Karl Engler an Hugo Schuchardt (05-02748)
von Karl Engler
an Hugo Schuchardt
24. 06. 1876
Deutsch
Zitiervorschlag: Karl Engler an Hugo Schuchardt (05-02748). Halle, 24. 06. 1876. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2022). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9884, abgerufen am 05. 10. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9884.
Halle d. 24. Juni 76
Lieber Schuchardt!
Einer Lawine gleich, die von hohem Bergeskegel nach allen Seiten sich verbreitend Verderben & Vernichtung in sämmtliche darunter befindlichen Thäler schleudert, so wälzte sich neulich nach Eintreffen Ihres Entlassungsgesuches vom Curatorium aus das dumpfe Gerücht Ihres Wegganges von hier durch die Straßen der Stadt & trug Erstaunen & Betrübniß in viele Häuser & Familien. Schum1 war der |2| erste, der beim Mittagstisch aus dem Sprechzimmer der Universität die authentische Mittheilung brachte, daß Sie weggingen. Mit den Äußerungen (Sie wollten sie ja wissen), die bei dieser Gelegenheit gemacht wurden, können Sie zufrieden sein: allgemeines Bedauern. Nur ein Neuling erlaubte sich die Bemerkung „ach so deßhalb hat er sich schon so lange ums Lesen gedrückt“. Der Mann wurde gelyncht, wenigstens moralisch, wie er’s verdiente. Im Uebrigen wurden Sie von den Collegen, die ich bis jetzt gesprochen, viel mehr ob Ihres Leidens bedauert als ich dachte, & die meisten sprachen die Hoffnung aus, das Klima in Graz möge Ihnen besser bekommen als das von Halle. |3| Damen habe ich noch wenige über das Ereigniß gesprochen. Frau Knoblauch2 meinte „ich gönn‘ es ihm, er hat sich in Halle doch nicht wohl gefühlt“ etc. etc. Sehr erstaunt & in der That betrübt über die Nachricht war Frau Schlieckmann3; sie äußerte ziemlich unverhohlen, daß sie gerade den Weggang von „uns zwei beiden“ am meisten bedauerte, ob den Ihrigen mehr als den meinigen4 oder umgekehrt, brachte ich nicht heraus, ich hoffe aber das letztere. Letzten Sonnabend war ich mit Schlieckmanns (Mann, Frau & Maus) der zweiten Gräfe5 (Maus‘ Freundin) & Kraus im Harz (Thale, Victorshöhe6 , Mägdesprung7 ). Auch diese Reise war recht schön, aber in anderer Weise als die vorhergehende! – Schlieckmann hat sich ungewont rasch erholt. Auch Nasse8 , dem besonders Mägdesprung9 gut bekommen ist, befindet sich wohl; er war über Pfingsten 8 Tage dort. |4| Kraus hat noch immer seinen Oelkopf10; ich habe ihn, seit wir von der Harztour zurück sind, nicht wieder gesehen, da er bei Tisch fortwährend fehlt. Ich lasse ihn in vielen Fällen immer schieße11, da mein Humor gerade nur für mich selbst ausreicht, & wenn ich jemanden bedauern will, so habe ich im Grunde genommen nur selbst immer das beste Object.12
Daß es Ihnen in Nassau etwas besser geht, ist ja recht erfreulich; hoffentlich geht es so weiter. Ein besonders gutes Zeichen ist offenbar das Wiedererwachen des Ihnen angeborenen Hanges zum Courschneiden13, Poussiren14 etc. Fahren Sie so fort! –
Beifolgende Quittung sollen Sie unterschreiben & mir zusenden, der Rechnungsrath wird mir den 1. Juli Ihren Mammon ausbezahlen & ich werde dann die Angelegenheit sofort nach Ihrem Befehl erledigen. Kann ich Ihnen sonst in irgend einer Weise dienlich sein, bitte so wenden Sie sich ohne Weiteres an mich, ich stehe mit Vergnügen zur Disposition. Lassen Sie bald wieder ein Lebenszeichen von sich hören.
Herzl. Gruß von Ihrem
CEngler
1 Wilhelm Schum (1846-1892), histor. Mediävist in Halle.
2 Ehefrau des Physikes Hermann Knoblauch.
3 Clara von Schlieckmann, Frau von Albrecht Heinrich Carl Schlieckmann (1835-1891).
4 Rufannahme Englers nach Karlsruhe (s. o. Einleitung).
5 Vermutlich zweite Ehefrau des Mediziners Alfred von Graefe (1830-1899).
6 Heutige Schreibung: „Viktorshöhe“.
7 Ortsteil der Stadt Harzgerode.
8 Otto Nasse (1839-1903), Prof. f. Geburtshilfe, Pharmakologie u. physiologische Chemie, später in Rostock.
9 Heute Ortsteil der Stadt Harzgerode im Landkreis Harz in Sachsen-Anhalt.
10 Vgl. Brief 02745.
11 Sinn unklar!.
12 Sinn unklar!
13 „den Hof machen“.
14 „umschmeicheln, umwerben, Komplimente machen“.