Ernst Wilhelm Emil Hübner an Hugo Schuchardt (03-04895)

von Ernst Wilhelm Emil Hübner

an Hugo Schuchardt

Baden-Baden

11. 04. 1899

language Deutsch

Schlagwörter: Baskische Studienlanguage Altgriechischlanguage Lateinlanguage Iberischlanguage Baskischlanguage Keltische Sprachen Sare Asturien Spanien England Schuchardt, Hugo (1899) Giacomino, Claudio (1892)

Zitiervorschlag: Ernst Wilhelm Emil Hübner an Hugo Schuchardt (03-04895). Baden-Baden, 11. 04. 1899. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9921, abgerufen am 18. 04. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9921.


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Baden-Baden, Hotel
,Stadt Paris‘ 11/4 99

Hochgeehrter Herr Kollege, 1

Soeben erreicht mich Ihre freundliche Zusendung2: ich habe sie sogleich mit größtem Interesse angelesen, werde sie aber zu Haus erst gründlich durchnehmen können. Vielleicht gebe ich meinen spanischen Freunden einen Bericht darüber. Leider liegen die baskischen Studien ja ganz danieder: außer Ihnen und Vinson3 u. Giacomino 4- und allenfalls W. Webster 5in Sare kümmert sich Niemand darum. Ihre Kritik seiner Analyse der Inschrift von Castellon scheint mir höchst berechtigt:6 Form und Fundort machen es mir noch immer wahrscheinlich, daß es sich nur um sepulcrale Excavationen handeln kann, nach |2| Art der zahlreichen griechischen und lateinischen Täfelchen aus Blei. Vinson hat wohl Recht, wenn er sagt das Iberisch der Inschriften habe mit dem heutigen Baskisch nichts zu thun; die Iberer der Ostküste und Andalusiens können ja eine ganz andere Sprache gesprochen haben, wie die nördlichen Vasconen. Aber iberisch müssen alle diese Sprachen genannt werden; mit Keltischem haben sie, wie Zimmer versichert, 7noch weniger zu thun. Ich weiß nicht ob ich Ihnen die neuen iberischen Inschriften aus Asturien und Galicien geschickt habe, die ich in einem spanischen Aufsatz behandelt habe;8 wo nicht, soll es gleich nach meiner Rückkehr (Ende des Monats) geschehen.

Ich benutze die Gelegenheit um ein gutes Wort für den (katholischen) Iren Edward Spencer Dodgson 9einzulegen. Er ist ein ganz unmetho- |3| scher Querkopf, reist aber seit 5-6 Jahren durch ganz Spanien – er scheint mit seiner Familie in England wenig Beziehung zu haben – und ist im Winter meist in Biarritz. Er ist jetzt 40 alt; ich kenne ihn persönlich gar nicht, sondern nur durch die unermüdliche Korrespondenz, mit der er mich überschüttet. Aber ich bin ihm zu aufrichtigem Dank verpflichtet: er hat die entlegensten Orte besucht und mir die werthvollsten Mittheilungen gemacht. Sind nicht seine baskischen Textausgaben wenigstens nützliche Vorarbeiten? Er läßt jetzt eine Arbeit über das baskische Verbum auf seine Kosten drucken,10 weil es nicht möglich war, auch mir nicht, sie in irgend einer Zeitschrift unterzubringen. Ich möchte Ihre Theilnahme für ihn, trotz seiner auffälligen |4| Schwächen, erbitten; richtig geleitet, überhaupt und im Anschluß an wissenschaftliche Arbeiten anderer, könnte er, glaube ich, Nützliches wirken. Er ist oft der Verzweiflung nahe in der Isolierung, in der er sich zu seinem Schmerze befindet – Vinson ließ ihn, glaube ich, ganz fallen – und ich fürchte er geht in dieser Lage dem Loos vieler seiner irischen Landsleute entgegen. Ein ermunterndes Wort von Ihnen würde ihn hoch erfreuen; vielleicht hat er schon einmal mit Ihnen, wie mit aller Welt, ein unfreundliches Rencontre gehabt.

In größter Hochachtung

Ihr

E. Hübner


1 Zwischen diesem und dem letzten erhaltenen Brief liegen zwanzig Jahre. Möglicherweise sind Briefe verlorengegangen.

2 Schuchardt, „Zum Iberischen, Romano-baskischen, Ibero-romanischen“, Zeitschrift für romanische Philologie 23, 1899, 174-200.

3 Julien Vinson (1843-1926), franz. Baskologe; vgl. HSA 12444-12480.

4 Claudio Giacomino (?-1924), ital. Baskologe, Verf. von Delle relazioni tra il basco e l'antico egizio, Milano: Tip. Bernardoni di C. Rebeschini e C., 1891 (andere Angabe: Rendiconti del R. Istituto Lombardo 25, 1892, 1063-1077), von Schuchardt kritisch rezensiert.

5 Wentworth Webster (1828-1907), anglikanischer Geistlicher, Baskologe; vgl. HSA 12641-12695.

6 Schuchardt, „Zum Iberischen, Romano-baskischen, Ibero-romanischen“, Zeitschrift für romanische Philologie 23, 1899, 174-200.

7 Heinrich Zimmer (1851-1910), deutscher Keltologe u. Indologe; vgl. HSA 13048

8 Hübner, „Inscripciones ibéricas de Asturias“, Boletín de la Real Academia de la Historia, tomo 30, 1897, 225-246.

9 Edward Spencer Dodgson (1857-1922). Spencer war jedoch, soweit ersichtlich, kein Ire; zumindest wurde er in Woodford, Essex, geboren; vgl. Dodgson . Auch wurde kein Beleg gefunden, der ihn als Katholiken ausweist, doch ist eine Konversion nicht auszuschließen. - Vgl. des Weiteren HSA 04896.

10 Vermutlich: Dodgson, A Synopsis analytical and quotational of the 338 forms of the verb, used in the Epistle to the Hebrews, as found in the Baskish New Testament of Leiçarraga printed in 1571, at La Rochelle, Chalon-sur-Saône, 1910 .

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 04895)