Hugo Schuchardt Archiv

Theningen in Baden¹ d. 27 Dez. 76.

Lieber Schuchardt!

Sie waren so lange krank & sind dann plötzlich ein so stiller Mann geworden, daß ich mich manchmal besinnen muß, ob Sie noch leben. Es hat vor einem halben Jahre Zeiten gegeben, in welchen ich mich beunruhigt fühlte, wenn ich nicht allwöchentlich eine Nachricht von Ihnen hatte, jetzt neigt sich das Jahr seinem Ende zu & ich weiß nur, daß Sie gen Süden gezogen weiß nicht ob Sie gesund geblieben, ob untreu oder todt. Nehmen Sie deßhalb doch noch einmal den Griffel zur Hand & schreiben Sie mir wenn auch nur in lakonischer Kürze:

a. Wie es mit Ihrer Gesundheit steht,

b. Ob Sie sich in Ihrer amtlichen Stellung,

c. ob auch in geselliger Beziehung in Graz wohler fühlen als in Halle oder ob Sie

d. es bereuen, von Halle weggegangen zu sein.

Ich setze voraus, daß man in Halle über Ihr Befinden einigermaßen orientiert ist; meine Verbindungen mit dort sind aber so schwach, daß ich in der That seit Ihrem letzten Brief aus Nassau absolut nichts mehr von Ihnen vernommen habe. Auffallend ist mir, daß selbst Frau Schlieckmann nicht eine einzige Bemerkung Sie betreffend gemacht hat! - - - Sollten Sie beschlossen haben, sich hermetisch abzuschließen? Diesenfalls bitte ich in Anbetracht der Angst, die ich um Sie ausgestanden, wenigstens noch um Beantwortung der vier Punkte a. b. c. d. ehe Sie sich ganz eingepuppt haben.

Vom 1. Januar an bin ich wieder in Carlsruhe, woselbst ich den 1. Oktober aufgezogen bin. Es ging bis jetzt recht still her, zwei Abendgesellschaften & ungemischter Kaffe (nicht melange, |3| sondern Kaffe mit Eis & Damen, wobei das Eis jedoch überflüssig war) sind meine gesammten Ausschweifungen. Sonst entsetzlich viel Gutachten für die hohe Regierung, Einrichten des Laboratoriums & anderer unerquicklicher Leistungen.

Mit meinen besten Wünschen für’s neue Jahr bin ich mit herzlichem Gruß

Ihr getreuer

C. Engler