Hugo Schuchardt Archiv

Leipzig den 15. Nov. 1890.

Lieber Schuchardt!

Du wirst Dich gewundert haben oder vielleicht auch nicht gewundert haben, daß ich Dir nicht früher für Deinen Brief gedankt habe.¹ Die Sachen waren hier so lange in der Schwebe, daß mir eine Rückäußerung unzweckmäßig schien. Ich begehe wohl jetzt keine Indiskretion mehr, wenn ich Dir sage, daß vom rein wissenschaftlichen Standpunkte aus Du selbst in erster Linie von Anfang an in Frage gewesen bist. Es wurde aber zuerst in der Facultät gewünscht, daß bewährte Leiter von roman. Seminaren ins Auge gefaßt würden. Dieser Gesichtspunkt hat die erste Auswahl bestimmt, jetzt ist er aber fallen gelassen worden, man hofft zwar auf eine ersprießliche Thätigkeit des zu berufenden Professors auch nach dieser Richtung hin, hat aber den wissenschaftlichen Gesichtspunkt mehr betont und hat in Folge davon vor Allem das Verlangen Dich zu gewinnen. Ich brauche wohl nicht hinzuzufügen, daß ich zu denen gehöre, die dies besonders lebhaft wünschen. Wie Du darüber denkst, weiß nun freilich Niemand von uns. Einige meinen, du würdest keine |2| Lust verspüren Dich hierher zu binden, mir sagt aber doch eine innere Stimme, daß Du unter annehmbaren Bedingungen doch am Ende gern hierher zurückkehren wirst, von wo Du ausgegangen bist, wo Du doch wie in eine Heimat zurückkehren kannst und wo Du neben mancherlei Arbeit doch auch mancherlei Befriedigung finden kannst. Wie der Minister sich entscheiden wird, weiß ich nicht, hoffentlich wendet er sich zuerst an Dich, was wir ihm nahe gelegt haben. Vielleicht bist Du schon unterrichtet, wie es steht, aber ich wollte doch auch meine einladende Stimme erheben. ² Du würdest allgemein hier sehr willkommen sein. Ich will nicht weiter in Dich dringen. Hoffentlich fügt es sich so, wie ich es wünsche!

Herzlich grüßt Dich

Dein ergebener

EWindisch.