Ernst Windisch an Hugo Schuchardt (11-12816)

von Ernst Windisch

an Hugo Schuchardt

Leipzig

19. 10. 1881

language Deutsch

Schlagwörter: Deutsche Litteraturzeitung Revue celtique Graz Schuchardt, Hugo (1881) Stokes, Whitley, /Windisch, Ernst (1880–1909) Schuchardt, Hugo (1881–1883) Zimmer, Heinrich (1881–1884)

Zitiervorschlag: Ernst Windisch an Hugo Schuchardt (11-12816). Leipzig, 19. 10. 1881. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2020). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9440, abgerufen am 13. 10. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9440.


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Leipzig, den 19. Oct. 1881.

Verehrtester Freund und College!

Hoffentlich hat die Badecur Ihnen gut gethan,1 und gehen Ihnen die Insulten, die auch Sie sich haben gefallen lassen müssen, nicht zu sehr zu Herzen.2 Zweck dieser Zeilen ist, Ihnen zunächst mein Bedauern auszusprechen, daß Sie mit unter der Schrecken erregenden gegen mich gerichteten Feindseligkeit Zimmers zu leiden haben. Ich bin innerlich völlig darüber hinaus, auch habe ich wenigstens die Genugthuung gehabt, daß die Verurtheilung von Zimmers Verfahren eine allgemeine ist. Natürlich aliquod semper haeret. Ich habe mich darauf beschränkt in einer kurzen Anzeige des Zimmerschen Schmähheftes3 meine Auffassung der Sache ruhig aber bestimmt anzugeben. Den Artikel in der Berliner Litteraturzeitung lasse ich ganz bei Seite,4 ebenso wie Z.‘s Erklärung gegen|2| meine Anzeige. Z.‘s Erklärung ist schwach, auch stimmen seine Thatsachen nicht mit dem, was ich sicher weiß, aber ich lasse ihm das letzte Wort. Denn ich bin der Ueberzeugung, daß jedes Wort, mit dem die Sache verlängert wird, nicht mir oder Ihnen, sondern Z. zu Gute kommt. Das ist auch der Grund, weshalb ich mir den Rath erlauben möchte, sich doch ja noch einmal zu überlegen, ob Sie die Erklärung, die Sie an Zarncke eingeschickt haben, wirklich veröffentlichen wollen. Sie haben, soweit ich dieselbe kenne, in jedem Punkte Recht, aber auf das skandalfrohe Publicum würde Ihre Erklärung sicherlich den Eindruck machen, daß dieser „glänzend“ begabte Z. am Ende gar nicht so Unrecht hat, uns Dilettanten ordentlich auf die Finger zu schlagen, wenn er auch vielleicht ein Wenig zarter hätte auftreten können. Z. würde Ihnen ganz gewiß wieder antworten. Wenn Sie ruhig warten, bis Ihre Zeit gekommen und dann mit ruhiger Grazie, über sich und mich und ihn erhaben, Ihre Worte führen, so scheint mir das besser zu sein, als wenn Sie ad hoc eine Erklärung |3| abgeben. Ich habe erfahren, daß auch Stokes5 über Z. Verfahren sehr entrüstet ist. Er wird wahrscheinlich im nächsten Heft der Revue Celtique mein Buch und Z.‘s Schrift eingehend kritisieren. Ich bitte Sie davon nicht weiter zu sprechen, aber vielleicht wäre es ganz nützlich erst einmal zu sehen was der gänzlich unbetheiligte Stokes zu den Dingen sagt. Z. hat verhältnismäßig nicht viel weniger Böcke geschossen, als ich. Rachsüchtig bin ich gar nicht gestimmt; ich bin immer noch lieber der Autor des geschmähten Buchs als der Autor der Schmähschrift. Wer weiß, ob Sie in Graz Gelegenheit haben mit einem guten Freund die Sache zu besprechen. Ich habe solche Gelegenheit gehabt, und von den Anschauungen, die wir gewonnen, wollte ich Ihnen gern Mittheilung machen. Ich bitte Sie das freundlich aufzunehmen, wie auch ich Ihnen in keiner Weise verdenke, wenn Sie anders handeln. Aber so bescheiden würde ich an Ihrer Stelle von meinen irischen |4| Kenntnissen nicht reden. Solche Bescheidenheit in der Oeffentlichkeit wissen nur Wenige zu schätzen. Noch einmal, den Eindruck habe ich gewonnen, daß Z.‘s Verfahren ziemlich allgemein Verurtheilung oder wenigstens Mißbilligung gefunden hat. Ich war so zurückhaltend, daß ich in Berlin auf dem Orientalistencongreß Niemandem gegenüber anfing über die Sache zu reden; aber z. B. Weber6 redete mich sogleich darauf an, und sagte, „wir alle“ mißbilligen Z.s Verfahren etc. Natürlich ist mir die Freude an meinem Buche gänzlich verdorben, ich werde aber fortfahren auf demselben Gebiete zu arbeiten.

Den harmlosen Satz in meiner Vorrede, man solle mit mir nicht über untergeordnete Punkte rechten, haben Sie natürlich ganz richtig bezogen; wie man in demselben eine Spitze finden kann, ist mir ganz unerfindlich. Ich wollte nur darum bitten, mir bei meiner langwierigen und mühsamen Arbeit nicht allzu viel von den kleinen Inconsequenzen und sonstigen Mängeln aufzumutzen, weil dann das Sündenregister gar zu lang geworden wäre! Ich wollte ja nur mir zum Vergnügen und, wie ich hoffte, Anderen zum Nutzen einen Querdurchschnitt meines Wissens geben. 1875 als ich anfing zu drucken war ich 31 Jahr alt, also auch noch kein ergrautes Weisheitsgefäß! Ich rechne bestimmt darauf daß Sie mir nach wie vor wohlgesinnt bleiben, bei aller Kritik, und daß Sie mir nicht entgelten lassen, daß Sie um meinetwillen diese große Unannehmlichkeit gehabt haben.

Mit den herzlichsten Grüßen

Ihr

EWindisch.


1 Schuchardt weilte von August bis Oktober in Nassau.

2 Vgl. dazu Schuchardt, „Erklärung“, LCBl 32, 1881, 1595-1596 (Auseinandersetzung mit Heinrich Zimmer und dessen heftiger Kritik an Windischs Irische Texte); weiterhin „Zimmeriana“, Revue Celtique 5, 1881-1883, 394-396. Einzelheiten finden sich zudem in der Kommentierung von Schuchardts Brief an Henri Gaidoz (28.10.1881), HSA 010-SG2. – Informationen, die ein differenzierteres Urteil belegen, als es sich in der Korrespondenz Windischs mit Schuchardt manifestiert, ergeben sich z. B. aus Schuchardts Korrespondenz mit Friedrich Zarncke, vgl. z.B. HSA Nl_249_015-017 (10.10.1881).

3 Heinrich Zimmer, Keltische Studien. 1. Irische Texte mit Wörterbuch von E. Windisch, Berlin 1881; weiterhin Bespr. von Windisch, Irische Texte mit Wörterbuch, in: Göttingische gelehrte Anzeigen Stück 22/23 (31. Mai und 7. Juni 1882), 673-736 .

4 Zimmer, in: Deutsche Literaturzeitung 42, 1881, Sp. 1645-1646.

5 Whitley Stokes (1830-1909), irischer Jurist und Keltologe; vgl. HSA 11280-11281. Vgl. auch seine harsche Kritik Zimmers in der Revue Celtique 5, 1881-1883, 255 -265 („I will not gratify Prof. Zimmer, and pain the readers of the Revue celtique by transcribing the insults which he has flung, like mud, at a scholar to whom all Celtic studens, including Prof. Zimmer himself, are so deeply indebted“ (S. 255)).

6 Albrecht Friedrich Weber (1825-1901), Sanskritist; Heinrich Zimmer war ebenfalls Kongress-Teilnehmer. Vgl. Verhandlungen des fünften Internationalen Orientalisten-Congresses. 1. Bericht über die Verhandlungen, Berlin 1881, S. 5.

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