Ernst Windisch an Hugo Schuchardt (29-12830)
von Ernst Windisch
an Hugo Schuchardt
21. 08. 1897
Deutsch
Schlagwörter: Deutsche morgenländische Gesellschaft Französisch Keltische Sprachen Georgisch Meyer, Gustav Leipzig Paris
Zitiervorschlag: Ernst Windisch an Hugo Schuchardt (29-12830). Wangerooge, 21. 08. 1897. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2020). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9458, abgerufen am 13. 10. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9458.
Nordseebad Wangeroog
d. 21. August 1897.
Lieber Schuchardt!
In nächster Zeit soll ein kleiner Vortrag von mir gedruckt werden, den ich in unserer Gesellschaft d. Wissenschaften gehalten habe, Ueberschrift: Zur Theorie der Misch-sprachen und Lehnwörter.1 Ueber dieses Thema können dicke Bücher geschrieben werden. Ich wollte nur einmal ganz kurz ausführen, warum ich aufgehört habe mich darüber zu wundern, daß im Französischen so gut wie keine celtischen Wörter enthalten sind. Da ich in meinem Ferienaufenthalt nicht in der Lage bin, viel herumzusuchen, so erlaube ich mir Dich zu bitten mir freundlichst angeben zu wollen, ob und wo Du Dich principiell über die Lehnwörter- oder Mischsprachenfrage ausgesprochen hast. Ich habe mich sonst nicht besonders um die Litteratur über meinen Gegenstand gekümmert, möchte Deine Ansichten aber nicht unerwähnt lassen, da ich weiß, daß Du Dich viel mit|2| derartigen Problemen beschäftigt hast. Ich bin bis 31. August im Nordseebad Wangeroog, bei Herrn Aug. Hanken; späteren Brief bitte ich nach Leipzig, Universitätsstraße 15, adressiren zu wollen, da mir von dort aus nachgeschickt wird.
Solltest Du freilich in Südspanien oder den Abruzzen oder im Kaukasus weilen, so würde dieser Brief Dich wohl nicht treffen! was ich sehr bedauern würde. Aber vielleicht bis Du nicht so weit entfernt, und dann hätte ich wohl eine Chance.
Nebenbei, was macht denn der unglückliche Gustav Meyer? Vor einiger Zeit ging das Gerücht, daß er geisteskrank geworden sei.2
Neulich besuchte mich ein Herr Kakanoff, so hieß er glaube ich, Armenier von Geburt, jetzt in Moskau, der das Georgische als Spezialität studirt.3 Er kannte und schätzte Deine Arbeiten. Ob Du die seinigen schätzest, ist eine andere Frage. Er ging zu dem |3| Orientalistencongreß nach Paris,4 zu dem ich wahrscheinlich nicht gehen werde.
Wenn Du mir schreibst, bitte so schreibe mir doch auch den Titel des baskischen Neuen Testaments auf, dessen Neudruck Du wünschst.5 Von unserer Ges. d. M.6 ist leider jetzt nichts zu erreichen, da wir ein Deficit von 5000 M. haben, u. die Regierung es nicht deckt. Aber mir ist der Gedanke gekommen, daß vielleicht das ethnologische Museum in Dresden, das einen recht schönen Druckfond zu haben scheint, dafür interessiert sein könnte. Du siehst, ich habe die Sache nicht aus den Augen verloren.
Mit herzlichen Grüßen, wo Du auch seist, und magst Du schreiben oder nicht,
Dein ergebener
EWindisch.
1 Erschienen in: Königlich-Sächsische Gesellschaft der Wissenschaften. Philologisch-Historische Klasse: Berichte über die Verhandlung., 49,6, 1897, 101-126 .
2 Dieses Gerücht ist zutreffend; Gustav Meyer schied in diesem Jahr vorzeitig aus dem Universitätsdienst aus und verstarb am 28.8.1900 in einer Heilanstalt.
3 Aleksander Solomonovich Khakhanov (1864-1912), Spezialist für georgische Sprache und Literatur; vgl. HSA 05534.
4 Onzième Congrès International des Orientalistes à Paris, 1897.
5 Vgl. dazu z.B. Zangemeisters Brief an Schuchardt (HSA 12962 vom 2.8.1898), bes. aber die Korrespondenz mit Theodor Linschmann (HSA 06465-06540).