Ernst Windisch an Hugo Schuchardt (15-12820)

von Ernst Windisch

an Hugo Schuchardt

Leipzig

01. 03. 1882

language Deutsch

Schlagwörter: Stokes, Whitley Leipzig Oxford Graz Wien Schuchardt, Hugo (1881–1883) Stokes, Whitley, /Windisch, Ernst (1880–1909)

Zitiervorschlag: Ernst Windisch an Hugo Schuchardt (15-12820). Leipzig, 01. 03. 1882. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2020). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9444, abgerufen am 01. 10. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9444.


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Leipzig, den 1. März [1882] 1

Lieber Freund!

Es thut mir sehr leid, daß Sie sich nicht recht wohl und frisch fühlen. Sich weniger wohl zu fühlen ist allerdings in diesem Frühjahr ein Leiden, das Sie mit manchem Andern theilen. Die Welt ist nicht ordentlich durchgefroren zur rechten Zeit, und wenn die Kälte zur unrechten Zeit nachkommt, so fürchte ich, wird sie nicht mehr willkommen sein. Aber ich hoffe, daß Sie Ihr Mißbehagen recht bald überwinden, womöglich schon überwunden haben!

Für Ihre freundliche Mittheilung über Idris2 meinen besten Dank. Roth3 hat sie freilich nicht genuegt. Wie er mir weiter mittheilt kommt Idris zweimal im Koran vor. Er kennt Rowlands, The Isle of Anglesey (2. ed. London 1766 4° p. 84)4, wo dieser Idris der Araber mit Henoch (ein Mann des Wissens, |2| lebend ins Paradies versetzt) identificiert und zu einem Astronomen gestempelt wird und Namensgeber für den Berg wird. Der Idris ist also kein Wesen celtischen Ursprungs.

Die lutherische Missionsgesellschaft in Leipzig besteht noch nach wie vor. Ihre Station ist aber auf den Ostküsten in Trankebar [recte: Tranquebar]5. Die Portuguisen sitzen hauptsächlich auf der Westküste, doch sind, wie mir mein Vetter der Privatdozent für Skr. Dr. Lindner6 mittheilt, portuguisische Gemeinden auch auf der Westküste. Alle diese Portuguisen sind unabhängig vom Pabst und stehen unter dem Erzbischof von Goa. Als einen Mann, der bereit wäre Auskunft zu geben und das nöthige Verständniß dazu besitze, bezeichnet mir Dr. Lindner den Rev. Ihlefeld, Lutherische Mission,

Poreiar near Trankebar.

Von Stokes erhielt ich vorgestern einen Brief. Er ist nur noch bis zum 18. April in Calcutta und kommt dann nach Europa, wo er sich in Oxford niederlassen wird. Vorerst ist aber seine |3| europäische Adresse: 5 Merion Square, Dublin (da wohnt sein Bruder, der Surgeon Stokes)7. Stokes hat übrigens unter meiner Adresse ein Buch für Sie eingeschickt, das ich Ihnen wohl heute noch zuschicken werde. Es ist eine irische Version der Troja Sage, mit engl Uebert., die Sie gewiß interessieren wird. 8

Wenn Sie die Mitteilung über das Pangur Bán Ms. abfassen, so können Sie sich ja rein historisch referierend verhalten.9 Das Ms. befindet sich in einem Kloster, das Ihnen oder dessen Theile Ihnen in Graz leicht erreichbar sind.10 Man hat dort auch ein locales Interesse daran. So wurde es dort geprüft, zum Ueberfluß auch in Wien von Sickel,11 und das Resultat ist, daß dasselbe dem 8. oder 9. Jahrh. angehört, mithin ebenso sehr zu den altirischen Mss. gehört, wie die Karlsruher Codices. Oder so ähnlich.

Stokes hat in seiner 26 Zeilen langen Kritik meines Buches12 viel Kleines und Unnöthiges zus. getragen, neben viel Werthvollem, oft auch Dinge, die ich selbst längst berichtigt habe. Es steht aber, |4| außer dem, was er anerkennt, noch manches Andere nicht Schlechte in meinem Buch. So z. B. hat noch Niemand die Verschiedenheit im Gebrauch der verschiedenen Formen von bíu, ich bin, erkannt gehabt. Der betreffende Artikel13 ist eine kleine Monographie, an der ich Wochenlang gearbeitet hab. Ebenso hab ich, z. T. mit schrullenhafter Absichtlichkeit, in die Artikel über die Conjunctionen, die Pronomina, die Präpositionen meine Ansicht über manche schwierige Stelle oder Form hinein gelegt. Von Einzelheiten sieht sehr viel ganz selbstverständlich aus, und doch ist es vor mir kaum bekannt gewesen, z. B. was ich über das óser (osser) Hy. 1,9,14 über Rónchind unter rón sage etc.15 Außerdem macht mir Spaß zu beobachten, wie auch Stokes in Bezug auf die Behandlung der Intuition (??) in seinem Index zu Togail Troi, in Bezug auf die Trennung der Wörter in seinem Texte nichts weniger als consequent ist. Ich rede davon nicht um mich zu beschweren, denn Stokes bin ich zu so großem Dank von Alters her verpflichtet, daß ich ihm nicht leicht Etwas übel nehme; und seine Art ist nun einmal zu spüren wie ein Trüffelhund.

Mit herzlichem Gruß

Ihr

EWindisch.


1 Im Briefkopf ein lat. EW mit Rankenwerk.

2 Vgl. HSA 12819. – Am oberen Rand (kopfstehend): „Schreiben Sie doch gelegentlich Ihre Adresse. Die Sendungen sind doch sicherer, wenn die Adresse angegeben ist“.

3 Vermutlich Rudolf von Roth.

4 Henry Rowlands, Mona Antiqua restaurata. An archaeological discourse on the antiquities, natural and historical of the Isle of Anglesey, London: J. Knox, 1766.

5 Ort am Golf von Bengalen, Sitz der ersten protestantischen Mission.

6 Bruno Lindner (1853-1930), seit 1878 Leipziger Privatdozent für Persische und Indische Philologie, von 1887-1919 pl. ao. Prof. für Arische Sprachen und Religionsgeschichte.

7 Sir William Stokes (1838-1910), u. a. Leibarzt der Königin Victoria.

8 Togal Troi. The destruction of Troy. Transcribed from the facsimile of the book of Leinster and transl. with a glossarial index of the rarer words by Whitley Stokes, Calcutta 1881.

9 Schuchardt, „Zimmeriana“, Revue Celtique 5, 1881-1883, 394-396; hier S. 396: „Wenn er [= Herr Zimmer] in dem Pangur Bán des Gedichtes einen Slowaken Pan Gurbán entdeckt, so muss dieser Slowake sich bis in die Rheingegenden verirrt haben, und ich glaube, wer das zugibt, der kann ebenso gut zugeben, dass dies um das Jahr 800, statt um das Jahr 1100, geschehen ist“.

10 Ms. Pangur Bán, St. Paul im Lavanttal, Stiftsbibliothek, Ms. 86a/1. - Im Benediktinerstift St. Paul im Lavanttal in Kärnten sind die Reichenauer Schulhefte, Manuskripte aus dem 9. Jh., aufbewahrt, in welchen das altirische Gedicht Pangur Bán geschrieben steht.

11 Theodor von Sickel (1826-1908), deutsch-österr. Historiker, von 1869-1891 Direktor des IfÖG, bedeutender Handschriftenforscher; vgl. HSA 10542-10543.

12 Revue Celtique 5, 1881-1883, 255-265.

13 Windisch, Irische Texte, 390-399.

14 Windisch, Irische Texte, 726.

15 Windisch, Irische Texte, 747.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 12820)