Grazer didaktisches Textportal zur Literatur des Mittelalters

Katze und Kater
Ein katze lac und het gemach;
Eine Katze lag da und hatte es gemütlich –
ûf einem oven daz geschach.
und zwar oben auf einem Ofen.
ir man, ein kater, stuont dâ bî,
Daneben stand ihr Mann, der Kater.
der was sînes muotes frî.
Der fühlte sich unzufrieden.
er ranzte sêre und sach sich an.
Er reckte sich heftig, betrachtete sich
er sprach: „ein tier sô wolgetân
und sagte: „Ein so gut aussehendes Tier
als ich, daz, wæne ich, iendert sî,
wie mich gibt’s gewiss sonst nirgendwo,
und bin doch dirre katzen bî.
und trotzdem bin ich an der Seite dieser Katze.
ich bin küene und dar zuo starc,
Verwegen bin ich und auch kräftig,
ich bin snel und dar zuo karc,
flink bin ich und noch dazu schlau,
schœne und edeles lîbes:
schön und von edlem Äußeren:
sol ich dâ bî des wîbes
Wenn ich mich mit dieser Frau
mich betragen, diu hie lît,
begnüge, die da herumliegt,
sô het ich gar mîne zît
so würde ich meine Zeit sicher
verzert mit swachen dingen.
mit unnützem Treiben vergeuden.
mir sol noch baz gelingen.
Mir steht Besseres zu!
sô edel sô schœne ist niendert wîp,
So schön und vornehm kann keine Dame sein,
enminne gerne mînen lîp.
dass sie von meiner Erscheinung nicht entzückt wäre.
dâ von wil ich durch minne varn.
Also gehe ich jetzt auf Minnefahrt.
got sol iuch ân mich wol bewarn!“
Gott möge ohne mich gut auf Euch schauen!“
Frau Sonne
Er dâhte, wâ er funde ein wîp,
Er überlegte, wo er eine Frau finden könnte,
diu edel het und schœnen lîp
die vornehm und hübsch ist
und het dâ bî gewaltes vil.
und auch noch sehr mächtig.
er dâhte: fürbaz ich enwil
Ihm fiel ein: „Nirgendwo sonst will ich hin
wan zuo der sunnen, diu hât maht.
als zur Sonne, denn die besitzt Macht.
ir schîn hât al die werlt bedaht.“
Ihr Schein bedeckt die gesamte Welt.“
er kam zer sunnen unde sprach:
Er kam zur Sonne und sagte:
vor maniger zît ich nie gesach
„Nie zuvor sah ich
deheine brût sô wolgetân;
eine so schöne Braut:
und welt ir loben mich ze man,
Erwählt Ihr mich zu Eurem Mann,
sô lobe ich iuch zu rehter ê.“
so gehe ich mit Euch den Ehebund ein.“
diu sunne sprach: „nu sagt an mê,
Die Sonne sprach: „Jetzt sagt mir einmal,
wie ist iuch der muot ankomen?
wie seid Ihr auf diese Idee gekommen?“
war umbe habt ir niht genomen
Weshalb habt Ihr Euch nicht eine andere Frau gesucht,
ein wîp, diu sich iu füeget baz?“
die besser zu Euch passt?“
„daz hân ich lâzen umbe daz:
„Das habe ich deswegen nicht getan,
ich wil ein wîp, zuo der gewalt
weil ich eine Frau will, an deren Macht
nichts heranreicht.“
die sunne sprach: „wil iu gezemen,
Die Sonne sagte: „Wenn es Euch darum geht,
sô mugt ir wol ein andre nemen,
so müsst Ihr Euch um eine andere bemühen,
diu hât gewaltes mêr danne ich.“
die mehr Macht hat als ich.“
der kater sprach: dar wîset mich.“
Der Kater erwiderte: „Erklärt mir das!“
diu sunne sprach: „sô ich ûfgân
Die Sonne sprach: „Wenn ich aufgehe
und gar in mînen kreften stân,
und in meiner vollen Kraft dastehe,
sô kumt gewalticlîchen dar
kommt ganz mächtig
ein nebel und benimt mir gar
der Nebel daher und verdeckt mir zur Gänze
mînen wünniclîchen schîn.
den wunderbaren Schein.
der gewalt muoz grœzer sîn,
Diese Macht ist offenbar größer,
daz mugt ir selber wol verstân;
wie Ihr sicher selbst versteht;
die nemt ze wîbe und wert ir man.“
heiratet doch Frau Nebel und werdet ihr Mann!“
der kater sprach: „sô var ich fürbaz;
Der Kater sprach: „Dann ziehe ich also weiter;
daz sult ir lâzen âne haz.
seid darüber bitte nicht erzürnt.
Bei so viel Schönheit
soltet ir wol hân gewalt.“
wäre Euch entsprechend viel Macht zugestanden.“
Frau Nebel
Der kater fuor. dô er ansach
Der Kater begab sich dorthin, wo er
den nebel, zühticlîch er sprach:
den Nebel fand; höflich sagte er:
„got êre iuch, frouwe wandels frî,
„Gott ehre Euch, makellose Herrin,
ich wil mit stæte iu wesen bî
ich möchte Euch treu zur Seite stehen
und wil mir iuch ze konen nemen.“
und mir Euch zur Frau erwählen!“
„war umbe wil iuch des gezemen?“
„Weshalb haltet Ihr das für angemessen?“
„daz sage ich iu: ein wîp ich wil,
„Das sage ich Euch: Ich wünsche mir eine Frau,
diu sô gewaltes habe vil.
die überaus viel Macht besitzt.
durch schœne und durch gewalt was ich
Der Schönheit und Macht wegen war ich
zuo der sunnen: diu hât mich
bei der Sonne: Die hat mich
gewîset zuo iu unde sprach,
zu Euch geschickt und gesagt,
des ich ir niht ze prîse jach.
dass ich sie zu Unrecht lobte:
sî sprach, ir het gewaltes
Sie meinte, Ihr würdet mehr Macht besitzen
dan sî; daz tuot mir iemer wê,
als sie; das schmerzt mich auf ewig,
wan ich wær gerne dâ beliben.“
denn gerne wäre ich dort geblieben.“
der nebel sprach: „iuch hât getriben
Der Nebel sagte: „Euch hat etwas zu mir geführt,
zuo mir, daz manigen tumben man
das so manchen törichten Mann
keine Ruhe finden lässt.
welt ir gewaltic hân ein wîp,
Wenn Ihr eine mächtige Frau sucht,
vart, dar wîset iuch mîn lîp:
dann reist dorthin, wohin ich Euch schicke:
dem winde ich kan gestrîten niht.
Gegen den Wind vermag ich nicht anzukämpfen.
swie hôch, swie dicke man mich siht
Wie hoch oben und dicht man mich auch
ûf bergen und in allen taln,
auf Bergen und in allen Tälern sieht,
dâ lât er niemer mich entwâln,
er lässt mich dort nicht verweilen,
er entrîbe mich unz an die stat,
sondern treibt mich weg bis dorthin,
dâ mîn gewalt gar ende hât.“
wo meine Macht ihre Grenzen findet.“
der kater sprach: „ich var dâ hin;
Der Kater sprach: „Dort will ich hinreisen;
mich hât betrogen hie mîn sin.“
hier hat mich mein Verstand getäuscht.“
Frau Wind
Er vant den wint gewaltes rîch.
Den Wind traf er in seiner Machtfülle an.
er sprach: „ich bin vil sæliclîch
Er sagte: „Ich bin sehr glücklich,
her bekomen, frouwe guot.“
hierher gelangt zu sein, edle Dame!“
der wint sprach: sagt mir iuwern muot.“
Der Wind sprach: „Sagt mir, was Ihr im Sinn habt!“
„den sage ich iu: ich hân den muot,
„Das sage ich Euch: Ich denke,
daz mich niht wîbes dunke guot,
dass mir keine andere Frau gefallen kann
wan diu müge vil gewaltes hân.
als die, welche viel Macht besitzt.
zem nebel was ich, der hât lân
Ich war beim Nebel, doch der hat
mich gar âne ende von im varn.
mich erfolglos fortziehen lassen.
er jach, welle ich mich wol bewarn
Er meinte, wenn ich
mit einem wîbe hêrlîch
eine wunderbare Frau gewinnen will,
und diu gewaltes wære rîch,
die noch dazu überaus mächtig ist,
sô solte ich nemen iuch ze trût.
dann möge ich Euch als Geliebte erwählen.
nu hœre ich iuch in solher lût,
Tatsächlich höre ich um Euch herum ein solches Getöse,
daz ich gewalt hie ze iu verstân.“
dass Ihr mir machtvoll zu sein scheint.“
der wint sprach: „sô ir sît ein man,
Der Wind sagte: „Wenn Ihr so ein Mann seid,
der durch gewalt ein konen wil,
der um der Macht willen eine Ehefrau sucht,
die zeige ich iu, diu hât sîn vil
dann zeige ich Euch eine, die viel davon besitzt
und ist mir hie nâhen bî;
und ganz in meiner Nähe weilt;
die hat dreimal so viel Macht wie ich:
ein œde mûre bî mir lît,
Eine einsame Mauer steht in der Nähe,
an die hân ich bî mîner zît
gegen die ich zeitlebens
geblâsen und gestürmet vil.
heftig geblasen habe und angestürmt bin.
nu hât sî unz an ditze zil
Bis heute hat sie sich aber
erwert sich aller mîner maht,
gegen alle meine Macht zur Wehr gesetzt
und will einfach nicht umfallen.“
der kater sprach: „des wundert mich,
Der Kater sprach: „Es erstaunt mich,
daz iht dinges ist, daz sich
dass es etwas gibt, dem
vor iuwerm büllen mac bewarn.
Euer Heulen nichts anhaben kann.
ich muoz et aber fürbaz varn.“
Also muss ich wiederum weiterziehen.“
Frau Mauer
Er kam zer mûre unde sprach:
Er gelangte zur Mauer und sprach:
„mir ist liep, daz ich iuch ie gesach,
„Es freut mich, Euch nun erblickt zu haben,
durch iuwer grôze êrbærkeit.
die Ihr so überaus angesehen seid!
mir hât der wint von iu geseit,
Der Wind hat mir etwas über Euch erzählt,
des ich zewâr geloube niht.
das ich wirklich kaum glauben kann.
sô gedultic man iuch siht,
Ihr wirkt so gelassen
sült ir dâ bî gewaltes phlegen?
und sollt doch so mächtig sein?
sô hân ich, wizzet, mich bewegen,
Deshalb – das sollt Ihr wissen – bin ich weitergezogen,
swenne ich hôrte den wint sô varn,
als ich, während der Wind brauste, gehört habe,
ir soltet iemer iuch bewarn
dass Ihr Euch für immer vor ihm zu schützen wisst
vor im ein sumerlange naht.
in jeder langen Sommernacht.
dô sagte er mir, ir habt die maht,
Daher sagte er mir, Ihr hättet
daz ir sît wol hundert jâr
seit gut hundert Jahren die Macht gehabt,
vor im gewesen sorgen bar.
ohne Angst vor ihm zu überdauern.
sît ir vor sînem sturm genesen,
Da Ihr also seinem Ansturm widerstanden habt,
sô wil ich stæte mit iu wesen
möchte ich auf immer bei Euch bleiben
und wil iuch êrbæriclîchen hân.“
und Euch auf ehrsamste Weise angehören.“
diu mûre sprach: „daz ich hie stân,
Die Mauer sprach: „Dass ich hier stehe,
daz ist von gewalte niht.
hat nichts mit Macht zu tun.
ein kleinez kunterlîn man siht,
Es gibt da ein kleines Tier,
daz hât gewaltes mêr danne ich;
das mehr Macht besitzt als ich;
des kan ich niht erweren mich.
gegen das kann ich mich nicht wehren.
ez hât wol tûsent loch gemacht
Es hat schon gut tausend Löcher
in mich; nu ist mir niht gedâht,
in mich hineingebohrt; ich habe keine Chance,
daz ich mich sîn erweren müge.
mich dagegen zu wehren.
seht, ob ich iu ze wîbe tüge.
Seht nach, ob ich für Euch eine passende Frau wäre.
hie ist ez frouwe und ich sîn hûs.
Hier ist das Tier die Herrin, ich bin sein Haus.
zewâre ez hât diu selbe mûs
Es ist die Maus, die mir in der Tat
mit mir gewaltes mêr getriben
mehr Schaden zugefügt hat
dan der wint, vor dem ich beliben
als der Wind, gegen den ich mich
wære noch vil lange stunt.
noch lange Zeit zur Wehr setzen konnte.
ez hât von oben unz in den grunt
Sie aber hat mich von oben her bis zum Boden
gekrenket mich mit sîner maht,
durch ihre Macht so geschwächt,
daz mir ze vallen ist gedâht.“
dass ich bald umfallen werde.“
der kater sprach: „mîn tumbiu vart
Der Kater sprach: „Meine unbesonnene Reise
wær mit iu niht wol bewart.
würde bei Euch kein gutes Ende nehmen.
waz solte mir ein krankez wîp?
Was sollte ich mit einer geschwächten Frau anfangen?
swie kleine sî der miuse lîp,
Wenn die Maus auch noch so klein ist,
sô nime ich sî durch ir gewalt.“
so erwähle ich sie mir doch wegen ihrer Macht.“
er sprach: „ez ist gar manicvalt
Er sprach: „Auf manche Weise
mîn ungelücke ze mîner ê.
macht mich mein Ehebund unglücklich.
mir mac noch ofte werden wê,
Ich werde wohl noch viel Kummer erfahren,
ê ich durchvar gar alliu lant.“
ehe ich alle Länder durchreist habe.“
er sprach: „nu tuot mir daz bekant,
Er sprach: „Verrate mir jetzt bitte,
wâ ich sî vinde, der ich ger.“
wo ich die finde, nach der ich suche.“
diu mûre sprach: „nu luoget her,
Die Mauer sagte: „So schaut nur her,
sî lît an ir gemache hie.“
sie hat es sich hier bequem gemacht.“
Frau Maus
Der kater blîdiclîch dar gie.
Frohgemut ging der Kater dorthin.
er sprach: „got êre iuch, fröuwelîn,
Er sprach: „Gott zur Ehre, mein Fräulein,
ich wil mit iu gewîbet sîn;
ich möchte mich mit Euch vermählen;
ir sît mit mir gemannet wol.
Ihr werdet an mir einen tüchtigen Mann haben.
diu mûre hât mich freuden vol
Die Mauer hat mich hoch erfreut;
gemachet; sî hât mir gesaget,
sie hat mir etwas gesagt,
daz mir zewâre wol behaget.
was mir wirklich sehr gefällt:
sî giht, ir habt gewaltes vil;
Sie meint, Ihr hättet sehr viel Macht;
dar umbe ich fürbaz niht enwil.
deshalb möchte ich hier bleiben.
nu gêt her für, ich nime iuch gern.“
Zeigt Euch doch bitte, ich nehme Euch gerne.“
diu mûs sprach: „des wil ich enbern,
Die Maus sagte: „Darauf verzichte ich,
ich kume zuo iu niht für daz hol.
ich werde nicht zu Euch vor mein Loch kommen.
welt ir gewîbet werden wol,
Wenn Ihr eine passende Frau sucht,
sô sult ir nemen mîn meisterîn.“
so nehmt doch meine Meisterin!“
der kater sprach: „wer mac diu sîn,
Der Kater fragte: „Wer ist denn die,
durch die ich iuwer mich bewige?“
derentwegen ich von Euch ablassen soll?“
diu mûs sprach: „stæticlîch ich phlige
Die Maus sprach: „Ständig bin ich
solher huote vor ir zorn:
auf der Hut vor ihrem Zorn:
kæme ich hin für, ich wær verlorn,
Ich wäre verloren, würde ich dort auftauchen,
dâ sî begrîfen möhte mich.
wo sie mich packen kann.
Schon seit drei Tagen habe ich
ungâz und ungetrunken gar,
nichts gegessen und getrunken,
dar umbe, daz ich mich bewar
bloß um mich vor
vor ir grimmiclîchem zanen.
ihren grauenhaften Zähnen zu schützen.
nu stêt ûf hôher, ir welt manen
Richtet Euch einmal auf! Ihr erinnert
mich der frouwen grimmiclîch,
mich an die schreckliche Herrin,
wan ir sît ir gar gelîch.“
denn Ihr seht genauso aus wie sie.“
der kater sprach: „wer mac diu sîn,
Der Kater fragte: „Wer soll die denn sein,
diu mir habe gelîchen schîn?
die so aussieht wie ich?
ich wæn wol, ir erjaget mich.“
Mir scheint, Ihr verschaukelt mich.“
die mûs sprach: „hêrre, nein ich.
Die Maus sprach: „Nein, mein Herr!
sî ist rehte als ir getân.
Sie sieht wirklich so aus wie Ihr.
vor vorhten ich iu niht enkan
Vor lauter Angst kann ich Euch nicht
bediuten, wie ez ist gewant
näher erklären, was es mit ihr auf sich hat,
umb sî, wan daz sî ist genant
außer dass sie ‚meine Herrin Katze‘ heißt.
mîn frouwe katze. wenne ich sol
Wenn ich sie bloß nenne,
sî nennen, daz tuot mir niht wol.“
bekommt mir das nicht gut.“
der kater sprach: „ir sult niht mê
Der Kater sprach: „Ihr braucht
den namen nennen alsam ê.
den Namen gar nicht zu wiederholen.
ich wæn daz wîp bekenne wol.
Ich glaube, ich kenne diese Herrin gut.
und sol ich haben die für vol,
Muss ich jetzt womöglich die anerkennen,
die ich ê versmæhet hân?
die ich vormals verschmäht habe?
ich hân zewâre missetân.
Ich habe sicher falsch gehandelt.
sî was mir biderbe und edel genuoc.
Sie war gut und vornehm genug für mich.
daz ich der tôrheit ie gewuoc,
Dass ich mich so närrisch verhalten habe,
daz mac danne an mir ergân.
das werde ich wohl noch zu spüren bekommen.
wie sol ich sî gesehen an?
Wie soll ich ihr bloß unter die Augen treten?
ich hân einen trôst gên ir:
Eines stimmt mich ihr gegenüber zuversichtlich:
sî hât erzeiget wîlen mir
Sie hat mir schon früher einmal
triuwe und manige diemuot.
Treue und Nachsicht angedeihen lassen.
nu muoz mich von ir dunken guot,
Jetzt muss ich fest darauf bauen,
des ich het wîlen guoten rât,
noch einmal glimpflich davonzukommen,
obwohl ich sie beleidigt habe.
sî mac daz wol an mir verstân.
Das wird sie mir hoffentlich nachsehen.
und möhte ich sî verbezzert hân,
Hätte ich sie mir auch genehmer machen können,
ich wære bî ir niht beliben.
ich wäre wohl doch nicht bei ihr geblieben.
nu hât her wider mich getriben,
Nun aber bin ich nur deshalb zurückgekehrt,
daz man anderswâ niht ruoche mîn.
weil man mich nirgendwo sonst ernst genommen hat.
sol ich ir willekomen sîn,
Sollte ich ihr jetzt noch willkommen sein,
sô muoz sî sîn gar tugende vol;
dann erweist sie sich als besonders tugendhaft;
ich hân ez niht gedienet wol.
verdient habe ich es jedenfalls nicht.
owê, wie wirt gên mir ir gruoz?
Ach, wie wird sie mich empfangen?
ich wæne, daz ich lîden muoz
Ich glaube, ich werde da
vil manige smæhe, daz ich ir
viel Schmach ertragen müssen, ehe ich ihr
erzeige mînes herzen gir
mein Herz öffnen kann,
und des hân stæticlîchen wân,
das nur noch danach trachtet,
daz sî sîn ist fürbaz erlân.
sie mit derlei in Zukunft zu verschonen.
ich wil zuo ir, swie ich gevar.
Ich muss zu ihr, was immer mir geschieht.
nu wünschet mir gelückes dar.“
Nun wünscht mir dabei viel Glück!“
Rückkehr zur Katze
Der kater fuor, dâ er ansach
Der Kater zog weiter, um
die katze, diu het ir gemach,
die Katze zu treffen, die es dort gemütlich hatte,
dâ er sî ê oft het gesehen.
wo er sie vormals schon oft gesehen hatte.
er sprach: „mir ist vil wol geschehen,
Er sprach: „Ich habe großes Glück gehabt,
daz ich die rehten frouwen mîn
dass ich meine wahre Herrin gefunden habe,
hân funden, bî der ich sol sîn.“
bei der es mir bestimmt ist zu bleiben.“
diu katze ûfblicte und sach in an.
Die Katze blickte auf und sah ihn an.
sî sprach: „daz mac mir wol versmân.“
Sie sagte: „Darauf kann ich gerne verzichten“,
sî legte sich nider an ir gemach.
und machte es sich wieder gemütlich.
der kater vorhticlîchen sprach:
Verzagt sprach der Kater:
„nu gunnet mir ze reden mit iu.“
„Erlaubt mir doch, mit Euch zu reden.“
diu katze sprach: „sît ir getriu?
Die Katze fragte: „Seid Ihr treu?
des suln iu die kunden jehen.
Das können Euch die sagen, die es wissen müssen.
sagt an, wie ist iu geschehen?
Sagt schon, wie ist es Euch denn ergangen?
nu wârt ir schœne und starker lide;
Ihr wart doch so schön und stark –
hât man iuch an einer wide
hat man Euch der Henkersweide
behalten, dar ir wârt gegân
ausgeliefert, wo Ihr hingelaufen seid,
und woltet mich verbezzert hân?“
um etwas Besseres als mich zu finden?“
er sprach: ein wide ich hân getragen
Er sprach: „Ja, einen Weidenstrick habe ich
umb mînen ungetriuwen kragen:
um meinen untreuen Hals gehabt:
mîn untriuwe ist mir ein wide.
Meine Untreue ist mein Verhängnis.
frouwe, nu lât ez wesen fride
Herrin, schließt bitte Frieden
und vergebt mir; übel ich hân
und vergebt mir; ich habe Euch
nâch manigen triuwen iuwen iu getân.
trotz aller Treuebekundungen hintergangen.
doch hân behalten ich ein wort,
Immerhin habe ich mir einen Leitspruch gemerkt,
daz mir an nœten ist ein hort
den ich in der Not zu schätzen weiß
(ich wil iu fürbaz wesen sleht):
(hinfort möchte ich auch aufrichtig sein):
genâde ist bezzer danne reht.“
›Gnade soll vor Recht ergehen‹.“
diu katze sprach: „tæte ich nâch iu katze sprach: „tæte ich nâch iu,
Die Katze sprach: „Wollte ich es Euch gleichtun,
so wære ich als ir ungetriu;
ich wäre genauso untreu wie Ihr.
ich wil ez mînhalp bezzer lân,
Von mir aus soll das aber unterbleiben,
wan ich sihe iuch in riuwen stân.
denn immerhin zeigt Ihr Reumütigkeit.
swen riuwen wil sîn missetât,
>Wer seine Untat wirklich bereut,
des mac mit freuden werden rât.“
kann diese auch glücklich überwinden<.“
Epilog
Wem ditze mære gelîchen kan,
Für wen diese Geschichte gilt,
daz sage ich iu: ein ietslîch man
das sage ich euch: Jeder Mann
sol sînen hêrren hân für vol.
soll seinen Herrn anerkennen.
als er in wænt verbezzern wol,
Wenn er meint, etwas Besseres als ihn zu finden,
so hât er ze arge in gar verkorn,
so wählt er an seiner Stelle einen Schlechteren,
und ob er hœher ist geborn
selbst dann, wenn der von höherer Abstammung
und rîcher, dan der êrste was,
und mächtiger ist als der vorherige,
mit dem er ennenher genas.
mit dem er doch ausgekommen war.
als er ze eim fremden ist gegân,
Wenn er zu einem Fremden kommt,
sô muoz er êrste heben an
muss er nämlich von vorne anfangen
und muoz dienen ûf die tage,
und ihm so lange dienen,
daz er dem selben wol behage.
bis er dessen Wohlwollen gewonnen hat.
und wære er dort bî im beliben,
Wäre er hingegen bei dem geblieben,
bî dem er het sîn zît vertriben,
bei dem er schon lange Zeit war,
der müese denken im dar an,
so würde der es ihm nicht vergessen,
daz er im dienst ê het getân.
dass er ihm schon vormals gedient hatte.
dient er dem fremden durch gewalt,
Dient er bloß um der Macht willen einem Fremden,
sô ist er tump und einvalt,
so zeigt er sich dumm und töricht,
wan der gewalt sîn selbes ist.
denn die Macht liegt nur beim andern.
daz hilfet disen ze langer frist
Ihm aber trägt sie die längste Zeit
niht, wan daz er smâcheit
nichts ein außer Schmähungen,
nâch dienest al den tac vertreit.
die er durch seinen Dienst tagein tagaus erfährt.
als man in versmæhet hât,
Wenn er dann geschmäht worden ist
und daz er daz wol verstât,
und das auch begriffen hat,
sô vert er aber fürbaz;
zieht er nochmals weiter;
sô widervert im aber daz.
und es widerfährt im dasselbe nochmals.
als er des vil versuochet hât,
Hat er das dann oft genug erlitten,
sô denket er hin an die stat,
so erinnert er sich an jenen Ort zurück,
dâ er sîn jugent hât vertriben.
wo er seine Jugend verbracht hat,
er gedenket: „wære ich dâ beliben,
Er denkt sich: „Wäre ich dort geblieben,
sô het ich noch die triuwe mîn
gälte ich noch als treu
und möhte ez noch gebezzert sîn.“
und hätte es längst viel besser.“
er vert hin heim, und vindet er
Er zieht in seine Heimat, und wenn er dort
den hêrren sîn in solher ger,
auf seinen Herrn trifft, der bereit ist,
daz er in fürbaz hât für vol:
ihn hinfort anzuerkennen,
dem hêrren sol er dienen wol,
so soll er diesem Herrn gut dienen
und lâze al sînen übermuot
und all seine Überheblichkeit beiseitelassen –
und er halte an dieser seiner Katze fest.
den rât iu râtet Herrant
Diesen Ratschlag gibt euch Herrand,
von Wildonie genant.
genannt der von Wildon.