Zitiervorschlag: Anonym (Hrsg.): "Zweites Buch", in: Die Zuschauerin, Vol.2\ (1747), S. 81-158, ediert in: Ertler, Klaus-Dieter (Hrsg.): Die "Spectators" im internationalen Kontext. Digitale Edition, Graz 2011- . hdl.handle.net/11471/513.20.2314 [aufgerufen am: ].


Ebene 1►

Zweites Buch

Ebene 2► Metatextualität► Bei den Anfängen gegenwärtiger Arbeit setzte ich mit meinen Gehülfinnen gewisse Regeln zum Grunde wozu wir uns verpflichteten, um diejenige Einigkeit zu erhalten, die in allen Gesellschaften von vielen oder wenigen Mitgliedern unumgänglich nöthig ist. Eine der vornehmsten hievon ist, daß wir wöchentlich zween Abend der Arbeit ausetzten, der wir uns gewidmet haben. – In der ersten Versammlung theilen wir einander die Nachrichten mit, die wir empfangen, und überlegen von was vor Dingen wir weiter handeln wollen. – Und in der folgenden zeigen wir verschiedene Auf-[82]sätze vor, lesen sie ab, und lassen jedem Mitgliede die Freiheit, Einwendung und Beurtheilung zu machen, wo ihm etwas missfallen sollte. Nichts wird der Welt vorgelegt, wozu nicht eine jede von meinen Gehülfinnen ihre Stimme gegeben hat. – Die Gesellschaft kommt bey mir zusammen, und ich befehle, niemanden, es mag seyn, wer es will, anzunehmen, der uns unterbrechen könne: ◀Metatextualität Fremdportrait► doch zuweilen ist es eben so unmöglich, gewisse unverschämte Leute abzuhalten, als dem herabfahrenden Blitz Einhalt zu thun. – Ich glaube gewiß, sehr wenige meiner Leser, werden nicht dann und wann in ihrem Leben mit gewissen geschäftigen und flatterhaften Creaturen geplaget gewesen seyn, deren Zuneigung und Liebe die kurze Zeit über, die sie dauert, weit beschwerlicher fällt, als der Haß aller andern Geschöpfe, die mir bekannt sind. – Ich meine eine gewisse Art sterbliche, die kaum eine Bekanntschaft von zwo Stunden gebrauchen, um alle ihre Geheimnisse zu erzählen, und die sich daher ein eingebildetes Recht zumassen, daß wir ihnen eine gleiche Freigebigkeit an unsrer Seite schuldig sind.

Sie müssen uns sehen, wir mögen wollen oder nicht: -- es ist umsonst sich in seinem Zimmer zu verschliessen—sie überfallen uns zu einiger Zeit, und verfolgen uns, wohin wir auch gehen mögen. – In vollem Laute setzen sie an, alles was sie gesehen oder gehöret haben zu wiederholen, und man muß entweder ganz unhöflich gegen sie [83] seyn, oder seine eigne Gedanken ganz verbannen, so angenehm oder nützlich sie auch seyn mögen, den prahlenden Kleinigkeiten, womit sie schwanger gehen, zuzuhören. Kurz, der einzige Trost hiebei ist dieser, daß wir ihrer gewiß los werden, so bald sie eine neue Bekanntschaft machen können. ◀Fremdportrait

Ebene 3► Allgemeine Erzählung► Fremdportrait► Noch kürzlich hatte ich das Unglück, daß ein solcher Tempo=Amyarianer, wo ich ihn, ohne den Kunstrichtern zu nahe zu treten, so nennen darf, sich meiner gemöchigte, und so lange dies Gestirn in meinem Mittagszirkel mich günstigen Einflusses gewährte, konnte ich mir keinen einzigen Augenblick zueignen – Ein Frauenzimmer kam auf einen Abend, den wir unsern Lesern gewidmet hatten, schlug sich meines Befehls ungeachtet durch die Bedienten und flog zu dem Zimmer, wo wir unsre Versammlung halten. Bei dem Eintritt machte sie so wenig die gewöhnlichen Complimente, als Entschuldigung, daß sie uns dergestallt überfiele, ungeachtet sie mich in Gesellschaft fand und meine Minen ihr deutlich genug zeigen konnten, wie schlecht mir dieser Besuch gefiele. Allein die Neuigkeiten, die sie mit brachte, versicherten sie, sie müsse willkommen seyn, die, wie sie mir eröffnete, von solcher Wichtigkeit waren, daß sie die ganze Nacht kein Auge hätte zuthun können, wenn sie mir nicht Nachricht davon geben sollte. ◀Fremdportrait

Ebene 4► Exemplum► Ein Frauenzimmer von so mäßiger Einsicht [84] konnte mir keine zu meinen Vorhaben dienliche Nachrichten mittheilen; und, da mich ihre Gegenwart überdem verdrießlich machte, so beantwortete ich ihr Compliment mit Stillschweigen. Jedoch sie merkte, wie es schien, meine Kaltsinnigkeit hierin nicht, und ohne es abzuwarten, ob mich mein Vorwitz verleiten würde, weiter nachzufragen, entlud sie sich eigenwillig der kleinen Last, womit sie sich beschweret fand. ◀Exemplum ◀Ebene 4

Sie berichtete uns, wie sie heute bey Hofe gewesen, wie sie die schöne Bloomette gesehen, die zum ersten male seit ihrer Heirath in öffentliche Gesellschaften erschienen wäre; --sie beschrieb ihren Schmuck umständlich so wol als ihre Reizungen und Schönheit wie die jungen von Adel dem alten Pompilius sein Glück misgönnten, wie sie zu eben der Zeit diese ungleiche Verbindung lächerlich machten, und sich viele angenehme Folgen davon vorzustellen schienen -- Wie einige, indem er sie ausgeführet, Winter und Frühling, wie andre, Frost und Hitze mit diesem Paare verglichen; tausend andrer kleinen Anmerkungen nicht zu gedenken, die die Neuvermählten erwarten, und ein jeder ohne ein Zeuge davon zu seyn, leicht errathen konnte.

Nachdem sie alles gesagt, was sie hievon sagen konnte, und so wenig ich auch meinen Wunsch oder Verlangen darnach bezeigte, versprach sie mir doch einen frühen Besuch auf nächsten Morgen. Endlich verließ sie die Gesell-[85]schaft mit eben so wenigen Umständen, als sie ihren Besuch angefangen, und gab uns die Freiheit in unsern eignen Unterredungen fortzufahren. ◀Allgemeine Erzählung ◀Ebene 3

Doch auch widrige Zufälle können manchmals zum Guten Anlaß geben, und so brachte uns dieser unerwartete Besuch auf eine Materie, der wir nicht genug unser Nachdenken widmen können. die gar zu grosse Nachläßigkeit in diesem Stücke ist die Quelle fast von allem Unglück im gemeinsamen Leben, das wir entweder selber empfinden, oder wovon wir wenigstens Zeugen abgeben müssen.

Jedermann sieht es leicht, daß ich hierunter die Heirathen verstehe, da auf nichts so sehr, als hierauf die Glückseligkeit des menschlichen Geschlechtes beruhet. Die ist in der That die Hauptquelle alles Vergnügens, das wir vor uns selber geniessen, und das wir auch auf unsre Nachkommen fortpflanzen können. – Dies ist das Band, das nicht nur zwo Personen, sondern ganze Familien zu gemeinschaftlichen und unzertrennlichen Vortheilen verbindet. – Dieses kommt den unzähligen Unordnungen und Verwirrungen zuvor, die sonst alle gute Einrichtung über den Haufen werfen, und das gesellschaftliche Leben gänzlich zu Grunde richten würden. Den Endzweck einer so herrlichen und preiswürdigen Ordnung nicht umzukehren, oder allen im Überfluss damit verknüpften Segen davon zu [86] trennen, beruhet auf uns selber. Keine gebrochne Zusagen, bevor man sich mit andern Personen verbindet, -- kein heimliches Versprechen, das Uebereilung und Passionen zum Grunde hat, die den Meister spielen – keine niederträchtige Vorträge, wo Reichthum ohne Verdienst die Hauptbedingung ist – keine bekannte Ungleichheit in Jahren, in Familien und Gemüthern kann so wenig bei den Hauptpersonen selbst, als bei den Verwandten eine dauerhafte Einigkeit zuwege bringen. Bei solchen Verbindungen, wie diese, sollte man eher Klaglieder als Dankpsalmen anstimmen, wo die Freunde eher ihr Beileid als ihre Glückwünsche abstatten können.

Ebene 3► Exemplum► Pompilia lebte mit seiner ersten Gemalin ungemein verträglich und niemand würde ihn getadelt haben, daß er auf Hymens Altaren zum zweiten mal geopfert hätte, falls er nur eine Gattin gewählt, die sich vor seine Jahre besser schickte. – Wann seiner Neigung nicht so sehr ein Gnüge geschehen, so würde man doch seine wenige Ueberlegung nicht tadeln können, und er in seinem Alter den Ruhm nicht verloren haben, den ihm sein Verstand und seine Einsicht in jungen Jahren zuwege gebracht hatte. Wie bedauernswürdig ist er, daß er einer Leidenschaft Gehört giebt, deren Sättigung ihm nur ein kurzes Vergnügen geben kann! die ihm selber, und dem Gegenstande seiner Wünsche doppelt nachtheilig fällt! [87] Wie, wenn die reizende Bloomette ihrer ersten Wünsche nicht wäre gewähret worden? Wie, wenn der gar zu unempfindliche Palemon dem Besitz des restlichen Frauenzimmers hier auf Erden etwas von den geringschätzigen Metallen vorgezogen hätte? Wenn alsdenn die Empfindlichkeit über einen ihrer Jugend und Schönheit so unanständigen Antrag samt der Ehrfurcht ihrer Eltern, des Pompilius Begehren in ein vortheilhaftes Licht gesetzt hätte! Die Ueberlegung von wenig Augenblicken konnte ihn von den Bewegungsgründen überführt, und falls keine Liebe acht war, ihn angereizet haben, ihr einen edlen Jüngling aus seiner eignen Familie zu empfehlen, dessen Verdienst vielleicht alle Neigungen ausgelöscht hätte, mit denen sie vorher gegen Palemon eingenommen war! Dies würde wirklich so wol eine Probe der edelsten Großmuth, als auch zugleich derjenigen Selbstbezwingung gewesen seyn, die man von Personen seines Standes zu erwarten pflegt.

So geschickt auch das vermeinte Vergnügen bei Liebe und Wein seyn mag das anklagende Gewissen eines Herzens einzuschläfern, das auf nichts weiter sinnet, als seinen eignen Lastern, so ausschweifend selbige auch seyn mögen, ein Gnüge zu thun; so muss doch die angenehme Bloomette ein heimliches Nagen empfinden, daß bei ihren klugen Bemühungen, es verborgen zu halten, täglich desto heftiger [88] und schmerzhafter wird. Welch ein Kampf von Pflicht und Aufrichtigkeit muss sich in ihren Herzen erheben, wenn der verliebte Ehegemal auf seine Liebkosungen einen gegenseitigen Abtrag verlangt! – Wie sehr muß ihr nicht die Verbindung zuwider seyn, aus Noth und Vorstellung das anzunehmen, was die Natur versagt. Diese zärtliche Seufzer, die sonst auf beiden Seiten gleiche Entzückungen hervorbringen, scheinen bei Personen, die wir nicht lieben, abgeschmackt und eckelhaft, und verwandeln, anstatt ihn uns angenehmer zu machen, unsre vorige Kaltisnnigkeit in Abscheu und Verachtung. – Kurz, keine Worte sind vermögend das Elend widriger Umarmungen auszudrücken; und ein Frauenzimmer, wie das Vergnügen ihrer Jugend durch Heirath einer Person, die sie hasset, ihrem Hochmuth oder ihrer Empfindung aufopfert, wird bald mit dem äussersten Misvergnügen ihre That bereuen, wenn es zu spät ist, dem unheilbaren Schaden zu Hülfe zu kommen. ◀Exemplum ◀Ebene 3

Ebene 3► Exemplum► Nach meiner Einsicht thut die Welt den Aristobulus sehr unrecht, wenn sie sich über seinen Undank, seine Treulosig- und Grausamkeit beschwert. Er ist wirklich ein Exempel, daß wir die Liebe nicht in unsrer Gewalt haben, und ist das Schicksal keine Gemalin zu bedauern, so verdient das seine gewiß nicht weniger Mitleiden. Dieser Herr, dessen angenehme persönliche Eigenschaften wenig ihres gleichen haben, machte [89] sich nicht wenig Schönen unterthänig, ohne einige Seufzer und Schwüre zu Hülfe zu nehmen: --Unter diesen war zu seinem grossen Unglück Celinde: Ebene 4► Fremdportrait► Celinde, von vornehmer Abkunft, eine Erbin grosser Reichthümer, die mit vielen Vollkommenheiten des Leibes und Gemüths ausgeziert war; Celinde, deren Liebe, bey dem allen dennoch der Untergang seiner Glückseligkeit gewesen ist ◀Fremdportrait ◀Ebene 4 – Eine geraume Zeit verheelte sie das Geheimniß ihrer Leidenschaft vor den Augen der ganzen Welt, so wol als vor ihm, ihrem Gegenstande selbst; nur erlaubte sie sich das Vergnügen ihn so oft zu sehen, als immer möglich war. Sie besuchte diesfalls alle Oerter, wo sie ihn wahrscheinlicher Weise anzutreffen gedachte, bis sie es ausfand, daß er ihr weiter seine Höflichkeit bezeigte, als ihr Stand zu erfordern schien. Diese süssen Bewegungen, die ihr Anfangs nur angenehme Bilder vorgemalet hatten, verwandelten sich in scheußliche Schreckgesichter, je mehr sie der Verzweifelung nahe kamen – Sie fiel in eine Krankheit: die Aerzte fanden ihre Gemüthsunruhe gar bald aus, und beredeten diejenigen so um sie waren, ihr äußerstes anzuwenden, daß sie die Ursache davon entdecken mögten. – Alles Flehen ihrer Freunde, alle Befehle des zärtlichen Vaters waren vergebens: ihre Bescheidenheit überwand alles, bis sie so wol selber, als ein jeder der sie sahe, ihr den nahen Tod verkündigte. Dieses einzige zwang ihr das [90] Geständnis ab, sie wünschte das Leben bloß deshalben, um den Aristobulus sehen zu können.

Ihr Vater hatte schon vorher die Ursach der Krankheit, ob wol nicht auf die Person, gemuthmasset, es war ihm angenehm, daß ihre Neigungen seinem Range nicht unanständig waren, und er versicherte sie, wenn des Aristobulus Person von so grosser Wichtigkeit wäre, daß sie ihn nicht nur sehen, sondern auch mit ihm in eine Verbindung treten sollte, deren Glückseligkeit durch nichts als durch den Tod würde können getrennet werden.

Er versprach dieses, weil er glaubte, des Aristobulus Vater würde der Verbindung beider Familien mit Vergnügen beitreten, und er betrog sich auch in seiner Muthmassung nicht. Sein Antrag wurde mit der grössesten Bereitwilligkeit angenommen und der Ehevertrag aufgesetzt, bevor noch der junge Bräutigam, der damals eben einer Landlust beiwohnte, etwas davon wußte, daß eine solche Veränderung seiner Umstände zukünftig war.

Celinde erhielte so fort Nachricht von dieser Einwilligung, und so fort stiegen die verblichenen Rosen auf ihren Wangen in voller Blüte wieder hervor, Stärke und Lebhaftigkeit kam wieder, wie vorher, zum Vergnügen aller derer, die sie gekannt hatten.

Aber wie unterschieden waren leider die Wirkungen von dieser neuen Zeitung bei dem, der [91] von ihr so heftig geliebet wurde! Man schickte einen ausdrücklichen Boten zu ihm, um ihn nach London zu holen, allein kaum hatte er die Nachricht gehöret, da er in ein tödtliches Schrecken fiel. -- Er that seinem Vater einen Fußfall, er gebrauchet die beweglichen Ausdrücke, von Pflicht, Schuldigkeit und Ehrerbiethigkeit, und beschwor ihn bei der Zärtlichkeit eines Vaters, die er bisher von ihm genossen hätte, und deren er sich durch nichts verlustig machen können, daß er doch nicht darauf bestehen wolle, eine Verbindung zu Stande zu bringen, die ihm nicht minder schrecklich als der Tod selber wäre.

Der Aristobulus Vater erstaunte auf das äußerste, wie er seinen Sohn so reden hörte, und noch mehr, wie er nach der Ursach und nach den Einwürfen fragte, die er gegen die Verbindung mit einer Person zu machen hätte, welche von so guter Abkunft, so bemittelt, so tugendhaft und so jung an Jahren wäre. Denn alles was er hier sagen konnte, war, er sey gar nicht geneigt zu heiraten, oder, wenn dem auch so nicht seyn sollte, es sey etwas in seiner Natur, welches verhindere, daß er sie nicht lieben könne.

Wie diese Ehe vor die Familie gar zu vortheilhaftig war, schien eine so geringe Ursache, als diese, daß er sie nicht lieben könne, dem Va-[92]ter gar nicht hinlänglich sie bei Seite zu setzen. Er entschloß sich also, seinen Sohn zum Gehorsam zu zwingen, und hierzu bediente er sich der grössesten Drohungen, er wolle ihn nicht mehr vor Augen sehen, er wolle ihn völlig enterben, das einige ausgenommen, was er ihm nicht nehmen konnte, welches aber kaum zu seinem Unterhalte zureichend war.

Harter Stand vor eine Person, die Pracht und Staat aufs äuserste liebte, und die zu den kostbarsten Lustbarkeiten der muntern Jugend ungemein geneigt war. – Er kannte die Strenge eines Vaters, der von allen, die unter ihm stunden, einen unumgänglichen Gehorsam erforderte, und wußte gewiß, daß ihm seine Empfindlichkeit die Erfüllung solcher Drohungen leicht abzwingen würde. Es gereuete ihn schon, daß er ihn dazu gereizet hatte, und er stellte sich daher nicht mehr so abgeneigt, wie zuvor – Er bat um Vergebung, mit dem Versprechen, Celinden zu besuchen, in Hoffnung, mehr Reizungen in ihrem Umgange zu entdecken, als er bisher gefunden hätte. dies schien seinen Vater in etwas zu befriedigen: er befohl ihm, ihr sein Herz darzubieten, dessen sie so würdig wäre, und das er ihr schon gar zu lange vorenthalten habe.

Es ist wahr, zum Theil betrog er seinen Vater nicht: -- Er gieng zu ihr, allein in ganz [93] andrer Absicht, als jemand von ihm hätte muthmassen sollen. Statt ihr eine angenehme Erklärung zu thun, wie vielleicht manche Personen gewohnt sind, denen es eben so wenig ein Ernst ist, als es hier bei ihm seyn konnte, legte er ein freies Bekenntniß ab, wie er gar nicht geneigt sey, zu heirathen; daß es ihm unmöglich sey, einen solchen Gemal abzugeben, wie sie sich von ihm versprechen würde; und bat sie inständigst, an ihrer Seite eine Verbindung aufzuheben, worauf sein Vater so sehr zu bestehen schien.

Wie unruhig dergleichen Forderungen eine Person machen müssen, die ihn so heftig liebte mag ein jeder leicht urtheilen: doch ihre gar zu grosse Zärtlichkeit überwand alles Feuer und allen Hochmuth, der dem schönen Geschlecht bei solchen Gelegenheiten eigen zu seyn pflegt. – Ein wenig schwieg sie stille, vermuthlich um die aufsteigenden Seufzer zu unterdrücken. Doch endlich erklärte sie sich, dieses Begehren sey das einzige, unter allen, was sie ihm abschlagen müsste. – Ihr Vater bezeige kein geringes Verlangen, sie an ihn vermälet zu sehen, und sie sey zu ser gewohnt, ihm Gehorsam zu leisten, als daß sie ihm in Dingen widersprechen könne, worauf er seinen Sinn so sehr gesetzet habe.

Wie seine Zufriedenheit auf zukünftig die einzige Ursach war, die ihm ein solches Bezei-[94]gen gegen einer Person von ihrem Stande und Mitteln abnöthigen konnte, deren Vollkommenheiten, so schlechten Eindruck sie bei ihm auch machten, er doch erkennen mußte, so erstaunte er, daß sie selbige so gelassen ertragen können. Er schloß, ihre Neigung gegen ihn müsse vollkommen so zärtlich seyn, als man ihm beschrieben hatte. Er versuchte daher alle Gründe, sich eben dieselben zu gleichem Endzwecke zu gebrauchen, und allen Verbindungen mit ihr zuvor zu kommen: -- Allein sie schützte beständig ihre Schuldigkeit gegen den vor, dem sie das Leben zu danken habe. – dies brachte ihn gänzlich zur Verzweifelung, er legte völlig alle Höflichkeit ab, die er noch bisher gegen sie bezeigt hatte, und erklärte sich, daß er sie als Gemalin weder lieben könnte, noch lieben wollte, falls er ja auf seine andre Art als durch diese Heirath, das, woran ihm seine Geburt einen Anspruch gäbe, erhalten könne. – Sie müste verdreißliche Tage und einsame Nächte erwarten, -- und weder die Cerimonien der Verbindung noch ihrer Väter Wille sey vermögend, ihm eine Neigung abzuzwingen, die ihm gänzlich zuwider sey.

Eine so grausame Erklärung beantwortete sie ganz kaltsinnig. Das Schicksal habe sie vor ihm bestimmt; es sey der Wille derer, die allein Macht hätten, ihr in diesem Falle zu gebieten, und sie sähe es als ein grosses Unglück an, wenn [95] ihre Herzen diesem Befehle nicht folgen könten: doch sie an ihrer Seite habe sich fest zu gehorsamen entschlossen, wenn sie sich auch zum Märtyrer hiebei machen sollte.

Zwar der Gehorsam einer Tochter gab ihr gute Gelegenheit, die Zärtlichkeit ihrer Liebe zu bedecken; allein dem ungeachtet trat sie der Ehre unsers Geschlechtes durch ihr Bezeigen nicht wenig zu nahe. Wiewol diese bedauernswürdige Schöne wurde durch die Heftigkeit ihrer Leidenschaft gehindert, daß sie die Unanständigkeit ihres Verfahrens nicht einsehen konnte. Diese schmeichelte sich zugleich mit der Hoffnung, ihre Aufführung und ihre Zärtlichkeit, die sie ihm ohne Bedenken in voller Stärke eröffnen wollte, würde nach geschehener Verbindung seiner jetzigen Abneigung ungeachtet, eine vollkommene Veränderung in seinem Herzen zu Stande bringen. Es würde ihm unmöglich sein, eine so reine, so beständige und so heftige Liebe nicht wenigstens in etwas zu erwiedern, die sie, wie er denn überzeugt seyn würde, schon so lange gegen ihn geheget habe.

Aristobulus veließ sie: er versuchte nochmals seinen Vater die Sache aus dem Sinne zu reden, allein vergebens. Endlich wählte er diese Verbindung, und wollte lieber einen gezwungenen Gemal als einen enterbten Sohn abgeben. [96] Der Tag zur Vermählung war bestimmt, die mit einer Pracht vor sich ging, welche sich mehr vor ihren Stand, als vor ihre Gemühtsverfassung zuschicken schien. Man begleitete sie mit den gewöhnlichen Cerimonien zum Hochzeitbette; allein so bald die Gesellschaft sie verlassen, veließe auch Aristobulus Celinden. Er brachte seine Ruhestunden lieber in der Einsamkeit vor sich zu bis es Morgen wurde, als in den Umarmungen einer Schönen, die wirklich hinlängliche Vollkommenheiten besaß, eine Person glücklich zu machen, der keine solche Antipathie natürlich eigen war, wovon man so wenig die Ursachen angeben, als sich davon befreien kann.

Celinde brauchte sonder Zweifel so wol damals als lange nachher alle Listen der Zärtlichkeit und alle Bewegungsgründe, die ihre Liebe und ihre gegenwärtige Umstände ihr an die Hand geben konten. Aber alles umsonst: Amor verwirft, wie der Dichter sagt, mit verächtlichen Minen alle Bande, die er nicht selber geknüpfet hat.

Aristobulus blieb unbeweglich und behielt den beständigen Vorsatz, den blossen Namen eines Gemals zu führen. Weder die Lände der Zeit, noch ihre Geduld, bei allen unanständigen Bezeigen gegen sie, haben die geringste Veränderung zu ihrem Vortheil bei ihr wirken können. Sie wohnen in einem Hause, aber so als [97] ob sie von Tisch und Bette geschieden wären: sie sehen einander selten, und ihre Bedienten so gar scheinen zu zwo verschiednen Familien zu gehören. So ist ein Jahr nach dem andern verflossen; sie bleibt eine Braut wie zuvor, und er scheint gegen ihre Liebe oder gegen ihren Kummer so wenig Achtung zu haben, daß er in fremden Armen das Missvergnügen zu verbannen suchet, worin ihn eine gezwungene Heirath gestürzet hat. ◀Exemplum ◀Ebene 3

Nur wenige in der That haben eine so frühe Aufrichtigkeit gebrauchet, und wie Aristobulus vor der Verbindung ihre Abgeneigtheit an den Tag geleget. Nur gar zu viele haben dieses erst nachher gethan, und durch ihre Aufführung deutlich gezeigt, daß sie diese heilige Cerimonien nur dazu nöthig geachtet, um entweder ihre Familie nicht aussterben zu lassen, oder ihre Güter von Schulden zu befreien, oder ihre jüngern Geschwister desto besser abzukaufen. Diese und andre dergleichen Ursachen kann man von Ehen geben, die fast täglich zu Stande gebracht werden. Exempel, wo alle Endzwecke der ersten Absicht der Einsetzung gemäß in die Erfüllung gehen, sind bey nahe eben so viel Wunder; und nach Verfliessung des ersten Monates ein wirklich glückseliges Paar mit den Fingern zu zeigen, mögte uns der Unwahrheit verdächtig machen. [98] Wo das Gerücht nicht nach Gewohnheit einige Zusätze gemacht hat, so sind zum wenigsten drei und zwanzig neue Ehebündnisse unter Personen vom Stande, Theils schon geschlossen, Theils wirklich vor der Hand, unter denen kaum drei den darin betroffnen Personen die geringste Hoffnung einer künftigen Glückseligkeit versprechen.

Ebene 3► Exemplum► Ebene 4► Fremdportrait► Ist es möglich, kann sich Tulipe in dem Herbste ihrer Jahre, so bunt und scheckig sie sich auch aufzuputzen pfleget, die Hoffnung machen, daß ihr schon veralteter Reiz vermögend seyn werde, ◀Fremdportrait ◀Ebene 4 an dem wilden und ausschweifenden Herze des jungen Brisco ihren Antheil zu fordern? Nicht, alle ob wir ihm Verstand, Ehrbegierde, oder ein wolgeartetes Wesen absprechen wollen: Eigenschaften, wie diese, mußten ihm nothwendig zeigen, was er Claribellens Verdiensteten schuldig sey, wenn ihm seine Mittel hätte erlauben wollen, sie zu heirathen. – So aber muß die ihm zugedachte Braut in seinen Augen desto verächtlicher werden, und mehr als ihre grauen Haare Anlaß dazu geben konten, wenn er die Eitelkeit überlegte, die sie so weit bethört, daß sie ihre liebenswürdige Nichte die grösseste Glückseligkeit in ihrem Leben beraubt, bloß um die Braut eines jungen Menschen zu heissen, den man mit mehrerer Wahrscheinlichkeit als ihren Sohn ansehen konnte. ◀Exemplum ◀Ebene 3

[99] Ebene 3► Exemplum► Wo man Philimont und Daria in Gesellschaft sieht, kann man unmöglich anders denken, als daß Philimont nur sie anbeten, -- daß Daria nur ihn lieben könne. Scheint nicht ein jeder Blick dieses verliebten Paares aus dem innersten ihrer Seelen seinen Ursprung zu haben? – War auch jemals Daria ohne ihren Philimont in der Oper, im Park, bei Schauspielen? – Oder findet Philimont in einer Gesellschaft Vergnügen, wo Daria nicht zugegen ist? – Dennoch ist Philimont Heirath mit Amelien vor die Hand, und Daria schon längst mit Belmor verlobt worden: -- Wunderliche Rolle, die Liebe und Schicksal hier spielen muß! ◀Exemplum ◀Ebene 3

Ebene 3► Exemplum► Mit was vor Rechte mag sich Sabine rühmen, Reizungen vor andern ihres Geschlechts zu besitzen! Wie kann sie sich schmeicheln, daß sie der stete Gegenstand von des Theomenes Wünschen ist! Hat er nicht zu seiner Schande den mehresten Schönheiten der Stadt seine Gelübde zum Opfer dargebracht? Und sollten endlich auch selbige bei ihr durch die Heirath in Erfüllung gehen, was würde anders die Ursach davon seyn, als daß sie mehr Mittel, wie andre besitzt, als daß sie ihn in den Stand setzt, Schulden zu bezahlen, worin er durch seine Ausschweifung gerathen ist.

Wie bitterlich beweint Dalinde ihre unü-[100]berlegten Leidenschaften, die bei ihrer Ueberlegung einzig Ursache sind, daß sie freiwillig in Macrons Arme gefallen, Macrons, der so übelgearter, und noch schlechter vom Gemüthe als vom Standeist! Sie glaubt nach ihren eignen Geständnisse durch die Heirath einer so geringen Person einzig und allein Meister ihrer selbst und ihrer Güter zu bleiben. Immer, dachte sie, würde er ohne ihre Erlaubniß sich einige Rechte über diese anmassen, oder im geringsten über jene zu geiben suche. Satt dem Ansehen eines Eheherrn unterworfen zu seyn, schmeichelte sie sich in ihm einen schüchternen Sklaven angetroffen zu haben! – Arme, betrogne Dalinde! kaum besitzt Macron ihre Person, so läßt er ihr gerade das Gegentheil aller ihrer süssen Hoffnung sehen. Er ordnet so wenig Sachen die Haushaltung und Familie betreffend nach ihrem Gefallen, oder nach ihrer Gewohnheit, daß er augenscheinlich eine Ehre darin sucht, wenn er ihr widersprechen kann. In Nichts ziehet er ihre Neigung zu Rathe: selbst in ihrer Gegenwart ertheilet er Befehle, die, wie er weiß, ihr höchst unangenehm fallen müssen; und zeigt ihr, falls sie sich ja widersetzen wollte, auf eine wilde Art, er sey Herr und wolle gehorsamet seyn. Sie raset, wie wirft ihm seinen Undank vor, sie drohet ihm sich zu rächen: aber ach, was kann sie anfangen? da sie nicht sorgfältig genug gewesen, im Fall der Noth gehörige Ordnung wegen der [101] Güter zu machen, und da sie sich schämt, zu Verwandten ihre Zuflucht zu nehmen, deren Freundschaft und Verbindlichkeit sie durch eine so unanständige Ehe verloren hat. Die hiebei bezeigte Empfindlichkeit macht daher ihren Zustand nur noch schlimmer, und das harte Joch noch schwerer, das sie sich selber in Uebereilung angeleget hat. Er beschneidet ihr Equipage und Tafel: er setzt so gar ihrem Putze und ihrer Kleidung Schranken; er verbietet ihr Besuche zu geben und anzunehmen, wenn sie nicht nach seinem Geschmacke sind, d.i. nur von seinen Verwandten oder von Personen, denen er ausgeholfen hat, und an deren Umgang sie vorher wenig gewohnt gewesen. Er will ihr kein Taschengeld zugestehen; er braucht alle Mittel, ihren hohen Geist zu demüthigen, und seinen Willen vollkommen unterthänig zu machen, bis endlich seine Tyranney die Oberhand behalten, und sie in den niederträchtigsten Sklavenstand gesetzet wurde. ◀Exemplum ◀Ebene 3

Erschrick hier Mariane, und fürchte in dem Schreiben deines Vaters einen andern Marco zu finden! Erwähle lieber den kurzen Schmerze, deine unglückliche Neigung zu unterdrücken, als die Gefahr, ihr nachzugehen, und dich in einen Abgrund von Elend zu stürzen, woraus dich nichts, als der Tod, erretten kann!

Ebene 3► Exemplum► In wenig Tagen sagt man, sollen wir die [102] gegenseitigen Wünsche Myrtanos und der liebenswürdigen Cleoren gekrönet sehen. An beiden Seiten haben die Freunde ihre Einwilligung gegeben; die Eheverträge sind unterzeichnet, man hat auf eine prächtige Equipage gedacht, das Landhaus erneuert und aufgeputzt, ein Brautbette angeschafft, und kurz, alles gethan, was nur eine mühsame Liebe sich sehen zu lassen, erfinden kann, die Cerimonie, die man doch sich zwinget, in geheim zu verrichten, so herrlich und prächtig zu machen, als immer möglich ist. Aber wo kann Cleore von Myrtanos Beständigkeit ihre zukünftige Glückseligkeit hoffen, da ihr nicht unbekannt ist, daß er schon bei einer Dame ein trauriges Exempel feiner unglücklichen Liebe zur Veränderung und Wechsel gegeben, die ihr so wol an Stand und Mitteln gleich kommt, als in den Vollkommenheiten des Leibes und Gemüthes nichts nachgeben darf. Hat er nicht ehedem Brillanten mit eben der tödtlich brünstigen Liebe, als jetzo Cleoren verfolgt? War nicht die ganze Stadt ein Zeuge, wie heftig er sie angebetet? Ja beging er nicht ihr zu Liebe einige ausschweifende Handlungen, die nur eine wirkliche, ja nur die allerheftigste Leidenschaft verursachen und entschuldigen konte? Verließ er aber nicht dem allen ungeachtet seine Brillante auf einmal, ohne den geringsten Vorwand zu vergessen, daß er sie jemals geliebet hatte, wie er sich als [103] Anbeter Cleorens zu erkennen gab? ◀Exemplum ◀Ebene 3

Ach! Cleore, jetzo triumphierest du, und mögtest du auf immer triumphieren können, da es vermöge der göttlichen Gebräuche bei Ehen lasterhaft seyn würde, das Gegentheil zu wünschen: Doch die Furcht ist hier grösser, denn die Hoffnung. nichts ist ungewisser denn die Liebe, und ein Herze, das sich einmal verändert hat, ohne eine hinlängliche Ursach davon angeben zu können, mag solches leicht zum andern Male thun. Eine Zeit mag kommen, da du selbst das Mitleiden verdienen kanst, das deine Eitelkeit und Freunde anjetzo einer unglücklichen Nebenbulerin ohne ihr Verdienst zu versagen pflegt. Und diese mag vielleicht ihre betrogen und übelbelohnte Zärtlichkeit aufgeben, in der Umarmung eines beständigen Liebhabers den vorigen vergessen, und auf eine desto angenehmere Art schmecken, wie vergnügt eine beiderseitige Aufrichtigkeit ist, da sie einmal ist hintergangen worden.

Ebene 3► Exemplum► Ebene 4► Fremdportrait► Bellair besitzt viel Vollkommenheiten; er hat Mittel genug, aber er überschreitet niemals die Schranken seiner Einkünfte. Er hilft den Armen, er belohnt Verdienste, sonderlich wo es leidet; er ist gesellig und gar nicht kar gegen seyne Freunde; er bezahlt die, so vor ihn arbeiten genau; seine Equipage ist artig und seine Tafel noch besser: er liebt Lustbarkeiten, aber er hasset [104] das Laster; und kurz, in seiner ganzen Person ist nichts, das nicht ein klugens und wolgeartetes Frauenzimmer glücklich machen könnte. ◀Fremdportrait ◀Ebene 4 Man hat ihm dies manchmal bei Gelegenheit und von ungefehr zu verstehen gegeben: allein er gab lange Zeit kein Gehör, und es schien, als wenn er sich gar nicht zu verändern gedächte; Ebene 4► Fremdportrait► bis er Avaren in die Augen bekam. Er hätte das Vergnügen, denn Glück kann ich wol nicht sagen, dies junge Fraunezimmer euf einem Balle anzutreffen sie war wol gewachsen, von guter Taille, hatte etwas angenehmes im Tanzen; ihr Gesicht war zwar nicht vollkommen schön, aber doch ziemlich reizend, und in ihrem Umgange und Sitten zeigte sich etwas liebreiches, das nothwendig einnehmen mußte. ◀Fremdportrait ◀Ebene 4

Dies waren ihre Eigenschaften, und Ballairns Herz gab ihr den Vorzug vor allen, die er jemals gesehen hatte. Nachdem er sich nur wenig nach ihrem Character und nach ihren Mitteln erkundigt, hat er sich bei ihrem Vater die Erlaubnis aus, ihr als Liebhaber aufwarten zu dürfen. Ein so vortheilhaftes Anerbieten konnte selbiger nicht ausschlagen: er trug kein Bedenken, darin zu willigen und Avara nahm den Besuch dieses neuen Anbeters so gefällig an, als diese Bescheidenheit ihres Geschlechts es zulassen konnte.

In wenig Wochen kam alles zu Stande: [105] Bellair heirathete sie, und nahm sie in wenig Tagen nach seinen Gütern. Aber o Himmel! was vor grosse Veränderungen machte sie augenblicklich in seiner Haushaltung. Alle Morgen mußte man ihr auf ihrem Befehl das Verzeichnis von den anzurichtenden Speisen bringen, und sie strich so viel aus, daß nur der vierte Theil übrig blieb. Bellair fand seine Tafel gewaltig eingeschrenkt, und gab ihr höflich zu verstehen, das seine Bedienten dabei Mangel litten; aber dies war ihr eine gute Gelegenheit, die Anzahl derselben zu vermindern. Sie hielt es für Sünde so viele müßige Leute zu erhalten, die dem Lande entweder auswärtig als Soldaten, oder da herum als Ackersleute besser dienen könnten. Statt fünf Mägde wollte sie nicht mehr denn zwei haben. Ja sie war so dreist zu verlangen, daß er seine Freunde und Verwandten nicht mehr so häufig zu sich laden konnte. Die Armen wurden augenblicklich von der Haustür weggetrieben, und durften sich nicht wieder sehen lassen, wo sie nicht befürchten wollen, nach den Zuchthause geschickt zu werden.

Diese Aufführung machte ihn gewaltig unruhig: sein Mißvergnügen vermehrt sich täglich, weil ihm täglich neue Gelegenheit dazu an die Hand gegeben wird. Vernunft und Liebe streiten beständig in ihm; doch jene hat endlich in so weit noch die Oberhand, daß es ihm zwar un-[106]angenehm seyn würde seiner Geliebten in etwas zu nahe zu treten, doch aber noch unangenehmer, seinen Bekannten Gelegenheit zu geben, ihn aufzuziehen, wenn er ihre Fehltritte mehr ertragen wollte, als einem Manne von solchem Verstande und solcher Lebhaftigkeit anständig ist. Seit kurzem gebraucht er sich seines Ansehens, und hat sogar ihrer Thränen ungeachtet einige verstossene Bediente wieder angenommen, und vieles in seiner Haushaltung meist wiederum auf den alten Fuß gesetzet. Avare ist beständig verdrießlich hierüber – aller Reiz ihrer Augen, womit sie ehedem so bezaubern konnte, hat sich in saure und düstere Blicke verwandelt. Ihre Stimme, ihr Bezeigen ist ganz verändert. Sie bedient sich in seiner Gesellschaft entweder eines hartnäckigen Stillschweigens, oder redet so, daß es ihr besser anstehen würde, gar nichts zu sagen. Da er zu Hause so wenig Vergnügen hat, sieht er sich genöthigt es ausser Hause zu suchen, und alles scheint zwischen beiden ein gegenseitiges Mißfallen vorzubedeuten. Sollte dies so ausfallen, was können die Folgen davon seyn! Geringschätzige Betrachtung der heiligen Zerimonie, die sie verbunden hat! Alle mögliche Empfindlichkeit gegen einander! Gewissensbisse! Haß! Trennung! Verderben und Aufopferung der Ruhe und Zufriedenheit bei beiden! ◀Exemplum ◀Ebene 3

Eine Uebereinstimmung in den Sitten muß [107] also nicht weniger, als die Uebereinstimmung der Neigung zu Rathe gezogen werden, und nach meiner Meinung nach weit mehr. Ich kenne verschiedene verheirathete Personen, die sich ohne etwas von der Leidenschaft zu besitzen, die wir Liebe nennen, mit einander verbunden haben; die aber doch, weil es sich von ohngefehr zugetragen, daß sie in ihrer Art zu denken einander nicht zuwider waren, nochmals die grösseste Liebe gegen einander bezeigten. Andre hingegen, deren Herzen bei der ersten Verbindung völlig in Feuer und Flammen gesetzt waren, sind nachher, durch einen unglücklichen Zwist, und in Kleinigkeiten, zu Schnee und Eis geworden. Es ist der menschlichen Natur eine Art von Hochmuth eigen, da wir uns schmeicheln, allezeit richtig zu urtheilen, und dies bringed folglich bei uns eine Hochachtung gegen die zuwege, die weise genug sind, gleicher Meinung mit uns zu seyn. Kurz, die Gleichheit in Meinungen ist der Grund einer immer daurenden Freundschaft und einer gegenseitigen Vertrautlichkeit, worauf die Annehmlichkeit des Ehestandes vornehmlich beruhet.

Die tägliche Erfahrung überführet uns von der Nothwendigkeit hievon, wenn wir glücklich sein wollen, ohne welches alle andre Mittel nicht die geringsten Wirkungen haben. [108] Dennoch wendet man kaum die geringste Untersuchung hierauf, als ob der einzige Endzweck bei Ehen sey, nur ein gegenwärtiges Vergnügen zu erlangen, und auf die Folgen davon das allerwenigste ankommen.

In einer Woche oder in einem Monat von der Beschaffenheit einer Person ein Urtheil zu fällen, ist schlechterdings unmöglich. Eltern sind daher nicht wenig zu tadeln, die ihre Kinder zu den Umarmungen einer Person verdammen, die sie vielleicht niemals, als nur einige wenige Tage vor der Cerimonie gesehen haben, die sie auf beständig verbinden soll.

Metatextualität► Die Gedanken, die ich hievon habe, mögen bei einigen vielleicht als die Vertheidigung einer neulich geschlossenen Heirath angesehen werden, worüber die ganze Welt mit Recht verstanden hat. Das einzige was selbige zu Stande bringen konnte, war gewiß nichts, werden sie sagen, als eine vollkommene Kenntniß der beiderseitigen Uebereinstimmung ihrer Gedanken, die ich als ein so wesentliches Stück zu der Glückseligkeit in Ehen so eben angepriesen habe. ◀Metatextualität Ebene 3► Exemplum► Es ist wahr, der listige Vulpone überredete die angenehme Lindamire in einem Stücke gleiche Gedanken mit ihm zu heben. Doch das thun tausend andre auch, die sonst keine Wege wußten, ihren gewünschten Grundzweck zu erhalten; und dies ist [109] weiter nichts als die Folge einer Leidenschaft, die daher entstehet, wenn uns eine Person zu gefallen pflegte.

Metatextualität► Dies ist also nicht, was ich hier festsetzen will; ja ich hoffe, meine Leser werden mit mir gleicher Meinung seyn, wenn sie die Geschichte von dieser Geheimnisvollen Heirath hören werden. Eine Sylphe theilt mir solche Nachricht mit, deren Amt es ist, bei allen Bewegungen derer gegenwärtig zu seyn, die die Natur durch Schönheit über andere erhoben hat. ◀Metatextualität

Ebene 4► Fremdportrait► In der frühesten Jugend erblickte man an Lindamiren solche Reizungen, die bei herannahender Reife ihrer Jahre die grössesten Vollkommenheiten zeigten. Von väterlicher Seite stammte sie von einem Prinzen ab, der in seinem Leben mit Recht ein Liebling der Natur hieß: wie von mütterlicher Seite von einem Helden, dessen Andenken stets im Segen bleiben wird – Sie wurde nach den genauesten Grundsätzen der Tugend auferzogen, und kam fast nie ihren Eltern aus den Augen. Sie unterschied sich durch alle schimmernde Eigenschaften, die ihrem hohen Range anständig waren, und am meisten durch solche, die der Grund einer künftigen Zärtlichkeit und Liebe im Ehestand sind. ◀Fremdportrait ◀Ebene 4

Ebene 4► Fremdportrait► Vulpone kann sich seiner Familie so sehr nicht [110] rühmen: er gehört zu dem neuen Adel, wie man es zu nennen pflegt, den diese letzten Zeiten im Ueberfluß hervorgebracht haben. Doch man muß ihm die Gerechtigkeit wiederfahren lassen, daß er sich nicht minder durch eigne Verdienste, denn durch fremde Gewogenheit empor geschwungen hat. Was ihn an vornehmer Geburt abgehet, das ersetzt seine Erziehung und selbst der Neid muß ihm den Ruhm seiner Vollkommenheiten zugestehen. ◀Fremdportrait ◀Ebene 4

Er hatte öfters die Ehre, bei Lindamirens vornehme Eltern einen Besuch abzustatten, und genoß von ihnen alle Höflichkeit, deren er nach ihrer Meinung seiner guten Eigenschaften wegen würdig war. – Aber ach! sie sahen nicht genugsam die Folgen davon voraus; sie merkten es nicht, daß ihr Bezeigen ihn so dreist machen würde, auf ihre liebenswürdige Tochter ein Auge zu werfen. Noch weniger glaubten sie, ein junges Frauenzimmer kaum von achtzehn jahren, die der Hof anbetete, und die ein jeder zu bewundern pflegte, würde sich so weit herunter lassen, die geringste zärtliche Bewegung gegen eine Person zu unterhalten, die schon etwas über den Mittag ihrer Jahre war, und die sonst überhaupt in so unendlich weit geringern Umständen sich befand, daß man gar keine Vergleichung zwischen beiden anstellen konnte. [111] Dennoch waren diese Folgen davon. Der Führer der angenehmsten Leidenschaften legte hiebei eine Probe ab, wie sehr er vermögend sey, das umzukehren, was man natürlicher Weise als sich selbst widersprechend hätte ansehen sollen. Diese blühende und reizende Schöne, die täglich ihren Füssen die liebenswürdigsten, die vornehmsten und vollkommensten Anbeter gleichsam sterben sahe, verlohr durch ihn das Vermögen, den Wünschen eines Verehrers zu widerstehen, der fast älter wie ihr selber war.

Hatte er nur selten Gelegenheit, ihr selbige vorzutragen, so wußte er sich derselben mit desto grösserm Vortheile zu bedienen; und ehe jemand kaum hätte denken sollen, daß er bei ihr wegen der verwegenen Erklärung seiner Leidenschaft Vergebung erlangen können, so war sie schon verleitet, selbige mit der Versicherung zu belohnen, daß sie nimmer ihre Einwilligung geben wolle jemand anders als ihn durch den Besitz ihrer Person glücklich zu machen.

Ihr Briefwechsel wurde sonder Zweifel mit der allergrössesten Behutsamkeit geführet, allein die Liebe gleicht den Flammen, die sehr schwer verborgen bleiben; keine Vorsorge der Welt ist vermögend zu hindern, daß sie [112] nicht hier und da ausbrechen sollten. Einige Bedienten, in deren Gegenwart sie vielleicht gar zu schlecht auf ihrer Hut seyn mogten, weil sie selbige etwa vor unfähig hielten ein solches Geheimniß auszuforschen, merkten sich verschiedene Begebenheiten, die dem Range dieser jungen Dame unanständig zu seyn schienen. So fort wurde dieses ihrer Mutter entdecket, die noch denselben Augenblick ihrem Gemal davon Nachricht gab. Sie überlegten die Sache mit einander, und so wenig glaublich sie ihnen auch vorkam, hielten sie es doch vor nothwendig, in Zukunft von einer Person seines Standes keine Besuche weiter anzunehmen, die noch dazu im Verdachte wäre, daß sie sich vermesse, mit ihrer Tochter ein geheimes Verständniß zu unterhalten. Sie untersagten Vulponen mit aller Höflichkeit seine Besuche bei ihnen fortzusetzen, ohne ihm jedoch die Ursachen dieser Veränderung in ihrem Bezeigen bekannt zu machen, wobei zu gleicher Zeit Lindamirens Handlungen auf das genaueste bewachet wurden.

Dennoch gaben sie ihr nicht die geringste Gelegenheit zu muthmassen, daß sie in ihrer Ausführung einigen Zweifel setzten. Sie glaubten, falls ja dergleichen Nachrichten gegründet seyn sollten, würde sie desto weniger behutsam seyn, wenn sie nicht errathen könnte, daß man einen Verdacht auf sie geworfen habe. Auf die-[113]se Art dachten sie folglich desto leichter zur Gewißheit zu kommen, als durch eine wirkliche Beschuldigung geschehen würde.

Man muß gestehen, dieses Verfahren war wirklich nach der grössesten Klugheit abgemessen, allein Lindamire hatte nicht minder Gelegenheit von allem Nachricht einzuziehen. –Diejenigen Bedienten selber, die das Geheimniß entdeckt hatten, konten dann und wann nicht umhin, sich von dieser Sache zu unterreden. Ihre Kammerjungfer hörte alle Gespräche von der Art, und gab ihr Nachricht davon. Lindamire wußte auf diese Weise ihre Neigung so künstlich zu verstellen, und schien so wenig hievon gerühret zu seyn, was ihr doch so nahe ans Herze trat, daß ihre sorgfältigen Eltern dadurch völlig hintergangen wurden. Die Länge der Zeit machte selbige in ihren Gedanken völlig gewiß, daß ihr Verdacht ganz ohne Grund seyn müßte, und unsre beiden Verliebten hatten in ihrer Entfernung von einander den Trost, Briefe zu wechseln, die durch einen vertrauten Bedienten insgeheim besorget wurden.

Drei volle Monate gingen auf diese Art vorüber, binnen welcher Zeit Vulpone sich nicht ein einziges mal mit dem Anblicke seiner anbetenswürdigen Lindamire sättigen konnte. Diese schlaue Schöne gebot ihm, allen Verdacht desto [114] einzuschätzen, daß er niemals in öffentlichen Versammlungen, wo sie gegenwärtig seyn würde, erscheinen sollte, und trug beständig Sorge ihm hievon Nachricht zu geben. Wenn sie ausging war sie fast stets in Gesellschaft ihrer Mutter, oder andrer Personen, die muthmaßlich ihre Handlungen ausspähen sollten, und es war ihr unmöglich zum voraus zu verhüten, daß entweder ihre eigne oder ihres Liebhabers Gesichtszüge und Minen, das was sie so sehr zu verhellen wünschete, nicht verrathen mögte. Sie nahm sich daher vor, nichts einem blinden Zufalle zu überlassen, ja sie brauchte nicht einmal den Schatten einer Entschuldigung, die, wie sonst leicht hätte geschehen können, die Ursache seyn mögte, daß man sie an Oerter gesandt htte, wo sie unmöglich das Vergnügen zu geniessen gehabt, das ihr jetzo gewähret wurde, ihrem geliebten Vulpone zu schreiben und von ihm hinwiederum täglich neue Versicherungen seiner Liebe und Beständigkeit zu empfangen.

Endlich kam eine so sehnlich gewünschte Gelegenheit. – Ihre Mutter hatte in der grossen Loge einen Platz bestellet, um in die Comödie zu gehen: allein sie wurde entweder unpaß, oder war doch sonst nicht aufgeräumet, selbiger beizuwohnen. Bei Lindamiren fand keine Entschuldigung Platz, denn eine junge Dame war schon ersucht, ihr Gesellschaft zu leisten, vor welche [115] die Familie eine grosse Hochachtung bezeigte. Sie ließ so fort Vulpone hievon Nachricht geben, daß sie einander an diesem Orte mit der grössesten Freiheit, die sie wünschen mögten, sprechen könten, da die Person, in deren Gesellschaft sie seyn würde, ganz und gar nicht mit ihm bekannt wäre.

Kaum waren sie drei Minuten in der Loge, wie Vulpone herein trat: Es waren selbigen Abend so gar viele Zuschauer eben nicht, und folglich blieben sie allein. Dies setzte sie völlig aus der Gefahr, von andern belauschet zu werden, da die junge Dame, mit der Lindamire gekommen war, alle Gedanken auf das Schauspiel gerichtet hatte.

Vulpone sagte ihr damals so viele Dinge ins Ohr und redete so nachdrücklich, daß sie ihm versprach, alles zu wagen, und ihn den nächstfolgenden Morgen zu heirathen. Sie ging sehr früh aus, unter dem Vorwande, frische Luft zu schöpfen; ein gewisser Platz war bestimmt, wo sie sich antreffen wollten, um das unauflösliche Band zwischen beiden zu knüpfen, worauf sie sich wieder nach Hause verfügte, wo niemand den ganzen Tag in geringsten einen Verdacht von dem hatte, was geschehen war.

Allein Tages darauf wurde ihre Mutter [116] entweder mit Bedacht oder von ungefähr benachrichtiget, wie jemand ihre vertraute Unterredung mit Vulponen in der Loge genau beobachtet habe: Sie waren beide so geschäftig miteinander gewesen, daß sie sich weder um das Schauspiel noch um die Zuschauer bekümmern können. Die redliche Dame wurde durch diese Zeitung ein wenig beunruhiget: doch sie wußte nicht, daß dieses eine Folge von den vorigen Begebenheiten war, und fand auch eben keinen Beweis, der sie von der Wahrheit der Sache hätte überführen mögen. Sie entschloß sich daher, diesem allen keinen Glauben beizumessen, bis sie mehr Gewissheit davon eingezogen, und die Dame, die in ihrer Gesellschaft gewesen, desfalls befraget hätte.

Allein Furcht und Erstaunen vermehrte sich bei ihr bald ganz gewaltig. Sie saß eben vor dem Nachttische um sich zu entkleiden, wie ihr Gemal ins Zimmer trat, in dessen Gesichte und Minen sie die grösseste Unruhe bemerkte, die sie noch nie an ihm wahrgenommen hatte. Er gebot der Kammerjungfer sie allein zu lassen, und frug in der äußersten Verwirrung und Eile wo Lindamire wäre? Sie antwortete, wie solche so eben von ihr und nach ihrem eignen Zimmer gegangen. Er erwiederte mit einem Seufzer, wie er zweifelte, ob sie ferner sich ein Zimmer bey ihnen wählen würde, da ihm Personen die es selbst gesehen, und von der Warheit dessen, uns sie sagten, überzeugt [117] wären, versichert hätten, daß Lindamire den lezten Morgen in Vulponens Gesellschaft zugebracht, und daß beide in einer Miethkutsche aufs geschwindeste nach der andern Seite der Stadt zugeeilet hätten. Er machte hieraus den Schluß, da sie entweder schon verbunden wären, oder doch sich so weit eingelassen hätten, daß es ihrer Ehre und ihrem guten Namen nachtheilig seyn würde, zurück zu treten. Er würde gewiß noch weit mehr gesagt haben, da seine Seele mit dem äußersten Mißvergnügen und Raserey angeklammet war, falls ihn nicht die Zärtlichkeit gegen seine Gemalin so wol, als die Unruh, die bereits in allen ihre Minen und Geberden mehr den zu sichtbar waren davon abgehalten hätte.

Nachdem die ersten heftigen Bewegungen ein wenig vorüber waren, rief man einen Bedienten nach dem andern herauf, und stellte die schärfste Nachfrage an, wer Lindamirens mündliche oder schriftliche Zeitungen an Vulponen überbracht haben mögte. Doch es schüzte ein jeder entweder wirklich oder verstellt seine Unwissenheit vor: alles Licht, was sie in der Sache haben konten, waren, Lindamire sey Morgens ziemlich früh ausgegangen, und habe nur einen Bedienten mit sich genommen, den sie an der Parkthür zurückgelassen, und der sie nachher nicht wieder gesehen, bis sie in einer Miethkutsche nach Hause gekommen sey. [118] Die ganze Nacht brachte man mit Untersuchungen und Beratschlagungen zu, wie doch hinter der Wahrheit zu kommen wäre. Dies Heftigkeit der Gemüthsbewegungen bey beiden erlaubte ihnen nicht, sie mit einiger Gelassenheit vor Augen zu sehen. Man faßte also endlich den Schluß, ihr Vater sollte an sie schreiben, welches in folgenden Ausdrücken geschahe:

„Lindamire, Ich höre Zeitungen von euch, die mich sehr befremden. Seyd ihr in eurem Gewissen überzeugt, daß ihr nichts begangen habt, wodurch entweder eure euch so zärtlich liebenden Eltern könnten beleidiget, oder eurem Stande und eurer Geburt zu nahe getreten werden, so erwarte ich eure Rechtfertigung aufs schleunigste. Ueberführet uns in solchem Falle, daß ihr so wenig mit Vulponen als einiger andern Person seines Geschlechts, ein geheimes Verständniß unterhalten habet. Findet ihr euch hergegen schuldig, so hütet euch ja, uns zu hintergehen, wo ihr euch nicht durch einen doppelten Fehler die Begehung des ersten schwerer machen wollet. – Wie euch die Liebe zur Warheit durch die Erziehung ist eingepflanzet worden, so zeige wenigsten, daß ihr nicht von allen Tugenden abgewichen sey, die euch durch einen so sorgfältigen Unterricht ehedem beigebracht sind.“

Ihre Kammerjungfer war die Ueberbringer-[119] in hievon, und diese kam bald hierauf mit einer Antwort unter eben den Siegel zurück.

Ebene 4► Dialog► „Geehrteste Eltern,

Vielleicht haben ihnen gewiße schäftige Leute schon Nachricht von einer Sache gegeben, die ich so wenig leugnen kann, als will, ob ich gleich bey so diesem Geständniß keinen weitern Verdienst, als meine Aufrichtigkeit vorschützen kann, um dessen Vergebung zu erhalten. – Ich gestehe ich habe die Verwegenheit gehabt, ohne ihre Erlaubniß meine Person wegzugeben. Doch ich versichere sie zugleich, nimmermehr würde dieses geschehen seyn, wenn ich die geringste Hoffnung gehabt hätte, meinen Endzweck auf eine andre Art zu erhalten, oder wenn ich nicht ohne den Besitz meines jetzigen Gemals hätte befürchten müssen, mein alles, meine Ruhe und Zufriedenheit auf immer mögte verloren gehen. Ich bitte, so hoch ich kann, die bertrübten Umstände mit Mitleiden anzusehen, wodurch eine Person gezwungen worden, die sonst ohne Ausnahme ist

Ihre gehorsamste Tochter,

Lindamire Vulpone. ◀Dialog ◀Ebene 4

Nunmehr war man ausser allem Zweifel. Die vornehmen Eltern sahen wol, alles, was ihre Sorgfalt hätte verhindern wollen, sey schon geschehen und nicht mehr zu wiederrufen. – Ihre [120] grosse Unruhe können sich nur Eltern in gleichen Umständen vorstellen; doch übertraf der Zorn noch selbst ihre Betrübniß. Lindamirens Antwort schien ihnen etwas zu vermessen zu seyn, sie hatten ihr zwar befohlen, die Warheit zu bekennen, allein sie glaubten, solches hatte in demüthigen Ausdrücken geschehen sollen. sie betrachteten sie als eine Person, die ihre Gelindigkeit mißbraucht, ihrem Ansehen und ihrer Gewalt zu nahe getreten, ihrer Familie einen Flecken angehenget, und gewisser Massen allen Antheil an ihre Gewogenheit aufgegeben habe. Dies alles veranlaßte, daß sie ihr so fort Befehl ertheilen liessen, das Haus zu räumen und nimmer wieder vor ihr Angesicht zu kommen.

Wie Lindamire diesen Befehl erhielt, sandte sie einen Boten nach dem andern, ihre Vergebung und ihren Segen zu erbitten, aber alle ihre Bemühungen fanden kein Gehör, und sie sah sich genöthigt, das Haus zu verlassen. Ihre Eltern begaben sich auf das Land, ihrem Misvergnügen ferner Raum zu geben, und nichts weiter von dieser unangenehmen Begebenheit zu hören. Vulpone sucht gleichfalls mit seiner liebenswürdigen Braut einen vor der Stadt entfernen Platz, den er hiezu bestimmet hatte, damit nicht ihre Heirath, ehe sie es selber verlangten, gar zu bekannt werden mögte. ◀Exemplum ◀Ebene 3 [121]

Die Stadt ist voll von Muthmassung, was die Folgen hievon seyn werden. Ich denke selbige müssen glücklich seyn, wenn Lindamire noch ferner an Vulponen eben die gefälligen Eigenschaften finden wird, die sie zuerst zu dieser Wahl beredet haben, und solches könnte vielleicht bey ihren Eltern einen beweglichen Grund abgeben, ihrer Liebe den gewünschten Beyfall mitzutheilen.

Ebene 3► Exemplum► Wie groß sind die Zurüstungen vor die Hochzet Belfontens, eines jungen Herrn, mit Elviren! Beide haben diselbe Art zu denken, beide lieben ihre eigene Personen zu sehr, daß sie sich viel um ein ander bekümmern sollten; doch so lange sie so bleiben, wie sie sind, schicken sie sich gut genug vor einander. Allein sollte nur an einer Seite, und nicht zugleich an der andern, sich eine Aenderung zutragen, die sonst in allen andern Umständen den Personen den grössesten Vortheil bringen müßten, so würde selbige hie gewiß beiden zum Glück gereichen. Wir sind auf keine andre Art geschickt, die Thorheiten derer zu ertragen, in deren Gesellschaft wir leben müssen, als wann wir unserer eigene noch nicht abgeleget haben. Eine beiderseitige Bekehrung kann man hie nicht wol hoffen; man kann ihnen also nichts bessers wünschen, als daß beide beständig eben so eitel, eben so flatterhaft und Gedankenlos bleiben mögen, als sie stets gewesen sind. Alsdenn werden sie ihre Tage vor sich [122] in Ruhe und Friede zubringen, und nur andern lächerlich heissen. ◀Exemplum ◀Ebene 3

Ebene 3► Exemplum► Altiserens Zustand ist höchst unglücklich. Diese so vernünftige und kluge Person fand sich durch den Eigensinn ihres Vaters genöthiget den einfältigsten Menschen in der Stadt zu heiraten, der von Natur schon ein Thor war, durch eine üble Erziehung aber noch närrischer wurde. Weil ich ein Mann bin, schließt er, muß ich mehr Einsicht als meine Frau besitzen, und als Gemal geziemt es mir allen ihren Worten und Handlungen zu widersprechen. Ihre Klugheit ist die Ursache, daß sie ihm nachgiebet: in Gesellschaften wo er gegenwärtig ist, fürchtet sie sich den Mund zu öffnen, weil er sich sonst nur bemühen würde, zu zeigen, wie viel Witz er besitze, ihre vermeinten Fehler auszufinden, und folglich seine Thorheit bekannt machen mögte. Ich weiß nicht, wie es möglich ist, daß sie ihm vergeben kann. Ihre Freunde wenigstens sind wieder vermögend noch schuldig es zu thun, da sie ihnen das Vergnügen benimmt, das seine Einfalt und Vermessenheit ihnen in ihrer Gesellschaft sonst gewähren würde. ◀Exemplum ◀Ebene 3

Ich erinnere mich, wie vor etlichen Jahren eine Dame es dem langen Frieden zuschrieb, daß sich in allen öffentlichen Versammlungen eine solche Menge alberner und abge-[123]schmackter jungen Herren fände. Sollten wir einmal wiederum Krieg haben, sagte sie, ich bin gewiß weit männlicher Minen und Aufputz würde so in der Mode kommen, daß selbst solche, die nicht ins Feld gehen, es natürlich nachahmen und ihre ausländische Seide und Brocad gegen aufrichtig Englisches Tuch vertauschen werden. gewisse Zufällen haben seit dem unsre Bekanntschaft unterbrochen, sonst würde ich das Vergnügen gehabt haben, mit ihr zu scherzen, daß sie sich so sehr geirret habe. Wir sind wirklich in einem dreifachen Kreig verwickelt. man drohet uns ins Land zu fallen mit papistischen Prätendenten – mit Verschwörungen und wer weiß, mit was sonst? – Man rüstet grosse Flotten aus – wir werben mit Macht zur See und zu Lande – unsre Gefilde sind mit Zelten bedecket; – unsre Gassen zeigen ganze Schwarme von Soldaten, – allenthalben hört man Trommeln und Trompeten erschallen – kurz, fast alles bleibet liegen, die Kriegesrüstung ausgenommen. Dennoch dünket mich, daß unsre jungen Herren noch eben so nett, noch eben so ruhig und unbekümmert als jemals erscheinen: es mögte denn seyn, daß sie die Last drücket, wenn es ihnen an Bequemlichkeiten fehlet, deren Einfuhr der unterbrochne Handel und Wandel hindern muß: und denn brechen sie in die bittersten Klagen über die schlechten Zeiten aus. – Jener kann seine Kleider leiden, die nicht nach [124] dem französischen Schnitte gemacht sind: ein dummer englischer Schneider, schreit er, macht ein Ungeheuer aus mir! – Dieser meint, die schlechten Parfums seyn ihm ein Gibt gewesen , und vor Mangel an frischen Orangen oder Bergamotte Schnupftoback will ihm die Seele ausfahren. Verfluchter Krieg mit Spanien, ruft ein dritter, den uns der letzte Minister abgezwungen hat! nicht das geringste ächte Roth ist anjetzo zu bekommen!

Wie lange diese übertriebene Zärtlichkeit dauern will, das weiß der Himmel. doch wir sind gewiß von den Zeiten noch weit genug, da selbige wird ausgerottet werden. Selbst unter Officiern und in der Armee waren einige davon angestecket, ehe sie in den Soldatenstand traten. Diese sind fast unübersteigliche Schwierigkeiten sich zu dem harten Leben und zur Hintansetzung des Putzes in Kleidungen zu gewöhnen, die der grösseste Zierrath ihres Standes ist.

Eine Person, die in der galanten Welt nicht wenig geschäftig gewesen, wurde neulich Schulden wegen genöthiget ihre Rechnung einzuliefern. Wie ich unter denen, denen die Untersuchung solcher Dinge anvertrauet ist, einen sehr vertrauten Freund habe, nahm er sich selber die Mühe, als etwas neues und fremdes eine [125] Rechnung abzuschreiben, womit ihr ein gewisser Officier verwandt gewesen, der sich anjetzo in der Armee aufhält. Er schenkte mir selbige und ich vergnügte mich nicht wenig, wie ich sie durchsahe. Metatextualität► Ich bin versichert, daß alle Puncte richtig sind, und ich hoffe, dieses seltne Stück wird meinen Lesern gleichfalls nicht unangenehm sein. ◀Metatextualität

Ebene 3► Exemplum► Satire► den 6. Jun. 1743

Der Herr Capitain – empfing von mir Rebecca – wie folget:

Eine Reitmasque in heissem Wetter Pf. Sch. St.

und Sonnenschein zu gebrauchen I. I. 0.

Eine Nachtmasque vor Sonnenflecken I. I. 0.

6. Pf. Jesminpomade I. I. =0.

12 Töpfe kalten Rom I. I0. 0.

4 Bouteillen Benjaminwasser I. 0. 0.

30 Pf. perfumirten Poudre I. I0. 0.

Einen Schwamm vor die Zähne 0. 2. 6.

Eine harene Zahnburst 0. I. 0.

3 Schachteln Zahnpulver 0. 15. 0.

6 Bouteillen perfumirt Mundwasser I. 4. 0.

Einen silbernen Kamm vor die Augenbrauen 0. 5.0.

4 Loth schwarz Poudre zu gleichem Gebrauch 0. 18. 0.

4 Dosen feine Lippensalbe I. 0. 0.

2 Loth von dem besten Carmin 30. 0. 0.

6 Bou-[126]teillen Orangenblüthwasser I. 10. 0.

12. Pf. Mandelnteich 6.6.0.

2. Pf. Bergamotte Schnupftoback 9. 0. 0.

3 Bouteillen Essenzen davon I.10. 0.

6 Paar Handschuhe von Hundes Haut I. 0. 0.

Summa 38. 9. 6.

Dergleichen Wasen nahm dieser tapfere Held, wie es schien, mit sich. Wären selbige in des Feindes Hände gefallen, so würde unsern Officier ein solcher Verlust gewiß näher gegangen seyn, als wenn die ganze Armee wäre geschlagen worden. Ich setze in solchem Falle voraus, daß seine eigene unschätzbare Person unverletzt davon gekommen wäre.

Doch öftere Feldzüge werden, wie ich hoffe, dieser weiblichen Zärtlichkeit ein Ende machen. Das Exempel andrer wird dergleichen eben ausgeflogen Krieger ehren, daß sie alles weichliche Wesen ihrer in Seide gekleideten Jugend gänzlich ablegen müssen, wofern sie sich zu dem Tempel der Ehren empor zu schwingen gedenken. ◀Satire ◀Exemplum ◀Ebene 3

Nicht, als ob man unreichlich und nachläßig gekleidet seyn müßte, weil man ein Soldat ist, [127] oder aller Wolstand aus den Augen zu setzen sey, um zu zeigen, daß man in dieser Lebensart vollkommen seinem Beruf abwarte: -- Man kann hierin so wol ein gezwungenes Wesen annehmen, als in dem was disem entgegen gesetzt ist: ja ich getraue mich zu behaupten, ein Soldat der sich gegen Wind und Wetter in einem guten Zelte schützen kann, und doch auf blosser Erde liegen wollte, um sich der rauhesten Luft auszusetzen, ist eben so eitel und ehrfürchtig, als ein andrer, der sein Zelt mit Hammer und gestickten Tapezereien auszuzieren pflegt – Härte und Arbeit im Felde geduldig und unerschrocken auszudauern, allen Gefahren, wo es unsre Schuldigkeit erfordert unverzagt entgegen zu gehen, ist höchst lobenswürdig und nachzuahmen. Aber ohne Beruf selbigem entgegen zu rennen, wo Tapferkeit und Muth ohne Nutzen ist, heißt so viel als nichts. beides wird hier zum Laster, wie alle andre Tugenden, wenn man sie zu weit treiben will.

Am meisten rühret mich, wenn ich höre, daß jemand, der sich im Felde hervor gethan hat, sich so aufbläset, daß er sich wie einen kleinen Gott betrachtet, der in Ansehung daß er in einem Puncte geschickt gewesen, seiner Schuldigkeit eine Gnüge zu leisten, so vermessen ist, sich von allen andern Pflichten frei zu sprechen.

Ebene 3► Exemplum► Kurz, vor Eröffnung des letzten Feldzuges [128] wartete Amaranth, ein tapfrer junger Officier, Amniten auf. - seine Leidenschaft machte allen Eindruck in ihr zärtlich Herz, den er nur wünschen konnte. Sie trauete entweder seiner Ehrlichkeit zu viel, oder sie war nicht schlau und listig genug, die ihr von ihm beigebrachte Neigung zu verhelen. – Diese Entdeckung setzte ihn in Entzückung. – Er schwor ihr eine ewige True, und beide versprachen einander auf das feierlichste sich zu heirathen, so bald er nur von Deutschland zurück kommen würde, denn dahin, dachte man würde sein Regiment auf den ersten Befehl gehen müssen.

Jeder Tag schien auf beiden Seiten die Zärtlichkeit zu vermehren, und es mag kaum jemals ein Paar gewesen seyn, dem die Leibe die dem ersten Anfange eine dauerhaftere Glückseligkeit versprechen können. – Amaranth bezeigte in allen seinen Handlungen, sein Wille stimme mit Amnitens Neigung völlig überein. Und Amnite wieß in ihrem ganzen Bezeigen, daß alles was sie von ihrem Amaranth durch Befehle oder Bitte zu erhalten suchte, nichts weiter sey, als was er selber, wie sie wußte, wünschte, daß sie es von ihm verlangen mögte.

Endlich kam die betrübte Abschiedsstunde heran, und mit ihr alle Angst und Bangigkeit die sich nur Verliebte vorstellen können. – Ruhm [129] und Ehre war bisher Amaranthens Abgott gewesen: aber nunmehr verlor selbiger alle Neigung, da sie ihn von Amniten trennen sollte. Amnite sollte Amaranthens Gegenwart verlieren, und dieses schien ihr Leben, in beständiges Klagen zu verwandeln.

Doch man mußte dem grausamen Schicksal endlich nachgeben. – Zähren und Seufzer, Umarmungen und gegenseitige Versicherungen einer ewigen Treue und Beständigkeit endeten diesen zärtlichen und traurigen Abschied. – Keiner hätte urtheilen können, wenn er bei dieser Trennung wäre zugegen gewesen, welcher von beiden den tiefsten Schmerzen müsse empfunden haben; doch wenn wir die Umstände genau betrachten, werden wir einen gewaltigen Unterscheid finden. Amaranth liebte damals sonder Zweifel auf das heftigste, und sollte, ungewiß auf wie lange, sein liebstes aus den Augen verlieren. doch eben diese Abwesenheit war das einzige Unglück, womit er zu kämpfen hatte. Amnite hergegen war diesem allen nicht nur in gleichen Grade ausgesetzt, sondern hatte noch weit schrecklichere Vorfälle zu befürchten. die unvermeidliche Gefahren, worin sich ein Leben befand, das ihr weit lieber und kostbarer, wie ihr eignes war, brachte ihr solche Angst und Schrecken bei, da sie es kaum ertragen konte. Nach seiner Abreise widmete sie die meisten Stunden, sich vor [130] dem Altar nieder zu werfen, um allda ihm Seufzer und Gelübde seiner Sicherheit halben aufzuopfern. Ihre liebsten Freunde und Gespielinnen konten sie nicht überreden an einigem Zeitvertreibe und Lustbarkeiten Theil zu nehmen, woran ihre Jugend vorher ein Vergnügen gefunden hatte. – Aller Umgang den sie suchte, war wo sie Nachricht von der Armee haben konnte; alle ihre Fragen gingen bloß hierauf: alle ihre Zufriedenheit und Unruhe gründeten sich auf Zeitungen daß sie dem Feinde nahe oder davon entfernet waren: jeder ankommender Courier mache ihr Herzensangst, bis ein Schreiben von Amaranth sie überführte, daß ihre Furcht bisher noch unbegründet gewesen sey.

Er schrieb ihr verschiedne male ehe noch die Schlacht bei Dettingen vor sich ging, und in dem letzten Briefe gab er ihr Nachricht, sie wurden so eben im Begriff Aschaffenburg zu verlassen, und zu den Trouppen bei Hanau zu stossen, von wo er ihr weiter Zeitung geben würde. Alle seine Briefe waren ihr angenehm, doch dieser insbesondere gab ihr ein doppeltes Vergnügen. Denn sollte ja ein Treffen mit den Franzosen vor sich gehen, so machte die Stärke der bereinigten Armeen, daß sie vor ihn, dessen Person ihr die meiste Sorge machte, desto weniger befürchten durfte. [131] Aber wie sehr veränderten sich die Umstände! Statt die gehoffte gute Zeitung zu erhalten, daß der Feind ohne Schwerdtschlag vor ihnen gewichen wäre, hörte sie von einem scharfen Treffen. Eine Menge braver Officiere sollten an beiden Seiten geblieben seyn, und Amaranth wurde nicht minder mit unter die Todten gerechnet.

Umsonst würden wir uns bemühen, die Bewegung zu beschreiben, in welcher sie hierdurch gesetzet wurde. Ihre Betrübniß und Verzweifelung übersteigen alle Beschreibungen und alle Grenzen. Ich kann nur dieses sagen, daß beide gar zu heftig waren, um von langer Dauer zu seyn; kurz, sie hätte ihr Leben dabei zusetzen müssen, wenn sie nicht durch andere und bessere Zeitung vom Tode wäre errettet worden.

Er war wirklich gefährlich obwol nicht tödtlich verwundet, und dies hatte das Gerüchte von seinem Tode veranlasset. Doch seine Freunde hatten grösser Ursach, ihm Glück zu wünschen, als ihr Beileid zu bezeigen, da ihm dieser Zufall einen unsterblichen Ruhm erworben hatte.

Er bezeigte in dem Treffen wirklich die grösseste Unerschrockenheit, und der Fall so vieler andrer machte ihn so wenig verzagt, daß ihn dieses vielmehr mit neuem Muthe beseelte, ihr [132] Schicksal zu rächen. Sein Regiment litte ungemein und er selbst empfing verschiedne Wunden. Dennoch konnte man ihn nicht bereden, das Feld zu verlassen, bis ein unglücklicher Streich über den Hirnschedel ihm alle Empfindung benahm, so daß er dem Ansehen nach, tod zur Erde fiel.

Seine Tapferkeit hatte ihm viele Freunde erworben, selbst unter denen, die seine Person bisher am wenigsten gekannt hatten, und diese trugen Sorge, daß man ihn sofort ins Lager brachte. einige Stunden entdeckte man keine Merkmale des Lebens; es war also nicht zu verwundern, daß bei aller Verwirrung, worin sich ein jeder nach dem Treffen befand, der Name unsers jungen Helden in die Todtenliste gerücket wurde, die man zu übersenden pflegt.

Amnite hörte die Nachricht von seiner Besserung und von dem erlangten Ruhme, den jedermann seinen Verdiensten beilegte, mit solchem Vergnügen als die Liebe gegen ihn ihr einflössen konnte dennoch mußte sie ein wenig unruhig werden, wie sie fand, daß er an andre geschrieben, da sie selber seit dem Treffen nicht eine Zeile von ihm erhalten habe, ungeachtet sie sich schmeichelte, die erste zu seyn, der zu Liebe er seine Feder ansetzen würde. Es hält ungemein schwer, Personen die wir lieben, bei uns in Ver-[133]dacht zu bringen. Amnitens Zärtlichkeit erfand selber die Entschuldigung, dergleichen vielleicht seine eigene List und Verschlagenheit nicht hätte erdenken können, und sie wollte sein Stillschweigen lieber, ich weiß nicht als vor Ursachen, als einer Nachläßigkeit beilegen. Sie waren weit von einander entfernet; Courier könten vielleicht nicht auf sein Schreiben warten; die Briefe wären vielleicht verloren gegangen, oder in die unrechten Hände gefallen; er könnte nach Plätzen beordert seyn, wo weder Courier noch Posen zu haben wären: seine andern Briefe gingen muthmäßlich durch Hände, denen er das Geheimniß seines Briefwechsels nicht anvertrauen wollte.

So betrog sie sich selber um ihrer Verzweifelung zuvor zu kommen, bis Amaranth in Person würde angelanget seyn. Sie hatte sich vorgenommen, ihm einige kleine Vorwürfe zu machen; sie zweifelte aber zugleich nicht, er würde seine anscheinenden Fehltritte mit so erheblichen Gründen entschuldigen, daß sie sich selber würde genöthiget sehen, ihn wegen ihres ungerechten Verdachtes um Verzeihung zu bitten.

Sie war noch bei weitem nicht wirklich unglücklich, bis sie von seiner Ankunft Nachricht erhalten, und schon verschiedne Tage verstrichen waren, da sie ihn weder gesehen, noch von ihm selber Zeitung bekommen hatte. Entschuldigung [134] hiervor zu finden, war der Aufrichtigkeit ihrer zärtlichen Liebe unmöglich, und sie sahe sich nunmehr wider Willen gezwungen, seinen Undank und seine Treulosigkeit zu muthmassen. Ihr Erstaunen und ein kleiner Hochmuth, der eine verachtete Liebe beständig zu begleiten pflegt, verhinderte eine Zeitlang, daß sie nicht zu ihm sandte. Endlich warf sie ihm schriftlich die Veränderung in seinem Bezeigen vor, doch wenn sie ihn tadelte, wußte sie dieses an der andern Seite mit solcher Zärtlichkeit zu vermischen, daß sie deutlich zeigte, wie bereitwillig zum Vergeben sey, so bald er solches nur bei ihr suchen würde.

Amaranth antwortete ungemein höflich, aber in Ausdrücken, die die Flammen eines brünftigen Liebhabers gar nicht an den Tag legten. – Er entschuldigte sich, daß ihm seine bisherige Eilfertigkeit verhindert hätte, ihr aufzuwarten; und versicherte sie zugleich, er würde bei der ersten Gelegenheit nicht ermangeln, seine Schuldigkeit zu beobachten. – Und endlich bezeugte er, kein Mensch in der Welt könne grössere Hochachtung gegen sie haben, wie er, und daß er sich eine Ehre draus machen würde, so bald als möglich sie hiervon zu überführen. Er unterschrieb sich endlich, nicht wie er bisher gewohnt gewesen, als ihr ewiger Verehrer, sondern ihr unterthäniger Diener. [135] Amnite hätte an Einfalt und Thorheit nicht ihres gleichen gehabt, wenn sie noch nicht den Verlust eines Herzens bemerket, in dessen Besitz sie sich so sicher zu seyn vermeinte, und so stolz darüber gewesen war. Betrübniß und Verzweifelung bemeisterten sich ihrer Seele eins ums andre. Dennoch behielt diese Liebe auch etwas Platz, und mischte sich so sehr unter beide, daß jene nicht zur Verachtung werde, noch diese allen kleinen Ueberrest von Hoffnung zu Grunde richten konnte, womit sie sich schmeichelte, noch einmal im Stande zu seyn, sein Herz zurück zu fordern.

Sie konnte sich die Vorstellung machen, wenn sie ihm nur einmal sehen sollte, würde es ihm unmöglich seyn, diejenigen Augen durch seine Schuld in Thränen baden zu sehen, die, wie er so viel tausendmal betheuert hatte, auf ewig die Ursache seines Vergnügens seyn sollten, ohne auf gleiche Art, als vorher, durch ihre Blicke beweget zu werde. Sie erwartete seinen gehofften Besuch lange, als die Ungeduld eines Liebhabers erlauben will, er kam nicht, sie schrieb nochmals: sie beschwor ihm, er mögte sie nicht in dieser Furcht und Ungewissheit lassen, sie bat einzig und allein, aus seinem eignen Munde ihr Schicksal zu hören, worauf sie nimmer weiter einen Besuch von ihm verlangen würde. Endlich that er diesem inständigen Ansu-[136]chen ein Gnügen: Die Heftigkeit ihrer Leidenschaft läßt uns leicht erraten, wie sei ihn müsse empfangen haben. Doch Amaranth war so kaltsinnig und antwortete so unbestimmet auf alles was sie sagte, daß sie selbst, ungeachtet sie der beste Zeuge davon war, es nicht genugsam ausdrücken konnte. Der Hauptinhalt von dem, was er ihr zu verstehen gab, war, er sey überzeugt, ein zärtlicher Umgang mit den Schönen sey den Beschäftigungen eines Soldaten zu sehr entgegen, und er habe den festen Entschluß gefasst, sich einzig und allein diesem zu widmen. Wäre er in andern Umständen, oder konnte es mit dem Bestreben nach Ruhm und Ehre bestehen, ein verliebtes Verständniß zu unterhalten, so sollte Amnite gewiß vor allen andern ihres Geschlechts den Vorzug behaupten – In den jezigen Umständen aber, schmeichelte er sich mit der guten Hoffnung, ihre Klugheit und Einsicht würde ihm diese Veränderung vergeben, da sein Eifer von den König und das Vaterland ihn einzig und allein dazu verleitet hätte.

Man muß gestehen, er betrog sie in diesem Vorwand nicht: seine weitere Beförderung – Der Ruhm bey der ganzen Armee – Das Lob so ihm der General beigelegt hatte, -- Die Complimente der Schönen vom ersten Range bey seiner Widerkunft wegen seines Wohlverhaltens zu Dettingen, dieses alles hat ihn so stolz gemacht, [137] daß er nicht merh dieselbe Person ist. Seine ehedem zärtliche bittende Minen haben die Gestalt des Hochmuths angenommen – Er wirft den Kopf und bewegt die Arme in eine nachläßliche Art. – Die Augen scheinen mehr auf das was in ihm vorgehet gerichtet zu seyn, als auf äußerliche Gegenstände – und kurz in seinem ganzen Wesen bemerkt man eine solche Veränderung, daß er seinem Bezeigen nach, in ihm selber alles findet, und sich selbst allein genug ist, wenn man anders, wie man thun mag wirklich aus den Geberden auf die Neigung und Beschaffenheit des Gemüthes schliessen kann. – Wie es scheinet, so denkt er seine verrichteten Thaten fordern von allen die ihn nur sehen, den Zoll der Liebe und Ehrerbietung. Er glaubt, es sey ihm nicht anständig, auf andre deswegen ein Auge zu werfen, und noch weniger, daß er sich ihnen davor verbunden erkennen sollte.

Amnite durfte sich desto weniger kränken, da keine grössere Schönheit ihr Amaranthens Neigung entzogen hatte, und da er wirklich seine Person ihres Geschlechts der ernstlichen Liebe eines Mannes wie er war, würdig hielt.

Dem ungeachtet war es ihr schlechterdings unmöglich diesen harten Stand zu ertragen: kaum fand sie, daß sein Herz nicht wieder zu gewinnen war, so dachte sie weiter an keine Eroberung mehr, [138] so sehr ihre Jugend, ihre Schönheit und Mittel ihr auch Gelegenheit dazu geben könten. Sie begab sich in aller Stille in der Einsamkeit aufs Land, und da bemühet sie sich unter die Lustbarkeiten der Gärten und Felder, alle Reizungen der grossen Welt zu vergessen. Da suchet sie sich bey der Melodie der angenehmsten Sänge in Büschen und Heinen das Andenken der Stimmen zu verlieren, die sie unglücklich gemacht hat.

Vielleicht mögen einige Amaranthens Verfahren billigen können: ich vor meine Person muß nothwendig denken, daß selbiges mehr von einem wilden als von einem wahren Helden ein Zeugnis giebt. Wir müsten nothwendig unsre Sinnen der Lügen beschuldigen, und so viele Exempel in neuen so wol, als in ältern Zeiten ganz für falsch halten, wenn wir Liebe und Ehrbegierde als zwey unverträgliche Dinge ansehen wollten. Noch weniger kann man sagen, eine weise und kluge Ehegattin, so heftig sie auch liebet, sei nicht fähig, so viel Achtung gegen ihres Gemals Vortheil und Ehre zu bezeigen, um im geringsten zu verlangen, das was er beiden schuldig ist, aus der Acht zu setzen, um seine Neigungen sie desto nachdrücklicher an den Tag zu legen. ◀Exemplum ◀Ebene 3

Mir deucht die Erzählung von dem Liebesverständnis des Mars mit der Venus in den Fabeln der Dichter, wol gegründet zu seyn. Die [139] Schönen pflegen überhaupt am meisten aus den Martissöhnen zu machen – Und warum dieses? – Gewiß nicht, weil sie roth gekleidet gehen. Dies thun viele andre, die in einem Laden sitzen, und was noch schlimmer ist, nicht das Herz gaben, den degen zu ziehen, oder eine Pistol abzufeuern. Die Ursach muß seyn, weil man wenigstens voraus setzt, daß ein Soldat Muth genug besitzt, in allen erforderlichen Umständen alle die unter seinem Schutze stehen, zu verteidigen; weil man einen tapfern Mann vor allen andern in der Welt desto höher schätzet, je verächtlicher ein feigherziger zu seyn pfleget.

Wird folglich ein Frauenzimmer sich wol durch List oder Ueberredung, mittelbar oder unmittelbar unterstehen, ihren Liebhaber einer Sache beschuldigen zu können, die den Glanz seiner Eigenschaften verdunkelt, weswegen er ihr liebenswürdig scheinet? Wird sie ihn nicht weit eher zu Thaten aufmuntern, die ihre getroffene Wahl rechtfertigen können. Sie leidet freilich in seiner Abwesenheit, bei den Gefahren, denen er unterworfen ist, die ihre Zärtlichkeit desto schrecklicher vorstellet. Aber wird sie nicht eine Ehre darin suchen selbige zu übersteigen; wird sie es nicht für einen lobenswürdigen Hochmuth halten, der Welt zu zeigen, wie würdig sie sey der Gewogenheit eines tapfern Gemals zu besitzen, vor dessen Ruhm sie so viele Achtung hat?

[140] Ebene 3► Allgemeine Erzählung► Ich erinnere mich hiebei, daß ich einstmals den Schauplatz besuchte, wie die Gemahlin und die beiden Söhne eines grossen Admirals in die Loge kamen. –Diejenigen, die sie kannten, gaben den beistehenden Nachricht davon, bis die ganze Versammlung in Bewegung gerieth. Alle Augen – Alle Zeugen – alle Hände bemüheten sich augenblicklich die allgemeine Liebe und Dankbarkeit gegen der Familie dieses berühmten Helden an den Tag zu legen – Die Stimme des Volkes ist Famens beste Tropete. Keine ekelhaften Lobreden, keine Erhebung, etlicher wenigen und oft eigennützigen Leute, keine nicht selten partheische Belohnungen, sind ein Beweis wahrer Verdienste. Nur die ungesuchten, die ungezwungenen Gebete und Gegenswünsche der ganzen Versammlung können dergleichen an den Tag legen. Der ihm beigelegte Freuden Zuruf entsprang aus dem innersten des Herzens. – Seine vortreffliche Gemalin sahe bei jedem eine innerliche Zufriedenheit und empfang selbst dergleichen. Die Merkmlae hievon zeigten sich in allen ihren Minen, und legten ihren Augen einen doppelten Glanz bey. Dennoch betrübte sie sich ausser allen zweifel über seine so lange Abwesenheit, sie sehnte sich nach seiner Widerkunft, sie vergoß oft Thränen in ihrem Zimmer, und ließ der zärtlichen Aengstlichkeit einen freyen Lauf, die sie nicht vermindern konnte, da sie wußte, was vor grosse und unzähliche Gefährlichkeit er zu befürchten hatte. [141] Dennoch war ihr seine Ehre lieber, als alle Zufriedenheit, die ihr seine Gegenwart gab, ja lieber, denn ihr Leben selbst; so wie er sein eignes der Ehre nachzusetzen pflegte. Und dies machte sie fähig selbst in dem Ungemach, womit er sie erwerben mußte, ein Vergnügen zu suchen. ◀Allgemeine Erzählung ◀Ebene 3

Metatextualität► Ich könnte hier zur Ehre unsers Geschlechts in diesem Stücke nicht wenige Exempel anführen, von denen ich entweder mündlich oder schriftlich Nachricht habe. doch nichts rühmt uns mehr, nichts kann einen tiefern und stärkern Eindruck haben, als wovon unser Auge selbst ein Zeuge ist – Ich habe daher diese Dame mit gutem Vorbedacht erwehnet, da ich gewiß bin, daß viel meiner Leser, so wol als ich selber, bey dieser Begebenheit gegenwärtig gewesen, und ihr liebreiches Bezeigen bei solcher Gelegenheit bewundert haben. Vielleicht haben sie an ihr dergleichen noch öftere wahrgenommen, wo ich nicht das Glück hatte, zugegen zu seyn. ◀Metatextualität

Ich weiß es, einige Schönen sind nicht stark und herzhaft genug, den Abschied eines liebenden und geliebten Gemals ertragen zu können: sie sehen sich genöthigt ihre Betrübniß in so hohem Grade an den Tag zu legen, daß solches dem Entschluß der dreistesten Person könnte wankend machen, und ihm fast die Kräfte benehmen muß, sich aus ihren Armen zu reissen. [142] Hat er ja noch dies Vermögen, wozu ihm sein hartes Schicksal zwinget, so scheint es doch, als hätte er seine Seele und sein Herz zurück gelassen. Dem ungeachtet mögen viele unter ihnen bei weiten nicht die Gedanken haben, daß man die Zärtlichkeit ihres Geschlechts in diesem Stücke nachgeben sollte. Nur wenige werden den Gemal ihrer Liebe würdiger schätzen, der seiner Ehre zum Nachtheil, ihrer Schwachheit hierin zu Gefallen seyn würde.

Ebene 3► Exemplum► Ebene 4► Fremdportrait► In solchem Falle würde ich die Gemalin eines ehemaligen Generals als ein Exempel anpreisen. Niemals konnte ein Ehemann zärtlicher geliebet werden, und niemasl konnte eine Ehegatting mehr Dankbegierde, mehr Zärtlichkeit und Gewogenheit sich rühmen. – Sie gehört zu der Anzahl derer, denen das Scheiden unerträglich fällt, und die unumgänglich alle die Bewegungen dabei empfinden müssen, da ich so eben beschrieben habe.◀Fremdportrait ◀Ebene 4 Ihre Verwirrung fiel ihm völlig ins Auge, und hatte einen grössern Eindruck als sie selber wünschen möge. Sie bat ihn daher, daß wo es künftig wiederum zum Scheiden kommen sollte, mögte er seinen Abschied von ihr nehmen. – Es schien ihm fremde, daß eine solche Großmuth, als sie in diesem Ansuchen an den Tag legte, sie nicht fähig machen könte mit gleicher Standhaftigketi einen Zufall zu ertragen, die bei seinen Umständen ganz unvermeidlich war, und hätte [143] ihr gern eine abschlägige Antwort gegeben. „Wie schlecht, sagte er, wie unbillig würde es gegen eure Vollkommenheiten gehandelt seyn, wenn ich diesem Begehren Gehör geben wollte – Wie kann ich mich schmeicheln, es werde euch erträglicher seyn, die Zeitung von meiner Abreise zu hören, als mich wirklich zu Pferde zu sehen? -- Es mag mir so unerträglich seyn, antwortete sie, als es immer will: ich achte dieses nicht, da meine einfältige Furchtsamkeit mich hindert, daß ich mich selber nicht so regieren kann, wie es einer Person anständig ist, die das Vergnügen hat, so nahe mit euch verbunden zu seyn. Meine Ehre und eure Ruhe wird weit mehr dabei gewinnen, wenn ich meiner Betrübniß in der Stille nachhängen kann.

Diese Vorstellung bewegte ihn gar bald; nicht lange nachher erhielt er Befehl sich zu der Armee zu verfügen: man machte alle Anstalten zu seiner Abreise so geheim als immer möglich war: man erwehnte nicht das geringste davon, so wenig in der Familie, als gegen andre, die ihren Besuch abstatteten. Zur bestimmten Zeit erwartete ihn die Equipage an dem Stadtthore, und er reisete ohne weitere Zerimonien ab, als er sonst gewohnt war, wenn er denselben Tag wieder zu kommen pflegte. [144] Alle zärtlichen Abschiedscomplimente, die er zu machen hatte, sandte er ihr in einem Schreiben zu, und von dem Schmerze, den sie dabei ertragen mußte, war niemand weiter Zeuge, als ihre Kammerfrau. – Ihre Augen waren ungehorsam, aber nicht ihre Feder, und sie überführte ihm in ihrem Antwortschreiben, wie sie nichts so sehr wünschte, als den Ruhm den er in so vielen Treffen, und unter so mancherlei Gefahren erworben hätte, vermehret zu sehen. ◀Exemplum ◀Ebene 3

Freunde und Liebhaber scheiden, als wenn sich Leib und Seele trennen soll, und sind desto ruhiger dabei, je weniger sie vorher Nachrich davon haben – Die Vorbereitungen sind fürchterlicher wie die Sache selber; die Vernunft ist oftmals zu schwach, eine natürliche Zagheit zu überwinden: es ist also unendlich besser, daß uns der harte Stand, den wir ertragen sollen, ganz und gar unbekannt ist, bis er wirklich vorüber gehet.

Metatextualität► Ich wünschte jedoch, es wären mehrere Exempel dieser Warnung anzubringen, als sich wirklich zu finden scheinen --- Als Zuschauerin ist es meine Schuldigkeit Acht zu haben, daß mir so wenig entwischen muß, als immer möglich ist, und ich finde zu meinem Mißvergnügen bei allen Untersuchungen nur wenig Exempel der Zärtlichkeit in Ehen, wo eine solche Ueberwin-[145]dung seiner selbst nöthig ist, als gedachte Damen zu Stande zu bringen sich bemühet hat. ◀Metatextualität

Der Abschied, den verheirathete Personen gemeiniglich von einander nehmen, scheint oft weiter nichts als eine blosse Zerimonie zu seyn. Einigen läßt es den ersten Augenblick nach der Trennung nicht anders zu, als einem Gefangenen, der so eben von seinen Fesseln ist befreiet worden. Sie sind munter und lustig, als ob sie die vergangne Angst, da sie so eingeschrenket leben mußten, durch gegenwärtige Freudensbezeugungen nicht genugsam ersetzen können.

Ebene 3► Exemplum► Melinde ist kaum von Romeros Gegenwart frei, so jagt sie aus einer öffentlichen Gesellschaft in die andere – sie scherzet mit jedem artigen jungen Herrn der zugegen sit – sie eilt von einem Ende der Stadt zu dem andern – sie schickt nach gewissen Personen in Chocolate und Coffeehäuser, kurz, sie ist die flatterhafteste ihres Geschlechts, die die Natur hervorbringen kann. ◀Exemplum ◀Ebene 3

Ebene 3► Exemplum► Silar giebt vor, eine Krankheit herrschte in der Stadt, und beredet dadurch seine Frau, selbige zu verlassen, um in eine gesündere Luft zu leben. Kaum hat er sie und die Kutsche aus den Augen, so sendet er zu ein halb Dutzen gute Freunde, die mit ihm gleiches Sinnes sind, [146] zu einer gleichen Anzahl liederlicher Weibespersonen, und aus jedem Zimmer wird ein Hurenhaus gemacht. Man sieht nichts als Gastmale, Trinkgesellschaften, Tanzen und Wolleben. Ist er dieses wüsten Lebens in etwas müde, alsdenn und nicht eher, sucht er seine Frau wieder, um durch etwas mehr Ordnung eine Art von Busse zu thun. ◀Exemplum ◀Ebene 3

Ebene 3► Exemplum► Makrobius wurde von Lalien angebetet, so lange er gegenwärtig war; er diente dem Vaterlande, und dies nöthigte ihn ihre Umarmungen zu verlassen. In seines eigenen Bruders Armen suchte sie sich zu trösten, ungeachtet sie dem Makrobius keine Mittel zubrachte, und er dem ungeachtet sie um seiner Ruhe willen mehr liebet als sie verdient hat. ◀Exemplum ◀Ebene 3

Ebene 3► Exemplum► Dorimons Umstände würden von seinen Nachbaren gewiß niemals seyn beneidet worden, wäre er nicht so glücklich gewesen, den Augen der jungen, reichen und schönen Clotilde zu gefallen. Sie heirathete ihn aller Zuredung ihrer Freunde ungeachtet und bezeigt sich so gehorsam, als zärtlich. Der Undankbare vergißt, wie viel er schuldig ist, samt allen Reizungen, die einen jedoch nothwendig binden müßten. Er hat allezeit einen Vorwand sich von ihr zu entfernen, und bringt seine meiste Zeit bei einer liederlichen Person zu, mit der er von ungefehr in [147] einem übelberüchtigten Hause bekannt geworden ist. ◀Exemplum ◀Ebene 3

Kann man auch wohl glauben, daß Seelen wie diese, jemals im Himmel gepaaret werden. – Sollte es uns nicht vielmehr verleiten, sich einzubilden, daß ein böser Geist, ein Feind des menschlichen Geschlechts auf höhere Zulassung ein solches Band geknüpfet habe? – Selbst dienigen, die sich am besten vor einander zu Beförderung einer beiderseitigen Glückseligkeit zu schicken scheinen, können hienieden sehr selten ein Zeugniß von der göttlichen und vorher bestimmten Vereinigung ablegen, wovon so viele geredet wird. Eine oder andre Umstände machen öfters einen Querstrich, die sie zu trennen, und zu ganz verschiedenen Schicksalen zu verdammen pflegen.

Ebene 3► Exemplum► Wer kann an den fremden Zufall gedenken, der Panthea von ihrem geliebten und vertrauten Fidelio geschieden hat, ohne in das äußerste Erstaunen zu gerathen? Metatextualität► Die Begebenheiten dieser jungen Schönen enthalten etwas ungemein merkwürdiges, und wenige haben die wahren Umstände davon wissen können. Ich würde also meiner Pflicht kein Gnüge leisten, wenn ich meinen Lesern nicht eine völlige Nachricht davon mittheilen wollte. Diesem zu Folge muß ich in Beschreibung ihrer Widerwärtigkeiten, bis zu [148] der ersten Quelle zurück gehen, die wir wirklich in den ersten Augenblicken ihres Daseins zu suchen haben. ◀Metatextualität Der listige und reiche Lacroon liebte Miletten verschiedne Jahre vor dem Tode seiner Gemalin. Sie war aber so schlau, daß sie eine schriftliche Versicherung von ihm verlangte, falls er Wittwer werden sollte, sie entweder zu heiraten, oder eine grosse Summe Geldes zu verlieren, die darin fest gesetzt wurde. Das Schicksal schien ihren Wünschen geneigt zu seyn; -- es folgen wirklich solche Zeiten, wo sie das eine oder das andre fordern konte – Er wußte wie er sich gebunden hatte, und tat gar nicht lange Bedenken, in die Ehe mit ihr zu willigen. Seine Liebe gegen sie war zwar schon sehr gemindert, allein er erwählte dieses weit eher, als daß er so viele Gelder sollte aus den Händen gehen lassen. Panthea, die in dem geheimen Verständniß erzeuget wurde, war damlas ungefehr von elf bis zwölf Jahren. Man hatte sie so geheim als möglich aufgebracht, und sie wußte ganz und gar nicht, wer ihre Eltern wären. Sie war einer Aufwärterin von Miletten zur Aufsicht anvertrauet; alles was sie empfing ging erst durch ihre Hände, und sie sahe daher diese Person als eine weitläufige Verwandtin an.

Milette hatte beständig eine kleine Ehrfurcht [149] behalten: dies macht es ihr mehr denn jemals zuwieder, sie vor ihre Tochter zu erkennen, und so groß ihre Mutter auch anjetzo war, so wenig hatte solches zu dem Glücke der armen Panthea bisher etwas beygetragen.

Wunderlicher Eigensinn gewisser Weibespersonen! Sie schauren sich der Frucht ihrer Sünden, und nicht der Sünden selbst. Jedermann wußte, das Lacroon sie zum Zeitvertreib in seinen müßigen Stunden geliebet hatte, und sie war auch so einfältig nicht, es als ein Geheimniß anzusehen. Dennoch konnte sie den Gedanken nicht leiden, daß man Mutter heißen sollte, ohne vereheliget gewesen zu seyn, ungeachtet sie es anjetzo war, um der Welt keinen so augenscheinlichen Beweis ihrer vorigen Fehltritte zu geben.

Doch sie genoß die so sehnlich gewünschte Freude in ihren gegenwärtigen Umständen nur eine sehr kurze Zeit – Kaum hatte sie sich in ihrem Glanze zeigen können, so fiel sie in eine Krankheit, der alle Kunst der Äerzte keinen Namen zu geben wußte. – Ihr Gemüht so wol als der Körper litte darunter, sie wurde wehmütig, und hatte zuweilen so heftige Anfälle, daß man sie im Bette binden mußte. Bey diesen allen zeigten sich doch keine Merkmale eins hitzigen Fiebers – Die Lebensgeister wurden innerlich nach und nach ausgezehret; und der ganze Bau [150] ihres Körpers verfiel in wenig Wochen dergestalt, daß man kaum jemals einen elendern Anblick hat haben können. Sie starb, und wenige beklagten ihren Tod, diejenigen ausgenommen, die von ihren Geheimnissen den grössesten Vortheil gehabt hatten.

Nach ihrem Abschiede entschloß sich Lacroon Pantheen zu sich zu nehmen. Er offenbarte ihr ihre Geburth, er erkannte sie öffentlich vor der Welt als seine Tochter, und bemühete sich ihr alle Merkmale der väterlichen Sorgfalt und Gewogenheit zu erweisen.

Eine so wunderbare Veränderung, wovon sich Panthea vorher kaum hatte träumen lassen, mußte dises junge Frauenzimmer nothwendig in Entzückung setzen. – Eine Menge Bedienten umgaben sie nunmehr, die ihr alle gehorsamen, und gleichsam zu fliehen schienen, ihre geringsten Befehle auszurichten – Sie sahe sich mit Juwelen geschmückt; die geschicktesten Meister in verschiedenen Künsten und Wissenschaften warteten ihr täglich des Morgens auf, um sie ihrem jetzigen Range gemäß, in allem, was dem schönen Geschlecht anständig ist, vollkommen zu machen. Alles dies machte sie nicht stolz; es verleitet sie nicht sich ein ungeziemendes Ansehen zu geben; es diente bloß, sie ohne Hochmuth und Eitelkeit desto beliebter zu machen. [151] Selbst der Neid muß es gestehen, sie hat etwas angenehmes in ihren Minen und Gesichtszügen, das die Herzen an sich zu ziehen pflegete, ungeachtet sie keine auserordentliche Schönheit heissen kan. Personen die am wenigsten ihres Standes wegen ihren Umgang suchten, und etwa von ungefehr in ihre Gesellschaft kamen, sahen sich unvermerkt bewogen, sich weiter darum zu bemühen, und das bisher dabei genossene Vergnügen erneurt zu sehen.

Kaum hatte sie ihr funfzehendes Jahr erreichet, so wurden schon viele von ihrem Jugendwitze eingenommen, da ihrer Person nicht unwürdig waren; doch den grössesten Eindruck hatte selbige in dem Herzen des edlen und vollkommnen Fidelio. – Seine heftige Liege gegen sie übersah alle Einwürfe, die sich andre ihrer Mutter wegen zu machen pflegten; so wol als was man an ihrem Vater aussetzen konnte, der bei wenigen in gutem Ansehen stand.

Lacroon gefiel diese Liebe seines Stands halber, in Pantheen seiner Person und seines Umganges wege – Sie liebte ihn lange, bevor ihr ihre Sittsamkeit das Geständnis abzwingen konnte. Endlich brach ihre Leidenschaft durch alle Hindernisse; und sie linderte den Schmerz den er empfunden hatte durch das Bekentniß, daß sie nicht minder einen gleichen Antheil an selbige gehabt habe. [152] Nach dieser Erklärung verbunden sie sich auf das Feierlichste. Fidelio nur vor Pantheen, und Panthea bloß vor Fidelio zu leben – Weder sie noch er dachten hierin einen Irrthum zu begehen; Fidelio war sein eigner Herr, und Panthea hatte den ausdrücklichen Befehl ihres Vaters vor sich, nichts zu unterlassen was in ihrem Vermögen war, das seine Liebe gegen sie befestigen könte.

Nur mußte noch dessen Einwilligung feierlich gesucht werden, welches Fidelio in den ehrerbietigsten Ausdrücken that. Lacroon suchte seine Zufriedenheit zu verstellen, und Pantheen Jugend gab ihm hiezu den besten Vorwand, die wirkliche Verbindung noch etwas auf zu schieben. Doch er ließ sich bald gar leicht bereden, den Tag zu bestimmen, das nur eben die gehörige Zeit blieb, solche Zubereitung zu machen, als der Rang und die Mittel beider Personen zu erfordern schien.

Aber wie ungewiß ist das Schicksal der Menschen! – Unsre beiden Verliebten glaubten nunmher ganz sicher zu seyn, und nächstens mit einander verbunden zu werden, da es wirklich an dem, daß sie sich auf ewig scheiden sollten. Die Begebenheit war so hart und anstößig vor beide, daß das grausamste Schicksal sie nicht schlimmer hätte erfinden können.

Lacroon erwarb den Reichtum, den er be-[153]sitzet, durch so unerlaubte Mittel, deren sich vielleicht niemand jemals vor ihm ungestrafet bedienet hat. Diejenigen denen er Unrecht gethan, forderten öfters Rechenschaft von ihm, allein seine eigne List, und die bösen Zeiten retteten ihn beständig. Dies glückliche Ausflüchte machten ihn in seinen lastern desto verwegener; er trieb es endlich so weit, daß er seine Ungerechtigkeit mit Beleidigung andrer verband, und diese brachte gewisse Personen von grösserm Ansehen gegen ihn auf, als sich bisher ihm wiedersetz hatten. Sie entschlossen sich, die Sache vor Gericht zu bringen, und entweder selbst zu fallen, oder die Strafen auf ihn zu ziehen, die seinen Lastern gemäß waren.

Dies geschahe wenig Tage vorher, ehe die Hochzeit vor sich gehen sollte. Beiden Verliebten war diese unglückliche Begebenheit gänzlich unbekant. Sie brachten ihre Stunden in vollkommnen Vergnügen zu, als ihre gegenseitige Neigungen und Unschult ihnen gewähren konnte. Lacroon rief alle Erfindungen zu Hülfe, die ihm Mittel an die Hand geben mogten, seinem schrecklichen Schicksal auszuweichen. Seine ganze Hoffnung gründete sich auf Imperio, der nicht wenig Vermögen und ofters, obwol in Umständen von nicht so grosser Ehrbarkeit, sich als sein Freund bewiesen hatte. Er wußte nun nicht so bald auszufinden, wie er sich einen gleich gewissen [154] Beistand anjetzo von ihm versprechen sollte. Endlich gab ihm ein böser Geist, der ihn bsiher noch niemals ohne alle Ausflucht gelassen hatte, einen Einfall an die Hand, der, wo möglich noch lasterhafter und schrecklicher war, als alle, deren er sich bisher bedient hatte.

Er erinnerte sich sehr wol, wie hoch Imperio Pantheens unschuldigen Reiz erhoben habe, und dies bracht ihn zu dem Entschluß sie aller Schande aufzuopfern, falls er nur dadurch von den gerechten Verfolgungen seiner Feinde sich befreien könnte. – Kurz, er machte diesem grossen Manne so fort seine Aufwartung, er bat ihn, zwischen ihm und denen, die sein Verderben suchten, eine Mittelsperson abzugeben, und er setzte in den verschlagensten Ausdrücken hinzu, Panthea würde sich glücklich schätzen, eine Sclavin der Person zu heissen, der sie die Errettung ihres Vaters würde zu danken haben.

Imperio, der in seinen Fehlern gerecht und billig zu seyn glaubte, hielt Lacroonen nicht völlig so verdächtig als er es wirklich verdiente. Er würde ausser Zweifel in dieser Noth alles vor ihn gethan haben, was nur möglich war, ohne in solches Anerbieten zu verlangen. Allein die Liebe war seine Hauptneigung, und dem zufolge war es ihm nicht möglich eine so angenehme Belohnung auszuschlagen, als der Besitz die-[155]ser jungen Schönheit war, auf die er so oft mit der grössesten Sehnsucht ein Auge geworfen hatte. Er hielt Lacroon bei seinen Worten feste, und versprach im Gegentheil alle Mittel anzuwenden, die nur einen Einfluß haben könten, um die Sache mit seinen fürchterlichen Gegnern auszumachen.

Lacroon ging voll Freuden nach Hause, denn er war gewiß, diejenigen, die am meisten auf ihn erboset waren, würden Imperio nicht zuwieder seyn, gegen den sie zu viele Liebe und Hochachtung hatten. Er entdeckte Pantheen die Sache, er benahm ihr die Hoffnung Fidelios Braut zu heissen, da die Imperios Maitresse werden sollte; aber er fand unerwartete Schwierigkeit so jung sie auch war, und so folgsam sie sich auch jederzeit in allen Dingen gegen ihn bezeuget hatte. Ebene 4► Dialog► – Ja sie faßte die Dreistigkeit und erklärte sich, daß ihr der Tod selbst lieber, als der Verlust ihrer Ehre sein sollte. Lacroon antwortete mit einer verächtlichen Mine: „Hätte eure Mutter in ihren jungen Jahren einen so verzärtelten Geschmack gehabt, so würdet ihr vielleicht nicht als meine Tochter hier seyn, noch meinen Befehlen wiedersprechen können.“

Dieser harte Vorwurf, der noch dazu von einem Vater kam, und die Person, die er hiebey spielte, trat ihr ans Herz – sie konnte sich vor Wehmuth der Thränen nicht erwehren, die [156] Sprache veließt sie, und sie wollte zur Erde finden – Er bereuete die ihm entflogenen Worte, und fand, daß ihre Zärtlichkeit gelindere Mittel erforderte. „Stellt euch zufrieden, Panthea, sagte er, meine Liebe gegen eure Mutter war desto stärker, je bereitwilliger ich sie fand, selbige zu erwiedern. – Ich glaubte nicht, daß ihr meine Ausdrücke so hart aufnehmen würdet. – Ihr wisset, ich liebe euch mit der grössesten Zärtlichkeit. – Die habe ich zur Gnüge bewiesen, und ich hoffe, eure Dankbarkeit wird euch genugsame Anleitung mir zu gehorchen geben, sonderlich in einer Sache, worauf mein ganzes Glück, ja mein Leben selber beruhet. „

Hierauf entdeckte er ihr seine Umstände, er habe viele Feinde, und sein Freund sey im Stande ihn zu retten, als Imperio ◀Dialog ◀Ebene 4 – Bald gebrauchte er Drohungen, und bald wieder Versprechungen, bis endlich ihre Tugend zu schwach wurde, diesen vereinten Kräften zu widerstehen. Sie wich und gab nach in einer Sache, die sie doch wirklich in der Seele verabscheuete, um widrigen Falls, ihren Vater nicht ins Verderben, noch sich zugleich mit ins Elend zu stürzen.

Lacroon hatte nunmehr alles, was er wünschte: er selber führte sie dem Imperio zu, in dessen Hause sie sich noch aufhält – Ob sie besser oder schlechter mit ihrem Schicksale zufrie-[157]den ist, wie vorher, muß ihr eigen Herz am besten bestimmen können.

So sahe Fidelio die angenehme Hoffnung seiner beständigen Glückseligkeit wie einen Schatten verschwinden, und es würde unmöglich seyn, die Stärke seiner Betrübniß und Verzweifelung in solchen Umständen abzumalen. Seine heftige Liebe stellte ihm in Pantheen die vollkommenste Person ihres Geschlechtes vor, und ihre Falschheit mußte ihm nothwendig einen Widerwillen gegen alle andre Schönen beibringen. – Er fliehet alle Gesellschaften, ausgenommen, wo man sich mit ihm verbinden will, auf Liebe und Heirathen eine Strafreede zu halten. Dennoch ruft er noch manchesmal, wenn er sich in der Einsamkeit zu finden glaubt, seiner ehemaligen Geliebten nach. „Liebenswürdige, einnehmende Schöne, ruft er, wie war es möglich, daß der Himmel solchen Reiz mit einem so unreinen, so treulosen Herzen verbinden konnte“.

Seine Freunde haben ihn endlich beredet, die Stadt zu verlassen, um einer Gemüthskrankheit zuvor zu kommen; doch diese Veränderung hat keinen weitern Einfluß gehabt, als daß die wilde Unordnung, worin er sich befunden, in eine tiefe Melancholie verkehret worden, die wie man befürchten muß, unheilbar seyn wird. ◀Exemplum ◀Ebene 3 [158] Ich gestehe, kein Schicksal ist ungemein beklagenswürdig; doch an der andern Seite, dünket mich auch, daß man von der armen Panthea ein zu strenges Urtehil fälle. Ihre Tugend und ihres Vaters Ansehen, der ihr einziger Freund war, mag vielleicht eine Entschuldigung seyn, daß es ihr an der Standhaftigkeit und an dem Entschlusse gefehlet, die allein der Schutzengel ihrer Tugend seyn konten – Lacroon allein sollte die gerechten Beschuldigungen wegen ihres Fehltritts tragen – Lacroon, der unzählige Laster begangen, unter deren seines der Natur mehr zuwider, keines der Natur mehr zuwider, seines abscheulicher ist, als daß er zwei Herzen getrennet, die der Himmel vor einander schien bestimmet zu haben, daß er seine eigene Tochter verrathen, und in der Schande und Verderben gestürzet hat! ◀Ebene 2

Ende des zweiten Buchs. ◀Ebene 1