Zitiervorschlag: Anonymus (Hrsg.): "I.", in: Leipziger Spectateur, Vol.3\001 (1723), S. 99-107, ediert in: Ertler, Klaus-Dieter / Doms, Misia Sophia / Hahne, Nina (Hrsg.): Die "Spectators" im internationalen Kontext. Digitale Edition, Graz 2011- . hdl.handle.net/11471/513.20.2546 [aufgerufen am: ].


Ebene 1►

Der
Leipziger
SPECTATEUR.
.

Zitat/Motto► ‒ ‒ ‒ Improbæ
Crescunt divitiæ: tamen
Curtæ nescio quid semper abest rei
. ◀Zitat/Motto

Horat. Od. 24. lib. 3.

Zitat/Motto► Der Mammon, welchen offt Betrug und Frevel zeugt,
Und welcher widerum der Boßheit Unthier säugt,
Vermehrt sich; Dennoch klagt die Gold-begierge Seele
Daß ihr es immerfort in ihrer Rechnung fehle.
◀Zitat/Motto

Ebene 2► Allgemeine Erzählung► DJe Nachwelt, wenn sie die Thaten unsers Allertheuersten Ober-Haupts mit erstaunen lesen wird, darff sich dermahleins [100] nicht verwundern, wie ein Herr, welcher mit seinen Unterthanen nicht einerley Religion zugethan ist, und dem diese, wegen nöthiger Landes-Angelegenheiten, vieles von ihrem Blut und Vermögen willig und gern entrichten, dennoch eine so grosse Liebe bey seinen Unterthanen gefunden. Denn wir leben durch die Gnade GOttes unter der weisesten Regierung unsers Allergnädigsten Landes-Vaters in so beglückten Umständen, welche fast die halbe Welt mit neidischen Augen ansiehet; Daher kommt eine so grosse Liebe der getreuesten Unterthanen, daß auch der geringste davon, ja die kleinen Kinder auf den Gassen, für Freuden fast ausser sich selbst gesetzet werden, so bald sie nur hören, daß ihnen erlaubt sey diese Landes-Sonne wiederum in unsern Horizont unterthänigst zu verehren, nachdem sie ihren auswärtigen Reichen auch nur auf kurtze Zeit ihre Strahlen vergönnet. Unser allertheurester Friedrich August hat die Freyheit unsrer Religion niemahls verletzet, sondern vielmehr kräfftigst beschützet, die Studia unterstützet, die Commercia in einen florisanten Zustand gesetzet, läßt ihm dieselbe immer mehr und mehr zu verbessern allergnädigst angelegen seyn, und was das fürtrefflichste ist, so lässet er bey der grossen Leutseligkeit und Gnade, damit er aller Hertzen an sich ziehet, dennoch einem jeden auf das allergenaueste Recht und Gerechtigkeit wiederfahren. Wer nur unter der Regierung dieses Gesalbten des Herrn die Absicht hat, seinem Nechsten aufrichtig zu dienen, den Nutzen der menschlichen Gesellschafft zu befördern, und etwas recht-[101]schaffenes zu lernen und vorzunehmen, dem wird es niemahls an Freyheit, Gelegenheit und allen Vorschub fehlen. Solten wir dann nicht die Glückseligkeit unserer Umstände erkennen, die Gnade GOttes preisen, den Purpur unsers Allerdurchläuchtigsten Königes, allerunterthänigst küssen, und diese unsere geheiligte Majestät mit aufrichtiger Liebe demüthigst verehren? Allein solten wir nicht auch zugleich uns alles Ernstes bemühen, diejenigen Vortheile welche wir für andern Unterthanen haben, recht zu gebrauchen, und hierin unser eigenes Vergnügen, und unsers Nechsten Nutzen so viel möglich nach göttlicher Intention zu befördern suchen? Jedoch wie es gemeiniglich zu gehen pfleget, daß man sich der gegenwärtigen zum theil grossen Güther selber nicht recht vollkommen zu bedienen weiß, also muß ich auch gestehen, daß unsere Neigungen uns zum öfftern hinderlich fallen, wenn wir uns die vorhandenen Vortheile am besten zu Nutze machen könten. Daß ich von den schönen Commerciis die wir haben, nur vielleicht den geringsten Umstand vorjetzo betrachte: Wie machen nicht Käuffer und Verkäuffer untereinander im Handel und Wandel ihnen selbst das Leben sauer? Wie martern und quälen sie sich nicht einander, ehe sie einen Kauff schliessen, durch vergebliches reden, schweren, dingen und dergleichen. Jeder Verkäuffer lobet seine Waare, und daran thut er nicht unrecht, er suchet seinen Profit das ist billig, und den muß man ihn gönnen: Aber wenn er seine Waare mehr erhebet, als es mit Bestande der Wahrheit geschehen mag, wenn er gar zu [102] grossen Profit suchet, wann er den Käuffer an Maaß und Gewicht zu hintergehen trachtet, dieses sind Würckungen seines Geld-Geitzes, womit er seinen Käuffer entsetzlich beunruhiget. Der Käuffer wolte gerne gute Waare haben, das ist ihm nicht zu verargen, er wolte sie gerne wohlfeil kauffen, das kan er ohn Verletzung seines Gewissens thun; Allein er muß dem Kauffmann seine Waare nicht niederschlagen, und prætendiren um ein geringes Geld, etwas das noch einmahl so viel werth ist an sich zu handeln, sonsten wird er seinen schnöden Geld-Geitz verrathen, wodurch er seine eigene und des Verkäuffers Ruhe stöhret, und diesen um seinen Nutzen zu bringen beflissen ist. Was ist aber wohl gemeiners, als diese Fehler der Käuffer und Verkäuffer bey allen Nationen. Und hat schon Syrach in seinem 27. Cap. am 28. und folgenden Versen, deßwegen zu klagen Ursach gehabt, so dürffen wir gewiß nicht dencken, daß es unserer Handlung daran fehle; da die Erfahrung lehret, daß die Zeiten sich nicht gebessert. Eines Kauffmanns der Verstand hat gröste honneteté und Klugheit bestehet hauptsächlich darinn, daß er allezeit gute Waaren habe, und ihnen nach dem couranten Preiß, nach Beschaffenheit der Liebhaber, und nach seinen Einkauff den rechten Werth und Taxe zu geben wissen. Er kan ohne seinen Schaden in seiner Handlung leichtlich gute Waaren haben, wann er nur will, und nicht gar ein Ignorante in seiner Profession oder malhonneter Betrüger ist. Einige Waaren sind so beschaffen, daß sie gar keinen gewissen Preiß [103] haben, aber deren sind sehr wenig, und kommen selten für. Uberhaupt aber muß er seine Waaren so zu taxiren wissen, daß er Profit davon habe, von welchen Profit er sich und seine Familie honnet unterhalten und den Handel fortsetzen könne. Wann er nun von dem Käuffer fodert was ihn seine Waare bey dem Einkauff gekostet hat, die Unkosten und Abgaben dazu schlägt und ohngefehr . pro cent für seinen Verlag rechnet, so düncket mich thue er nichts unvernünfftiges. Laß es seyn, daß er auch noch für seine Mühe etwas mit ansetzet, . . oder . pro cent, so hat er . bis 10. pro cent Profit, und ich glaube, daß er auf die Weise sehr wohl zu rechte kommen, seinen Handel unterhalten, und seinen Käuffer nicht bevortheilen könne. Dabey hat er ein gut Gewissen, setzt sich in Renomme, bekommt für andern guten Zuschlag, erhält Credit, vergnügt seinen Käuffer, und ist der menschlichen Gesellschafft ein recht nöthiges und angenehmes Mittglied. Der Käuffer müste nun sich bescheiden, dem Kaufman seinen Nutzen zu gönnen, ihn nicht vergeblich zu bemühen, alle seine Waaren auszulegen und umzukehren, oder ihn seiner Zeit ohne Noth zu berauben, noch ihn mit vergeblichem Handeln und düngen, mit unnützen Wort- und Zeitverlust zu beunruhigen, so würde er thun was die honnetteté erfoderte, und würden alle Kaufleute gern mit ihm handeln wollen, zumahl wann er richtig zahlete, und nicht durch borgen und liederliches Chicaniren den Handelsmann um seinen wahrhafften Nutzen brächte. Die Quacker [104] und Mennonisten setzen ihre Wahren auf einen gewissen Preiß und Anschlag, davon lassen sie ihnen nichts abbrechen, hingegen versorgen sie ihre Käuffer also, daß ihnen ihr Handel nicht gereuen kan. Es würde meines bedünckens nicht übel seyn, wann diese Gewohnheit von allen unsern Handels-Leuten beliebt und eingeführet würde, und man thäte nichts, welches mit denen Glaubens-Artickeln stritte, wo man solchen Leuten hierinn folgete. Allein es ist vielleicht vergeblich, daß ich dieses wünsche, und die meiste Schuld, daß der Handel nicht so eingerichtet wird, lieget meines bedünckens meistentheils an denen Kaufleuten selbst. Sie haben zuweilen untüchtige Waaren und so gedencken sie lieber einen kleinen Verlust bey dem Verkauff derselben zu leiden, als sie länger liegen zu lassen, und geben sie wohlfeiler weg, als andere. Zuweilen bekommen sie Käuffer, die eine Sache höchstnöthig brauchen, oder die den Handel nicht verstehen, und so suchen sie von der Schwachheit der Käuffer zu profitiren, und bevortheilen sie um ein merckliches, welches eine unverantwortliche malhonneteté ist. Letzlich so wollen sie nicht zufrieden seyn, daß sie einen solchen Profit machen, davon sie honnetement ihre Familie unterhalten können, und ihre Handlung treiben, sondern sie wollen auch einen solchen Profit heraus zwingen, davon sie den verdammten Staat führen, und ihren ungezähmten Hochmuth recht Fürstlich unterbauen mögen, oder da sie ihren schnöden Geld-Geitz und liederliche Wollust mit pflegen und mästen können, wodurch sich [105] mancher zum Lande hinaus gehandelt, und überhaupt einen Kaufmann ruiniren kan. Bey allen dem, schaden sie niemand mehr als ihnen selbst; zwar wann sie untüchtige Waaren haben, so schaden sie andern Kaufleuten, dann weil diese vielleicht gute Waaren haben, so können sie selbige um so geringen Preiß nicht verstossen, und so bleiben ihnen ihre Waaren liegen. Sie schaden den Käuffern, denn selbige können untüchtige Waaren nicht halb nutzen, allein sie schaden auch ihnen selbst und am allermeisten. Dann der Käuffer ist allemahl so gesinnet, daß er nicht leichtlich wiederkommt wo man ihn einmahl hintergangen, und blamiret hingegen den Kauffmann, welcher ihn berücket, auf alle Weise und Wege. Jedoch ich will deswegen die Käuffer nicht gantz frey sprechen; denn diese sind so unbillig zuweilen, daß sie vielleicht für ein schlechtes Geld einem Kaufmann alle seine Wahren abschwatzen möchten, und daß sie sich bedüncken lassen, nicht recht gehandelt zu haben, wo sie nicht wenigstens die helfte an der Zahlung abbrechen, von dem was der Kaufmann gefodert. Bey welchen Fall ein Kauffmann sich fast genöthiget siehet wichtig vorzuschlagen, damit er der albernen Paßion des Käuffers einiges Labsal gönnen möge. Es könte nicht schaden wenn die Kaufleute bey diesem allen etwas von der Erkäntniß der menschlichen Gemüther verstünden, so würden sie vielleicht geschickt seyn, ihre Käuffer von einander zu unterscheiden, und einem ieden es so vorzulegen, daß er zufrieden wäre. Da dieses aber eine Sache ist, [106] welche von einer starcken Erfahrung und Uberlegung dependiret, so kan man es nicht wohl von allen fodern, und es bliebe also als das practicableste übrig, daß nach Art der Mennonisten und Quacker, iedweder Kauffmann seine Waaren schätzete und dabey ohne viel Wort zu machen bliebe. Bey uns, da wir viel junge Leute haben, die der Waaren und Handlung unerfahren, weil sie vielleicht aus einem Vorurtheil sich nicht sonderlich darum bekümmern, und in den Gedancken stehen, als ob die Studia welche sie meistentheils erwehlen, sich nicht wohl mit der Kauffmanns-Wissenschafft vertrügen; würde es sehr honnet seyn, wann ein Kauffmann ihnen bey Gelegenheit von der unterschiedenen Beschaffenheit der Waaren, welche sie handeln wolten, kurtze und aufrichtige Nachricht gäbe: Wann er auch wohl nach Befinden, da sie noch unter der Eltern und Hofmeister Vorsorge stehen, ihnen den Credit versagete, hingegen ihnen zeigete, wie sie vieler Dinge, die ihnen vielleicht anstehen, entbehren könten. Jch bin versichert, daß derjenige Kaufmann, welcher also in seinem Handel und Wandel sich aufführete, sich ungemein berühmt und beliebt machen, und seinen Nutzen wahrhafftig mercklich befördern würde, ohngeachtet es anfangs unverständigen nicht eben so vorkommen möchte. Ja ich glaube wenn die Canonisation unter denen Protestanten eingeführet wäre, man würde kein Bedencken tragen, ihn nach seinem Absterben unter die Zahl der Heiligen zu versetzen. Allein wie man mehr pia desideria in allen Ständen machen [107] kan, als iemahls in die Erfüllung gehen werden; so dürfften auch wohl diese neue Gedancken unter die Dinge gehören, welche wohl zu wünschen, aber nicht zu hoffen stehen. Jnzwischen ist es doch nicht undienlich z u sagen, wie es seyn könte und solte, da honnete Gemüther dadurch in ihrem guten bestärckt, und malhonnete in ihren bösen Absichten und Lebens-Arten irre gemacht, und eingeschrencket werden. ◀Allgemeine Erzählung ◀Ebene 2 ◀Ebene 1