Volcy Focard Personenbeschreibung Philipp Krämer Institut für Sprachwissenschaft, Karl-Franzens-Universität Graz Zentrum für Informationsmodellierung - Austrian Centre for Digital Humanities, Karl-Franzens-Universität Graz GAMS - Geisteswissenschaftliches Asset Management System Creative Commons BY-NC 4.0 2023 Graz o:hsa.person.1502 Hugo Schuchardt Archiv Herausgeber Bernhard Hurch Karl-Franzens-Universität Graz Philipp Krämer 2013 Hugo Schuchardt im Zentrum der frankophonen Kreolistik. Korrespondenzen mit Lucien Adam, Volcy Focard, Alfred Mercier, Alcée Fortier und René de Poyen-Bellisle Grazer Linguistische Studien 78 129-156 Philipp Krämer 2013 Die Korrespondenz zwischen Volcy Focard und Hugo Schuchardt Hugo Schuchardt Archiv Bernhard Hurch Hugo Schuchardt Archiv

Das Hugo Schuchardt Archiv widmet sich der Aufarbeitung des Gesamtwerks und des Nachlasses von Hugo Schuchardt (1842-1927). Die Onlinepräsentation stellt alle Schriften sowie eine umfangreiche Sekundärbibliografie zur Verfügung. Die Bearbeitung des Nachlasses legt besonderes Augenmerk auf die Erschließung der Korrespondenz, die zu großen Teilen bereits ediert vorliegt, und der Werkmanuskripte.

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Deutsch Volcy Focard
Volcy Focard
Einleitung

Die Korrespondenz zwischen Volcy Focard und Hugo Schuchardt wurde von Philipp Krämer bearbeitet, kommentiert und eingeleitet.

Bedeutung

Auf der Insel La Réunion (früher Île Bourbon, französisches Übersee-Département und ehemalige französische Kolonie im Indischen Ozean zwischen Madagaskar und Mauritius) hatte Hugo Schuchardt eine Reihe von Korrespondenzpartnern, die ihn mit Sprachbeispielen und Textquellen versorgten (so etwa Louis Héry und sein Sohn, vgl. Briefnummern 04670, 04671, sowie der Historiker Emile Trouette, vgl. Briefnummern 11845 - 11861). Eigene Studien über das Kreolische betrieben allerdings nur Volcy Focard und Auguste Vinson, dessen Briefwechsel mit Schuchardt schon zu Lebzeiten als Beitrag im Bulletin de la Société des Sciences et Arts de l’île de la Réunion veröffentlicht wurde (vgl. Vinson 2006).

Volcy Focard gehörte ebenfalls dieser Gelehrtengesellschaft an und veröffentlichte seine Studie über das Kreolische in ihrer Jahresschrift (vgl. Focard 1885). Als Jurist war er im philologischen Bereich eher als Laie tätig, er wurde jedoch in der Société in die Kommission für lettres gewählt und galt als kompetent in Fragen der Sprache und Literatur. Focard wie Vinson hatten ihre Überlegungen über das Kreolische beide zunächst in der Wochenzeitung Le Sport Colonial publiziert und erst anschließend im Bulletin noch einmal abgedruckt. Focards Text erschien erstmals im Januar 1884 (Payet 2006: 5), der Abdruck im darauffolgenden Jahr. Der erste Brief von Focard an Schuchardt ist auf Oktober 1884 datiert und antwortet auf ein Schreiben Schuchardts. Dieser wurde also praktisch unmittelbar nach dem Erscheinen des Textes im Sport Colonial auf Focard aufmerksam und kontaktierte ihn umgehend. Focard eröffnet seinen ersten Brief ausdrücklich mit einem Hinweis darauf, dass Schuchardt ihn aus Anlass dieses Artikels angeschrieben habe, den Emile Trouette nach Graz geschickt hatte. Diese Vermittlung Trouettes verdeutlicht erneut die Effizienz von Schuchardts Korrespondenznetz bei der Beschaffung neuer Ansprechpartner und Materialien.

Gegenbriefe

Gegenbriefe sind bisher nicht verfügbar.

Briefedition und Kommentare

Als Diskussionsfaden durchzieht den Briefwechsel zwischen Focard und Schuchardt vor allem die Frage nach den Zusammenhängen zwischen den Kreolsprachen von La Réunion und Mauritius. Schuchardt treibt das Problem um, dass beide Sprachen sich deutlich unterscheiden und bittet Focard um eine Erklärung dazu. Schuchardt rezensierte Focards Arbeit später und macht auch darin noch einmal auf das Problem der Ähnlichkeit beider Kreolsprachen aufmerksam (vgl. Schuchardt 1885: 515, Brevier-/Archivnr. 181). Focard bietet als wichtigste Begründung die Vermutung an, dass die unterschiedliche Sozialgeschichte der beiden Inseln für die sprachlichen Differenzen verantwortlich sein könnte: Auf La Réunion sei das Kreolische ausschließlich aus dem Französischen der europäischen Siedler hervorgegangen und hauptsächlich auf einen Mangel an Bildung zurückzuführen, insbesondere weil man in den Kolonien nicht ausreichend Lesen und Schreiben unterrichtet habe. Erst später seien die Kinder der Sklaven hinzugekommen und hätten an der Kreolisierung mitgewirkt. Auf Mauritius dagegen habe bereits von Beginn an eine ethnisch gemischte Bevölkerung gelebt, in der insbesondere die spezifische Gruppe der petits créoles, also der unterprivilegierten Einwohner europäischer Abstammung, gefehlt habe.

Focards Erklärung liegt hier insgesamt schon sehr nah an heutigen Überlegungen zur Entstehung der Kreolsprachen beider Inseln: Es wird angenommen, das Kreolische von La Réunion habe anfangs durch die soziale Konstellation und die intensive Interaktion weniger Sklaven mit einer ausreichenden Anzahl von Europäern noch starke strukturelle Nähe zum Französischen gehabt. Erst nach und nach sei die Interaktion durch eine höhere Zahl von Sklaven zurückgegangen und das Kreolische habe sich vom Französischen fortentwickelt, um anschließend durch bestehenden Kontakt mit dem Standard wieder akrolektale Merkmale aufzunehmen (Mufwene 2005: 23, Chaudenson 1981: 250). Auf Mauritius dagegen wird der verhältnismäßig frühere Einstieg in die Massensklaverei für eine raschere und weiter gehende Kreolisierung verantwortlich gemacht (Baker/Corne 1982: 131ff.).

Neben diesen großen Denklinien liefern die Briefe von Focard noch einige eher anekdotische Details zu seiner Person und seiner kreolistischen Arbeit. Es wird beispielsweise deutlich, wie die Arbeit von Charles Baissac über das Kreolische von Mauritius rezipiert wurde, die wenige Jahre vorher erschienen war (Steiner 2010, vgl. die auch Briefe Baissacs an Schuchardt, Briefnummern 00419-00442, ediert von Steiner 2012; Krämer 2013). Focard schreibt in seinem ersten Brief, er kenne die Etude sur le patois créole mauricien nicht, obwohl diese immerhin vier Jahre vorher bereits erschienen war. Erst über Schuchardt wird er darauf aufmerksam, und er braucht einige Monate, um sich das Buch zu beschaffen: Erst in seinem Brief vom November 1885 berichtet er, dass er es gelesen hat. In Europa wurde Baissacs Arbeit dagegen relativ rasch in der kleinen Gemeinschaft derjenigen bekannt, die sich für Kreolsprachen interessierten. Schuchardt hatte einen exzellenten Überblick nicht nur über die verfügbaren Quellen und Arbeiten, sondern auch über deren Grad der Verbreitung. Ihm war bewusst, dass Baissacs Etude auf Réunion wenig bekannt war (Baggioni 1984: 122). Focards Mitteilung dürfte für diesen Eindruck wichtig gewesen sein. In der Rezension zur Arbeit Focards schreibt Schuchardt über Baissacs Etude: „Freilich scheint dieselbe […] auf der Schwesterinsel nicht sehr bekannt geworden zu sein“ (Schuchardt 1885: 515). Diese kleine Episode zeigt, wie sehr Schuchardt auch als eine Art Koordinator der kleinen kreolistischen Gemeinschaft wirkte, indem er nicht nur sich selbst Materialien besorgte, sondern auch deren Zirkulation förderte.

Keine verlässlichen Aufschlüsse erlauben die Briefe dagegen zum Problem der uneinheitlichen Schreibweise von Focards Namen, der bereits zu seiner Zeit und bis heute als Volcy und als Volsy zu finden ist. Die Briefe sind stets nur mit V. Focard unterschrieben, lediglich die letzte Karte mit der Empfangsnotiz schreibt den Namen mit ‚s‘ aus. Die Briefe könnten eigentlich als die persönlichsten Dokumente gelten, die von Focard überliefert sind und daher eine verlässliche Quelle bieten. Alles deutet jedoch darauf hin, dass auch diese nicht von Focard persönlich niedergeschrieben wurden: Zum Einen wechselt die Handschrift – der dritte Brief ist eindeutig von einer anderen Person geschrieben worden –, zum Anderen bestätigt die Karte den Empfang des letzten Briefes von Schuchardt in der dritten Person. Die Karte wiederum wurde höchstwahrscheinlich von derselben Person geschrieben wie die restlichen Briefe. In der Notiz ist auch von einer Krankheit Focards die Rede, die ihn eventuell daran hinderte, selbst zu schreiben: „il aurait le plaisir de lui écrire une lettre s’il n’était malade.“ Falls es eine Schreibweise gab, die Focard selbst bevorzugte, so lässt diese sich auch aus der Korrespondenz nicht zweifelsfrei ableiten.

Die Briefabschriften folgen der Schreibweise im Original ohne Korrekturen.

Bibliographie Baggioni, Daniel (1984). Schuchardt l’incompris, ou du bon usage de la mixité des langues. Etudes Créoles, VI/2, 115-128. Baker, Philip & Chris Corne (1982). Isle de France creole: affinities and origins. Ann Arbor: Karoma. Chaudenson, Robert (1981). Textes créoles anciens. (La Réunion et Ile Maurice) Comparaison et essai d’analyse. Hamburg: Buske. Focard, Volcy (1885). Du patois créole de l’île Bourbon. Bulletin de la Société des Sciences et Arts de l’île de la Réunion, année 1884, 179-239. Krämer, Philipp (2013). Kreolische Philologie und ‚raciologie appliquée’ bei Charles Baissac. In Markus Messling & Ottmar Ette (Hg.), Wort Macht Stamm. Rassismus und Determinismus in der Philologie (18./19. Jh.). München: Fink, pp. 253-268. Mufwene, Salikoko (2005): Créoles, écologie sociale, évolution linguistique. Paris: L’Harmattan. Payet, Monique (2006). [Kommentare zur Textedition]. In Auguste Vinson (2006): Les origines du patois de l’île Bourbon. Présenté et annoté par Monique Payet. Saint-Denis de La Réunion: Association Tangol (Langue créole de La Réunion – Textes Anciens, Vol. 1). Schuchardt, Hugo (1885). [Rezension von] Volsy Focard, Du patois créole de l’île Bourbon. Literaturblatt für germanische und romanische Philologie, 6, 513-515 Steiner, Elisabeth (2010). „L’approbation d’un juge comme vous est de celles dont on a le droit d’être fier“: Der Briefwechsel zwischen Schuchardt und Baissac. Grazer Linguistische Studien, 74, 7-62. Steiner, Elisabeth (2012). „Denken Sie doch nicht dass Sie mich mit Ihren Fragen belästigen; es ist mir eine wahre Freude Ihnen in dieser Angelegenheit von einigem Nutzen zu sein.“ Der Briefwechsel zwischen Schuchardt und Hesseling. Grazer Linguistische Studien, 78, 101-127. Vinson, Auguste (2006). Les origines du patois de l’île Bourbon. Présenté et annoté par Monique Payet. Saint-Denis de La Réunion: Association Tangol (Langue créole de La Réunion – Textes Anciens, Vol. 1). [Réédition de: Vinson, August (1882): Les origines du patois de l’île Bourbon. Bulletin de la Société des Sciences et Arts de l’île de la Réunion, 1882, 88-129.]
Herkunft der Digitalisate

Die von Volcy Focard an Hugo Schuchardt verschickten Briefe befinden sich in:

Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen