Ernst Windisch an Hugo Schuchardt (13-12818)

von Ernst Windisch

an Hugo Schuchardt

Leipzig

02. 12. 1881

language Deutsch

Schlagwörter: Keltistik Zimmer, Heinrich Stokes, Whitley

Zitiervorschlag: Ernst Windisch an Hugo Schuchardt (13-12818). Leipzig, 02. 12. 1881. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2020). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9442, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9442.


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Leipzig, den 2. Dec. 1881.

Verehrtester College!

Da vielleicht periculum in mora ist, so schreibe ich sogleich. Zimmer’s Erörterung ist zwar sehr gelehrt, ich halte sie aber für unrichtig. Ich bleibe dabei, daß das Ms. dem 8. oder meinetwegen dem Anfang d. 9. Jahrh. angehört. Ende des 11. Jahrh. (also jünger als das Lebor na hUidre!) halte ich für eine unglaubliche Behauptung.1 Die Kloster Neuburger Incantatio hat eine ganz andere Sprache. Ich begreife Zimmer nicht. Man könnte fast denken, daß er aus einem Haß gegen mich solche Behauptungen aufstellt. Den Kloster Neuburger Text finden Sie Z.2 954 und besser von Stokes bearbeitet Rev. Celt. II 112.2

Die Schrift in S. Paul ist ähnlich der in den Karlsruher Codices3, es ist eine schöne alte Schrift. Für das Alter spricht auch, daß so wenig abgekürzt ist.

Ich habe sogar die Vermuthung gehegt (nicht ausgesprochen), daß der König Aed, der in Cod. Carl. des Beda in der Eintragung „DCCCXVII .i. aed rex hiberniae moritur“ Z.2 XXIII erscheint, derselbe ist, den der Cod. S. Pauli in Gedicht V feiert.

Wie der Codex nach S. Paul gekommen ist, weiß ich wahrlich nicht zu sagen. Aber ich habe nie angenommen, daß er in S. Paul geschrieben sei. Wer weiß, vielleicht stammt er auch aus Reichenau, wie die Karlsruher. (So Stokes Goid2 p, 176). 4

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Dem Verdict der Paläographen sehe ich mit Gemüthsruhe entgegen. (+ Ich freue mich sehr, daß Sie die Sache untersuchen können.) Soviel ich weiß, sehen die irischen Mss. in der Schrift leicht älter aus, als sie sind, aber auch das schadet Nichts. Aber dies werden die Paläographen besser wissen als ich.

Jedenfalls hat Mone5 das Ms. ins 8. Jahrh. gesetzt, und Stokes und O‘Curry6 (On the Manu. III 97) folgen ihm darin. Für den Fall, daß Sie die Goidelica2 nicht besitzen, schreibe ich Ihnen den Passus ab, der sich in Mone’s Brief an Stokes (abgedruckt Goid.2 p. 176) darauf bezieht:

„ … und bemerke, daß es in einer Handschrift des 8. Jahrhunderts steht, die zuerst im Kloster Reichenau im Bodensee aufbewahrt wurde, jetzt aber zu S. Paul in Kärnten ist.“ etc.

In Bezug auf den Aed retrahier ich lieber obige Vermuthung. Denn der König Aed, der 817 starb war Aed Ordniede mac Neil Frassaig7, Sohn von Niall Frossach, zu dessen Zeit die Félire des Oengus abgefaßt worden sein soll (s. die Prefaces)8. Der Aed des Gedichts aber ist mac Diacmata, u. war König von Leinster, nicht König von Irland.

Mit vielen herzlichen Grüßen

Ihr

aufrichtig ergebener

EWindisch.


1 Heute geht die Keltistik davon aus, dass die Hs. um 1100 entstanden ist.

2 Whitley Stokes, „The Klosterneuburg incantation“, Revue Celtique 2, 1873-1875, 112-115.

3 Vgl. Dagmar Bronner, Verzeichnis altirischer Quellen, Marburg 2013. Bonner für die Badische Landesbibliothek Karlsruhe (S. 17-21) 6 verschiedene Texte, meist Glossen. Vgl. bes. Felix F. Heinzer, „Zur Datierung des Karlsruher Beda (Aug. CLXVII)“, Scriptorium 37, 1983, 239-241.

4 Stokes, Goidelica; old and early-Middle-Irish glosses, prose and verse, London: N. Trübner, 21872.

5 Franz Josef Mone (1796-1871) badischer Historiker, Verf. von Keltische Forschungen (1845) sowie Untersuchungen über die gallische Sprache (1851) .

6 Eugene O’Curry (1794-1862), irischer Historiker, Archäologe und Keltologe; Verf. von Lectures on the manuscript materials of ancient Irish history, Dublin: W. B. Kelly, 1873 .

7 Aedh Oirdnidhe O’Neill, 146. König von Irland (750-817).

8 Whitley Stokes, Félire Óengusso Céli Dé. The Martyrology of Oengus the Culdee. Critically ed. from ten mansucripts, with a preface, translation, notes, and indices, London: Henry Bradshaw Soc., 1905.

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