Theodor Gartner an Hugo Schuchardt (151-3498)

von Theodor Gartner

an Hugo Schuchardt

Bozen

07. 11. 1911

language Deutsch

Schlagwörter: language Ruthenisch Farinelli, Arturo

Zitiervorschlag: Theodor Gartner an Hugo Schuchardt (151-3498). Bozen, 07. 11. 1911. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2018). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9608, abgerufen am 17. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9608.


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Verehrter Freund!

Ein Lebenszeichen von Ihnen hatte ich schon recht herbeigesehnt, ich danke Ihnen innig dafür. Ich wußte nicht, wie Sie sich der ungewöhnlichen Hitze gegenüber verhalten mochten. Am ehesten hätte ich darauf geraten, daß Sie plötzlich aus einem nördlichen Wasser mit einer Postkarte auftauchen. Und nun vernehme ich, daß Sie daran dachten, nach Südtirol zu reisen, freilich erst im Oktober. Hoffentlich führen Sie diesen schönen |2| Vorsatz wenigstens im März oder April aus, wo so viele Nordländer herkommen, um sich ein wenig zu sonnen. Nach Graz zieht mich natürlich nicht die Sonne und nicht die Kühle, ich kann zu jeder Zeit hinfahren; aber das ist gerade die Gefahr, daß ichs verschieben kann.

Mich drücken auch ein paar Arbeiten. Jetzt stecke ich seit einigen Wochen im Ruthenischen: wir wollen nun endlich eine wiss. Grammatik heraus kriegen.

Mein Sohn hat, wie Sie wissen, im Juli den Rappel bekommen, französisch zu lernen – nachdem er |3| seit Jahren alles vergessen hatte, was er davon als Kind gelernt hatte. Er hat kaum 6 Wochen in Grenoble zugebracht, er hat aber wirklich mehr profitiert, als ich erwartet hatte. Nebenbei hat er auch eine Ski-Tour (mit einem jungen Doktor von Innsbruck) mitgemacht und viele Aufnahmen von dort mitgebracht. Jetzt fixiert und kopiert er hier tagelang in unserer Dunkelkammer! Habeat sibi! Wie einfach und glatt floß doch meine Studentenzeit hin, obwohl auch ich teils Chemiker, teils Linguist war.

Der Raubzug der Italiener1 hat auch mich entsetzt, und ich habe zu meinen Leuten gesagt: Man wird sich bald schämen müssen, ein Europäer zu sein. |4| Ich kann mir denken, wie die Afrikaner über uns schreiben mögen. Zuerst die Franzosen, dann die Spanier, dann die Deutschen u. nun auch die Italiener! Und im Grunde ist’s nur Habsucht und Herrschsucht.

Am 16. wird Farinelli durch Bozen fahren u. sich hier ein paar Stunden aufhalten; ich weiß noch nicht, ob mit oder ohne Familie.

Diese Tage habe ich hier mit meinem Nachfolger gesprochen.2 Ernannt ist er noch nicht, aber er hat schon eine Wohnung, nämlich auf der Hungerburg.3

Seien Sie recht herzlich gegrüßt

von Ihrem treuen

Gartner
Bozen, 7. Nov. 11
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1 Diese eroberten 1911 Tripolitanien und Cyrenaika.

2 Karl von Ettmayer.

3 Stadtteil von Innsbruck.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 3498)