Wilhelm Ernst Dietl an Hugo Schuchardt (02-02306)
an Hugo Schuchardt
17. 02. 1912
Deutsch
Schlagwörter: Esperanto Österreich Graz Wien Schuchardt, Hugo (1888)
Zitiervorschlag: Wilhelm Ernst Dietl an Hugo Schuchardt (02-02306). Graz, 17. 02. 1912. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2022). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9501, abgerufen am 17. 04. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9501.
Graz, den 17./2. 1912
Euer Hochwolgeboren!
Wollen hochgeehrter Herr Hofrat die Zusendung der beiliegenden Drucksachen1 über Esperanto nicht etwa als eine Zudringlichkeit von meiner Seite betrachten!
Das steht mir wirklich fern!
Mein Vorgehen entspringt in erster Linie dem dankbaren Gefühl für Ihre auf mein Glückwünschtelegramm2 so rasch u. in so liebenswürdiger Weise erfolgten Antwort – durch welche wir Grazer |2| Esperantisten nicht nur freudig gestimmt, sondern uns auch hochgeehrt fühlen – dann aus reiner Liebe u. Idealismus zur Sache.
In der Annahme, daß vielleicht H. Hofrat über unsere grava afero doch nicht so ganz orientiert sein könnten, darf ich wol glauben, daß etwelche Fakten über die bereits einen großartigen Umfang an Ausbreitung erlangten internationalen Zielsprache „Esperanto“ einiges Interesse erregen u. ich meine auch, Ihnen eine gewisse Befriedigung bieten müßten – denn Sie sind unter den Allerersten, die für eine |3| internationale Kunstsprache eingetreten sind – wenn es auch nicht Esperanto oder eine anders genannte war.3
Von den Drucksachen mache ich in 1. Linie auf die beste Deutsch-Esperanto Zeitung aufmerksam – dem in Berlin schon im 9. Jahre erscheinenden „ Germana Esperantisto“ – der jetzt monatlich in 2 Teilen herausgegeben wird: A ein Propaganda- u. B ein rein literarischer Teil. Der erst genannte bringt einen recht netten, vielsagenden Rückblick über die ganze Esperanto-Bewegung im Jahre 1911. – Er enthält auch die Mitteilung über den ersten |4| Verbreitungen betreffs des 8. sage achten internationalen Esperanto-Weltkongresses, der heuer zum 1. Male in Österreich u. z. in Krakau vom 11. – 18. August statthaben wird. An der Spitze des Krakauer Lokalkomite’s steht Universitätsprofessor Odo Bujwid.4
[Ich gestatte mir jetzt die Bemerkung beizuzufügen, daß wir Grazer Delegierte unsere schon i. J. 1909 in Barcelona vorgebrachte Bitte – für das Jahr 1912 Graz als Kongreßort zu wählen – im Vorjahre in Antwerpen leider nicht mehr aufrecht erhalten konnten, da in Graz vorderhand nur eine geringe Beteiligung an dem Welthilfssprache Problem „Esperanto“ sich zeigt].
In Österreich – in Wien – wird der |5| „ German-Austrio-Esperantisto“ herausgegeben, zu dessen Mitarbeitern auch der Wr Hofrat, Prof. Theodor Fuchs5, zählt, von dem eine hochaktuelle Broschüre: „Esperanto u./ Ido“ erschienen ist.6
Während des Antwerpener Kongresses i. Vorjahre wurde zum 1. Male eine eigene Kongreßzeitung u. z. in 6 Nummern gedruckt.
Großartig war die teatralische Aufführung von „Kaatje“ von Paul Spaak.7
[Nicht minder vortrefflich ward in Barcelona das Drama: „mistero in doloro“ von Adrià Gual gespielt worden.8
Daß die österreichischen Be- |6| hörden auch nicht mehr so stillschweigend über die Esperanto-Angelegenheit hinweggehen können, beweist das beiligende Heft:
„Pejzaĝoj en Austrio“ (Landschaftsbilder in Österreich) welches das öst. Eisenb. Ministerium herausgegeben hat.9 Von demselben wurden fast 1500 Stück an die Antwerpener Kongreßteilnehmer verteilt. Engländer, Franzosen wie Belgier rissen sich förmlich um dies elegant ausgestattete Büchlein.
Eine weitere in Österreich bestehende Zeitung (ganz Esperanto) ist der anliegende: „ La Marto“, der vordem in Graz erschienen ist.10
Ich erlaube mir Ihnen zur |7| geneigten Durchsicht offizielle Dokumente beizulegen über: Sepa universala kongreso de Esperanto en Antwerpeno, Paris 1912, dann das: oficiala Jarlibro 1911 des großen Esperantistenbundes: universala Esperanta-Asocio, sowie das offizielle Dokument über den 2. Kongreß dieses Bundes.
Und nun bitte ich vielmals um Entschuldigung für das Detail – aber unsere Devise: Ĉiam antaŭen = immer vorwärts trieb mich dazu.
Zuletzt die Hoffnung aussprechend, daß hochgeehrter Herr Hofrat mir die Zusendung der Esperanto Drucksachen nicht verübeln, ersuche ich höflichst |8| mir das Paket wann immer, ganz nach Belieben, rücksenden zu wollen.
Es soll mich ganz besonders freuen, wenn ich meine Absicht erreicht haben werde, daß es mir gelungen ist, Herrn Hofrat einen nicht erwarteten – möglicherweise überraschenden Einblick in unsere Kulturarbeit verschafft zu haben.
Hochachtungsvoll
Ergebener
Dr.
Dietl
1 Nicht beigefügt.
3 Vermutlich ist gemeint Schuchardt, Hugo (1888). Auf Anlass des Volapüks. Berlin: Oppenheim.
4 Odo Feliks Kazimierz Bujwid (1857-1942), polnischer Bakteriologe.
5 Theodor Fuchs (1842-1925), österr. Geologe, Paläontologe u. Museumskustos.
6 Theodor Fuchs, Esperanto und Ido, Wien: Verband der deutsch-österr. Esperanto-Vereine, 1911.
7 Paul Spaak. Préf. D’Émile Verhaeren, Kaatje, Bruxelles: Lamertin, 1908.
8 Mistero de Doloro: dramo en tri aktoj / Adrià Gual ; el kataluna lingvo tradukis Frederiko Pujulà y Vallès, Paris: Librairie Hachete, 1909. Übers. von Federico Pujulà y Vallès (Esperanto kolekto de la revuo).
9 Pejzaĝoj en Austrio / eldonita de la Ministerio per Ferovjaj Aferoj, Wien [ca. 1918]
10 La Marto, Monata, esperanta, ilustrita, familia gazeto (1910-1914); La Marto. Oficiala organo de Germana Esperanto. Ligo (G. E. L.) en Ĉeĥoslovakio (1921-1933).