Emil Fischer an Hugo Schuchardt (05-03047)

von Emil Fischer

an Hugo Schuchardt

Bukarest

17. 11. 1916

language Deutsch

Schlagwörter: language Aromunisch Dubrovnik Fischer, Emil (1911)

Zitiervorschlag: Emil Fischer an Hugo Schuchardt (05-03047). Bukarest, 17. 11. 1916. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2022). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9906, abgerufen am 25. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9906.


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Bukarest, 4. 17.11.1916.

Sehr geehrter Herr Professor!

Besten Dank für Ihre freundlichen Zeilen.

Wehmütig hat mich gestimmt, dass Sie sich von der Last des Alter’s gar zu sehr niederdrücken lassen. Was für ein fideler, fescher Privatdozent1 waren Sie doch (zusammen mit Gustav Meyer); wie oft habe ich Sie im Stadtpark, am Hilmteich |2| u. s. w. gesehen, hab’ ich doch auch in Graz studiert u. war bei K. B. Hofmann2 u. bei Blodig3 Assistent.

Ich wäre um ein Haar, damals schon, Ihr Schüler geworden, denn als ich den Dr Univ. Med. hatte, so liess ich mich auf der philos. Fakultät inscribieren, musste aber bald darauf in die aurea (?)4 praxis abgehen, weil ich zu arm war, um noch ein paar Jahre zu studieren. Meine „philosophischen” Passionen habe ich aber,|3| wie Sie wissen, auch später nicht aufgegeben.

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Nasture betreffend haben Sie mit Ihrer italienischen Vermutung vollkommen Recht. Die Genuesen sind ein Paar Jahrhunderte in der Krim, in Cetate Alba (Akkerman)5 u. in Chilia6 gesessen u. haben den Handel mit der Moldau bis Lemberg in der Hand gehabt.*) . Aber merkwürdig: gerade in der Moldau heisst der Knopf bumb u. nicht nasture. Dafür war Sofia im Mit-

*)Vgl. das Cap. Handel in meiner Deutschen Kulturarbeit7

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telalter voll von sprachkundigen Ragusanern u. es bestand ein reger Verkehr mit Ragusa selbst (Zolllegestelle in Gabela8), der durch walachische Tragtiere vermittelt wurde. Macedo vlax.9 heisst dementsprechend der Knopf nastur. Das scheint ein guter Wegweiser zu sein.

Prof. Hrosny’s Entdeckung10 hat mich ungeheuer tief berührt, bin ich doch auch diesem Rätsel nachgegangen ... freilich ohne sein Finderglück.

Ergebenst grüssend
Dr Emil Fischer


1 Da irrt Fischer: Schuchardt war in Graz nie Privatdozent, sondern wurde als Ordinarius berufen. Dies gilt auch für Meyer.

2 Keine Daten; es gab jedoch einen Entomologen dieses Namens, der im Jahr 1905 erwähnt wird.

3 Karl Blodig sen. (1859-1956), Prof. f. Augenheilkunde in Graz.

4 Das Fragezeichen soll wohl besagen, daß die Praxis nicht „vergoldet“ war, also keinen großen Gewinn abwarf.

5 Deutsch früher „Weißenburg“.

6 Ukrainisch Кілія; russisch Килия, rumänisch Chilia (Nouă).

7 Emil Fischer, Die Kulturarbeit des Deutschtums in Rumaenien: ein Versuch zur Grundleging ihrer Geschichte, Hermannstadt 1911.

8 Vgl. hier

9 Aromunisch“.

10 Friedrich (Bedřich) Hrozny (1879-1952), Prager Sprachwissenschaftler. Er entzifferte das Hethitische.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 03047)