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Weißbuch

Editionstext TEI Download PDF Download

Rieger, Lisa; lrieger@edu.aau.at

Der Editionstext oder edierte Text ist „jener Text, der das literarische Werk präsentiert“ (Nutt-Kofoth 2007, S. 5). Er wird vom Editor nach der Sichtung sämtlicher Textträger und ihrer kritischen Prüfung auf Autorisation und Bedeutung für die Textentwicklung ausgewählt. Dabei können auch mehrere Fassungen als edierter Text präsentiert werden, die Entscheidung des Editors muss jedoch immer begründet werden. (Plachta 1997, S. 14; Scheibe 1986, S. 123)

Seit den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts gilt in der neugermanistischen Edition ein weitgehender Konsens, dass alle Fassungen eines Werkes, die es in seiner historischen Entwicklung präsentieren, als gleichwertig zu betrachten sind. (Zeller 1989, S. 9 f.) Damit war die prinzipielle Bevorzugung einer Fassung früher oder auch später Hand im Allgemeinen veraltet. Zeitgleich führte das neue, strukturalistische Verständnis des ‘Textfehlers’ zu einer starken Abnahme editorischer Eingriffe in den Text und der Verbannung von Diskussionen unsicherer Stellen in den textkritischen Apparat. Mit zunehmendem Fokus auf die Textgenese und die Möglichkeiten synoptischer Darstellungsformen schwand die Bedeutung des Editionstextes zugunsten der des Apparates als Präsentation des gesamten Textbestandes. (Nutt-Kofoth 2004, S. 46–49)

Im Laufe der Geschichte gab es – in engem Zusammenhang mit der gerade vorherrschenden Strömung innerhalb der Textkritik – immer wieder andere Auffassungen davon, auf welche Weise die Konstitution des Editionstextes zu erfolgen habe. Beginnend bei Karl Lachmann 1845, der für die Konstitution des Editionstexts die kritische Bewertung sämtlicher überlieferter Texte forderte und zur Wiederherstellung des ‘echten’ Textes die Operationen der Emendation und Konjekturen empfahl, galt zu Beginn des 20. Jahrhunderts im anglo-amerikanischen Sprachraum der Grundsatz des ‚besten‘ Textes, der dem Editor Freiräume für die Normierung von Orthografie und Interpunktion ließ. Diese Methode wurde von amerikanischen Editoren wenig später zur Copy-Text-Methode weiterentwickelt, die mit Hilfe von substantives und accidentals autornahe Varianten in eine frühe Textform einarbeitete – somit aber lediglich die Idealvorstellung eines Textes erstellte. Die critique génétique in Frankreich wiederum stellte den Schreibprozess in den Vordergrund, nicht einen bestimmten edierten Text. (Plachta 2012, S. 14–25) In den letzten Jahren beeinflussen aber auch zunehmend technische Veränderungen und neue Darstellungsmöglichkeiten im Rahmen von Digitalen Editionen die Gestaltung des Editionstextes. (Jannidis/Kohle/Rehbein 2017, S. 240)

Literatur:

  • Jannidis, Fotis; Kohle, Hubertus. 2017. Digital Humanities. Eine Einführung. Mit Abbildungen und Grafiken Digital Humanities. Stuttgart.
  • Nutt-Kofoth, Rüdiger. 2004. Vom Schwinden der neugermanistischen Textkritik. Zu Geschichte, Gegenwart und Zukunft eines editorischen Zentralbegriffs. In: Editio 18, S. 38–55.
  • Nutt-Kofoth, Rüdiger. 2007. Editionsphilologie. In: Handbuch Literaturwissenschaft. Gegenstände - Konzepte - Institutionen.. Hrsg. von Thomas Anz. Stuttgart, Weimar, S. 1-27.
  • Plachta, Bodo. 1997. Editionswissenschaft. Eine Einführung in Methode und Praxis der Edition neuerer Texte Editionswissenschaft.
  • Plachta, Bodo. 2012. Wie international ist die Editionswissenschaft? Ein Blick in ihre Geschichte. In: Editio 26, S. 13–29.
  • Scheibe, Siegfried. 1986. Editionstechnik. In: Wörterbuch der Literaturwissenschaft 1. Auflage. Hrsg. von Claus Träger. Leipzig, S. 123–124.
  • Zeller, Siegfried. 1989. Fünfzig Jahre neugermanistische Edition. Zur Geschichte und künftigen Aufgabe der Textologie. In: Editio 3, S. 1-17.

Zitiervorschlag:

Rieger, Lisa. 2021. Editionstext. In: KONDE Weißbuch. Hrsg. v. Helmut W. Klug unter Mitarbeit von Selina Galka und Elisabeth Steiner im HRSM Projekt "Kompetenznetzwerk Digitale Edition". Aufgerufen am: . Handle: hdl.handle.net/11471/562.50.75. PID: o:konde.75