Das Hugo Schuchardt Archiv widmet sich der Aufarbeitung des Gesamtwerks und des Nachlasses von Hugo Schuchardt (1842-1927). Die Onlinepräsentation stellt alle Schriften sowie eine umfangreiche Sekundärbibliografie zur Verfügung. Die Bearbeitung des Nachlasses legt besonderes Augenmerk auf die Erschließung der Korrespondenz, die zu großen Teilen bereits ediert vorliegt, und der Werkmanuskripte.
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Die Korrespondenz zwischen Franz Nikolaus Finck und Hugo Schuchardt wurde von Petra Hödl und Bernhard Hurch bearbeitet, kommentiert und eingeleitet.
Für Schuchardt galt der offen ausgetragene gelehrte Meinungsstreit, die Polemik, als eines der wichtigsten Förderungsmittel der Wissenschaft. Einen Standpunkt, den es nicht wert war, zu verteidigen, sollte man schließlich auch nicht besetzen (vgl. Schuchardt 1894: 5). Zu jenen Forschern, die die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Schuchardt vielleicht nicht gerade gesucht, aber doch selbstbewusst aufgenommen haben, gehörte der Indogermanist und Sprachtypologe Franz Nikolaus Finck.
Finck war 25 Jahre jünger als Schuchardt und starb bereits 1910 erst 42-jährig als
Professor für allgemeine Sprachwissenschaft in Berlin. In seiner kurzen, aber sehr
fruchtbaren und facettenreichen wissenschaftlichen Laufbahn hatte er sich einen Namen
als allgemeiner und vergleichender Sprachwissenschafter, Armenologe, Keltist sowie
insbesondere als SprachtypologeCollected Works of Edward
Sapir [Sapir 2008: 131, 178] und die dazugehörigen einführenden
Anmerkungen von Pierre Swiggers [2008: 157]; auch Bloomfield 1914: 316). In Europa
wurden seine Ideen zusammen mit der Sprachtypologie selbst hingegen eher
stiefmütterlich behandelt.
Geboren wurde Finck am 26. Juni 1867 in Krefeld. Nach einigen Jahren im aktiven
Militärdienst und nachdem er zuerst kurz Rechtswissenschaften studiert hatte, widmete
er sich dem Studium der Sprachwissenschaft in München, Paris und Marburg, wo er 1894
mit der Dissertation Über das Verhältnis des baltisch-slavischen
Nominalaccents zum urindogermanischen (Finck 1895) promovierte. 1896
habilitierte er sich dort für vergleichende Sprachwissenschaft, 1897 in Berlin für
allgemeine Sprachwissenschaft. In Berlin war er ab 1903 Titularprofessor, ab 1909
a.o. Professor. Darüber hinaus vertrat er ab 1907 die Südseesprachen am Berliner
Orientalischen Seminar. Unter seinen Schülern finden sich u.a. der Finnougrist und
Sprachtypologe Ernst Lewy
Heute am bekanntesten sind wohl Fincks sprachtypologische Arbeiten wie Der deutsche Sprachbau als Ausdruck deutscher Weltanschauung
(1899a), Die Klassifikation der Sprachen (1901) sowie Die Haupttypen des Sprachbaus (1910). Finck teilt darin die
Sprachen der Welt nach hauptsächlich morphologischen Kriterien in acht Grundtypen
ein, wobei er den Sprachbau mit der unterschiedlichen "geistigen Eigenart", dem
"Temperament", der Sprecher in Verbindung bringt. Hierbei steht Finck ganz in der
Tradition von Steinthal, Byrne, Misteli oder auch Winkler, vorrangig und insbesondere
aber natürlich in jener von Wilhelm von Humboldt. Wie sehr Finck an Humboldt
orientiert ist, sieht man nicht zuletzt auch an seiner Grundauffassung von Sprache,
die für ihn "keineswegs ein Gegenstand [ist], dessen man sich nach Bedarf bedienen
kann, sondern ein Vorgang, und zwar die Tätigkeit des Sprechens in unlöslicher
Verbindung mit der Erinnerung an bereits vorher ausgeübtes, als massgebend
anerkanntes Reden" (Finck 1914: 13).
Anzumerken ist, dass Finck in seinen sprachtypologischen Werken auch heute noch
gebräuchliche Termini wie etwa Suffixaufnahme (Finck 1910:
141, vgl. dazu Plank 1995) prägte.Suffixaufnahme versteht man die Wiederholung etwa eine
Kasussuffixes des regierenden Substantivs an seinem Attribut. Finck erläutert dies
anhand von georgisch "[…] értʻ-ma bavšv-tʻá-gan-ma" 'eines der Kinder', wobei -ma die Ergativendung darstellt, die wiederaufgenommen wird.
Damit wird "die Beziehung einer Vorstellung zum ganzen Gedanken an einem Komplex
noch einmal zum Ausdruck gebracht, der einerseits gar nicht den eigentlichen
Ausgangspunkt der Handlung bezeichnet und anderseits auch gar nichts
Abgeschlossenes, Einheitliches ist, sondern ersichtlich in zwei Teile zerfällt,
den Genitiv bavšv-tʻá und die Postposition gan […]" (Finck 1910: 142). Schuchardt war vermutlich wenig
beeindruckt. In seinem persönlichen Exemplar der Haupttypen des Sprachbaus (Finck
1910), das in der Universitätsbibliothek Graz erhalten ist (Signatur: I
96632/268), findet sich nämlich die handschriftliche wohl von Schuchardt stammende
Randbemerkung "nichts Besonderes" bei dieser Ausführung.Gruppenflexion findet sich in dem eben zitierten Werk
(Finck 1910: 144). Er spielt wie die Suffixaufnahme eine wichtige Rolle in der
Charakterisierung seines achten Sprachtyps, nämlich des Georgischen.
Über Fincks sprachtypologische Arbeiten sind nicht seine Beiträge zu Einzelsprachen
und seine umfangreiche Feldforschungstätigkeit zu vergessen. Eine seiner ersten
Studienreisen 1894/1895 führte ihn etwa nach Irland, wo er das Irische der
Aran-Inseln erforschte (vgl. Finck 1896a, 1896b, 1899b). Ebenfalls zu erwähnen ist
seine Beschäftigung mit Romani-Varietäten (vgl. u.a. Finck 1903b). Zahlreiche
Forschungsreisen unternahm er auch in den Kaukasus. Tatsächlich war Finck ein äußerst
renommierter Armenologe, der u.a. umfangreiche Handschriftenkataloge herausgab, wie
etwa den Katalog der armenischen Handschriften des Herrn Abgar
Joannissiany zu Tiflis (1903) oder das Verzeichnis der
armenischen Handschriften der Königlichen Universitätsbibliothek Tübingen
(Fink & Gjandschezian 1907).
Mit Schuchardt war Finck vor allem durch eine ausgedehnte und mitunter recht stur
geführte öffentliche Diskussion zum Thema Transitivität und Passivität verbunden (s.
Schuchardt 1906, Finck 1907b, Schuchardt 1921). Die genannten Veröffentlichungen sind
offene Auseinandersetzungen mit den Positionen des jeweils anderen und
vervollständigen die eher "magere" Korrespondenz zu einem zwar spezifischen, doch
intensiv geführten fachlichen Disput.Netzwerk des Wissens der Netzwerkgedanke über die Textgattung Brief
hinaus auch auf Rezensionen und Essay-Veröffentlichungen ausgedehnt wird. Auch
Vorarbeiten zu Veröffentlichungen sind dabei von Interesse. In Bezug auf die hier
edierten Briefe sei denn auch angemerkt, dass sich im Schuchardt-Nachlass zwei
Werkmanuskripte befinden, die Schuchardts Auseinandersetzung mit Finck zum Inhalt
haben (29.2.14 "Anti-Finck, Ursatz" sowie 29.2.16 "Finck"). Eine Herausgabe dieser
ist angedacht.Der angeblich passivischen Charakter des transitiven
Verbs (1907b: 209-210) deutlich,
Der kurze Briefwechsel zwischen Schuchardt und Finck bleibt letztlich auf wenige
Themen beschränkt. Ein intensiver Kontakt besteht nur im Sommer 1902,Deutschen Sprachbau (1899) und seine Klassifikation der Sprachen (1901) rezensiert.
Anlässlich eines Aufenthalts in Wien ersucht Finck um eine Besuchsmöglichkeit in
Graz, um sich seinem Briefpartner persönlich vorzustellen.
Am Ende seiner Rezension geht Schuchardt kurz auch auf die sogenannte possessivische/nominale Interpretation
gewisser Verbkonstruktionen ein. Finck nehme an, dass etwa ägyptisch meh-a 'ich fülle' aufgrund der äußerlichen Ähnlichkeit mit
ägyptisch per-a 'mein Haus' als "Füllung-meine" aufzufassen
wäre (vgl. hierzu Finck 1901: 22). Schuchardt hingegen würde meh-a als "füll-ich-" und per-a als "Haus-ich-"
interpretieren. Hier deutet sich an, dass sich die eigentliche große
Auseinandersetzung zwischen Schuchardt und Finck um ihrer unterschiedlichen
Einschätzungen bestimmter Verbkonstruktionen drehen sollte. Die von Finck angedachte
offene Diskussion entspinnt sich dann auch aufgrund ihrer gegenteiligen Beurteilungen
von Transitivität und Passivität. Finck greift dabei mit seinem Aufsatz Der angeblich passivische Charakter des transitiven Verbs
(1907b) direkt Schuchardts Über den aktivischen und passivischen
Charakter des Transitivs (1906) an. Er widerspricht darin den von Schuchardt
bereits 1895 geäußerten Ansichten zum passiven Charakter des Transitivs in den
kaukasischen Sprachen (Schuchardt 1895). Schuchardt vertritt dort die Meinung, dass
in kaukasischen Sprachen, wie beispielsweise dem Georgischen, gleich wie im
Baskischen transitive Verben als passiv interpretiert werden sollten. Als
kennzeichnend für einen passiven Satz führt Schuchardt auf, dass das reale Subjekt im
sogenannten Aktivus stehe und das reale Objekt das unerweiterte Nomen sei (vgl.
Schuchardt 1906: 530). Daraus ergibt sich Schuchardts Interpretation der
Ergativkonstruktion als passiv. Das reale Objekt ist die Nominalphrase im Absolutiv
(in der Regel endungslos, d.h. das "unerweiterte Nomen" nach Schuchardt), das reale
Subjekt steht im Ergativ (im "Aktivus"), somit müsse das Verb als passiv aufgefasst
werden. Diese als "passivische Theorie" bekannt gewordene Annahme, die so manchem
modernen Linguisten "exzentrisch" vorkommen mag (vgl. Trask 2002: 274), wurde damals
von vielen Baskologen wie etwa auch von C. C. Uhlenbeck (1916) oder Henri Gavel
(1930) vertreten.Primitiae Linguae Vasconum (Schuchardt 1923) detailliert
zeigt.
Finck hingegen war ein Verfechter der "possessivischen Theorie". Er interpretiert das
Verb als einen Nominalstamm und das Subjekt als possessivisch. Georgisch m-dzul-s 'ich hasse' analysiert Finck deshalb beispielsweise
als "mir-Hass-ist" (vgl. Finck 1907b: 211), wohingegen Schuchardt "mir gehasst er
ist" annimmt (vgl. Schuchardt 1921: 652).
Bemerkenswert ist, dass sich diese Diskussion über Jahre hinzieht. Mit Possessivisch und passivisch (1921) veröffentlicht Schuchardt
noch elf Jahre nach Fincks Tod eine Antwort auf dessen Aufsatz von 1907. Es ist dies
jene Stellungnahme, nach der sich Finck in seiner letzten hier edierten Postkarte an
Schuchardt 1909 erkundigt.
Trotz der unterschiedlichen Standpunkte und des offen ausgetragenen Disputs zeugen
die Briefe von gegenseitiger Wertschätzung und Respekt.muss sich mit
Schuchardt auseinandersetzen (vgl. Brief 03-03036), ja vielleicht messen. Um schon im
Vorfeld ein wohlwollendes Klima für die Austragung der Meinungsverschiedenheit zu
schaffen, beruft sich Finck etwa in Brief 02-03035 auf die Diskussion Schuchardts mit
Gustav Meyer zur Frage einer internationalen Allgemeinsprache (Schuchardt 1894). Im
gleichen Brief führt Finck allerdings auch Stellen aus Schuchardts Kritik an Antoine
Thomas (Schuchardt 1902b) an und münzt sich quasi auf den Verfasser selbst. Wie der
Inhalt des nächsten Briefes vermuten lässt, dürfte Schuchardt dies nicht gerade
erfreut aufgenommen haben. Finck bemüht sich dann auch sogleich, seinen Briefpartner
wieder milde zu stimmen, indem er seine geplante Auseinandersetzung weniger als
Angriff, sondern mehr als Dank für Schuchardts Kritik
verstanden haben will.
Auch Schuchardt schätzt seinen jungen Kollegen und erkennt sein Talent und fachliches
Wissen. Dies zeigt sich nicht nur daran, dass Schuchardt (1921: 651) Finck etwa in
seinem Aufsatz einen "ausgezeichnete[n] Sprachforscher" nennt, sondern auch daran,
dass er ihm eine Photographie seines armenisch-georgischen Palimpsests schickt, wohl
mit der Bitte um Datierung des armenischen Ersttexts. Schuchardt hatte diesen
zusammen mit weiteren georgischen Handschriften 1897 erstanden und zeitgleich
georgische Kollegen davon in Kenntnis gesetzt (vgl. etwa den Brief des Armenologen
Grigor Khalatian im Schuchardt-Nachlass, ediert von Hödl 2014).Mittheilungen
aus georgischen Handschriften, wohl Ende des 19. Jahrhunderts verfasst und
posthum erschienen im Bulletin de l'Université de Tiflis
(Schuchardt 1928).
Es sind nur sieben Schreiben Fincks an Schuchardt erhalten. Sie werden im Nachlass des Adressaten in der Sondersammlung der Universitätsbibliothek Graz unter den Inventarnummern 03034 bis 03040 aufbewahrt. Es handelt sich um vier Briefe und drei Postkarten, welche durchgängig in sehr leserlicher Handschrift abgefasst sind. Drei Briefe stammen aus dem Jahr 1902, ein Brief und zwei Postkarten aus dem Jahr 1904 und eine letzte Postkarte ist mit Jänner 1909 datiert. Gemeinsam mit der Korrespondenz kam es auch zum Austausch von Schriften, wobei nicht immer ganz eindeutig eruiert werden konnte, um welche Arbeiten es sich handelte (s. die Anmerkungen in den Fußnoten der Briefabschrift).
Bei der Abschrift der Briefe wurde die Originalschreibweise des Verfassers beibehalten. Unterstrichenes wurde kursiv gesetzt und Seitenumbrüche mit senkrechten Strichen |Nr.| angegeben.
Leider ist es uns nicht gelungen, einen Nachlass Fincks zu lokalisieren bzw. Hinweise
auf den Verbleib seiner Korrespondenz zu finden. Interessant ist, dass seine
umfangreiche private Bibliothek bereits 1911, d.h. kurz nach seinem Tod, in die
Vereinigten Staaten verkauft wurde (vgl. die Notes der Linguistic Society of America in Language 1946: 269). Die über 2500 Bücher wurden gemeinsam mit etwa tausend
Zeitschriftenexemplaren von Frank SpringerArchaeological
Institute of America und spielte eine wichtige Rolle bei der Gründung der
School of American Archaeology in Santa Fe (New Mexico)
im Jahr 1916.Archaeological Institute
of America gespendet. 1934 wurde die Sammlung dann als ständige Leihgabe an
die University of Southern California verliehen, bis sie 1961
an die University of New Mexico in Albuquerque kam (s. eine
kurze Notiz in College and Research Libraries 1962: 526). Laut
der damaligen Berichte war diese Finck Library of comparative
linguistics mit ihrer eindrucksvollen Menge an Literatur zu den
unterschiedlichsten Sprachen der Welt wohl einzigartig in den USA zu dieser
Zeit.University of New Mexico vom 30. Juli 2014
mit Bitte um Auskunft, ob diese Finck Library noch besteht,
blieb bis zur Drucklegung unbeantwortet.
Die von Franz Nikolaus Finck an Hugo Schuchardt verschickten Briefe befinden sich in: