Johann Gottlieb Christaller an Hugo Schuchardt (05-01621)

von Johann Gottlieb Christaller

an Hugo Schuchardt

Schorndorf

13. 06. 1883

language Deutsch

Schlagwörter: language Hausalanguage Türkischlanguage Englischlanguage Bantu-Sprachen Goldie, Hugh (1870) Koelle, Sigismund Wilhelm (1854) Crowther, S. A. (1882) Köler, Hermann (1848) Burton, Richard (1865) Burton, R./Cameron, V. (1883) Oldendorp, Christian Georg Andreas (1767–1768) Christaller, Johann Gottlieb (1879) Schuchardt, Hugo (1883)

Zitiervorschlag: Johann Gottlieb Christaller an Hugo Schuchardt (05-01621). Schorndorf, 13. 06. 1883. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2022). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9577, abgerufen am 04. 10. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9577.


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Schorndorf, 13/6 1883.

Hochgeehrter Herr,

Mein Aufenthalt in London u. bei Miss. Schön1 unweit Chatham dauerte fast 3 Wochen war aber doch zu kurz. Statt Briefe dorthin zu schreiben, beantworte ich heute Ihre Post vom 8 resp. 10/6. Nirgends in Afrika scheint mir das Sprachengewirr größer zu sein als unter den „Moko“-Negern zwischen Niger u. Old Calabar u. Cameroons. Ich erschließe das aus Goldie’s Efic. Dictionary 18622 p. XLII seq., Kölle‘s Polyglotta Afr.3, ecc. Von letzterem Buch (Trübners Catalogue hat irrig Koehle ..)4 hat die Church Miss. Soc. noch einen ansehnl. Vorrat. Dr. Kölle, der in Constantinopel ein guter Kenner u. Bearbeiter des Türkischen geworden ist, wohnt jetzt in London. - Goldie’s Efik Dict. (pp. 643, außer 50 Seiten Einleitung incl. Principles of Efic Grammar) wird nicht so teuer sein, aber da ich e. Ex. habe (welches ich nicht missen kann) so würde ich um so eher die Missionsbibliothek in Basel ihr Ex. Ihnen leihen können. Falls Sie das wünschen, könnte ich es Anf. Juli in Basel besorgen. Die schottischen Missionare haben, teils auf ihrer Missionspresse, teils in Schottland, über 70 Publicationen in Efik erscheinen lassen, darunter Principles of Efik Grammar, 2d ed. 1868 pp. 105. Daß Trübners Catalogue of Dict.ies & Grammars, 1882, nicht einmal den Namen Efik hat, ist freil. e. Mangel. In Idso u. Obane (Bonny). In Isnama Ibo in Iagara u. Igbira u. in Nupe sind verschiedene Primers gedruckt worden, in Ibo 1882 ein Vocabulary von Bishop Crowther pp. 109 (English-Ibo pp. 90. 1883)5. Köler’s Notizen über Bonny6 kenne ich nicht näher; viel Sprachliches enthalten sie jedenfalls nicht. In der westindischen Geheimsprache ist wahrscheinlich viel selbsterfundenes, das nicht aus bestehenden Sprachen entlehnt ist. Ein Kaufmann am Ausfluß des Volta sagte mir, wenn die Neger dort wissen, daß ein zuhörender Europäer ihre Sprache verstehe, so reden sie flugs in einer anderen Nachbarsprache, die er nicht versteht. In Yoruba kehren sie die Wortfolge um (3, 2, 1, statt 1, 2, 3), um sich einem Dritten unverständlich zu machen. Die Schatzkammern von Burton’s Wit & Wisdom7 kenn ich nicht, habe nur Burton & Cameron’s „To the Gold Coast“8. Am Niger u. in dessen Delta (am Nun, New Calebar, Bony) sind fast nur schwarze Missionare; von ihnen werden Sie nicht viel erfahren können; auch europ. Missionare u. Kaufleute sind eben stets für ihre Kräfte vollauf beschäftigt.|2| Durch Miss. Stottmann9 in Christiansborg, resp. 2 jüngere Kaufleute hoffte ich etwas von den Portugiesen in Akra zu bekommen, es verlautete aber bis jetzt nichts. Der (schwarze) Archidiakon Johnson10 (in Lokoja) wurde mir mehrfach als sehr tüchtig gerühmt; er soll Lust haben, auch Deutschland zu besuchen.

Odendorps Sprachproben bes. der Zalwörter11 gehören, auch Kölle’s Polyglotta12 u. andere Kriterien zu folgenden Sprachen:

Fala – Falfalde

Jalunkan – Mande

Kanga x Gien – Kru

Amina, Akina, Akripon – Tiwi

Akkran – Akra od. Gã

Tambi – Adańme

Tembu – Kaurę Kiamba (Kölle IV B 2.3.)

Kasenti (Tyemba) – Gurama

Sokko – Mande

Papaa / Watje – Eyé (Dahome Sprache)

Wawu a) – d°

b) – unbestimmt

Karabari / Ibo } stimmen zu den Ibo-Dialekten von

Ismama u. Isiēle. Der New Calabar River (e. Nigerarm) mündet westl. vom Bonuz.

Moko – ‘Anan (westl. v. Bony) = Kalaba, u. Efik Kölle bezieht den Namen Moko auf Stüma östlich davon; es scheint daß dieser in Sierra Leone für verschied. Stämme gebrauchte Name einen unbestimmten Umfang hat

Loango, Kamba, Mandongo, Kongo } Bantu Sprachen

Manche od. alle, die man Aku, Ibo, Kalabar, Atam, Moko Neger nennt, nennen sich selbst nicht so; fast jedes Volk hat bei jedem anderssprachigen Nachbarvolk einen andern Namen. Man sollte den Namen, den sie sich selbst geben, ermitteln; aber ein solcher Name der den Stämmen gleicher Sprache gemeinsam wäre, fehlt oft; so bei Yoruba-Stämmen gleicher Sprache sind oft anderssprachige voneinander gebraucht.

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Bei den Sprichwörtern wird wol mehr herauskommen als bei der westind. Geheimsprache. Wenn ich zu Ihrer negerenglischen Sammlung eine Anzal entsprechender afrikanischer mit sprachlichen u. sinnerklärenden Erläuterungen geben kann, thue ichs gerne. Unter den Sprichwörtern bei Oldendorp13 S. 432 finde ich übrigens nur eines, das auch in Tschwi ist (Tshi Prov. 2792): Finger einer nicht-aufhebt Sache [nicht fängt Laus], N°. 2793 ist ähnlich.14

Ich halte etwas köngelehrteauf das Zusammenwirken zweier einander ergänzender Fachmänner. So ist es z. B. meine Bibelübersetzung entstanden, von Englisch und Gã verstehenden Gehilfen aus diesen beiden Sprachen schriftlich u. mündlich übersetzt u. von mir unter Einbringung der Ergebnisse germanischen Eindringens in den Grundtext mit ihnen durchgesprochen u. dem gemäß corrigirt.

Hiemit sei es genug. Hochachtungsvoll grüßend

Ihr ergebener

J. G. Christaller.

Für die Zusendung Ihrer Schrift über die Benguela Sprache meinen Dank!15 Könnte doch e. Gelehrter wie W. Bleek16 sich jetzt an a Comparat. Grammar of South Afr. Lang.s machen! Man könnte für diese Sprachfamilie leichter zu einem gemeinsamen Schema kommen für zweckmäßige grammat. Darstellung als bei den westafrik. Ich möchte gerne e. vergleichende Gramm. der Volta-Niger Sprachen (ihre Berührungen mit dem Mande-Kon.17 einerseits u. den Bantu Sprachen andererseits berücksichtigend) zustande bringen, aber es fehlt die Zeit. D. Ob.18


1 James Schön (1802-1889), deutscher Missionar und Sprachwissenschaftler, der in Sierra Leone tätig war und 1841 an der Niger-Expedition teilnahm. Er war Spezialist für die Sprachen Haussa und Sherbro.

2 Hugh Goldie, Dictionary of the Efic Language, Edinburgh: United Presbyterian College Buildings, 1870.

3 „Polyglotta Africana war eine von Sigismund Wilhelm Koelle 1854 verfasste Studie, in der er afrikanische Sprachen miteinander verglich. Sie umfasst etwa 200 Wortlisten und war damals bahnbrechend. Nach heutiger Klassifikation handelt es sich um etwa 120 Sprachen“. Vgl. die folgende Anm.

4 Sigismund Wilhelm Koelle, Polyglotta africana. Unveränd. Nachdr. d. Ausg. London, 1854 / verm. durch e. histor. Einf. von P. E. H. Hair u. e. Wortindex von David Dalby. - Graz: Akad. Dr.- u. Verlagsanstalt, 1963. (Koelle, 1820 Cleebronn-1902 London war Missionar und Sprachforscher).

5 S. A. Crowther, Vocabulary of the Ibo language, London: Soc. for Promoting Christian Knowledge, 1882-83.

6 H. Köler. Einige Notizen über Bonny an der Küste von Guinea: Seine Sprache und seine Bewohner. Mit einem Glossarium, Göttingen: Dietrich, 1848.

7 Wit and Wisdom from West Africa: or a book of proverbial philosophy, idioms, enigmas and lacanisms, compiled by Richard Burton, London: Tinsley, 1865, XXX, 455 S.

8 Richard Francis Burton / Verney Lovett Cameron, To the Gold Coast for Gold. A Personal Narrative, Cambridge University Press, 1883.

9 Nicht identifiziert.

10 Henry Johnson (1840-1901), Archdeacon oft he Upper Niger, zeitweise in Fourah Bay, Sherbro bzw. Lokoja.

11 Kein Drucknachweis.

12 Kein Bibliotheksnachweis.

13 Christian Georg Andreas Oldendorp, Negerholländischwörterbuch

14 J. G. Christaller, Twi mmebusem, A Collection of Three Thousand and Six Hundred Tshi Proverbs in use among the Negroes of the Gold Coast Speaking the Asante and Fante Language, Basel: Basel German Ev. Missionary Society, 1879.

15 Schuchardt (1883) Über die Benguelasprache.

16 Wilhelm Bleek (1827-1875), deutscher Sprachwissenschaftler; Verf. einer Vergleichenden Grammatik der südafrikanischen Sprachen.

17 Konyakan?

18 „Der Obige“.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 01621)