Zitiervorschlag: Anonymus (Hrsg.): "IV.", in: Leipziger Spectateur, Vol.3\004 (1723), S. 129-139, ediert in: Ertler, Klaus-Dieter / Doms, Misia Sophia / Hahne, Nina (Hrsg.): Die "Spectators" im internationalen Kontext. Digitale Edition, Graz 2011- . hdl.handle.net/11471/513.20.2549 [aufgerufen am: ].


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IV.

Zitat/Motto► Neglectis urenda filix innascitur agris, Horat. Satyr. 3. lib. I. ◀Zitat/Motto

[130] Zitat/Motto► Was Wunder daß nur Lülch, Dorn, Nessel, Diestel blühet,
Wo nicht des Gärtners Fleiß und Hand,
Das noch so gut beschaffene Land,
Vom Unkraut reiniget, und die Gewächse ziehet?
Was Wunder, daß das Hertz den wüsten Äckern gleichet,
Wenn dem verwilderten Verstand,
Die Zucht der Weißheit unbekannt,
Und die
Philosophie aus unsern Gräntzen weichet. ◀Zitat/Motto

Ebene 2► Ebene 3► Satire► Jch habe auf einer gewissen Universität einen nahen Freund, der ist gantz auf verkehrten Wegen, und da ich ihn verschiedene mahl davon abzuleiten gesucht, er aber meinen Vorstellungen nicht Gehör geben wollen, so werde nunmehro mit ihm schrifftmäßig verfahren, nach Matth. 18, v. 15. 16. 17. Seine Fehler und Kranckheit, davon er fast nicht zu befreyen ist, bestehet darinn, daß er das StudentenLeben und die so genannten Purschen-Mores nicht abschaffen will. Dieses scheinet zwar ein geringer und gemeiner Fehler zu seyn, aber je geringer er scheinet, je gemeiner er ist, je schädlicher ist er auch, und wann mein Freund diesen nicht ablegt, so ist er auf sein Lebtage, ja wohl auf ewig, verdorben. Dieser Fehler gründet sich auf die Beschreibung eines Studenten, welche Taubmann gegeben: daß ein Studiosus ein freyes Thier sey, das keinen Zwang [131] leiden könne, sondern nur mit guten Worten und lauter Douceurs wolle tractiret seyn. Und in diesen Fehler verfallen die Leute mehrentheils gleich anfangs, wenn sie der Ruthe entlauffen, und gerathen darüber in eine gewisse Unempfindlichkeit, da sie nicht an sich selbst gedencken, ihre Absichten niemahls dahin einrichten, der menschlichen Gesellschafft zu dienen, sondern nur sich auf der Universität frey als Pursche aufzuführen, und alles übern Hauffen zu werffen, was sie nur einigermassen einzuschrencken suchet, da doch kein Stand in der Welt anzutreffen, der nicht durch gewisse Pflichten eingeschränckt wird, und da man wenigstens ein honnet homme seyn muß. Dabey suchen sie weder ihren Verstand, noch Willen, noch Conduite zu bessern, sondern nur es mit dem grösten und liederlichsten Hauffen zu halten, und selbigen zu gefallen. Monarch, Ministri, Eltern, Freunde, Patroni, Göttliche und menschliche Gesetze, Lehrer und ehrliche Leute mögen sauer oder susse darzu sehen. So bald als mein Freind auf die Universität kam, gedachte er: nun sey die güldne Zeit der edlen Freyheit für ihn erschienen, da der Stecken des Treibers von ihm genommen und zerbrochen, er aber nunmehro sein eigner Herr seyn, nicht bedenckend was er für einen närrischen Herrn auf die Weise bekommen und bedienen werde. Also seit der Zeit bedient er sich seiner völligen Commodité und siehet, wie es andere Pursche machen, derer Conduite ihm gefällt, ob sie gleich vernünfftigen und Klugen mißfällt. Er hat [132] des Jahrs 400. thlr. zu verzehren, damit kan er niemahls auskommen, und klagt es sey zu wenig, und ich bin versichert wann er nur wolte, er würde mit 300. thlrn. reichen und 100 thlr. alle Jahr beylegen können. Aber da ist er so einfältig, daß er nicht will damit zu frieden seyn, und solten seine Eltern ihr gantzes Vermögen darüber ruiniren, und mit seinem Geschwister betteln gehen. Jch wette, wann er einmahl einen Dienst kriegt, so nimmt er 400. Thlr. (welches bey uns schon viel heist) und ernehret Frau und Kinder und Gesinde davon. Anietzo aber klagt er, er könne nicht auskommen, weil es die Purschen-Mores so erfodern, daß er sich über seine Einkünffte und über seine Eltern beschwere. Spricht man: Ein jeder strecke sich nach der Decke, mit vielem hält man Hauß, mit wenigem kommt man auch aus, und ein vernünfftiger Mensch wird ja niemahls so dämisch und albern seyn, und mehr verthun wollen, als er einnimmt: So antwortet er: daß sey nicht Pursche-Manier. Jnzwischen haben die lieben Eltern zu Hause den grösten Kummer, und depensiren nach Proportion in einem Jahre mit ihrer gantzen Familie und Haushaltung nicht so viel als der Hr. Sohn alleine. Des Morgens pflegt er die schönsten Morgenstunden zu verschlaffen, und gedenckt: Aurora musis amica heist so viel, als: Des Morgens schläfft sichs am besten. Wenn er nun ja endlich den faulen Leib aus den Federn herausreisset, so siehet er zufördest nach einer Pfeiffe Taback um; denn das ist [133] Purschen-Manier, und zu dergleichen Frühstück müssen Geheimde-Staats-Hof-Räthe, oder andere Leute, die in öffentlichen honorablen Ämtern stehen, ihnen den appetit wohl vergehen lassen, und es ist wohl Christlich, aber nicht allemahl Purschen-Manier, den Tag mit Gebet anfangen und beschliessen. Zu der Pfeiffe Taback rufft er mit gravitætscher Stimme nach der Junge-Magd im Hause, und bestellet ihm Thee Wasser. Das Thee-Wasser kommt auch endlich an, so erscheinen auch zugleich ein paar gute Freunde, die sich zu Gaste bitten, und da ist es Purschenmanier, daß die Junge-Magd sich ein wenig handhaben läst. Uber dem Thee-trincken rückt die Zeit heran, das Collegium zu besuchen, so greifft er allgemählich nach den Bein-Kleidern und Strümpfen, dann das ist Purschen-Manier, daß man sich nicht so gleich des Morgens hurtig anziehe, wie wohl andere wackere Leute thun müssen. Kommt es daß er nicht fertig werden kan, oder die Herren Brüder bleiben etwa zu lang bey ihm (dann es ist keine Purschen-Manier jemand heissen gehen) so macht er sich kein Gewissen, das Collegium zu versäumen. Kan er noch fertig werden, so ist es doch nicht Purschen-Manier, daß er zu rechter Zeit kommt, sondern er præsentiret sich seinem Lehrer, wenn die Stunde bereits halb verflossen. Wenn es auch geschlagen, so ist Purschen-Manier, daß er mit dem Fuß etwas scharret, und mit dem Stuhl rückt, damit er nicht über die Zeit aufgehalten werde. Jn der Stunde selbst ist [134] es Pursche-Maniere, daß man kein Buch mitbringe, wenigstens es nicht selbst trage, auch nicht nachschreibe, oder gehörige Attention gebrauche, das war nur auf Schulen mode, als er noch ein Fuchs war, nun aber ist er ein Pursche, da muß er sich nicht so schulfüchßig aufführen; Sondern er discouriret mit seinem Nachbar, oder denckt etwas vor sich, bedenckt sich wie ein Grand d’Espagne, dehnet sich vielleicht ein wenig, und läst seine Tabatiern herumgehen, und das ist Purschen-Manier. Jst das Collegium aus, so ist Purschen-Manier, daß er nicht repetire, sondern in Gesellschafft einiger andern an das schwartze Bret gehe, oder weil es jetzo kalt ist, ein Caffe-Hauß besuche. Und daselbst hat er wiederum neue Purschen-Manier zu beobachten, daß er neml. den Marqueur und die Jungen nie ungetrillet lasse. Kommt er zu Tische, so sitzen die andern mehrentheils schon und speisen, und da ist Purschen-Manier, daß er nicht betet, denn das würde pietistisch aussehen. Er speiset auch lieber bey einem Tracteur, als einem ehrbahren ansehnlichen Tisch-Wirthe, von dessen Umgang er Ehre und Nutzen hätte, denn in Gesellschafft eines solchen Mannes würde er alle Purschen-Manier vergessen müssen die er sonst hat: Zum Exempel: Das ist Purschen-Manier, daß er den Tracteur vexiret, sich mit ihm familiarisiret, in die Teller sticht, mit dem Brodt spielt, bey dem Tische prahlt, grob schertzet, mit der grösten Vehementz biß auf die Zänckerey disputi- [135] ret, und so fortan. Von Tische gehts in Compagnie, sie sey auch wo sie wolle, da ist seine Purschen-Manier, daß er Taback rauchet, schreyet und singet, wacker saufft, Brüderschafften macht, die Hüte auf den Tisch werffen oder mit den Degen an die Decke spiessen lässet, die Junge-Mägde herum zauset, wann sie Bier bringen, Zoten reist, fluchet und dergleichen schöne Exercitia mehr treibet, die in der Werckstatt des heiligen Geistes niemahls vorkommen. Oder er spielet und plaudert unnützes Zeug; dann das ist nach seiner Meinung nicht Purschen-Manier, daß man etwas vernünfftiges discouriren solte, und wo er an einem Orte ist, da vernünfftige Discourse und modeste Lebens-Arten prævaliren, da bleibt er nicht lange. Des Abends läufft er in dem Schlaff-Rocke mit der Tabacks-Pfeiffe auf der Strasse herum, und fällt, als wann er halb toll wäre alle Leute an, zumahl Weibs-Personen, da schreyet er, da fodert er die Häscher heraus, das ist Purschen-Manier. Kommt er wieder nach Hause, so geschichts um 12 oder Uhr, dann das ist Purschen-Manier, und wer wolte wie die Philister- leben und præcise um 10 Uhr; nach Hause kommen, wann andere honnete Leute nach Hause zu gehen pflegen, und man bey uns die Häuser schliest. Zu Hause, wo er mit vielem Geprassel nach Purschen-Manier, seinen trotzigen Einzug hält, trifft er die liebe Junge-Magd wieder an, da hat er eine angenehme Conversation, und das ist Purschen-[136]Manier, mit den Mägden im Hause muß mans nicht verderben, da discouriret er entweder unnütze Sachen mit ihnen, oder hat alber Zeug vor, daß man sich schämet, daran zu gedencken. Des Sontags besucht er selten die Kirche, oder wenn er ja dieselbe besuchet, so laufft er ab und zu, und das ist Purschen-Manier, an statt daß er solte auf die Studenten-Chore gehen, da fein wie andere Leute, die zu leben wissen, sich stellen und andächtig mit halten, laufft er mitten in der Kirche mit bedecktem Haupte herum, und wenn man sagt, es sey verboten also herum zu vagiren, so spricht er: Es sey einmahl Purschen-Manier. Jst die Kirche aus, so stellet er sich nebst andern für die Kirche, und formiret die Gassen für das Frauenzimmer, und das ist Purschen-Manier, da ist gewiß dem armen Frauenzimmer so zu muthe, als dem Soldaten, wenn er soll durch die Spieß-Ruthen lauffen, und da hat der Pursche seine Freude daran. Wenn er aber in Gesellschafft von honnetes Frauenzimmer kommt, da ist seine Purschen-Manier aus, und er ist kaum vermögend mit aller seiner Hertzhafftigkeit und impertinenten Courage ein Wort fürzubringen. Und O! da ich an seine Courage gedencke, muß ich schier erschrecken; denn die ist nicht zu besänfftigen, wenn ihn jemand, wie er spricht, touchiret, affrontiret, beleidiget, und wann er ihm auch nur mit der Nase auf den Absatz gefallen wäre, oder an ihn angestossen hätte. Da heist es: Die Sache muß ausgemacht werden, und er stellet sich darbey, als wann des H. Röm. [137] Reichs Wohlfarth darauf beruhete. Denn seine Renommé muß man nicht hindan setzen, nichts auf sich sitzen lassen, keinem ein gut Wort geben, alles verfechten, das ist Purschen-Manier. Als ihn sein Vater auf die Academie schickte, so sagte er zu ihm: Lieber Sohn, ich schicke dich nunmehro dahin, weil du die Kinderschuh vertreten, da du vollends ablegen solt, was kindisch ist etc. Du wirst zwar viele Kinder dort antreffen, Knaben von 20. und 30. Jahren, die haben noch gewisse Puppen, mit welchen sie spielen, dafür hüte dich und spiele nicht mit selbigen etc Z. E. Sie haben eine Puppe die nennen sie Renommé, und siehet aus als wann es wahrhafftige Renommé wäre, wann sie selbige anputzen, aber sie es nicht. Wahrhafftige gute Renommé bekrönet alle diejenigen, welche GOtt fürchten, seine Gebote halten, ihren Nächsten lieben, und sich der honneteté befleißigen, hingegen der Purschen Renommé die Puppe ist eine rechte B.renommé, deren sich ein rechtschaffener Kerl, wenn er zu Verstande kommt, schämet etc. Das sagte der Vater, allein der Herr Sohn spricht, der Vater habe nicht verstanden, was Purschen-Manier sey. Aber wann würde ich fertig werden, wann ich alles erzehlen wolte, was er für Purschen-Manier ausgiebt: z. E. zu Dorffe reiten, gehen, fahren, in der Comœdie auf das Theatrum treten, und da die Actores verhindern, ohngeachtet man nichts rechts da sehen kan, und nur denen Comœdiantinnen näher ist, bey welchen sich Leute von Distinction nothwendig insinuiren müssen etc. Auf [138] den Großvater gehen, oder wann Hochzeiten sind, sich mit unter die Gäste mengen und sie incommodiren, niemand gern bezahlen, überall borgen, Kleider, Bücher und Betten versetzen, oder verkauffen, fleißig auf den Gassen herumlauffen, Courtesien machen, zumahl wenn das amabile rostrum bey dem Brauen des rastrum beschäfftiget ist etc. die Leute auslachen, verhöhnen, schrauben, nach Gelegenheit einen petit maitre abgeben, Degen, Hut, Peruque auf besonders negligeante Art tragen, und so fort an, das hält er alles für Purschen-Manier. Wolte doch GOtt, daß er nur den Schaden davon einsehen lernete. Jch habe öffters Gelegenheit gehabt und gesucht, sein Glücke zu machen, allein seine Purschen-Manieren stehen ihm und allen Leuten im Wege. Er bleibt ungeschliffen, schickt sich in keine Weise an, GOtt und der Republic dermahleinst zu dienen, ja er denckt nicht ein eintzig mahl was er werden oder dereinsten in der Welt bedeuten wolle, und er wird doch nicht ewig auf dem Schauplatze der Welt die Person eines Purschen spielen können. Mit was für Zwang wird er doch die Purschen-Manieren endlich ablegen müssen, wann er in die galante und vernünfftige Welt kommt, da man keine Kinder- und Purschen-Manieren vertragen kan, woferne er nicht gantz und gar unglücklich bleiben will; Jedoch er wird glücklich werden sie abzulegen, wenn er nur eimnahl anfangen wird zu raisonniren, und einer gesunden Philosophie (woran es ihm bißher gefehlet) Gehör zu geben, die uns von dem viehischen Wesen zur Menschheit und [139] Weißheit führet, auch so gar zur Annehmung und Erkäntniß GOttes und seines Willens in dem geoffenbahreten Worte GOttes leitet. Welches Glück ich ihm von Hertzen wünsche. ◀Satire ◀Ebene 3 ◀Ebene 2 ◀Ebene 1