Karl Engler an Hugo Schuchardt (07-02750)

von Karl Engler

an Hugo Schuchardt

Halle

28. 07. 1876

language Deutsch

Schlagwörter: Bismarck, Otto von Halle Schweiz Graz Baumann, Johannes (1930)

Zitiervorschlag: Karl Engler an Hugo Schuchardt (07-02750). Halle, 28. 07. 1876. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2022). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9886, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9886.


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Halle d. 28 July 76.

Lieber Schuchardt!

Das hat diesmal recht lange gedauert, bis ich zum Antworten kam & hoffentlich werden Sie mir nicht gram darob geworden sein; ich will mich dafür bemühen Ihnen, wie ich das auch immer beabsichtigt & deshalb verschoben hatte, ausführlich zu berichten. Kraus1 habe ich Ihre Sehnsucht, einen Ihrer Bekannten in Nassau zu sehen, mitgetheilt; er scheint große Lust zu haben, Sie aufzusuchen. Bis wann bleiben Sie noch? Vor Mitte August wird Kraus nicht von hier fortkommen & bei mir wird’s Ende August werden. Sollten |2| Sie zu der Zeit noch da sein, so reise ich gerne über Nassau, um Sie nochmals im Deutschen Reiche zu begrüßen. – Hat Sie der Anblick der Stein-Natur noch nicht mit Schmerz erfüllt darüber daß Sie Ihr großes Vaterland verlassen müssen? Doch Sie waren ja nie der große Patriot, mehr Internationaler! - -

Für Ihre hiesige Stelle sind 3 vorgeschlagen, von welchen mir nur der Name Förster in Prag2 geblieben ist. Dieser ist mit einem Manne in Münster in gleicher Linie vorgeschlagen, was man thut, weil man glaubt, der Minister wolle Förstern nach Bonn haben. In 3r Linie ist ein Schulmeister aus Dresden in Vorschlag gebracht, der meiner Ansicht nach hieherkommen wird. Die Sache wird wohl folgendermaßen endigen: Förster geht nach Bonn, was man ihm|3| nicht verdenken kann, wenn er die Wahl zwischen Bonn & Halle hat, der „Münsteraner“ wird vom Minister in Münster gelassen; der „Dresdener“ wird gerufen und kommt.3

Sie wollen wissen, was mit Tschischwitz los war.4 Ich habe die Geschichte folgendermaßen gelesen: T. geht in Zürich in einen Cigarrenladen & hört während er daselbst Cigarren erhandelt, einen Druckerlehrling über den Druck der Armini’schen Broschüre sprechen. Armini ist wegen dieser Broschüre5 des Landesverraths angeklagt, es fehlt aber an greifbaren Beweisen, daß er sie auch wirklich geschrieben. T. setzt sich mit dem Jungen in Verbindung & setzt sich in Besitz eines Stückes des von Arminius geschriebenen Manuscripts, berichtet nach Berlin, reist selbst dahin & verschafft auch dem Lehrling Reisegeld (man glaubt aus dem Auswärtigen Amt), damit er nach Berlin reisen kann, um dort Zeugniß abzulegen. So berichten die Zeitungen. |4| Darob entsteht großes Wutgeheul in den Schweizer Zeitungen, das sich noch verstärkt, nachdem T. es versucht, sich in einer ungeschickten Erklärung zu vertheidigen. Darin giebt er alles zu, was er gethan, stellt sich aber auf den Standpunkt des preußisch-deutschen Patrioten, der auch im Ausland verpflichtet sei, seinem Vaterlande beizustehen. Darob verstärktes Wutgebrüll, denn die Preußen sammt Bismarck sind in der Schweiz noch immer recht verhaßt, Katzenmusik, Disziplinaruntersuchung u. so fort. Ob er aufgefordert wurde, seine Stelle zu quittiren, weiß ich nicht. Boratius, der in Z. noch bekannt ist, zweifelt an der Möglichkeit. Die Angelegenheit macht für T. im Großen und Ganzen keinen günstigen Eindruck & seine früheren Collegen vom hiesigen Gymnasium behaupten – oder reden auch die Schweizer schön – er sei von Bismarck gekauft. – Wird nun aber jedenfalls bald einen Ruf nach Preußen erhalten.

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Nun aber nach Halle. Personalnachrichten: Steudener6 ist Ordinarius für Histologie geworden & wird Director des einen Theils der Anatomie. Brieger7 geht zum Herbst als Ordinarius nach Marburg, v. Liebenberg8 als Extraordinarius für Landwirthschaft nach Königsberg. Daß Schuchardt nach Graz geht, stand gestern Abend wiederholt in der Hallischen Zeitung. Sehr vielfach werden übrigens die Hallischen Blätter durch einen gewissen Dr. Schum-Gören9 in Anspruch genommen. Hören Sie! Der gute Mann macht eine Eingabe an den Minister, worin er um die Erlaubniß bittet, die alte Erfurter Bibliothek einmal durchzumustern; der Minister läßt ihm etwa antworten: „Geh Du nur immer hin“! - - Darauf große Artikel in der Hallischen Moniteuren: „Herr Dr. Schum hat den höchst ehrenvollen |6| Auftrag von Sr. Excellenz dem Minister für geistliche, Unterrichts & Medicinal-Angelegenheiten erhalten, die Bibliothek zu Erfurt einer gründlichen Revision zu unterwerfen. Herr Dr. Schum wird diesem Auftrag nachkommen, ohne jedoch seine Vorlesungen darunter leiden zu lassen‘, da er sich erst zu Anfang der Sommerferien an Ort und Stelle begeben wird etc. etc. Noch zweimal figurierte er in den Blättern; einmal als Italienreisender, das zweite Mal als hervorragender Gast bei einem Fridericianum-Gartenfest.

Scheidemann‘s10 habe ich Ihre Grüße ausgerichtet: ich glaube einige wenige Zeilen von Ihnen würden sie sehr freuen. Sie verdienen’s in der That durch Ihre Theilnahme für Sie. – Vor einigen Tagen war große photographische Aufnahme der Frühschoppengesellschaft im Garten. |7|Das Bild ist, da wir entsetzlich lachen mußten, recht schlecht ausgefallen. Am Besten ist noch Tiedemann11 (im Profil) geworden, der hat wenigstens ganz still gehalten, sieht aber auffallend aus wie ein Pinscher, dem man ein Stück Wurst vor die Nase legt & einstweilen noch verbietet zuzuschnappen. – Nächstens werde ich mit Schlieckmanns wieder eine kleine Huepfgeige12 machen: ob Oelkopf Kraus13 mitgeht, weiß ich noch nicht.

Die kleine B. habe ich lange nicht gesehen, sie wurde von ihrem Mann zu Verwandten bei Nordhausen geschickt & das ist dann doch etwas zu weit. – Wie geht es denn bei Ihnen? Haben Sie wieder Ersatz für die Holländerinnen gefunden? Oder behelfen Sie sich noch weiter mit Skat, Billard u. s. w.?

Uebrigens muß ich Ihnen doch auch |8| noch mittheilen, daß man hier nachträglich herausgebracht hat, daß Sie in Wien schon vor längerer Zeit zugesagt hatten.14 Wie das herumgekommen sein mag, weiß ich nicht, wenn aber Dümmler15 neben dem ich letzten Sommer beim Diner (Boretius)16 saß, interpellierte mich darüber. Ist es vielleicht von Graz aus hiehergedrungen? Nun, Sie lassen sich aber keine grauen Haare darob wachsen; besser aber ists, daß sie’s wissen, wenn Sie nach Halle kommen. Wann etwa wollen Sie kommen?

Gestern Mittag war großes Volkman[n]’s17 Fest; der alte Herr feyerte sein 50jähriges Dienstjubiläum. Deshalb heute großer Kater. Heute Abend geben mir die jetzigen & früheren Practicanten des Laborator einen Kommers. Scheußlich, so etwas, war aber als fait accompli bei der Einladung nicht mehr zu ändern. Sonntag Steudener-Feyer18. Sie sehen, s’Geschäft blüht & vor 8 Tagen ist wenig Aussicht, aus dem Kater herauszukommen. Dann aber wird geschlossen trotz eines ganz eckligen Rüffels, den diesmal speciell Halle wegen zu frühen Schließens erhalten hat. Die Leute sind sehr wild darüber & die Senatoren nicken sich bedeutungsvoll mit den Köpfen zu, wenn davon gesprochen wird. Sie wollen antworten.

Herzliche Grüße von Ihrem

Engler


1 Gregor Kraus (1841-1915), deutscher Botaniker und Pflanzenökologe; vgl. HSA 05769-05774.

2 Wendelin Foerster (1844-1915), deutsch-österr. Romanist; er lehrte in Wien, Prag und Bonn.

3 Der „Münsteraner“ – Hermann Suchier (1848-1914) – wurde in der Tat Schuchardts Nachfolger.

4 Benno Tschischwitz (1828-um 1890), kurze Zeit Anglist in Halle, dann am Polytechnikum in Zürich, wo er es jedoch nur zwei Jahre lang aushielt.

5 Titel nicht identifiziert.

6 Friedrich Steudener (1839-1880); 1874 wurde zum außerordentlichen Professor für pathologische Anatomie und 1876 zum ordentlichen Professor ernannt. Gemeinsam mit Hermann Welcker leitete er das anatomische Institut.

7 Theodor Brieger (1842-1915), Prof. f. Kirchengeschichte, von 1873 bis 76 in Halle a. S.

8 Adolf Ritter von Liebenberg und von Zsittin (1851-1922), Prof. f. Chemie und Landwirtschaft. Er verließ Königsberg jedoch schon 1878 und nahm einen Ruf nach Wien an.

9 Wilhelm Schum (1846-1892), histor. Mediävist in Halle. Vgl. Johannes Baumann, „Wilhelm Schum“, Mitteldeutsche Lebensbilder 5, 1930, 520-537. – „Da Schum als Privatdozent nur Vorlesungshonorare erhielt, akzeptierte er bereitwillig zahlreiche Aufträge, um Aktenverzeichnisse und Handschriftenkataloge in der Provinz Sachsen zu erstellen. Mehrere Jahre nahm ihn dabei die Abfassung eines »beschreibenden Verzeichnises« der Amplonianischen Handschriftensammlung in Erfurt in Anspruch, das 1887 erschien“ (vgl. auch hier).

10 Lesart unsicher; nicht identifiziert.

11 Ludwig von Tiedemann (1841-1908), Universitätsarchitekt in Halle.

12 Tanzveranstaltung??

13 Gregor Kraus (1841-1915), Ordinarius für Botanik in Halle u. Leiter des botanischen Gartens; 1891 Rektor, später Rufannahme nach Würzburg.

14 Vgl. die Berufungsakte Graz

15 Ernst Dümmler (1830-1902), Prof. f. Geschichte und histor. Hilfswissenschaften in Halle a. S.

16 Alfred Edwin Boretius (1836-1890), deutscher Rechtshistoriker.

17 Alfred Wilhelm Volkmann (1801-1877), deutscher Physiologe und Anatom.

18 Friedrich Steudener (1839-1880); 1874 wurde zum außerordentlichen Professor für pathologische Anatomie und 1876 zum ordentlichen Professor ernannt. Gemeinsam mit Hermann Welcker leitete er das anatomische Institut.

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