Karl Engler an Hugo Schuchardt (12-02755)

von Karl Engler

an Hugo Schuchardt

Karlsruhe

22. 11. 1904

language Deutsch

Schlagwörter: Halle Frankreich Wales

Zitiervorschlag: Karl Engler an Hugo Schuchardt (12-02755). Karlsruhe, 22. 11. 1904. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2022). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9891, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9891.


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Karlsruhe d. 22. November 1904

Lieber Schuchardt!

Es war mir eine überaus große Freude, vor einiger Zeit durch die freundliche Intervention meines jungen Kollegen v. Zwiedineck1 in Besitz eines Bildes von Ihnen zu gelangen, besonders auch da ich aus den Linien & dem Ausdruck dieses offenbar vortrefflichen Conterfey’s zu ersehen glaube, daß Sie noch ganz der alte im Sinne des mir in so lieber Erinnerung stehenden jugendlichen Schuchardt von Halle sind: Feind der Philister & „Reserveoffiziere“, der Mucker & Mucken, nach denen Sie – suum cuique – so gerne um sich schlugen. |2| Da Herr v. Zwiedineck noch in liebenswürdiger Weise Fehlendes ergänzte, kann ich mir nun wieder lebhaft vorstellen, wie Sie in Graz herumwandeln; älter als in Halle, aber noch ebenso unternehmend und unabhängig, bei etwas Hypochondrie doch immer lebensfroh & schaffensfreudig (hierüber siehe auch Allg. Zeitung).

Von den Hallenser Freunden unserer Zeit sind wenige mehr übrig geblieben: Nasse2, Steudener, Würcker3 u. viele andere sind nicht mehr: der arme Maz4, den Sie durch Ihre Abschiedstischrede zur Verzweiflung & zum Steckenbleiben brachten ist als erster gegangen & in seinen eigenen ??zug gestiegen. Sie erinnern sich doch noch? – Der alte Rosenberg5 vollbrachte an jenem Abend die größte That seines Lebens. – |3| Schade, arg schade, daß man die Wenigen, die übrig geblieben sind aus jener Sturm- und Drangzeit, nicht hin & wieder in leibhaftiger Wirklichkeit sehen & sprechen, mit ihnen der schönen alten Zeiten gedenken kann. Aber ich will vorerst zufrieden sein mit Ihrem Bilde, gebe aber die Hoffnung nicht auf, Sie, so lange ich noch unter den Lebenden wandle, noch einmal begrüßen & Ihnen die Hand drücken zu können! – Kommen Sie doch einmal ins Rheintal, auch hier haben früher die Kelten gehaust & vielleicht machen Sie dabei ebenso schöne Wahrnehmungen wie in Frankreich, Wales & wo sonst Sie gewesen sind. – Ein mückenfreies Gastzimmer steht Ihnen in meinem Hause stets zur Verfügung. Zeigen kann ich Ihnen darin außer meiner |4| Frau noch zwei ledige Töchter, einen Sohn, falls er gerade in Karlsruhe ist & eine verheiratete Tochter mit Sohn (bis jetzt mein einziger Enkel),6 die uns oft besucht. – Anbei das Bild7 des pater familias, der sich – on dit – in die Richtung des Grisgrams nicht unerheblich entwickelt haben soll, der aber seine heitersten Register zieht, wenn er mit alten Bekannten früherer Zeiten gedenkt. Also, riskiren Sie’s einmal & kommen Sie! –

Für heut aber herzlichen Gruß & Handschlag

Ihr altergebener

C. Engler

Darf ich Sie bitten, gelegentlich Herrn v. Zwiedineck-Vater8 von mir zu grüßen?


1 Otto Wilhelm Helmut Zwiedineck Edler von Südenhorst (1871-1956), aus Graz stammender Nationalökonom und Wirtschaftswissenschaflter, seit 1903 o. Prof. für Volkswirtschaftslehre in Karlsruhe.

2 Otto Nasse (1839-1903), Prof. f. Geburtshilfe, Pharmakologie u. physiologische Chemie, später in Rostock.

3 Kein Nachweis, nicht identifiziert.

4 Nicht identifiziert; der Archäologe Friedrich Matz (1843-1874) kommt wegen der Lebensdaten nicht in Frage.

5 Vermutlich ist gem. (Otto) August Rosenberger (1800-1890), Astronom.

6 Seine Kinder sind: Getrud Magdalene Luise (*1879), Wilhelm Adolph Walter (1880-1958), Margarethe Adelheid Amalie Martha (*1882), Gunhilde Frieda Wilhelmine Hedwig (*1884), verh. Albrecht.

7 Nicht beigefügt.

8 Hans [Johann Alois] von Zwiedineck (1845-1906), österr. Historiker aus Graz; HSA 13163-13168.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 02755)