Cugliana, Elisa; elisa.cugliana@uni-koeln.de / Gengnagel, Tessa; tessa.gengnagel@uni-koeln.de
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Eine diplomatische Transkription versucht die historische Quelle so layout- und zeichengetreu wie möglich abzubilden (Kümper 2014, S. 84–85). Pierazzo hat Aspekte aufgelistet, die in einer diplomatischen Transkription beachtet werden sollen bzw. können (Pierazzo 2011, S. 467–468):
- Dokumenteigenschaften: Abmessungen, Tinte, Schäden, Änderungen an der Integrität des physischen Objekts.
- Topologie: Struktur und Layout des Dokuments, Kollokation von Schriften und anderen Merkmalen auf der Schreibfläche.
- Handschrift: Anzahl der Hände, Buchstabenformen, Ligaturen.
- Orthographie: Rechtschreibung, diakritische Zeichen.
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Schriftmerkmale: Diese können unterteilt werden in:
- Lesehilfen: Großschreibung, Zeichensetzung, Abstände.
- Kurzschrift: Abkürzungen, Symbole, Chiffren.
- Genese: Revisionen, Streichungen, Hinzufügungen, funktionelle Indikatoren und andere Hinweise darauf, wie der Inhalt des Dokuments erstellt wurde.
- Textualität: Absätze, Überschriften, Verse, Tabellen, Listen, Rubriken und andere strukturelle Unterteilungen.
- Semantik: Daten, Namen von Personen und Orten, Schlagwörter.
- Linguistik: Wortarten, Lemmatisierung, Syntax.
- Textdekoration und andere grafische Komponenten: Miniaturen, Zeichnungen, Kritzeleien.
In Pierazzos Argumentation wird deutlich, dass die Auswahl der Kriterien für die Transkription von verschiedenen Faktoren abhängig ist, die berücksichtigt werden müssen. Die Granularität der diplomatischen Transkription kann also variieren. Wie Haugen hervorgehoben hat, sollte man eher von einem diplomatischen Spektrum sprechen, das von “strictly diplomatic” (oder hyperdiplomatischen) bis hin zu leicht normalisierten diplomatischen Transkriptionen reicht (Haugen 2014, S. 224).
Die diplomatische Transkription ist aus germanistischer Perspektive für die sprachhistorische Forschung von großer Relevanz (Bein 2000, S. 92). Die diplomatische Dokumentation der Eigenheiten einer Handschrift macht auch detaillierte paläografische Untersuchungen möglich. Der gesteigerte Erkenntnisgewinn, der sich aus einer detaillierten Quellentextbefundung ergibt, steht darüber hinaus im Zentrum des Documentary Editing. Es ist in diesem Kontext wichtig zu erwähnen, dass es die Funktion der diplomatischen Transkription ist, den Text der Quelle zu recodieren bzw. auf ein neues Medium zu übertragen, damit er analysierbar und prozessierbar wird. Die Transkription ist dabei der erste Schritt einer Edition: In den nächsten Phasen der Editionsarbeit wird dann entschieden, wie die Befunde zu interpretieren sind, welche Normalisierungsrichtlinien aufgestellt werden sollen, was den Leserinnen und Lesern präsentiert werden soll und wie das Interface für die Präsentation gestaltet werden soll.
Gerade eine Digitale Edition bietet sich aufgrund der Trennung von Daten und Textrepräsentation an, (hyper-)diplomatische Transkriptionen zur Verfügung zu stellen. Das Vorhandensein einer diplomatischen Transkription, gleich welchen Grades, kennzeichnet eine Edition jedoch nicht zwangsläufig als diplomatische Edition, da eine diplomatische Transkription prinzipiell ein Bestandteil jeder Art von Edition sein kann und nicht deren Hauptziel oder -charakteristikum darstellen muss.
Literatur:
- Bein, Thomas. 2000. Die mediävistische Edition und ihre Methoden. In: Text und Edition: Positionen und Perspektiven. Hrsg. von Rüdiger Nutt-Kofoth, Bodo Plachta, H. T. M Van Vliet und Hermann Zwerschina. Berlin, S. 81-98.
- Duval, Frédéric. 2015. Les mots de l'édition des textes. Paris. URL: https://journals.openedition.org/genesis/1591.
- Haugen, Odd Einar. 2014. The Making of an Edition: Three Crucial Dimensions. In: Digital Critical Editions 1. Hrsg. von Daniel Apollon, Claire Belisle und Phillippe Regnier. Urbana, S. 357.
- Hofmeister, Wernfried; Hofmeister-Winter, Andrea. 2008. Schriftzüge unter der High-Tech-Lupe: Theoretische Grundlagen und erste praktische Ergebnisse des Grazer Pilotprojekts DAmalS (‚Datenbank zur Authentifizierung mittelalterlicher Schreiberhände‘). In: editio 22. Hrsg. von Rüdiger Nutt-Kofoth und Bodo Plachta, S. 90–117.
- Hofmeister-Winter, Andrea. 2007. Die Grammatik der Schreiberhände. Versuch einer Klärung der Schreiberfrage anhand der mehrstufig-dynamischen Neuausgabe der Werke Hugos von Montfort. In: Edition und Sprachgeschichte. Baseler Fachtagung 2.-4. März 2005 Beihefte zu editio. Hrsg. von Michael Stolz, Robert Schöller und Gabriel Viehhauser. Tübingen, S. 89-116.
- Huitfeldt, C; Sperberg-McQueen, Caspar Michael. 2008. What is transcription. In: Literary and Linguistic Computing 23, S. 295-310.
- Kümper, Hiram. 2014. Materialwissenschaft Mediävistik. Wien, Köln, Weimar. URL: https://www.utb.de/doi/book/10.36198/9783838586052.
- Vander Meulen, David L; Tanselle, G Thomas. 1999. A System of Manuscript Transcription. In: Studies in Bibliography 52, S. 201-212.
- Pierazzo, Elena. 2011. A rationale of digital documentary editions. In: Literary and Linguistic Computing 26, S. 463-477.
- Segre, Cesare. 1979. Semiotica filologica. Testo e modelli culturali. Torino.
- Sahle, Patrick. 2013. Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 1: Das typografische Erbe. Norderstedt.
- Sahle, Patrick. 2013. Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 3: Textbegriffe und Recodierung. Norderstedt.