VIAF GNDTEI

Henry Sweet

URI: https://gams.uni-graz.at/o:hsa.persons#P.2823
Korrespondenz anzeigen
Suchen

Zitiervorschlag: Hödl, Petra (2015): Henry Sweet. In Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.person.2823, abgerufen am 18. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.2.2823.


Einleitung

Die Korrespondenz zwischen Henry Sweet und Hugo Schuchardt wurde von Petra Hödl bearbeitet, kommentiert und eingeleitet.

Bedeutung

Henry Sweet (1845-1912) gilt als einer der Pioniere der „modernen“ Sprachwissenschaft. Seine Verdienste um die Etablierung einer living philology wurden bereits von seinen Zeitgenossen gewürdigt. Jespersen etwa nennt Sweet dezidiert einen der Vorreiter dieser „neuen“ Richtung:

„Another beneficial change is the new attitude taken with regard to the study of living speech. The science of linguistics had long stood in the sign of Cancer and had been constantly looking backwards – to its own great loss. Now, with the greater stress laid on phonetics and on the psychology of language, the necessity of observing the phenomena of actual everyday speech was more clearly perceived. Among pioneers in this respect I must specially mention Henry Sweet.“ (Jespersen 1922: 97)

Vor allem für die Etablierung der Phonetik als wissenschaftliche Disziplin gelten Sweets Arbeiten als Meilensteine. Sein Handbook of Phonetics (1877) – „the book that taught phonetics to Europe and made England the birthplace of the modern science“ (Wrenn 1946: 517) – sei hier als eines seiner einflussreichsten Werke hervorgehoben. In dessen Vorwort bezeichnet Sweet die Phonetik als unverzichtbare Grundlage („indispensable foundation“) aller wissenschaftlichen Beschäftigung mit Sprache. Das gelte für die historisch-vergleichende Sprachwissenschaft – welche ohne die Phonetik zu einer bloßen Auflistung von Buchstabenwandel verkäme – ebenso wie für die Beschäftigung mit lebenden Sprachen, die Untersuchung von Dialekten sowie bis dato unerforschten (und nicht-verschrifteten) Sprachen. Nicht zuletzt müsse die Phonetik auch im praktischen Bereich des (Fremd)sprachenunterrichts das Fundament darstellen (vgl. hierzu Schuchardts lobende Erwähnung von Sweets Bemühungen um Reformen. Er nennt Sweet in diesem Zusammenhang „einen der linguistischen Vorkämpfer Englands“, Schuchardt 1884: 129).

Sweets Stellenwert für die Phonetik ist unbestritten, doch er publizierte auch zahlreiche historische und sprachvergleichende Arbeiten (z.B. An Anglo-Saxon Reader 1879, The History of Language 1900a). Mit der junggrammatischen Schule war er vertraut und er vertrat deren Prinzipien zum Teil auch ihn seinen eigenen Werken (vgl. Sweets Vorwort zu seiner History of English Sounds: „So too at a later date, I was one of the first in England to welcome the ‘neo-philological’ reformers who have rescued German philology from its earlier stagnation of methods. Of the many illustrious members of this school I owe most to Paul and Sievers. No one can read the chapters on general principles in my book without seeing how much I owe to Paul’s Prinzipien der Sprachgeschichte”, Sweet 1888: xi-xii). Er edierte erfolgreich altenglische Texte (King Alfreds Cura Pastoralis 1871, The Oldest English Texts 1885), verfasste grammatische Beschreibungen europäischer Sprachen (u.a. English 1900b, Schwedisch 1877-1879, Walisisch 1882-1884) und veröffentlichte literaturwissenschaftliche Schriften (Shelley’s Nature-Poetry 1891).

Informationen

Henry Sweet wurde am 15. September 1845 in London geboren. Er studierte vergleichende Sprachwissenschaft 1863/1864 in Heidelberg und ab 1870 klassische Philologie in Oxford. Noch während seiner Studienzeit publizierte Sweet vielfach zum Altenglischen, s. u.a. seine Edition von King Alfreds Übersetzung der Cura Pastoralis (Sweet 1871). Sein Studium selbst betrieb Sweet hingegen mit keinem sonderlichen Interesse und so bestand er auch die Abschlussprüfung nur knapp. Generell ist anzumerken, dass Sweets akademische Karriere sehr unglücklich - um nicht zu sagen tragisch - verlief. Trotz seiner beindruckenden Publikationstätigkeit und breiten Anerkennung in internationalen Fachkreisen (u.a. erhielt er einen Ehrendoktortitel von der Universität Heidelberg 1875) blieb ihm ein Lehrstuhl zeitlebens verwehrte. Bei seinen Bewerbungen um Professuren (1876 University College London, 1885 und 1901 in Oxford) wurde er stets übergangen und die Stellen wurden mit jüngeren, weniger ausgewiesenen Kandidaten besetzt. Angebote aus dem Ausland lehnte Sweet stets ab und bestritt den größten Teil seines Lebensunterhalts stattdessen durch das Publizieren von Lehr- und Handbüchern sowie das Abhalten von Privatunterricht.

Bei seiner Bewerbung in Oxford um den Merton Chair of English Language and Literature war er sich seiner Sache womöglich noch zu sicher gewesen (er bewarb sich nur informell und nicht wie üblichen mit einer Sammlung gedruckter Empfehlungsschreiben). Wie sehr er sich diese Stelle jedoch gewünscht hatte, geht aus einem Brief hervor, den der an Arthur Napier (1853-1916), seinen erfolgreichen Mitbewerber, schrieb:

“The Merton prof. was my last chance. You probably know that all my efforts to get a footing in England have failed hitherto. I had the Baltimore professorship offered me in America, and my name was sent out for the Berlin one (through Lepsius’s intervention) before Zupitza got it. I refused both, because I was determined to stick to England. The next chance I get may come too late, as in a few years I shall have lost the necessary elasticity. This I regret because I am sure I could train up a school of workers who would develop a new science of language not a mere copy of Germany. I am quite unsettled. I may throw up English altogether…” (Sweet an Napier 9. Juni 1885, [nach Ker 2002: 93])

Sweet scheint sich nie ganz von dieser Enttäuschung erholt zu haben und als denn auch seine Bewerbung 1901 – diesmal begleitet durch Empfehlungsschreiben zahlreicher berühmter Unterstützer – erfolglos blieb, kam es zum endgültigen Bruch mit seiner Almer Mater. Die quasi als “Trostpreis” für Sweet ins Leben gerufenen Dozentenstelle für Phonetik nahm er zwar an (1901 bis zu seinem Tod, befristet und immer wieder verlängert), doch begegnete er seinen Kollegen in Oxford fortan mit offener Ablehnung. Sein Verhalten so manchem gegenüber war ab dann “das Gegenteil von seinem Namen” (Brandl 1913: 11). In Briefen aus dieser Zeit (vgl. Zitate abgedruckt in MacMahon 1984) wird Sweet als ein Mann beschrieben “who makes it impossible for the coolest onlooker to take a judicial view of his merits. He has often been splendidly right, but nobody can be more deplorably and pigheadedly wrong, and his rudeness is at times colossal” (Richard Lloyd an James Murray). Und “he has done such outrageous things of recent years that his own friends can only excuse them by saying that he is afflicted with monomania or (as kindly people say) by the aberrations of a great genius” (James Murray an Eduard Sievers).

Die fehlende Anerkennung in seiner Heimat hat Sweet nie verwunden und die letzten Jahre bis zu seinem Tode am 30. April 1912 verbrachte er in Oxford wohl verbittert und zusehends isoliert. Heute zählt Henry Sweet jedoch auch in England zu den berühmtesten Figuren der Sprachwissenschaft. Es gibt eine Henry Sweet Society for the History of Linguistic Ideas (gegründet 1984) und sein Stellenwert v.a. im Bereich der Phonetik steht außer Zweifel.

Für weitere biographische und bibliographische Informationen sei auf die Nachrufe auf Sweet von H.C. Wyld (1913) und Alois Brandl (1913) verwiesen sowie auf die Biographie von MacMahon (1998) und einen Aufsatz von Jankowsky (1999).

Briefedition und Kommentare

In Schuchardts Nachlass befinden sich 3 Briefe und 4 Postkarten von Sweet. Das erste erhaltende Schreiben ist mit Juni 1885 datiert, allerdings bestand der Briefkontakt mit Sicherheit bereits davor. Dies lässt sich aus dem Inhalt des ersten Briefes schließen, in dem sich Sweet für ein Schreiben von Schuchardt bedankt. Gemeinsam mit dem Briefkontakt kam es auch zum beidseitigen Austausch von Schriften – vorwiegend zum Thema Sprachvergleich/Sprachverwandtschaft. Wie oben erwähnt, war Sweet „gelernter“ historischer Sprachwissenschafter. Was seine Ansichten zur Verwandtschaft der indo-europäischen und finno-ugrischen Sprachen betrifft, kann er als früher Vertreter einer „nostratischen Hypothese“ angesehen werden (vgl. Sweet 1900a: 123). Außerdem befasste sich Sweet mit dem Walisischen, mit dem sich auch Schuchardt beschäftigte.

Bei der Edition der Briefe wurde Sweets Orthographie (z.B. independantly für independently) und die von ihm verwendeten Kurzformen (z.B.: believg für believing, yr für your), kommentarlos beibehalten.

Hinweise auf den Verbleib von Gegenbriefen oder einen Nachlass von Sweet ließen sich leider nicht finden. Das einzige schriftliche Dokument (in Abschrift), das eruiert werden konnte, ist das Empfehlungsschreiben von Schuchardt, um welches Sweet seinen Kollegen in Brief 11471 bittet und für das er sich in Brief 11472 bedankt. Sweet hatte Schuchardts Schreiben zusammen mit anderen Bewerbungsunterlagen – wie damals in England üblich – drucken lassen. Es diente zur Unterstützung von Sweets (vergeblichen) Bemühungen um die Professur für vergleichende Sprachwissenschaft in Oxford im Jahre 1900. Es lautet wie folgt:

Graz, 9th November, 1900.

Ich ergreife mit Freuden die Gelegenheit zu erklären dass ich Herrn Prof. Henry Sweet in hohem Grade für geeignet halte den Lehrstuhl für vergleichende Sprachwissenschaft einzunehmen. Meine Ansicht stützt sich auf die Mannichfaltigkeit und den Werth seiner Schriften. Vom Englischen aus, das in seinen verschiedenen Phasen die breite Mitte seiner Studien ausfüllt, hat er sich über die einzelnen Sprachen der arischen Gruppe, und sogar über solche der semitischen und ural-altaischen verbreitet; der Phonetik, die ja die feste Grundlage aller sprachwissenschaftlichen Forschung bildet, hat er, mit feinstem Verständniss, sein Hauptaugenmerk zugewandt; über das Besonderste aber hat er auch das Allgemeinste nicht vernachlässigt und schliesslich in glücklichster Weise die Praxis mit der Theorie zu verbinden gewusst.

(in H. Sweet, Letter of Application, List of Published Works and Testimonials for Corpus Christi Professorship of Comparative Philology in the University of Oxford 1901)

Bibliographie

Brandl, Alois (1913). Henry Sweet. Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen, Neue Serie 30, 8-11.

Gabelentz, Georg von der (1894). Die Verwandtschaft des Baskischen mit den Berbersprachen Nord-Afrikas. Braunschweig: Sattler.

Jankowsky, Kurt R. (1999). Sound Physiology in the Making: On the Role of Henry Sweet (1845-1912) and Eduard Sievers (1850-1932) in the Development of Linguistic Science. in Sheila Embleton, John E. Joseph & Hans-Josef Niederehe (Hgg.). The Emergence of the Modern Language Sciences: Studies on the transition from historical-comparative to structural linguistics in honour of E.F.K. Koerner. Volume 1: Historical Perspectives. Philadelphia/Amsterdam: Benjamins. pp. 77-91.

Jespersen, Otto (1922). Language: Its nature, development and origin. New York: Henry Holt & Co.

Ker, Neil Ripley [revised by Lapidge, Michael] (2002). Arthur Sampson Napier, 1853-1916. in Michael Lapidge (Hg.). Interpreters of Early Medieval Britain. Oxford: Oxford University Press. pp. 91-116.

MacMahon, Michael K.C. (1984). Henry Sweet as a novelist. Henry Sweet Society Newsletter, 2, 10-14.

MacMahon, Michael K.C. (1998). Henry Sweet (1845-1912). in Helen Damico (Hg.). Medieval Scholarship: Biographical Studies on the Formation of a Discipline. Volume 2: Literature and Philology. New York & London: Routledge. pp. 167-175.

Melchior, Luca (2012). Die Korrespondenz zwischen Pio Rajna und Hugo Schuchardt'. in Bernhard Hurch (Hg.). (2007-). Hugo Schuchardt Archiv. Webedition verfügbar unter: http://schuchardt.uni-graz.at/korrespondenz/briefe/korrespondenzpartner/1097, abgerufen am 26.11.2015.

Schuchardt, Hugo (1884). Dem Herrn Franz von Miklosich zum 20. November1883. Slawo-deutsches und Slawo-italienisches. Graz: Leuschner & Lubensky. (Brevier / Archiv Nr. 161).

Schuchardt, Hugo (1885). Über die Lautgesetze. Gegen die Junggrammatiker. Berlin: Oppenheim. (Brevier / Archiv Nr. 172).

Schuchardt, Hugo (1893). [Rez. von:] G. von der Gabelentz, Baskisch und Berberisch. Literaturblatt für germanische und romanische Philologie, 14, 334-338. (Brevier / Archiv Nr. 270).

Schuchardt, Hugo (1899). [Rez. von:] Vilh. Thomsen, Remarques sur la parenté de la langue étrusque. Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes,13, 388-392. (Brevier / Archiv Nr. 350).

Schuchardt, Hugo (1900). Über die Klassifikation der romanischen Mundarten. Probevorlesung gehalten zu Leipzig am 30. April 1870. Graz: Styria. (Brevier / Archiv Nr. 352).

Schuchardt, Hugo (1913). Baskisch-hamitische Wortvergleichungen. Revista Internacional de Estudios Vascos / Revue International des Études Basques, 7, 289-340. (Brevier / Archiv Nr. 648).

Sweet, Henry (1871). King Alfred's West-Saxon Version of Gregory's Pastoral Care. London: Trübner & Co.

Sweet, Hugo (1877). A Handbook of Phonetics: Including a Popular Exposition of the Principles of Spelling Reform. Oxford: Clarendon Press.

Sweet, Henry (1879). An Anglo-Saxon reader in prose and verse. Oxford: Clarendon Press.

Sweet, Henry (1877-1879). Sounds and forms of spoken Swedish. Transactions of the Philological Society, 457-543.

Sweet, Henry (1882-1884). Spoken North Welsh. Transactions of the Philological Society, 409-484. [Wiederabgedruckt in H.C. Wyld (Hg.). (1913). Collected Papers of Henry Sweet. London: Oxford University Press: pp. 449-574].

Sweet, Henry (1885). The Oldest English Texts. Oxford: Clarendon Press.

Sweet, Henry (1888). A history of English sounds from the earliest period, with full word-lists. Oxford: Clarendon Press.

Sweet, Henry (1891). Shelley’s Nature-Poetry. London.

Sweet, Henry (1897). The Student's Dictionary of Anglo-Saxon. Oxford: Clarendon Press.

Sweet, Henry (1900a). The History of Language. London: Dent.

Sweet, Henry (1900b). A New English Grammar, Logical and Historical. Oxford: Clarendon Press.

Sweet, Henry (1901). Letter of Application, List of Published Works and Testimonials for Corpus Christi Professorship of Comparative Philology in the University of Oxford.

Thomsen, Vilhelm (1899). Remarques sur la parenté de la langue étrusque. Bulletin de l'Académie Royale des sciences et lettres de Danmark (Kopenhagen), 4, 573-598.

Wrenn, Charles L. (1946). Henry Sweet. Transactions of the Philological Society, 177-201.

Wyld, Henry Cecil (1913). Henry Sweet. Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen, Neue Serie 30, 1-8.

Herkunft der Digitalisate

Die von Henry Sweet an Hugo Schuchardt verschickten Briefe befinden sich in:

Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen