Das Hugo Schuchardt Archiv widmet sich der Aufarbeitung des Gesamtwerks und des Nachlasses von Hugo Schuchardt (1842-1927). Die Onlinepräsentation stellt alle Schriften sowie eine umfangreiche Sekundärbibliografie zur Verfügung. Die Bearbeitung des Nachlasses legt besonderes Augenmerk auf die Erschließung der Korrespondenz, die zu großen Teilen bereits ediert vorliegt, und der Werkmanuskripte.
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Die Korrespondenz zwischen Lucien Adam und Hugo Schuchardt wurde von Philipp Krämer bearbeitet, kommentiert und eingeleitet.
Ursprünglich Jurist, widmete sich Lucien Adam (1833-1918) umfangreich auch
sprachwissenschaftlichen Studien. Seine Aufmerksamkeit galt dabei vor allem den
indigenen Sprachen Amerikas und der Karibik (zum Werk Adams vgl. umfassend auch
Desmet 1996: 435ff.). Mit Hugo Schuchardt verbindet ihn allerdings mehr das Interesse
für Kreolsprachen, das in den Essai d’hybridologie
linguistique (Adam 1883) mündete. Darin formuliert Adam eine grundlegende
Theorie der Kreolisierung aus dem Vergleich der Kreolsprachen von
Französisch-Guayana, Trinidad und Mauritius. Er kommt zu dem Ergebnis, diese seien
als Hybride mit französischem Wortschatz und afrikanischer bzw. madagassischer
Grammatik anzusehen.
Obwohl Adam, wie viele Philologen des 19. Jahrhunderts, aus heutiger Sicht als ‚Quereinsteiger‘ gelten kann, gewann er durch Kontakte zu bedeutenden Persönlichkeiten der Sprach- und Textforschung und durch Publikationen in anerkannten Zeitschriften und Verlagen hohe Bekanntheit und Anerkennung (vgl. Adam 1881a, 1881b, 1882).
Adams Arbeitsstandort in Nancy könnte erklären, weshalb er mehr als andere Kreolisten
seiner Zeit auch deutschsprachige Werke nicht nur wahrnahm, sondern sie auch im
Original las und zitierte. Zwar war Nancy immer politisch wie kulturell in Richtung
Paris orientiert, doch die Grenzziehung in Lothringen nach 1871 und die damit
verbundene periphere Lage hinterließen offenbar auch in Adams Werk ihre Spuren. Nicht
zuletzt zeugt davon Adams Klage in seinem Brief an Schuchardt wie auch in seinem Essai, dass in der Bibliothek der Stadt viele Werke nicht
verfügbar oder schwer zu beschaffen seien.
Gegenbriefe Schuchardts an Adam sind soweit bekannt bisher nicht verfügbar.
Der Brief von Lucien Adam an Hugo Schuchardt ist vor einigen Jahren bereits einmal ediert und kommentiert worden (Desmet/Swiggers 1994). Die hier veröffentlichte Briefabschrift ist eine neu erstellte Version, die jedoch abgesehen von den editorischen Fußnoten keine Abweichungen zur Abschrift bei Desmet/Swiggers (1994) enthält. Die Schreibweise folgt dem Original ohne Korrekturen.
Adam stellt im Brief seine substratorientierte Hybridtheorie als wichtigstes Ergebnis
in den Vordergrund, diese wird aber auch in seinem kreolistischen Hauptwerk selbst
bestens deutlich (Adam 1883). Der Brief lieferte dahingehend Schuchardt also keine
neuen Informationen und auch für die Disziplingeschichte bietet er keine bisher
unbekannten Erkenntnisse zu Adams Vorstellung von Kreolisierung. Dennoch zeigt die
Erwähnung, dass Adam seine Erkenntnis für bedeutend hält. Sein Essai d’hybridologie linguistique ist nicht bloß ein zweitrangiges Produkt
neben seinen sonstigen fachlichen Interessen, sondern er sieht es als gewichtige
Publikation, von der er überzeugt ist und die er bekannt machen will. Bemerkenswert
ist dabei der Zeitpunkt des Briefes: Adam kündigt darin erst die Veröffentlichung des
Buches an, das er gerade vollendet hat. Vorher war Adam wohl noch nicht als Kreolist
in Erscheinung getreten, auch wenn er bereits philologische Arbeiten in anderen
Bereichen publiziert hatte. Lediglich geographisch gibt es mit Adams Arbeiten zu den
indigenen Sprachen der Karibik eine Überschneidung zu kreolophonen Gebieten, die aber
nicht unmittelbar darauf hindeuten muss, dass er schon dadurch als Kreolist
wahrgenommen wurde. Trotzdem hatte offenkundig Schuchardt vorher Adam angeschrieben,
denn dieser reagiert auf eine nicht näher zu klärende Bitte Schuchardts mit der
Antwort, er könne nur die Dokumente nennen, die er zur Verfügung habe (der
vorausgehende Brief von Schuchardt an Adam ist entweder nicht erhalten oder zumindest
bisher nicht editiert worden, vgl. hierzu auch Desmet/Swiggers 1994: 236).
Möglicherweise wusste Schuchardt um Adams Aufenthalt in Französisch-Guayana und
erhoffte sich Materialien oder Erfahrungsberichte, ohne von Adams kreolistischem
Projekt zu wissen. Es ist auch denkbar, dass Schuchardt über Dritte von Adams
Publikationsvorhaben erfahren hatte. Adam arbeitete beispielsweise mit Julien Vinson
zusammen, der ebenfalls mit Schuchardt korrespondierte. Aus dem Brief und Adams
Arbeit allein kann man jedoch nur schwer schließen, wie Schuchardt auf ihn als
Kreolist aufmerksam geworden sein könnte.
Obwohl Schuchardt also den Essai noch nicht gelesen haben
kann, schreibt er an Adam ganz eindeutig in dessen Eigenschaft als Kreolist, denn
alle Informationen in dem Brief sind ausschließlich mit diesem Fachbereich verbunden.
Für Schuchardt stehen zu dieser Zeit gerade die Kreolsprachen im Mittelpunkt des
Interesses, als er in den frühen 1880er Jahren beginnt dazu zu publizieren.
Vor allem interessiert sich Adam für eine umfassende Kreolisierungstheorie als
solche, also für die Frage, wie Kreolsprachen als Gesamtphänomen erfassbar sind.
Damit deckt sich Adams Projekt mit demjenigen Schuchardts, der ebenfalls
Sprachwandel- und Sprachkontaktphänomene in ihrer Gesamtheit begreifen möchte,
während die meisten anderen Kreolisten nur jeweils die einzelne, ihnen bekannte
Kreolsprache im Blick haben. Dass zu den teils sehr unterschiedlichen Standpunkten
Schuchardts und Adams beispielsweise zur Frage des Substrateinflusses kein
ausführlicher direkter Austausch zustande kommt, muss erstaunen. Immerhin hatte
Schuchardt kurze Zeit nach dem Erscheinen von Adams Buch eine Rezension geschrieben,
die durchaus Anlass für weitere Diskussionen hätte liefern können.
Die von Lucien Adam an Hugo Schuchardt verschickten Briefe befinden sich in: