Twilight Zones

Liminal Texts of the Long Turn of the Century (1880 - 1940)

Philosophie des Geldes

Georg Simmel

Source: Simmel, Georg. Philosophie des Geldes. Leipzig: Duncker & Humblot, 1907: 529-533.
First edition: Simmel, Georg. Philosophie des Geldes. Leipzig: Duncker & Humblot, 1900.
Cite as: Simmel, Georg. Philosophie des Geldes. Leipzig: Duncker & Humblot, 1907: 529-533, in: Twilight Zones. Liminal Texts of the Long Turn of the Century (1880-1940). Eds. Knaller, Susanne/Moebius, Stephan/Scholger, Martina. hdl.handle.net/11471/555.10.77

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Domains: contemporary culture, cultural critique, society

Frame: modern society

Genre: essay

Mode: descriptive

Transgression: science/essay

[529]

Für jede Kulturgemeinschaft ist offenbar das Verhältnis, in dem ihr objektiv gewordener Geist und seine Entwicklung zu den subjektiven Geistern steht, von äußerster Wichtigkeit, und zwar gerade nach der Seite ihres Lebensstiles hin: denn wenn der Stil die Bedeutung hat, eine beliebige Verschiedenheit von Inhalten sich formgleich ausdrücken zu lassen, so kann doch sicher die Relation zwischen objektivem und subjektivem Geist in bezug auf Quantität, Höhenmaß, Entwicklungstempo bei sehr verschiedenen Inhalten des kulturellen Geistes den-noch die gleiche sein. Gerade die allgemeine Art, wie das Leben sich abspielt, der Rahmen, den die soziale Kultur den Impulsen des Individuums darbietet, wird durch Fragen wie diese umschrieben: ob der Einzelne sein Innenleben in Nähe oder in Fremdheit zu der objektiven Kulturbewegung seiner Zeit weiß, ob er diese als eine überlegene, von der er gleichsam nur den Saum des Gewandes berühren kann, empfindet, oder seinen personalen Wert allem verdinglichten Geiste überlegen; ob innerhalb seines eigenen Geisteslebens die objektiven, historisch gegebenen Elemente eine Macht eigener Gesetzmäßigkeit sind, so daß diese und der eigentliche Kern seiner Persönlichkeit sich wie unabhängig voneinander entwickeln, oder ob die Seele sozusagen Herr im eigenen Hause ist oder wenigstens zwischen ihrem Innersten Leben und dem, was sie als Impersonale Inhalte in dasselbe aufnehmen muß, eine Harmonie in bezug auf Höhe, Sinn und Rhythmus herstellt. Diese abstrakten Formulierungen zeichnen doch das Schema für unzählige konkrete Interessen und Stimmungen des Tages und des Lebens und damit also das Maß, in dem die Beziehungen zwischen objektiver und subjektiver Kultur den Stil des Daseins bestimmen.

Wurde nun die gegenwärtige Gestaltung dieses Verhältnisses[530]von der Arbeitsteilung getragen, so ist sie auch ein Abkömmling der Geldwirtschaft. Und zwar einmal, weil die Zerlegung der Produktion in sehr viele Teilleistungen eine mit absoluter Genauigkeit und Zuverlässigkeit funktionierende Organisation fordert, wie sie, seit dem Aufhören der Sklavenarbeit, nur bei Geldentlohnung der Arbeiter herstellbar ist. Jede anders vermittelte Beziehung zwischen Unternehmer und Arbeiter würde unberechenbarere Elemente enthalten, teils weil naturaleres Entgelt nicht so einfach beschaffbar und genau bestimmbar ist, teils weil nur das reine Geldverhältnis den bloß sachlichen und automatischen Charakter hat, ohne den sehr differenzierte und komplizierte Organisationen nicht auskommen. Und dann, weil der wesentliche Entstehungsgrund des Geldes überhaupt in dem Maße wirksamer wird, in dem die Produktion sich mehr spezialisiert. Denn es handelt sich doch im wirtschaftlichen Verkehr darum, daß der eine fortgibt, was der andere begehrt, wenn dieser andere dem ersteren dasselbe tut. Jene Sittenregel: den Menschen zu tun, wovon man wünscht, daß sie es einem tun – findet das umfassendste Beispiel ihrer formalen Verwirklichung an der Wirtschaft. Wenn nun ein Produzent für den Gegenstand A, den er in Tausch geben will, auch einen Abnehmer bereit findet, so wird der Gegenstand B, den dieser letztere dagegen zu geben imstande ist, jenem häufig gar nicht erwünscht sein. Daß so die Verschiedenheit der Begehrungen zwischen zwei Personen nicht immer mit der Verschiedenheit der Produkte zusammenfällt, die sie beide anzubieten haben, fordert bekanntlich die Einschiebung eines Tauschmittels; so daß, wenn die Besitzer von A und von B sich nicht über unmittelbaren Tausch einigen können, der erstere sein A gegen Geld fortgibt, für das er sich nun das ihm erwünschte C verschaffen kann, während der Besitzer von B das Geld für den Kauf von A dadurch beschafft, daß er mit seinem B einem Dritten gegenüber ebenso verfährt. Da es also die Verschiedenheitder Produkte, bzw. der auf sie gerichteten Begehrungen ist, um derentwillen es überhaupt zum Geld kommt, so wird seine Rolle ersichtlich um so größer und unentbehrlicher werden, je verschiedenartigere Gegenstände der Verkehr einschließt; oder, von der anderen Seite gesehen: zu einer erheblichen Spezifikation der Leistungen kann es überhaupt erst kommen, wenn man nicht mehr auf unmittelbaren Austausch angewiesen ist. Die Chance, daß der Abnehmer eines Produkts seinerseits gerade ein Objekt anzubieten habe, das jenem Produzenten genehm ist, sinkt in dem Maße, in dem die Spezifizierung der Produkte und die der menschlichen Wünsche steigt. Es ist nach dieser Richtung hin also garkein neu eintretendes Moment, das die moderne Differenzierung an die Alleinherrschaft[531]des Geldes knüpft; sondern die Verbindung zwischen beiden Kulturwerten findet schon in der Tiefe ihrer Wurzeln statt, und daß die Verhältnisse der Spezialisation, die ich schilderte, durch ihre Wechselwirkung mit der Geldwirtschaft eine völlige historische Einheit mit ihr bilden – das ist nur die graduelle Steigerung einer mit dem Wesen beider gegebenen Synthese.

Durch diese Vermittlung hindurch knüpft sich also der Stil des Lebens, insoweit er von dem Verhältnis zwischen objektiver und subjektiver Kultur abhängig ist, an den Geldverkehr. Und zwar wird hierbei das Wesen des letzteren völlig durch den Umstand enthüllt, daß er sowohl das Übergewicht des objektiven Geistes über den subjektiven, wie auch die Reserve, unabhängige Steigerung und Eigenentwicklung des letzteren trägt. Was die Kultur der Dinge zu einer so überlegenen Macht gegenüber der der Einzelpersonen werden läßt, das ist die Einheit und autonome Geschlossenheit, zu der jene in der Neuzeit aufgewachsen ist. Die Produktion, mit ihrer Technik und ihren Ergebnissen, erscheint wie ein Kosmos mit festen, sozusagen logischen Bestimmtheiten und Entwicklungen, der dem Individuum gegenübersteht, wie das Schicksal es der Unstätheit und Unregelmäßigkeit unseres Willens tut. Dieses formale Sich-selbst-gehören, dieser innere Zwang, der die Kulturinhalte zu einem Gegenbild des Naturzusammenhanges einigt, wird erst durch das Geld wirklich: das Geld funktioniert einerseits als das Gelenksystem dieses Organismus ; es macht seine Elemente gegeneinander verschiebbar, stellt ein Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit und Fortsetzbarkeit aller Impulse zwischen ihnen her. Es ist andrerseits dem Blute zu vergleichen, dessen kontinuierliche Strömung alle Verästelungen der Glieder durchdringt, und, alle gleichmäßig ernährend, die Einheit ihrer Funktionen trägt. Und was das zweite betrifft: so ermöglicht das Geld, indem es zwischen den Menschen und die Dinge tritt, jenem eine sozusagen abstrakte Existenz, ein Freisein von unmittelbaren Rücksichten auf die Dinge und von unmittelbarer Beziehung zu ihnen, ohne das es zu gewissen Entwicklungschancen unserer Innerlichkeit nicht käme; wenn der moderne Mensch unter günstigen Umständen eine Reserve des Subjektiven, eine Heimlichkeit und Abgeschlossenheit des persönlichsten Seins – hier nicht im sozialen, sondern in einem tieferen, metaphysischen Sinn – erringt, die etwas von dem religiösen Lebensstil früherer Zeiten ersetzt, so wird das dadurch bedingt, daß das Geld uns in immer steigendem Maße die unmittelbaren Berührungen mit den Dingen erspart, während es uns doch zugleich ihre Beherrschung und die Auswahl des uns Zusagenden unendlich erleichtert.

[532]Und deshalb mögen diese Gegenrichtungen, da sie nun einmal eingeschlagen sind, auch einem Ideal absolut reinlicher Scheidung zustreben: in dem aller Sachgehalt des Lebens immer sachlicher und unpersönlicher wird, damit der nicht zu verdinglichende Rest desselben um so persönlicher, ein um so unbestreitbareres Eigen des Ich werde. Ein bezeichnender Einzelfall dieser Bewegung ist die Schreibmaschine; das Schreiben, ein äußerlich-sachliches Tun, das doch in jedem Fall eine charakteristisch-individuelle Form trägt, wirft diese letztere nun zugunsten mechanischer Gleichförmigkeit ab. Damit ist aber nach der anderen Seite hin das Doppelte erreicht: einmal wirkt nun das Geschriebene seinem reinen Inhalte nach, ohne aus seiner Anschaulichkeit Unterstützung oder Störung zu ziehen, und dann entfällt der Verrat des Persönlichsten, den die Handschrift so oft begeht, und zwar vermöge der äußerlichsten und gleichgültigsten Mitteilungen nicht weniger als bei den intimsten. So sozialisierend also auch alle derartigen Mechanisierungen wirken, so steigern sie doch das verbleibende Privateigentum des geistigen Ich zu um so eifersüchtigerer Ausschließlichkeit. Freilich ist diese Vertreibung der subjektiven Seelenhaftigkeit aus allem Äußerlichen dem ästhetischen Lebensideal ebenso feindlich, wie sie dem der reinen Innerlichkeit günstig sein kann – eine Kombination, die ebenso die Verzweiflung rein ästhetisch gestimmter Persönlichkeiten an der Gegenwart erklärt, wie die leise Spannung, die zwischen derartigen Seelen und solchen, die nur auf das innere Heil gerichtet sind, jetzt in gleichsam unterirdischeren Formen – ganz anderen als zur Zeit Savonarolas – aufwächst. Indem das Geld ebenso Symbol wie Ursache der Vergleichgültigung und Veräußerlichung alles dessen ist, was sich überhaupt vergleichgültigen und veräußerlichen läßt, wird es doch auch zum Torhüter des Innerlichsten, das sich nun in eigensten Grenzen ausbauen kann.

Inwieweit dies nun freilich zu jener Verfeinerung, Besonderheit und Verinnerlichung des Subjekts führt, oder ob es umgekehrt die unterworfenen Objekte gerade durch die Leichtigkeit ihrer Erlangung zu Herrschern über den Menschen werden läßt – das hängt nicht mehr vom Gelde, sondern eben vom Menschen ab. Die Geldwirtschaft zeigt sich auch hier in ihrer formalen Beziehung zu sozialistischen Zuständen; denn was von diesen erwartet wird: die Erlösung von dem individuellen Kampf ums Dasein, die Sicherung der niedrigeren und die leichte Zugängigkeit der höheren Wirtschaftswerte – dürfte gleichfalls die differenzierende Wirkung üben, daß ein gewisser Bruchteil der Gesellschaft sich in eine bisher unerhörte und von allen Gedanken an das Irdische entfernteste Höhe der [533]Geistigkeit erhebt, während ein anderer Bruchteil gerade in einen ebenso unerhörten praktischen Materialismus versänke.

Im großen und ganzen wird das Geld wohl am wirksamsten an denjenigen Seiten unseres Lebens, deren Stil durch das Übergewicht der objektiven Kultur über die subjektive bestimmt wird. Daß es aber auch den umgekehrten Fall zu stützen sich nicht weigert, das stellt Art und Umfang seiner historischen Macht in das hellste Licht. Man könnte es höchstens nach mancher Richtung hin der Sprache vergleichen, die sich ebenfalls den divergentesten Richtungen des Denkens und Fühlens unterstützend, verdeutlichend, herausarbeitend leiht. Es gehört zu jenen Gewalten, deren Eigenart gerade in dem Mangel an Eigenart besteht, die aber dennoch das Leben sehr verschieden färben können, weil das bloß Formale, Funktionelle, Quantitative, das ihre Seinsart ist, auf qualitativ bestimmte Lebensinhalte und -richtungen trifft und diese zur weiteren Zeugung qualitativ neuer Bildungen bestimmt. Seine Bedeutung für den Stil des Lebens wird dadurch, daß es beiden möglichen Verhältnissen zwischen dem objektiven und dem subjektiven Geist zur Steigerung und Reife hilft, nicht aufgehoben, sondern gesteigert, nicht widerlegt, sondern erwiesen.

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