Realität und Wirklichkeit in der Moderne

Texte zu Literatur, Kunst, Fotografie und Film

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In dem Moment..., 1929

Salvador Dalí

Quelle

Salvador Dalí: "In dem Moment…", in: Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde (1909–1938), hrsg. von Wolfgang Asholt und Walter Fähnders. Stuttgart/Weimar: Verlag J. B. Metzler 1995, S. 390-391. ISBN 3-476-01322-7.

Erstausgabe

"En el moment…", in: L'Amic de les arts 4/31 (1929), S. 1.

Genre

Manifest

Medium

Kunst

[390] […] In dem Moment, wo es auch für weniger Eingeweihte leicht vorauszusagen ist, mit welch wütender und absoluter Abneigung wir alle gegen die Kunst kämpfen werden, in dem Moment, wo sämtliche ANZEICHEN der letzten Zeit uns dahin führen, die Verwirklichungen des Reinsten und Anspruchvollsten unter den gegenwärtigen geistigen Produktionen als die NABELSCHNUR zu betrachten, die uns – unter noch nicht überwundenen, schmerzhaften Traumata – endgültig vom KREBSARTIGEN KUNSTPROZESS trennen wird, indem sie uns auf den lebendigen Weg unserer Konvulsionen führt – (von denen wir uns weder Trost noch die Geburt irgend eines neuen Glaubens erwarten) – IN RICHTUNG FREIHEIT;

In diesem Moment also, in dem die Ironie zur unwirksamsten aller Drogen wird und wo das Schwelgen in humanitärer Grausamkeit oder Moralität und anderen erhabenen Dingen sowie auch in allen möglichen nach allgemeinen LÖSUNGEN strebenden Philosophien im Endeffekt mindestens so unannehmbar, wenn nicht gar noch unannehmbarer geworden ist, als die Ironie selbst;

Angesichts dessen, was aus dieser einzigen und schlichten Tatsache GEFOLGERT worden ist, kann es keinen Zweck mehr haben, uns weiterhin etwas vorzumachen, und indem wir bereits in die Nähe der Angst gelangt sind, für die alles STREBEN allein darin bestehen wird, sich der ungewohnten Brutalität AUSZUSETZEN, mit der man die Bedeutungslosigkeiten ausgestattet hat;

[391] Zu diesem Zeitpunkt, so wiederhole ich, ist DER SURREALISMUS IN ABHÄNGIGKEIT VON DER REALITÄT als lebendige ANTI-KUNST, als MORALISCHE SUBVERSION das einzige wirksame Gegenmittel GEGEN DIE PHANTASIE, dank seiner unbegrenzten mechanischen Möglichkeiten und der unglaublich schnellen Anpassungsfähigkeit seiner Simultaneitaten, die zu den fruchtbarsten und schwindelerregendsten im Bereich der Erkenntnis gehören, da aufgrund der ... und der besonderen Beschaffenheit unseres psychischen Apparats, der es, dank geschmeidiger und geschickter Überlagerungen der unvereinbarsten und entgegengesetztesten Inhalte (sowie mit Hilfe anderer Spiegelsysteme) schafft, wie im Schlaf die Realität einer einfachen, organischen Gegenständlichkeit (ähnlich den Traumbildern) zu erzeugen, und es unserem Geist durch die Zeitraffung und die Anhäufung neuer Intensität – erlaubt, hinter die DINGE selbst zu gelangen und diese Dinge IHRER EIGENEN FREIHEIT auszusetzen und dabei zugleich, in Abwesenheit irgendeines Systems und mit der automatischen Hilfe der sabberigen NEUEN DREI-GESCHLECHTIGEN BLUMEN, die EINZIGEN Möglichkeiten jenseits aller Kombinationen oder des sinnreichen und erlesenen Vaudevilles des LYRISMUS zu entdecken. Für die VERFAULENDEN, die EMPFINDSAM IHREN ZUSTAND PFLEGEN... tut es uns furchtbar leid... ABER WIRKLICH...

Salvador Dalí […]

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Salvador Dalí: In dem Moment..., 1929

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