Und man würde den Tod feiern als schöne, trostreiche Gewißheit […] ich brüte ihn aus und werde eines Augenblicks nicht mehr als seine Schale sein, die er abwerfen muß […] mein Tod ist in mir und wächst mit mir und durch mein Älterwerden

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Kommentar

Kofler/Fian kombinieren die Worte Rilkes mit einem in der Reihenfolge der Aussagen leicht veränderten Zitat aus Hellers Schattentaucher , wo der Protagonist Ferdinand diese Worte spricht: »Mein Tod ist in mir und wächst mit mir und durch mein Älterwerden. Ich brüte ihn aus und werde eines Tages nicht mehr als seine Schale sein, die er abwerfen muß [...] Ich fände es richtig, wenn jeder seinen Todestag wüßte. Nicht das Jahr, aber den Tag. Und man würde ihn feiern als schöne trostreiche Gewißheit« (Heller 2003, 84).

Textausschnitte

Der Erlöser, Werk 4, S. 299

[...] Den hatte man. und das gab einem eine eigentümliche Würde und einen stillen Stolz. Männerstimme 2: Und man würde den Tod feiern als schöne, trostreiche Gewißheit. Ganz meine Rede, Erzähler: versetzte ich, Männerstimme 2: mein Tod ist in mir und wächst mit mir und durch mein Älterwerden, das habe ich immer schon gesagt. Aber sagen Sie, Erzähler: fragte ich etwas indigniert den Alten, Männerstimme 2: wie kommen Sie dazu, meine Gedanken und Überlegungen, nur ein wenig umformuliert, als Ihre Erfahrungen auszugeben? Mein Tod ist in mir und wächst mit mir und durch mein Älterwerden, das ist von mir, lieber Brigge, ich brüte ihn aus und werde eines Augenblicks nicht mehr als seine Schale sein, die er abwerfen muß, das sind die Ergebnisse meiner Philosophie und nicht Ihrer Erfahrungen, von wegen Tod in sich wie die Frucht den Kern! Männerstimme 1: Ich bitte vielmals um Pardon, lieber junger Freund, Erzähler: versuchte der Alte einzulenken, Männerstimme 1: aber ich – Männerstimme 2: Nichts da mit lieber junger Freund! In Sachen meines geistigen Eigentums kenne ich kein Pardon, Erzähler: rief ich, plötzlich in Zorn geraten. Der Alte stand wortlos auf und schickte sich an, das Lokal zu verlassen. Nun konnte ich nicht mehr an mich halten. Männerstimme 2: Aus meiner schönen trostreichen Gewißheit eine eigentümliche Würde und einen stillen Stolz zu machen, ist eine infame Narretei, eine Perfidie, Herr Kammerherr Brigge! Aber mein Großvater schon hat mich vor Ihnen gewarnt, und meine Großmutter in Gutenstein – sie war noch mit Rilke befreundet – hat mir Geschichten über Sie erzählt, von denen Sie sich keine Vorstellung machen! Ich weiß alles! Machen Sie, daß Sie fortkommen samt Frucht und Kern und Tod! (Halb zu sich:) Mein Tod ist in mir und wächst mit mir und durch mein Älterwerden. So ist es, das ist die Wahrheit. [...]


Zitiervorschlag:
Und man würde den Tod feiern als schöne, trostreiche Gewißheit […] ich brüte ihn aus und werde eines Augenblicks nicht mehr als seine Schale sein, die er abwerfen muß […] mein Tod ist in mir und wächst mit mir und durch mein Älterwerden. In: Werner Kofler: Kommentar zur Werkausgabe. Hrsg. v. Wolfgang Straub und Claudia Dürr. hdl.handle.net/11471/1050.10.3579, 2022-09.