Hackett 1978.
Genre
Buch
Medium
Kunst, Bild
[88] […] Die Frage, welches genau die Charakteristika sind, die definieren oder anzeigen, ob etwas als Symbol fungiert – wovon es abhängt, ob es als Kunstwerk fungiert –, verlangt nach einer sorgfältigen Untersuchung im Lichte einer allgemeinen Symboltheorie. Das ist mehr, als ich hier unternehmen kann; aber ich wage den vorläufigen Gedanken, daß es fünf Symptome des Ästhetischen gibt5: (1) syntaktische Dichte, bei der gewisse minimale Differenzen zur Unterscheidung von Symbolen dienen – zum Beispiel ein skalenloses Quecksilberthermometer im Gegensatz zu einem elektronischen Instrument mit Digitalanzeige; (2) semantische Dichte, bei der Symbole für Dinge bereitstehen, die sich nur durch gewisse minimale Differenzen voneinander unterscheiden – zum Beispiel nicht nur das bereits erwähnte skalenlose Thermometer, sondern auch gewöhnliches Deutsch, auch wenn es nicht syntaktisch dicht ist; (3) relative Fülle, bei der vergleichsweise viele Aspekte eines Symbols signifikant sind – zum Beispiel die aus einer einzigen Linie bestehende Zeichnung eines Berges von Hokusai, bei der jede Eigenart der Gestalt, Linie, Dicke usw. zählt, im Gegensatz etwa zu der gleichen Linie als Kurve der täglichen Börsenindexwerte, bei der allein die Höhe der Linie über der Basis zählt; (4) Exemplifikation, bei der ein Symbol, ob es denotiert oder nicht, dadurch symbolisiert, daß es als Probe von Eigenschaften dient, die es buchstäblich oder me[89]taphorisch besitzt; und schließlich (5) multiple und komplexe Bezugnahme, bei der ein Symbol mehrere zusammenhängende und aufeinander einwirkende Bezugnahmefunktionen erfüllt, einige direkte und einige durch andere Symbole vermittelte.6
Mit diesen Symptomen läßt sich das Ästhetische nicht definieren und schon gar nicht vollständig beschreiben oder feiern. Die An- oder Abwesenheit eines oder mehrerer von ihnen qualifiziert oder disqualifiziert noch nichts in ästhetischer Hinsicht; ebensowenig kann am Ausmaß, in dem diese Merkmale präsent sind, abgelesen werden, in welchem Maße ein Objekt oder ein Erlebnis ästhetisch ist.7 Symptome sind schließlich nur Hinweise; der Patient kann die Symptome ohne die Krankheit oder die Krankheit ohne die Symptome haben. Und selbst wenn man diese fünf Symptome auch nur als annähernde Kriterien des Ästhetischen verstehen wollte – disjunktiv als notwendige, konjunktiv (als Syndrom) als hinreichende Bedingungen –, wäre es möglicherweise erforderlich, diese vagen und unbeständigen Grenzen in gewissem Umfang neu zu ziehen. Außerdem ist festzuhalten, daß diese Eigenschaften die Aufmerksamkeit tendenziell auf das Symbol lenken, statt (zumindest auch) auf das, worauf es Bezug nimmt. Wo wir nie genau bestimmen können, genau welches Symbol eines Systems wir vor uns haben oder ob wir es bei einer zweiten Gelegenheit mit demselben zu tun haben; wo das Bezugsobjekt so ungreifbar ist, daß es unendliche Sorgfalt verlangt, ihm ein Symbol richtig und treffend anzupassen; wo eher mehr als weniger Merkmale des Symbols zählen, wo das Symbol ein Einzelfall von Eigenschaften ist, die es symbolisiert und wo es viele, in gegenseitiger Beziehung stehende, [90] einfache und komplexe Bezugnahmefunktionen erfüllen kann – dort können wir nicht einfach nur durch das Symbol hindurch auf das blicken, worauf es sich bezieht, wie dann etwa, wenn wir Verkehrsampeln gehorchen oder wissenschaftliche Texte lesen, sondern müssen wie beim Betrachten von Gemälden oder bei der Lektüre von Gedichten ständig auf das Symbol selbst achten. Betont man also die Undurchsichtigkeit des Kunstwerks, seinen Primat gegenüber dem, worauf es sich bezieht, so bedeutet das mitnichten, seine symbolischen Funktionen zu leugnen oder zu mißachten, sondern stützt sich dabei vielmehr gerade auf gewisse Eigentümlichkeiten, die das Werk als ein Symbol charakterisieren.8
Auch ganz abgesehen von einer Spezifikation der Charakteristika, die die ästhetische Symbolisierung von anderen unterscheiden, scheint es mir also klar zu sein, daß man eine Antwort auf die Frage „Wann ist Kunst?“ nur geben kann, wenn man symbolische Funktionen ins Auge faßt. Vielleicht ist die Aussage, ein Objekt sei dann und nur dann Kunst, wenn es als Kunst fungiere, eine Übertreibung oder eine elliptische Redeweise. Das Gemälde von Rembrandt bleibt ein Kunstwerk, ebenso wie es ein Gemälde bleibt, auch wenn es lediglich als Decke benutzt wird; und der Stein von der Straße wird nicht im strengen Sinn dadurch Kunst, daß er als Kunst fungiert.9 Ebenso bleibt ein Stuhl ein Stuhl, auch wenn nie auf ihm gesessen wird, und eine Packkiste bleibt eine Packkiste, auch wenn sie nie gebraucht wird, außer zum Daraufsitzen. Zu sagen, was Kunst tut, heißt nicht zu sagen, was Kunst ist; doch gebe ich zu bedenken, ob uns nicht [91] ersteres eigentlich wirklich interessiert. Die weitere Frage, wie sich eine stabile Eigenschaft in Begriffen einer temporären Funktion – das Was in Begriffen des Wann – definieren läßt, stellt sich nicht nur im Zusammenhang mit der Kunst, sondern ganz allgemein und ist bei der Definition von Stühlen dieselbe wie bei der Definition von Kunstobjekten. Die stereotypen und unzulänglichen Antworten, die daraufhin vorgeführt werden, sind ebenfalls fast die gleichen: ob ein Objekt Kunst ist – oder ob es ein Stuhl ist –, hängt von der Absicht ab oder davon, ob es manchmal oder gewöhnlich oder immer oder ausschließlich als solches fungiert. Weil dies alles dazu tendiert, speziellere und signifikantere Fragen hinsichtlich der Kunst zu verdunkeln, habe ich meine Aufmerksamkeit von dem, was Kunst ist, dem zugewandt, was Kunst tut.
Wie ich betonte, ist es ein auffallendes Merkmal der Symbolisierung, daß sie kommen und gehen kann. Ein Objekt kann zu verschiedenen Zeiten verschiedene Dinge symbolisieren, zu anderen Zeiten gar nichts. Ein lebloses Objekt oder ein reiner Gebrauchsgegenstand kann vielleicht einmal als Kunst fungieren, und ein Kunstwerk kann vielleicht einmal als lebloses Objekt oder als reiner Gebrauchsgegenstand fungieren. Vielleicht ist es weniger so, daß die Kunst lang und das Leben kurz ist, als vielmehr so, daß beide vergänglich sind.
Die Auswirkungen, die diese Untersuchung über das Wesen von Kunstwerken auf das Gesamtunternehmen des vorliegenden Buches hat, sollten nunmehr einigermaßen klar geworden sein. Wie ein Objekt oder Ereignis als Werk fungiert, erklärt, wie das, was so fungiert, durch bestimmte Modi der Bezugnahme zu einer Sicht – und zur Schöpfung – einer Welt beitragen kann. […]
[114]
VI
Die Erfindung von Tatsachen
I. Wirklichkeit und Künstlichkeit
Das vorherige Kapitel begann mit der recht vorwurfsvollen Frage: „Können Sie denn nicht sehen, was vor Ihnen ist?“, und gelangte zu der erhellenden Antwort: „Das kommt darauf an.“ Eine von den Sachen, auf die es dabei ankommt, ist die Antwort auf eine andere Frage: „Was ist denn nun vor mir?“ Das ist die Frage, mit der ich hier beginne, und ich muß gestehen, daß die Antwort ebenfalls lautet: „Das kommt darauf an.“ Und eine Sache, auf die es dabei in hohem Maße ankommt, ist die Antwort auf eine weitere Frage: „Was machen Sie damit?“
Meine Kapitelüberschrift „Die Erfindung von Tatsachen“ hat nicht nur den Vorzug, daß sie ziemlich klar anzeigt, was ich erörtern werde, sondern auch den, jene Fundamentalisten zu irritieren, die genau wissen, daß Fakten gefunden und nicht gemacht werden, daß Fakten die eine und einzige reale Welt konstituieren und daß Wissen darin besteht, an die Tatsachen zu glauben. Diese Glaubensartikel halten die meisten von uns so sehr gefangen, sie binden und blenden uns so sehr, daß „die Erfindung von Tatsachen“ paradox klingt! ‚Erfindung‘ hat schließlich auch die Bedeutung von ‚Falschheit‘ oder ‚Fiktion‘ und steht im Gegensatz zu ‚Wahrheit‘ oder ‚Tatsache‘. Natürlich müssen wir Falschheit und Fiktion von Wahrheit und Tatsache unterscheiden; aber ich bin sicher, daß wir dies nicht auf der Basis tun können, daß Fiktionen erfunden und Tatsachen gefunden werden.
Blicken wir einen Augenblick zurück auf den Fall der sogenannten Scheinbewegung. Die experimentellen Resultate, die ich zusammengefaßt habe, sind nicht universal; sie sind lediglich typisch. Nicht nur nehmen verschiedene Beobachter Bewegung verschieden wahr, sondern einige können schein[115]bare Bewegung überhaupt nicht sehen. Diejenigen, die in diesem Sinne unfähig sind, etwas zu sehen, von dem sie wissen, daß es nicht da ist, werden von Kolers als naive Realisten eingestuft, und er berichtet auch, daß zu einem unverhältnismäßig großen Prozentsatz Ingenieure und Ärzte darunter seien (AMP, S. 160).
Wenn jedoch ein Beobachter berichtet, er sehe – obwohl die Zeitabstände und Distanzen so gering sind, daß die meisten anderen Beobachter einen sich bewegenden Fleck sehen – zwei getrennte Flecke aufleuchten, so glaubt er die beiden vielleicht zu sehen. Ebensogut können wir ja auch sagen, wir sähen einen Schwärm von Molekülen, wenn wir auf einen Stuhl blicken, oder wir sähen eine kreisrunde Tischplatte, auch wenn wir sie unter einem schiefen Winkel anblicken. Da ein Beobachter bei der Unterscheidung zwischen scheinbarer und realer Bewegung besonderes Geschick erlangen kann, faßt er den Anschein von Bewegung vielleicht als Zeichen dafür auf, daß etwas zweimal aufleuchtet, so wie wir die ovale Erscheinung der Tischfläche als Zeichen dafür auffassen, daß sie rund ist; und in beiden Fällen können die Zeichen so transparent sein oder werden, daß wir durch sie hindurch auf physikalische Ereignisse und Objekte blicken. Wenn der Beobachter aufgrund dessen, was er sieht, feststellt, vor ihm liege das, worüber wir uns einig sind, daß es vor ihm liegt, können wir ihn kaum einer visuellen Wahrnehmungstäuschung bezichtigen. Sollten wir statt dessen sagen, er mißverstehe die Anweisung, die vermutlich gerade darin besteht, uns zu sagen, was er sieht? Wie können wir dann, ohne das Ergebnis vorweg zu beeinflussen, jene Anweisung so reformulieren, daß ein solches ‚Mißverständnis‘ vermieden wird? Ihn zu bitten, keinen Gebrauch von früheren Erfahrungen zu machen und alle Konzeptualisierung zu vermeiden, wird ihn offensichtlich sprachlos machen; denn um überhaupt zu reden, muß er ja Wörter gebrauchen.
Wir könnten bestenfalls die Sorte der Termini, das Vokabular, angeben, das er verwenden soll; wir könnten ihm sagen, [116] daß er das, was er sieht, in phänomenalen oder Wahrnehmungsausdrücken statt in physikalischen Termini beschreiben soll. Ob dies nun andere Antworten ergibt oder nicht, es wirft ein völlig anderes Licht auf das, was geschieht. Daß die Instrumente, die zur Verfertigung der Tatsachen verwendet werden sollen, spezifiziert werden müssen, macht jede Identifikation des Physikalischen mit dem Realen und des Perzeptiven mit dem bloß Erscheinenden hinfällig. Das Perzeptive ist ebensowenig eine ziemlich verzerrte Version der physikalischen Tatsachen, wie das Physikalische eine höchst artifizielle Version der perzeptiven Tatsachen ist. Wenn wir nun zu sagen versucht sind, ‚beides sind Versionen derselben Tatsachen‘, dann darf dies nicht so aufgefaßt werden, als wäre damit impliziert, es gebe unabhängige Tatsachen, von denen beides Versionen sind, ebensowenig wie die Bedeutungsgleichheit zwischen zwei Termini impliziert, es gebe irgendwelche Entitäten, die Bedeutungen genannt werden. ‚Tatsache‘ ist ebenso wie ‚Bedeutung‘ ein synkategorematischer Ausdruck; denn schließlich sind Tatsachen oder ‚Fakten‘ offensichtlich etwas Gemachtes.
Der Punkt wird wiederum in klassischer Weise durch unterschiedliche Versionen der physikalischen Bewegung illustriert. Ging die Sonne vor einer Weile unter, oder ging die Erde auf? Dreht sich die Sonne um die Erde oder die Erde um die Sonne? Heute gehen wir unbekümmert mit etwas um, das einst eine Frage von Leben oder Tod war, wenn wir sagen, die Antwort hänge vom Bezugsrahmen ab. Aber auch hier müssen wir, wenn wir sagen, das geozentrische und das heliozentrische System seien verschiedene Versionen ‚derselben Tatsachen‘ nicht fragen, was diese Tatsachen sind, sondern vielmehr, wie solche Wendungen wie ‚Versionen derselben Tatsachen‘, oder ‚Beschreibungen derselben Welt‘ zu verstehen sind. Dies ändert sich von Fall zu Fall; im vorliegenden Fall schreiben die geozentrische und die heliozentrische Version, auch wenn sie von denselben Einzelobjekten – Sonne, Mond, Planeten – sprechen, diesen Objekten sehr verschie[117]dene Bewegungen zu. Zwar können wir immer noch sagen, daß die beiden Versionen sich mit denselben Tatsachen befassen, wenn wir damit meinen, daß sie nicht nur von denselben Objekten sprechen, sondern auch routinemäßig ineinander übersetzbar sind. So wie Bedeutungen zugunsten bestimmter Beziehungen zwischen Termini verschwinden, so verschwinden Tatsachen zugunsten bestimmter Beziehungen zwischen Versionen. Im vorliegenden Fall ist die Beziehung vergleichsweise offenkundig; manchmal ist sie sehr viel weniger greifbar. Zum Beispiel befassen sich die physikalischen und perzeptiven Versionen der Bewegung, über die wir gesprochen haben, nicht offenkundig mit genau denselben Objekten, und die Beziehung, wenn es überhaupt eine gibt, die zu sagen erlaubt, daß die beiden Versionen dieselben Tatsachen oder dieselbe Welt beschreiben, ist nicht die einer einfachen Übersetzbarkeit der einen in die andere.
Die erwähnte physikalische und die perzeptive Weltversion sind bloß zwei aus der großen Vielfalt in den verschiedenen Wissenschaften, in den Künsten, in der Wahrnehmung und in der alltäglichen Rede. Welten werden erzeugt, indem man mittels Wörtern, Zahlen, Bildern, Klängen oder irgendwelchen anderen Symbolen in irgendeinem Medium solche Versionen erzeugt; und die vergleichende Untersuchung dieser Versionen und Sichtweisen sowie ihrer Erzeugung ist das, was ich eine Kritik der Welterzeugung nenne. Ich begann mit einer solchen Untersuchung im ersten Kapitel und werde nun ganz kurz einige Punkte jenes Kapitels zusammenfassen und klären müssen, bevor ich zu weiteren Problemen übergehe, die das Hauptanliegen des vorliegenden Kapitels sind.
2. Mittel und Stoff
Was ich bisher sagte, weist offensichtlich auf einen radikalen Relativismus hin; doch werden ihm strenge Einschränkungen auferlegt. Die Bereitschaft, zahllose alternative wahre oder [118] richtige Weltversionen zu akzeptieren, bedeutet nicht, daß alles erlaubt wäre, daß lange Geschichten ebensogut wären wie kurze, daß Wahrheiten von Falschheiten nicht mehr unterschieden würden, sondern nur, daß Wahrheit anders gedacht werden muß denn als Korrespondenz mit einer fertigen Welt. Obwohl wir Welten erzeugen, indem wir Versionen erzeugen, erzeugen wir ebensowenig eine Welt, indem wir Symbole nach dem Zufallsprinzip zusammenfügen, wie der Schreiner einen Stuhl macht, indem er Holzstücke zufällig zusammenfügt. Die vielen Welten, die ich zulasse, sind gerade die wirklichen Welten, die durch wahre oder richtige Versionen erzeugt werden und die diesen Versionen entsprechen. Mögliche oder unmögliche Welten, die angeblich falschen Versionen entsprechen, haben in meiner Philosophie keinen Platz.
Welche Welten nun genau als wirklich anerkannt werden müssen, ist eine ganz andere Frage. Obwohl die Wahl einer philosophischen Position darauf einen gewissen Einfluß hat, können selbst streng restriktiv scheinende Ansichten zahllose Versionen als gleichermaßen richtig anerkennen. Ich werde zum Beispiel gelegentlich gefragt, wie sich mein Relativismus mit meinem Nominalismus vereinbaren lasse. Die Antwort ist leicht. Auch wenn ein nominalistisches System nur von Individuen spricht und alle Rede von Klassen ausschließt, kann es doch Beliebiges als Individuum auffassen; d.h. das nominalistische Verbot richtet sich zwar gegen die ungezügelte Vermehrung von Entitäten auf irgendeiner einmal gewählten Individuenbasis, läßt aber die Wahl dieser Basis völlig offen. Der Nominalismus als solcher läßt also eine Vielzahl von alternativen Versionen zu, die auf physikalischen Partikeln, phänomenalen Elementen, gewöhnlichen Dingen oder überhaupt auf allem beruhen können, was man als Individuum aufzufassen bereit ist.1 Nichts hindert hier einen Nominalisten, aus der Menge der Systeme, die nach nominalistischen Kriterien legitim sind, aus anderen Grün[119]den einige Systeme anderen vorzuziehen. Im Gegensatz dazu läßt zum Beispiel der typische Physikalismus, der zwar sehr großzügig mit den platonistischen Instrumenten umgeht, die für eine endlose Erzeugung von Entitäten sorgen, nur eine einzige (wenn auch bislang nicht identifizierte) korrekte Basis zu.
Während also die Doktrin des Physikalisten – ‚Kein Unterschied ohne physikalischen Unterschied‘ – und die Doktrin des Nominalisten – ‚Kein Unterschied ohne Unterschied der Individuen‘ – gleich klingen, unterscheiden sie sich in dieser Hinsicht doch erheblich.2
Gleichwohl stelle ich diese allgemeine Erörterung des Welterzeugens nicht unter nominalistische Einschränkungen, da ich eine gewisse Meinungsvielfalt im Hinblick darauf einräumen möchte, welche wirklichen Welten es gibt.3 Dies bedeutet keineswegs, bloß mögliche Welten zuzulassen. Der Platoniker und ich sind uns vielleicht darüber nicht einig, was eine wirkliche Welt ausmacht, während wir darin übereinstimmen, alles andere abzulehnen. Wir können uneins darüber sein, was wir für wahr halten, während wir uns einig sind, daß dem, was wir für falsch halten, nichts entspricht.
Die Formulierung, daß Welten aus Versionen erzeugt werden, wirkt häufig anstößig, sowohl durch ihren impliziten Pluralismus als auch durch ihre Sabotage an dem, was ich als ‚festen Boden unter den Füßen‘ bezeichnet habe. Lassen Sie mich den ganzen Trost anbieten, den ich habe. Auch wenn ich die Vielfalt von richtigen Weltversionen betone, bestehe ich keineswegs darauf, daß es viele Welten gibt – oder überhaupt eine; denn wie ich bereits andeutete, gibt es auf die [120] Frage, ob zwei Versionen Versionen derselben Welt seien, ebensoviele gute Antworten, wie es gute Interpretationen der Worte ‚Versionen derselben Welt‘ gibt. Der Monist kann immer behaupten, daß zwei Versionen nur richtig sein müssen, um als Versionen derselben Welt gezählt zu werden; der Pluralist kann immer mit der Frage antworten, wie denn die Welt unabhängig von allen Versionen aussehen sollte. Die beste Antwort ist vielleicht diejenige, die Professor Woody Allen gibt, wenn er schreibt:
Können wir das Universum wirklich „kennen“? Mein Gott, es ist doch schon schwierig genug, sich in Chinatown zurechtzufinden. Der springende Punkt ist doch: Gibt es da draußen irgendwas? Und warum? Und warum muß man so einen Lärm darum machen? Schließlich kann es keinen Zweifel darüber geben, daß das einzig Charakteristische der ‚Wirklichkeit‘ ihr Mangel an Substanz ist. Das soll nicht heißen, daß sie keine Substanz besitzt, sie fehlt ihr bloß. (Die Wirklichkeit, von der ich hier spreche, ist dieselbe, die Hobbes beschrieb, nur ein bißchen kleiner.)4
Die Botschaft, wenn ich sie recht verstehe, ist einfach die: Scher dich nicht um den Geist; das Wesen ist unwesentlich, und die Materie fällt nicht ins Gewicht [Never mind mind, essence is not essential, and matter doesn't matter]. Wir konzentrieren uns besser auf Versionen als auf Welten. Natürlich wollen wir unterscheiden zwischen Versionen, die Bezug nehmen, und solchen, die dies nicht tun, natürlich wollen wir über die Dinge und Welten reden – wenn es überhaupt welche gibt –, auf die Bezug genommen wird; aber diese Dinge und Welten und auch der Stoff, aus dem sie gemacht sind – Materie, Antimaterie, Geist, Energie oder was auch immer –, werden selbst zusammen mit den Dingen und Welten geformt. Tatsachen sind theoriegeladen, wie Norwood Hanson sagt5; sie sind ebenso theoriegeladen, wie wir von unseren Theorien hoffen, daß sie tatsachengeladen sind. Oder mit anderen Worten, Tatsachen sind kleine Theorien, und wahre [121] Theorien sind große Tatsachen. Dies bedeutet nicht, ich muß es wiederholen, daß man zu richtigen Theorien zufällig gelangt oder daß Welten aus dem Nichts aufgebaut werden. Wir beginnen jedesmal mit irgendeiner alten Version oder Welt, über die wir schon verfügen und an die wir auch so lange gebunden sind, bis wir die Entschlossenheit und Fertigkeit haben, sie zu einer neuen umzubilden. Zum Teil ist es die Macht der Gewohnheit, die uns im Griff hält, wenn wir die Tatsachen als widerspenstig empfinden: unsere feste Grundlage ist in der Tat unerschütterlich. Welterzeugung beginnt mit einer Version und endet mit einer anderen.
[…] [126] […]
5. Fakten aus Fiktionen
Bei all dieser Vielfalt konzentriert sich die Aufmerksamkeit normalerweise auf Versionen, die buchstäblich, denotativ und verbal sind. Zwar machen diese einen Teil – wenn auch nach meiner Ansicht keineswegs die Gesamtheit – des wissenschaftlichen und quasi-wissenschaftlichen Welterzeugens aus; aber solche Versionen, die aus Wahrnehmungen und [127] Bildern bestehen, die mit Mitteln der übertragenen Rede oder der Exemplifikation arbeiten oder nicht-verbale Medien verwenden, bleiben dabei außer acht. Die Welten der Fiktion, Poesie, Malerei, Musik, des Tanzes und der anderen Künste sind zum größten Teil mit solchen nicht-buchstäblichen Mitteln wie Metaphern erbaut, mit solchen nicht-denotativen Mitteln wie Ausdruck und Exemplifikation und häufig auch unter Verwendung von Bildern, Tönen, Gesten oder anderen Symbolen aus nicht-sprachlichen Systemen. Um solches Welterzeugen und solche Versionen geht es mir hier vor allem, denn eine Hauptthese des vorliegenden Buches lautet, daß die Künste als Modi der Entdeckung, Erschaffung und Erweiterung des Wissens – im umfassenden Sinne des Verstehensfortschritts – ebenso ernst genommen werden müssen wie die Wissenschaften und daß die Philosophie der Kunst mithin als wesentlicher Bestandteil der Metaphysik und Erkenntnistheorie betrachtet werden sollte.
Betrachten wir zunächst Versionen, die Sichtweisen oder Abbildungen und keine Beschreibungen sind. In syntaktischer Hinsicht unterscheiden sich Bilder von Wörtern radikal – Bilder bestehen nicht aus Elementen eines Alphabets, die bei aller Verschiedenheit der Handschriften und Quellen [hands and fonts] dieselben bleiben, und verbinden sich nicht mit anderen Bildern oder mit Wörtern zu Sätzen. Doch denotieren Bilder und Termini gleichermaßen – passen als Etiketten auf – alles, was sie darstellen, benennen oder beschreiben.9 Namen und bestimmte Bilder wie Einzel- oder Gruppenporträts denotieren singulär, während Prädikate und bestimmte andere Bilder wie die in einem ornithologischen Führer allgemein denotieren. Deshalb können Bilder ganz ähnlich wie Termini Tatsachen erzeugen und präsentieren, also an der Welterzeugung teilhaben. Tatsächlich ist unser alltägliches sogenanntes Weltbild das vereinte Produkt von [128] Beschreibung und Abbildung. Dennoch muß ich wiederholen, daß ich mich hier weder einer Bildtheorie der Sprache noch einer Sprachtheorie der Bilder verpflichte, denn Bilder gehören zu nicht-sprachlichen und Termini zu nicht-bildlichen Symbolsystemen.
Einige Abbildungen und Beschreibungen denotieren jedoch im buchstäblichen Sinn nichts. Gemalte oder geschriebene Schilderungen von Don Quichotte zum Beispiel denotieren Don Quichotte nicht – der nicht denotiert werden kann, weil es ihn einfach nicht gibt. Nun spielen aber fiktionale Werke in der Literatur und ihre Gegenstücke in anderen Künsten bei der Welterzeugung offensichtlich eine prominente Rolle: unsere Welten sind ebensosehr ein Erbe der Wissenschaftler, Biographen und Historiker wie der Romanciers, Dramatiker und Maler. Doch wie können solche Versionen, da sie doch Versionen von nichts sind, an der Erzeugung wirklicher Welten beteiligt sein? Der unvermeidliche Vorschlag, fiktive Entitäten und mögliche Welten als Denotata heranzuziehen, hilft bei dieser Frage selbst denen nicht, die diesen Vorschlag schlucken. Doch sobald die Antwort einmal gesucht wird, findet sie sich rasch.
‚Don Quichotte‘ trifft wörtlich genommen auf niemanden zu, bildlich verstanden jedoch auf viele von uns – zum Beispiel auf mich, bei meinen Lanzenangriffen gegen die Windmühlen der gegenwärtigen Linguistik. Auf viele andere trifft der Terminus weder buchstäblich noch metaphorisch zu. Buchstäbliche Falschheit oder buchstäbliches Nichtzutreffen ist völlig kompatibel mit metaphorischer Wahrheit, wenn auch natürlich kein Garant dafür; und die Grenze zwischen metaphorischer Wahrheit und metaphorischer Falschheit überschneidet zwar die Grenze zwischen buchstäblicher Wahrheit und buchstäblicher Falschheit, ist jedoch ebensowenig willkürlich. Ob eine Person ein Don Quichotte (d.h. donquichottisch) oder ein Don Juan ist, ist eine ebenso echte Frage wie die, ob eine Person paranoid oder schizophren ist, und vermutlich leichter entscheidbar. Und die Anwendung [129] des fiktiven Terminus ‚Don Quichotte‘ auf wirkliche Menschen, ebenso wie die metaphorische Anwendung des nicht-fiktiven Terminus ‚Napoleon‘ auf andere Generale und die buchstäbliche Anwendung eines neu erfundenen Terminus wie ‚Vitamin‘ oder ‚radioaktiv‘ auf bestimmte Materien bewirkt eine Reorganisation unserer vertrauten Welt, indem sie eine Kategorie herausgreift und als relevant betont, die quer zu den ausgefahrenen Geleisen verläuft. Die Metapher ist kein bloß rhetorischer Schmuck, sondern eine Weise, in der wir unsere Termini vielfache Nebenaufgaben erfüllen lassen.10
Ob geschrieben, gemalt oder gespielt, die Fiktion trifft in Wahrheit weder auf nichts noch auf durchsichtige mögliche Welten zu, sondern, wenn auch metaphorisch, auf wirkliche Welten. Ungefähr so, wie ich an anderer Stelle argumentierte, daß das bloß Mögliche11 – sofern es überhaupt zulässig ist – innerhalb des Wirklichen liegt, könnten wir auch hier, in einem anderen Kontext, sagen, daß die sogenannten mögli[130]chen Welten der Fiktion innerhalb von wirklichen Welten liegen. Die Fiktion operiert in wirklichen Welten sehr ähnlich wie die Nicht-Fiktion. Cervantes, Bosch und Goya – nicht weniger als Boswell, Newton und Darwin – nehmen und zerlegen uns vertraute Welten, schaffen sie neu, greifen sie wieder auf, formen sie in bemerkenswerten und manchmal schwer verständlichen, schließlich aber doch erkennbaren – d.h. wieder-erkennbaren – Weisen um.
Wie steht es aber mit rein abstrakten Gemälden und anderen Werken, die kein Sujet haben, die auf nichts wörtlich oder metaphorisch zutreffen, denen auch die tolerantesten Philosophen kaum zugestehen würden, daß sie eine Welt, sei es eine mögliche oder eine wirkliche, abbilden? Im Gegensatz zu Don Quichotte-Porträts oder Kentauren-Bildern sind solche Werke keine buchstäblichen Etiketten auf leeren Gefäßen oder phantasievolle Etiketten auf vollen; sie sind überhaupt keine Etiketten. Haben sie dann ihren Wert nur in sich, als das rein Geistige, ungetrübt durch die Berührung mit irgendeiner Welt? Natürlich nicht; unsere Welten sind durch die Muster und Gefühle abstrakter Werke nicht weniger energisch geformt als durch ein wörtlich zu nehmendes Stilleben von Chardin oder eine allegorische „Geburt der Venus“. Wenn wir eine Stunde in einer Ausstellung abstrakter Gemälde verbracht haben, neigt alles dazu, sich in geometrische Flächen aufzuteilen, in Kreisen zu rotieren, sich zu Texturarabesken zu verweben, sich zu einem Schwarzweiß zuzuspitzen oder in neuen Farbkonsonanzen und -dissonanzen zu vibrieren. Doch wie kann etwas, das weder im wörtlichen noch im übertragenen Sinne abbildet, beschreibt, deklariert, denotiert oder sonstwie auf etwas zutrifft, unsere eingefahrenen Welten so transformieren?
Wir haben früher gesehen, daß das, was nicht denotiert, immer noch durch Exemplifikation und Ausdruck Bezug nehmen kann, und daß nicht-deskriptive, nicht-darstellende Werk dennoch als Symbole für Eigenschaften fungieren, die sie entweder wörtlich oder metaphorisch besitzen. Indem131]solche Werke als Proben und Muster unsere Aufmerksamkeit auf bestimmte, oft unbeachtete und vernachlässigte, geteilte oder teilbare Formen, Farben oder Gefühle lenken, induzieren sie entsprechend diesen Eigenschaften eine Reorganisation unserer gewohnten Welt. So teilen sie ehemals relevante Arten auf und kombinieren sie neu, fügen hinzu und ziehen ab, erreichen neue Unterscheidungen und Vereinigungen, ordnen Rangfolgen neu. Tatsächlich können Symbole durch Exemplifikation und Ausdruck sowie durch Denotation auf irgendeine oder all diese verschiedenen und bereits erwähnten Weisen bei der Welterzeugung eine Rolle spielen.
Die Musik wirkt offensichtlich in ähnlicher Weise auf die Sphäre des Hörbaren ein, nimmt aber ebenso teil an der Produktion jeder beliebigen sprachlichen und nicht-sprachlichen visuellen Mischversion, die wir zu einem bestimmten Zeitpunkt für unser ‚Weltbild‘ halten. Denn die Formen und Gefühle der Musik sind keineswegs alle auf den Klang beschränkt; viele Muster und Emotionen, Gestalten, Kontraste, Reime und Rhythmen gibt es im Hörbaren wie im Sichtbaren, manchmal auch im Tastbaren und im kinästhetischen Bereich. Ein Gedicht, ein Gemälde und eine Klaviersonate können buchstäblich und metaphorisch manchmal dieselben Eigenschaften exemplifizieren; jedes dieser Werke kann mithin Wirkungen haben, die sein eigenes Medium transzendieren. Heute, da in den darstellenden Künsten mit der Kombination von Medien experimentiert wird, ist nichts klarer, als daß Musik das Sehen beeinflußt, daß Bilder das Hören beeinflussen, daß beide auf die Tanzbewegung Einfluß nehmen und von dieser beeinflußt werden. Sie alle durchdringen sich bei der Welterzeugung wechselseitig.
Exemplifikation und Ausdruck sind freilich nicht ausschließlich Funktionen von abstrakten Werken, sondern auch von vielen deskriptiven und darstellenden Werken, seien sie fiktional oder nicht-fiktional. Was ein Porträt oder ein Roman exemplifiziert oder ausdrückt, reorganisiert eine Welt oft drastischer als das, was das Werk buchstäblich oder figurativ [132] sagt oder abbildet; und manchmal dient das Sujet bloß als Vehikel für das Ausgedrückte oder Exemplifizierte. Ob nun einzeln oder in Kombination, die verschiedenen Symbolisierungsweisen und -mittel sind machtvolle Instrumente. Mit ihnen kann ein japanisches Haiku oder ein fünfzeiliges Gedicht von Samuel Menashe eine Welt erneuern und umformen; ohne sie blieben Kunstwerke völlig folgenlos, selbst wenn ein Environment-Künstler einen Berg versetzte.
Die Hilfsmittel des Künstlers – wörtliche und nicht-wörtliche [metaphorische], sprachliche und nicht-sprachliche, denotative und nicht-denotative Modi der Bezugnahme in zahlreichen Medien – scheinen vielfältiger und eindrucksvoller zu sein als die des Wissenschaftlers. Doch anzunehmen, Wissenschaft sei schlicht und einfach sprachlich, buchstäblich und denotativ, hieße zum Beispiel die häufig verwendeten Analoginstrumente zu übersehen, etwa die Metapher, die beim Messen eine Rolle spielt, wenn ein numerisches Schema in einer neuen Sphäre angewandt wird, oder die Rede von ‚charm‘, ‚strangeness‘ und Schwarzen Löchern in der heutigen Physik und Astronomie. Selbst wenn das Endprodukt der Wissenschaft, im Gegensatz zur Kunst, wörtlich zu verstehende, wortsprachlich oder mathematisch formulierte denotative Theorie ist, gehen Wissenschaft und Kunst bei ihrem Suchen und Aufbauen in ganz ähnlicher Weise vor.
Meine Skizze der Tatsachen, die das Erfinden von Tatsachen betreffen, ist natürlich selbst eine Erfindung; doch wie ich mehr als einmal gewarnt habe, bedeutet die Anerkennung von vielfachen alternativen Weltversionen nicht den Anfang einer laissez-faire-Politik. Maßstäbe zur Unterscheidung von richtigen und falschen Versionen werden dadurch eher wichtiger als unwichtiger. Aber welche Maßstäbe? Wenn unversöhnte Alternativen zugelassen werden, so rückt Wahrheit in ein anderes Licht. Aber wenn wir unser Blickfeld ausweiten und um Lesarten und Sichtweisen bereichern, die keine Aussagen machen und vielleicht nicht einmal etwas beschreiben oder abbilden, dann wird es erforderlich, ganz andere Maß[133]stäbe als den der Wahrheit in Erwägung zu ziehen. Wahrheit ist oft nicht anwendbar, selten hinreichend und muß manchmal konkurrierenden Kriterien weichen.
5 Siehe LA, VI, 5 und die früheren Abschnitte, auf die dort angespielt wird. Das fünfte Symptom der Liste wurde als Ergebnis von Gesprächen mit den Professoren Paul Hernadi und Alan Nagel von der Universität Iowa hinzugefügt.
6 Dies schließt gewöhnliche Mehrdeutigkeit aus, bei der ein Terminus zwei oder mehr ganz unabhängige Denotationen zu ganz verschiedenen Zeiten und in ganz verschiedenen Kontexten hat.
7 Daß etwa die Lyrik, die nicht syntaktisch dicht ist, in geringerem Maße oder mit geringerer Wahrscheinlichkeit Kunst wäre als die Malerei, die alle vier Symptome aufweist, folgt daraus also keineswegs. Manche ästhetischen Symbole weisen weniger Symptome dieser Liste auf als manche nicht-ästhetischen Symbole. Dies wird manchmal mißverstanden.
8 Dies ist eine andere Version des Diktums, daß der Purist völlig recht und völlig unrecht habe.
9 Genauso wie das, was nicht rot ist, zu bestimmten Zeiten rot aussehen oder rot genannt werden kann, kann das, was nicht Kunst ist, zu gewissen Zeiten als Kunst fungieren oder Kunst genannt werden. Daß ein Objekt zu einer bestimmten Zeit als Kunst fungiert, daß es zu dieser Zeit den Status von Kunst hat und daß es zu dem Zeitpunkt Kunst ist, kann jedesmal als die gleiche Behauptung aufgefaßt werden – solange wir keine der Behauptungen so auffassen, als schreibe sie dem Objekt irgendeinen stabilen Status zu.
1 (Ab S. 118) Siehe SA, S. 26-28; PP, S. 157-161.
2 Auch in anderen Hinsichten, besonders dann, daß die nominalistische Doktrin verlangt, es müsse für jeden Unterschied eine konstruktivistische Deutung auf der Basis von Unterschieden zwischen Individuen gegeben werden, während die physikalistische Doktrin weniger explizit ist und häufig nur eine unspezifizierte oder bestenfalls kausale Verknüpfung zwischen physikalischen und anderen Unterschieden erfordert.
3 Obwohl SA dem Nominalismus verpflichtet ist, wurde sein Kriterium für konstruktivistische Definitionen und sein Maßstab für Einfachheit für Vergleichszwecke so weit gefaßt, daß sie auch auf platonistische Systeme zutreffen. Andererseits wird weder dort noch hier irgendeine Abweichung vom Extensionalismus zugestanden.
4 Woody Allen, „Meine Philosophie“, in: Wie du dir, so ich mir, München 1978, S. 37 f.
5 Norwood Hanson, Patterns of Discovery, Cambridge 1958, Kap. I und passim.
9 (ab S. 127) Zum Unterschied zwischen sprachlichen und bildlichen Symbolsystemen siehe LA, besonders I, 9 und VI, 1. Zur weiteren Erörterung der Denotation durch Bilder siehe meine Kommentare zu einem Papier von Monroe Beardsley in: Erkenntnis 12 (1978), S. 169-170.
10 Zur metaphorischen Wahrheit siehe auch LA, II, 5. Zu Bedeutungsbeziehungen zwischen verschiedenen fiktiven Termini wie „Don Quichotte“ und „Don Juan“ siehe PP, S. 221-238, und Israel Schefflers wichtigen Aufsatz „Ambiguity: an Inscriptional Approach“, in: R. Rudner und I. Scheffler (Hg.), Logic and Art. Essays in Honor of Nelson Goodman, Indianapolis und New York 1972, S. 251-272. Zu beachten ist: da „Don Quichotte“ und „Don Juan“ – wörtlich verstanden – die gleiche (Null-)Extension haben, können sie Menschen metaphorisch nicht in derselben Weise sortieren wie wörtlich zutreffende Prädikate. Wie läßt sich dann das metaphorische Verhalten dieser Termini unter die allgemeine Theorie der Metapher subsumieren? In zwei eng zusammenhängenden Weisen. Das metaphorische Sortieren kann widerspiegeln: (1) einen Unterschied in der wörtlichen Extension zwischen parallel konstruierten Zusammensetzungen, die die beiden Termini enthalten – zum Beispiel haben „Don Quichotte-Terminus (oder -Bild“) und „Don Juan-Terminus (oder -Bild)“ verschiedene wörtliche Extensionen. Oder (2) einen Unterschied zwischen Ausdrücken, die diese beiden Termini denotieren und die von ihnen exemplifiziert werden können – zum Beispiel ist „Don Juan“ ein chronischer-Verführer-Terminus, „Don Quichotte“ hingegen nicht. Kurz, „Don Quichotte“ und „Don Juan“ werden von verschiedenen Termini denotiert (z.B. von „Don Quichotte-Terminus“ und „Don Juan-Terminus“), die auch noch andere Termini denotieren (z.B. „närrischer Turnierkämpfer“ und „chronischer Verführer“), die wiederum verschiedene Menschen denotieren. Auch wenn dies etwas kompliziert ist, so sind die einzelnen Schritte doch alle einfach, und alles Feilschen mit fiktiven Entitäten wird vermieden.
11 FFF, II, 4. Ich lasse hier keineswegs die Schranken fallen, um bloß mögliche Welten zuzulassen, sondern weise nur darauf hin, daß sich die Rede, die scheinbar „über mögliche Dinge“ spricht, manchmal mit Gewinn in eine Rede über wirkliche Dinge reformulieren läßt.
Nelson Goodman: Weisen der Welterzeugung, 1978