Theodor Gartner an Hugo Schuchardt (148-3495)
von Theodor Gartner
an Hugo Schuchardt
27. 05. 1911
Deutsch
Zitiervorschlag: Theodor Gartner an Hugo Schuchardt (148-3495). Bozen, 27. 05. 1911. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2018). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9605, abgerufen am 11. 12. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9605.
Verehrter Freund!
Schon lange warte ich auf einen Anlaß, Sie um ein Lebenszeichen zu bitten. Nun schreibt mir mein Sohn,1 daß ihn ein glücklicher Zufall mit Ihnen zusammengeführt hat und Sie mich durch ihn grüßen lassen. Ich danke Ihnen bestens dafür und freue mich, Sie wohlauf zu wissen. Ich bin eben im Begriff, (Montag) auf eine Woche nach Innsbruck zu fahren (Grauer Bär),2 um dort noch einmal die |2| Lehramtsprüfungen in Ital. u. Frz. abzuhalten und in der Bibliothek nachzulesen. Anfang Juli kehre ich an meinen Ruhesitz zurück.
Mein Sohn schlägt in die Familie meiner Frau, wie Sie sich bei dessen Anblick gedacht haben werden, aber in manchen Stücken gleicht er mir ganz, z. B. darin, daß er in den höheren Klassen des Gymnasiums mit seinen Lehrern, besonders den Geistlichen auf schlechtem Fuß stand,3 und darin, daß er als junger Mensch so unorientiert und fremd in die |3| menschliche Gesellschaft kommt, als wenn er in den Schwarzen Bergen aufgewachsen wäre. Diese Unbildung und zumteil Rückbildung kommt von der tirolischen Alpenfexer4 Wildheit u. Abgeschlossenheit. Wir Eltern waren froh, daß ihn seine Wahl des Fachstudiums von Innsbruck wegriß.
Seien Sie recht herzlich gegrüßt von Ihrem
treuen
Gartner
Bozen, 27. Mai 1911.
1 Erich Gartner (1889-1962), Dr. Ing. TH Graz, Promotion 1920
2 Innsbrucker Traditionshotel mit über 550 Jahren dokumentierter Hotelgeschichte.
3 Gartner trat (um 1911) selber aus Ärger über die Katholische Kirche aus und wechselte zur protestantischen.
4 Süddt. u. österr. Ausdruck: jemand, der von den Alpen begeistert ist