Zitiervorschlag: Anonymus (Hrsg.): "V.", in: Leipziger Spectateur, Vol.2\005 (1723), S. 83-91, ediert in: Ertler, Klaus-Dieter / Doms, Misia Sophia / Hahne, Nina (Hrsg.): Die "Spectators" im internationalen Kontext. Digitale Edition, Graz 2011- . hdl.handle.net/11471/513.20.2562 [aufgerufen am: ].


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Zitat/Motto► Custodiat me Deus a Satanæ sævitia, mulierum malitia & Theologorum rabie. ◀Zitat/Motto

Philipp. Melanchton

Zitat/Motto► Höchster schütze deine Knechte für des Satans Wüterey
Der in seinen Gliedern tobt ihre Seelen-Ruh zu stöhren.
Schaffe daß das treue Hertze für den Weibern sicher sey
Deren Arglist Klugheit heist, die der Boßheit Götzen ehren!
[84] Und wenn in der Schaaffe Kleider sich ein zänckscher Wolff versteckt
Der, als ein Theologus, deine Schäffgen will zerstücken,
So sey du der rechte Hirte, der uns für den Würger deckt,
Und errette unsern Fuß aus den ihm gelegten Stricken.
◀Zitat/Motto

Ebene 2► DJe Bemühungen dererjenigen, welche an der Vereinigung der Reformirten und Lutherischen Religion arbeiten, und derer, welche dawider streiten, machen jetzo in Religions-Sachen das gröste Aufsehn. Man zehlet schon hundert und mehr Schrifften, die dieserhalb zum Vorschein gekommen, und die Buchdrucker haben noch alle Hände voll zu thun. Weil ich versprochen habe, mich in Staats- und Religions-Sachen nicht zu mischen, so will ich mich auch nicht unterfangen, ferner von der Union etwas zu gedencken, und denen, die der Sache gewachsen und dazu den Beruf haben, keinen Eingriff thun. Jch habe nur meine Einfälle bey der Union dem Leser communiciren wollen, vielleicht findet er darunter etwas ihm zur Besserung dienliches. Einmahl gedachte ich, wie es doch kommen müsse, daß in allen Stücken sich der Eyfer eines Menschen weit grösser zeigt, wenn er etwas zerreissen und vernichten, als wann er etwas vergäutzen und wieder aufbauen soll. Man ruinirt etwas mit Lust und Hertzens-Vergnügen, und wenn man es wieder herstellen und in vorigen guten Stand bringen muß, [85] so bezeuget man sich schläffrig und verdrossen. Die Boßheit der Menschen kan es selten vertragen, daß zwey gute Freunde in wahrer Hertzens-Vereinigung, oder überhaupt Leute in gutem Vernehmen mit einander stehen, da plaudert man und träget so lange von einem zum andern, bis Collegen, Ehegatten, Hertzens-Freunde, Stuben-Pursche, Anverwandte, Eltern und Kinder, Regenten und Unterthanen, Herrschafft und Gesinde, Lehrer und Zuhörer, Führer und Untergebene ein Mißtrauen gegen einander zu hegen anfangen, und also bemühet man sich recht eyfrig, den Grund einer guten Harmonie boshafftiglich zu stöhren und hingegen zu einer unversöhnlichen Feindschafft sorgfältig zu legen. Soll man hingegen suchen, das Mißtrauen solcher Leute gegen einander zu heben, sie mit einander zu versöhnen, an beyden Orten zum besten zu reden, da ist niemand zu Hause, ein jeder spricht: Was gehet es mich an? wer will sich zwischen die Leute stecken. Eben so gehts mit einzelen Personen, wie gar ungerne sieht mans doch gemeiniglich, wenn ein Mensch mit sich selbst zu frieden, ruhig und gelassen ist, oder wenn er etwa glückliche Umstände hat, wie gern stöhrt man doch seine Ruhe durch falsche Erzehlungen, durch ungerechte Prætensiones allerhand Zumuthungen, übele Nachrede, unruhige Aufführung, Betrügerey, falsche Versprechungen, treuhertzig machen, und dergleichen Boßheit. Aber wann es darauf ankommt, daß man sich soll erkentlich zeigen gegen denselben, zu seinem wahrhafftigen Wohl etwas beytragen, seine Ruhe be-[86]fördern, seinen ehrlichen Nahmen retten, seine Fehler mit der Christlichen Liebe und vernünfftigen Menschen-Liebe zu decken, und dergleichen Christen- Bürger- und Menschen-Pflichten ihm erzeigen, da will niemand dran! es heist: Ein jeder für sich, GOtt für uns alle; habe ich müssen sehen, wie ich zu rechte kommen bin, so mögen andere Leute auch sehn, wie sie zurechte kommen. Ebene 3► Exemplum► Der gute Doctor Sobrius raucht gerne ein Pfeiffgen Taback, diesen Umstand hat seine Contrafaction, welche seinen Applausum mit neidischen Augen ansieht, sich so zu Nutze gemacht, daß man in weit entlegenen Orten ihn einer liederlichen Lebens-Art unverschämter Weise beschuldiget, da er wahrhafftig unter die Zahl der wenigen ohnpedantischen Philosophen unsrer Zeit gehöret, vor sich stille, mäßig und ordentlich lebet, und niemand incommodiret, aber hingegen mit seiner Redlichkeit, Höflichkeit und vernünfftigen Conduite alle seine Antagonisten beschämet. Aber würde man auch wohl so sorgfältig die guten Umstände dieses Mannes anwenden, seine Renommé, Glück und Ruhe feste zu stellen? Und so gehts tausend ehrlichen Leuten. Der arme Aristoteles, Carthesius, Gassendus und mehr andere lebende so wohl als todte, finden viel mehr, welche sich bemühen, sie zu Ketzern und Atheisten zu machen, als welche sie etwa vertheidigten, und diese können noch dazu es jenen an Eifer niemahln gleich thun. Wie ich dann nicht glaube daß sich niemand finden werde unter den Vertheidigern, ich will setzen, der drey erst benannten Philosophen, welcher sie in einem Capitel so sorg-[87]fältig vertheidigte, als sie neulich iemand in einem gantzen Buche zu Atheisten hat machen wollen. ◀Exemplum ◀Ebene 3

Es ist mir aber auch bey allem diesen eingefallen, was doch die Ursache sey, daß der Neid und Haß der Gelehrten, und ins besondere der Theologorum, so empfindlich, so geschäfftig, so nachdrücklich sich an manchen Orten zeige. Die vortrefflichsten Moralisten in ihrem Cabinet, welche so leicht in Worten über ihre Neigungen herrschen, daß sie darauf herum springen, wie der Seil-Täntzer auf der Leine, können sich nicht mehr bergen, wenn sie iemand sehen, der auch ein Moraliste seyn will, oder der ihnen widerspricht, oder auch einigen Beyfall findet. Ja sie wollen lieber ihren unbändigen Zorn und ungeheuren Neid, der sich nur alle Augenblick auf eine lächerliche recht pedantische Art verräth, vor einen gerechten Neid, vor einen billigen Zorn ausgeben, und auf diese Weise den Leuten die Augen verkleistern, daß sie die Niederträchtigkeit einer solchen engbrüstigen Seele, die sich von ihrem närrischen Affect hinreissen läst, darunter nicht beobachten. Mancher der sich für einen Theologum ausgiebt, ob er schon falsche Lehr-Sätze hat, und ein böses Leben führt; denckt doch sein ehrgeitziger oder geldgeitziger Eifer müsse vor eine Tugend gehalten werden, wenn er nur den Nahmen des Allerhöchsten mißbrauchet, und dessen Ehre vorschützet, aber unter diesem Vorwand seinen Nächsten drückt, schmähet, lästert, verläumdet, um das Seinige bringet, seinem tollen Affect nachhänget, und die Schaafe frißt, an statt daß er sie weiden solte; da [88] steht nun der erboste Philosophus, der erhitzte falsche Theologus und suchen sich und ihre Thorheit, hinter ein solches Caput Medusae zu verstecken, welches jener nennt die gesunde Vernunfft, und dieser die Ehre GOttes, da doch beyde nur einen gläsernen oder strohernen Schild ergreiffen an statt des Schildes der Minervæ, und beyde die Ehre ihres Götzen, den sie im Hertzen anbeten, durch Vorurtheile und Sophistereyen thörichter Weise verfechten. Allein eben ihr Vorwand macht, daß ihr Neid und Haß so gar empfindlich ist. Eine böse Nachrede ist weit schädlicher, als wenn mir iemand was sonst zu Leide thut, dann sie höret nicht auf, nimmt nicht leicht ab, und man kan sich nicht so behutsam dafür wehren und davon befreyen. Es heist: Es fallen keine Späne sie werden gehauen: Calumniare audacter, semper aliquid hæret: Quilibet præsumitur malus: Es ist heut zu Tage niemand zu trauen: der Menschen Boßheit ist groß. Dieses sind die Grund-Sätze, welche jedweder in der heutigen Welt in seinen Geheimden Rath als Staats-Maximes ansiehet, kommt nun von dem Nächsten eine üble, ob schon ungegründete Nachrede, die fasset gleich Feuer in solchen Zunder, und wird sodann die daher entbrannte Glut wider den Nächsten nicht so leicht gedämpffet. Und wer wolte hernach mit einem Menschen zu thun haben, den der Philosophus für unvernünfftig, für einen Sclaven seiner Neigung ausgiebt, und wann er sonst nichts an sich hätte, das unrecht wäre, als daß er an statt des Thee, Caffee träncke, und was ihm nicht schmeckte, nicht [89] essen möchte. Wer würde doch wohl sich mit einen solchen einlassen, den der unter den Schaafs-Kleidern versteckte Wolff für einen Atheisten, Naturalisten, Pietisten, Jndifferentisten, Anticatametahyperbiridampffomemphibeuchunruministen, ausschreyet, und wenn es sonsten aus nichts anders solte können dargethan werden, als daß er an die vier Elementa: Aquam, Aërem, Ignem & Terram nicht glauben wolte. Rechtschaffenen Theologis, rechtschaffenen Philosophis, die mit reiner Lehre, gutem Leben vernünfftig und gelassen, liebreich, sanfftmüthig iederman begegnen, entgeht die ihnen gebührende Hochachtung niemahls, wann sie schon Laster und Jrrthümer, Neigungen und Vorurtheile bekriegen, aber die gehören auch nicht unter diejenigen, davon Philipp Melanchthon, wie ich selbst gesehen, einem ins Stamm-Buch geschrieben: Custodiat me Deus a Theologorum rabie. Ebene 3► Exemplum► Das letzte endlich was mir hiebey in die Gedancken kommen, ist dieses, daß man sich billich über die Begierde mancher Leute zu verwundern hat, die andere zwingen wollen, ohne Widerrede zu glauben, was sie glauben. Jener Fürstliche Keller-Meister in Liegnitz kriegte einen Bauren, der gerne wolte von des Fürsten Tafel-Wein trincken, schenckte ihm einen Nössel-Becher aus dem Baum-Öl Fasse ein, und sagte das wäre des Fürsten Wein. Aber der Bauer trunck nur einmahl, und als ihm der Keller-Meister das andere Glaß anbot, so sagte er: Nee där Wein ös fer mich zu fätt. Hier hatte doch der Keller-Wirth ein Vergnügen, da [90] er den vernaschtem Bauren bezahlt, daß er nicht Lust hatte wieder anzubeissen, aber ich wüste nicht was ich mir daraus machen könte, wenn iemand gläubte was ich glaube, oder wann er es nun nicht glauben wolte und könte, so weiß ich nicht was ich davon hätte, daß ich ihn darzu forcirete. ◀Exemplum ◀Ebene 3 Man findet aber doch auch, daß sich der Zwangs-Mittel, andere zu einen gleichförmigen Glauben zu bringen, nur die boßhafftigen, irrgläubigen und unvernünfftige Leute bedienet haben. Dort ruffet CHristus das Wehe aus über die Pharisäer, daß sie Land und Wasser umzögen, einen Jüden-Genossen zu machen, daraus hernach ein Kind der Höllen würde zwiefach mehr, denn sie wären, Matth. 23. v. 15. Die Heyden opfferten ihrem falschen Götzen-Dienst und Eigendünckel vieler tausend Christen unschuldiges Märtyrer Blut auf. Mahomet pflantzt seine närrische Abgötterey durch seine Nachkommen mehrentheils mit dem Schwerdt fort. Die Päbstler und Papenzende Secten sind ein fast noch tägliches Exempel der unbesonnenen Wuth, andere Leute zu einem gleichförmigen Glauben zu zwingen. Wer ihnen zu gefallen nicht ihre Gauckel-Possen mit macht, dem wird bald Feuer und Schwerdt, Gefängniß, Hunger und alles Unglück angedrohet. Hingegen CHristus, die Propheten, Apostel und alle wahre rechtgläubige Theologi, ingleichen Socrates Plato Seneca und alle wahrhafftig vernünfftige, weise und tugendhaffte Philosophi, haben sich niemahls der Zwangs-Mittel bedienet, [91] Leute zu ihren Glaubens-Genossen zu machen, ob jene schon ohne Scheu ihnen den rechten Glauben geprediget, und diese die Wahrheit zu lehren sich befliessen. ◀Ebene 2 ◀Ebene 1