Friedrich Schürr
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Zitiervorschlag: Hurch, Bernhard (2015): Friedrich Schürr. In Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.person.2701, abgerufen am 20. 03. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.2.2701.
Einleitung
Die Korrespondenz zwischen Friedrich Schürr und Hugo Schuchardt wurde von Bernhard Hurch bearbeitet, kommentiert und eingeleitet.
Bedeutung
Der epistolarische Kontakt zwischen Friedrich Schürr (1888 – 1980) und Hugo Schuchardt beginnt relativ spät, nämlich erst im Spätsommer 1922. Für das laufende Projekt ist er daher eher marginal, sowohl hinsichtlich des Lebensalters, der historischen Aspekte, wie inhaltlich. Schürr ist eine weitere schillernde Figur der Romanistik; schillernd einerseits, weil er doch inhaltlich zur Weiterentwicklung und zum Verständnis des Faches beigetragen hat, und andererseits wegen seiner Rolle im Nationalsozialismus, die über bloßes Mitläufertum oder einfachen Opportunismus hinausgegangen ist. Von beidem ist in diesem Briefwechsel allerdings wenig zu vorhanden.
Schürrs Bedeutung für die Romanistik liegt mit Sicherheit in den Romagnolischen Dialektstudien (Schürr 1914, 1918, 1919) und in "seiner" Theorie der Diphthongierung (Schürr (1970); gegen von Wartburg, aber mit starken Anklängen an ältere Behauptung in Schuchardts (1885) Junggrammatiker-Streitschrift; dem Andenken an Schuchardt ist diese Arbeit auch gewidmet). Die Romagnolischen Arbeiten gehen v.a. auf die Zeit bei seinem ersten akademischen Lehrer Meyer-Lübke in Wien zurück, dann später auf die Kontakte zu den Schweizer Herausgebern des italienischen Sprachatlas (Jaberg / Jud 1928 - 1940).
In den sog. sprachphilosophischen Arbeiten Schürrs (z.B. 1922), die im vorliegenden Briefwechsel eine wichtigere Rolle spielen, versucht er sich selbst irgendwo zwischen Vossler und Schuchardt zu verorten, nicht ohne einen gewissen Opportunismus beiden gegenüber. In diesen Jahren wendet er sich, u.a. beruflich bedingt, intensiver literaturhistorischen Themen zu.
Schürrs Rolle im Nationalsozialismus wurde verschiedentlich erörtert (vgl. Hausmann 1998, 2007). Er war noch während seiner Grazer Zeit, also vor der Anschluß illegales Mitglied der NSDAP. Seine weiteren Jahre während des NS-Regimes zeugen von treuer Integration in die Politik. Zum Verlauf seiner weiteren Karriere vgl. auch Hurch (2009). Immerhin gehörte Schürr zu jenen wenigen Universitätslehrern in Deutschland, die nach dem Krieg keine feste Anstellung in öffentlichen Universitäten mehr erhielten, sondern auf die verbliebenen Kontakte zu faschistischen Ländern und zu Lehreinrichtungen der katholischen Kirche angewiesen waren.
Nachdem Schürr aus politischen Gründen 1919 Straßburg verlassen mußte, hatte er eine Stelle in Freiburg, versuchte aber gerade in jenen Jahren des Briefwechsels mit Schuchardt sein Rentré in Österreich. Sein Ziel war es, entweder in Innsbruck oder in Graz eine Professur zu erhalten. Das ist eines der beiden Dauerthemen des recht einseitigen Briefwechsels. Andererseits berichtet Schürr Schuchardt munitiös über seine Positionierung zu Vosslers sprach- und kulturwissenschaftlichen Schriften, insbesondere zu den Vossler und Schuchardt unterscheidenden Ideen in Fragen der Verbzentriertheit einer möglichen Ursprache. Vgl. dazu auch Schürrs Rezension von Vosslers sprachsoziologischem Beitrag zur Gedenkschrift für Max Weber, in der er die Positionen zu vermitteln versucht (Schürr 1924).
Erst als Schürr Schuchardt offen bittet, für ihn in der Frage einer Stelle in Graz zu intervenieren und Schuchardt diesbezüglich an den zuständigen Unterrichtsminister schreibt, scheint Bewegung in die Berufung auf ein Extraordinariat in Graz zu kommen. Diese glückte.
im Jahre 1926, offenbar u.a. mit Hilfe Schuchardts aber wohl auch seines späteren NS-Parteifreundes Adolf Zauner, Ordinarius für Romanistik in Graz. In den Freiburger Jahren arbeitete Schürr an seinen Veröffentlichungen von 1922 und 1926, erstere betrachtete er als philosophisch, zweite war literar- und kulturhistorisch. Es wurde ihm bei Bewerbungen, wie die Briefe zeigen, zum Vorwurf gemacht, er habe sich von der eigentlichen romanistischen Sprachwissenschaft, mit der er ins Fach eingetreten war, zu stark entfernt. Sein Lehrer Meyer-Lübke, Mentor und Betreuer der frühen romagnolischen Qualifikationsschriften in Wien, hatte Schürrs "philosophisches" Werk offenbar als Abfall bezeichnet (s.u.). Schürrs Briefe an Schuchardt haben durchwegs einen eher weinerlichen Ton, sobald sie auf Berufungsfragen und Rezeption dieser Werke kommen.1 Von den eigentlichen Fragen, für die Schürr in die Romanistik eingegangen ist, ist hier in den Briefen nicht die Rede.
Schürr enthält sich gegenüber Schuchardt weitgehend politischer Äußerungen. Lediglich an zwei Stellen deutet Schürr deutschnationale bzw. antisemitische Ideologie an, doch geht er nicht weiter ins Detail. Vielleicht war Schuchardts Reaktion darauf nicht einschlägig genug, um in diesem Ton fortzufahren. So schreibt er vollkommen unvermittelt am Ende des Briefes 10377 vom 29. Jänner 1923 den Satz: "Unser ganzes leben steht jetzt im zeichen des nationalen widerstandes." Dieser Satz steht ohne jeden Kontext als Briefschluß, so, als ob man die Reaktion des Empfängers testen wollte. Das Thema des nationalen Widerstands, das für Schürr doch einige Bedeutung gehabt zu haben schien, taucht im Briefwechsel mit Schuchardt – wohl aus Opportunitätsgründen – nicht weiter auf.
In der Erwähnung einer jüdischen Liaison Wassermann - Borchardt des Briefes 10382 klingt dagegen durchaus antisemitische Diktion durch. Die Borchardtschen Danteübertragungen des Vita Nuova und der Divina Comedia, die ja nicht einfach als Übersetzung geplant waren und verstanden werden wollten, stießen allerdings außerhalb bestimmter literarischer Kreise auf starken Widerstand. Hinter den Wassermannschen Ausführungen dazu allerdings jüdisch-solidarische „Verhimmelung” zu sehen, deutet eine Ideologie an, die fatale Folgen haben sollte. Schließlich empfiehlt Schürr Schuchardt noch eine durchaus einschlägige Arbeit des nachmaligen Bücherverbrenners Hans Naumann (1923) als "hübschen Aufsatz" (Brief 10377). Die nationalsozialistischen Verstrickungen Schürrs werden von ihm selbst in einem späteren autobiographischen Aufsatz (Schürr 1968) weitgehendst übergangen bzw. minimiert.
Gegenbriefe
Die Existenz der Gegenbriefe Schuchardts an Schürr ist nicht bekannt.
Bibliographie
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Finck, Franz Nikolaus 1899 Der deutsche Sprachbau als Ausdruck deutscher Weltanschauung. Acht Vorträge. Marburg: Elwert.
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Hurch, Bernhard 2009 Epilog: Gruppenbild mit Nazis. Randanmerkungen zur Präsenz von Nationalsozialisten in den Grazer sprachwissenschaftlichen Fächern. Grazer Linguistische Studien 72: 245-250.
Jaberg, Karl / Jakob Jud 1928-1940 Sprach- und Sachatlas Italiens und der Südschweiz. Zofingen: Ringier.
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Schuchardt, Hugo 1885 Brevier/Archiv Nr. 172.
Schuchardt, Hugo 1922a Brevier/Archiv Nr. 748.
Schuchardt, Hugo 1922b Brevier/Archiv Nr. 751a.
Schuchardt, Hugo 1923 Brevier/Archiv Nr. 760.
Schuchardt, Hugo 1925a Brevier/Archiv Nr. 765.
Schuchardt, Hugo 1925b Brevier/Archiv Nr. 766.
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Schürr, Friedrich 1919 Romagnolische Dialektstudien 2. Lautlehre lebender Mundarten. Wien: Hölder. (Mitteilung der Phonogrammarchivs-Kommission 50; Kaiserliche Akademie der Wissenschaften; Phil.-Hist.Kl. 188,1).
Schürr, Friedrich 1922 Sprachwissenschaft und Zeitgeist. Eine sprachphilosophische Studie. Marburg: Elwert.
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Schürr, Friedrich 1926 Das altfranzösische Epos. Zur Stilgeschichte und inneren Form der Gotik. München: M. Hueber.
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Trombetti, Alfredo 1926 Le origini della lingua basca. Bologna: Azzoguidi.
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Herkunft der Digitalisate
Für die von Hugo Schuchardt an Friedrich Schürr verschickten Briefe gilt:
Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen
Die von Friedrich Schürr an Hugo Schuchardt verschickten Briefe befinden sich in: