Ernst Windisch an Hugo Schuchardt (08-12809)

von Ernst Windisch

an Hugo Schuchardt

Leipzig

08. 01. 1881

language Deutsch

Schlagwörter: Literarisches Centralblatt für Deutschland Deutsche Litteraturzeitung Stokes, Whitley Güterbock, Bruno Thurneysen, Rudolf Ebel, Hermann Wilhelm Zeuss, Johann Kaspar Wales Straßburg Schuchardt, Hugo (1881) Schuchardt, Hugo (1880) Windisch, Ernst (1879) Stokes, Whitley, /Windisch, Ernst (1880–1909) Zimmer, Heinrich (1881–1884)

Zitiervorschlag: Ernst Windisch an Hugo Schuchardt (08-12809). Leipzig, 08. 01. 1881. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2020). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9437, abgerufen am 18. 04. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9437.


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Leipzig, den 8. Jan. 1880 [recte 1881]. 1

Verehrtester Freund und College!

Heute früh erhielt ich die neue Nummer des Centralblatts und in ihr Ihre Besprechung meines Buchs. Ich bin Ihnen zu außerordentlichem Dank verbunden für die wohlwollende persönliche Theilnahme, mit der Sie mein Buch in Angriff genommen und die besseren Seiten desselben hervorgekehrt haben. Ihre Aeußerungen haben mich erst eine Festfreude über die Vollendung der Arbeit empfinden lassen, denn für mich standen die Unvollkommenheiten im Vordergrund. Wenn ein Mann wie Sie es verantworten kann ein Buch so anerkennend hervorzuheben, so darf sich der Autor desselben einen Moment der Freude und Genugthuung gönnen. Ich gestehe, daß durch Ihre Worte meine Lust an den irischen Aufgaben, an denen ich arbeiten könnte, verdoppelt worden ist. Sie sind mir wieder wie in Ihrer Recension meiner Grammatik2 in alle Wirbel nachgegangen, und ich freue mich ganz besonders, daß Sie dabei bemerkt haben, wie ich auf das wilde Gezweig der Sprache, die Präpositionen, Conjunctionen etc eine besondere Sorgfalt verwendet habe. Diese Artikel haben mir zum Theil ganz unverhältnismäßige Zeit gekostet, und ich habe mir dafür von Zeit zu Zeit das heimliche Vergnügen gemacht, eine Ansicht über eine schwierige Stelle in einem solchen Artikel zu äußern, um dadurch demselben und seinesgleichen etwas mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. Ich |2| erlaube mir Sie bei dieser Gelegenheit auch auf bín aufmerksam zu machen. Diese Scheidung der verschiedenen Flexionsweise auch der Bedeutung nach ist meines Wissens neu, wenigstens habe ich sie selbständig gefunden und dann überall berührt befunden. Natürlich ist 260, 24 t/dia t/dig zu lesen. Dieser Fehler ärgert mich sehr. Im 1. Druck dieses Bogens stand er nicht, und er ist auch im 2. Druck erst nach meiner Revision hineingekommen. – Hy.3 5,85 ist eine verwünschte Stelle, auf die ich wieder zurückkomme. – Gl. 60 (nicht 50) zu Hy. 1 bei Stokes steht bei mir am Rande „nicht aufgenommen“; ich habe mich mit diesem othoin stundenlang geplagt, wie Sie es mit othain i-cainnel zus.bringen wollen, ist mir noch nicht klar. – itubrad ist schon für die Nachträge notirt. – Wie tairmesc fehlen kann, begreife ich nicht. Das muß rein unter den Tisch gefallen sein, oder ich möchte fast selbst glauben, es steht irgendwo am unrechten Ort, so sehr liegt es mir im Gedächtniß. Es bedeutet Verbieten. – Hy.5,89 u. 104 denke ich eigentlich nicht mehr an for-bin, sondern vielmehr an for-benim vgl. auch die Gr. unter forbia. – Die Verweisungen könnten noch zahlreicher sein, ich hätte systematischer darüber nachdenken sollen. Was meine Bemerkung p. VIII anlangt, so wurde sie allerdings von der Furcht dictirt. Ich dachte, na wenn Jemand mir hier ebenso auf den Zahn fühlt, wie Sch. in der Grammatik, da kann Vielerlei zu Tage kommen. Ich danke Ihnen sehr für Ihre freundliche Schonung, denn wer will, der kann mir viel am Zeuge flicken. Andere werden sich das schwerlich entgehen lassen. – Ihre briefliche Bemerkung über innund verstehe ich nicht recht,4 modernes annunn entspricht ganz correct einem alten innund (das seinerseits wieder aus noch älterem and- hervorgegangen sein könnte), vgl. altgall. ambi-, altis. imb, imm, neus. am, u. a. m. – In Bezug auf |3| al könnten Sie Recht haben. – In der Bemerkung zu p. 121, 22 u. 23 haben Sie mir ein sehr unangenehmes Fragezeichen gelöst! Sie haben glaube ich das Richtige getroffen. „Wie geht es dir? wird es dir immer leichter?“ „Es ist mir nicht leichter“, ussa ist Comparativ. – Daß fóirfed p. 122, 20 in sóirfed verändert wurde, will mir noch nicht einleuchten, des Sinns wegen und weil zwar s bisweilen fälschlich für f, aber nicht das Umgekehrte vorkommt. os a chionn ist wohl unpassend heran gezogen, aber das supra eam verstehe ich auch noch nicht. – dían-galar ist gewiß eine schwere Krankheit, aber angor fus langor würde ich doch nicht conjiciren; wer weiß, was man sich unter langor gedacht hat. – Ihre Bemerkung über cailcín ist vielleicht richtig. – Das tibred p. 119,2 etc. heirathen vermittelt sich wohl durch die Bedeutung „daran wagen“. – Daß alle von mir zus.gestellten Texte schon einmal herausgegeben wären, wußte ich eigentlich nicht. Doch fällt mir ein, daß Sie das Facsimile des Lebor na huidre5 als Ausgabe rechnen könnten, dann würde allerdings als ineditum nur übrig bleiben III Scél mucci Mic Dáthó, VI II6 und die ersten Teile von X. Aber z. B. der Haupttext IX Fled Bricrend7 war doch vor mir von niemandem bearbeitet. Ed. Müller’s Ausgabe des Tochmarc Étáine konnte ich nicht citiren, da meine Texte bereits vor derselben gedruckt waren.8 Der Druck ging 1875 und 76 vor sich, dann sammelte ich zwei Jahre zum Wörterbuch weiteres Material, dessen 1. Bogen Ostern / März 1879 gedruckt wurde. Von da ab ging der Druck ohne Unterbrechung bis zum 15. November 1881. Ed. Müller hat seine irischen Studien bei mir angefangen, er theilte mir aber von seiner kleinen Arbeit in London Nichts mit, sonst hätte ich ihm eine andere vorgeschlagen. Wenn Sie genauer zusehen, so werden Sie finden, daß Text und Uebersetzung von Fehlern wimmeln, zum Theil in Folge sehr mangelhafter Correctur (Müller war in Ceylon, u. Jemand Andres muß für ihn eingetreten sein). |4|Ueber die Uebersetzung der Stelle ro canustar etc. p.353,11 habe ich mich seiner Zeit königlich amüsirt. – Sie haben ganz Recht, mein Einwand ainsium betreffend ist Unsinn. – Hy. 2,28 consena a ríge] ein metrischer Fehler dachte ich läge hier nicht vor, weil zus. stehende Vocale als eine Silbe gerechnet werden können. – In Bezug auf doub und crïol haben Sie offenbar Recht. – Gemeinsame Sagenzüge werden sich unzweifelhaft noch manche finden, und was Roth Weiß Schwarz (die deutschen Farben) anlangt, so ist darauf schon von Leo, Ferienschriften9 2. Heft S. 258 aufmerksam gemacht (mit Citat aus Mabinogion p. 257). Irre ich aber nicht, so weiß mir Stokes10 einmal irgendwo eine deutsche Parallele bei Grimm’s auf, doch habe ich mir das leider nicht notirt. – Auf Ihre Zustimmung, daß die celtische Natur in Irland reiner ist, als in Wales, lege ich sehr großen Werth. – Summa summarum ich danke Ihnen herzlich für Ihre für mich so ehrenvolle und wohlwollende Kritik. Ich habe nun auch mehr die Stirn dem trefflichen Hirzel11 mit anderen Arbeiten zu kommen, denn die Herstellung dieses Buchs war sehr kostspielig, und wird der Verleger nur sehr allmählich auf seine Kosten kommen. – Trotzdem hat der vortreffliche Mann ein neues Buch übernommen, bei dem er auch keine Seide spinnen kann. Einen Index zum irischen Theil der Grammatica Celtica! Für dieses Buch möchte ich gar im Voraus für Ihr Interesse werben. Nur der Plan ist von mir, die Ausführung ist von zwei jungen Leuten Güterbock ( Berlin) und Dr. Thurneysen ( Basel).12 Natürlich hatte ich gedacht, daß der Berliner Verleger der Gr. Celt. diesen Index13 übernehmen würde. Bis vor Kurzem wurde ja von verschiedenen Seiten auf die Nothwendigkeit eines solchen Index hingewiesen. Aber der Berl. Verleger schlug auf Dr. Zimmers14 Rath die Sache ab, als der Index ziemlich druckfertig war. Es seien nur etwa noch 150 Exemplare der Gr. Celt. unverkauft, u. die Herstellungskosten seien zu hoch. Ich bin nach wie vor der Ansicht, daß ein solcher Index für ein so monumentales Werk, auf welches ein großer Theil unserer sprachwissenschaftlichen Litteratur gestimmt ist, von großem Werth ist. |5| Es werden ihn doch nicht bloß die 150 brauchen welche die noch existirenden Exemplare der 2. Aufl. kaufen, sondern auch die 500, welche solche schon besitzen. Zudem hat Zimmer vor ein ganz andres Buch aus der Gr. Celt. zu machen,15 und da hat doch ein Inventar des Zeuß-Ebel auch noch seinen besonderen Werth. Der Index wird in zwei Theile zerfallen: der 1. Theil führt das Material nach den Handschriften geordnet vor, aus dem Zeuss sein Werk zus.gesetzt hat, der 2. Theil giebt dann den eigentlichen Werkindex. Es wird etwa 12 Bogen werden.

Für Ihren Brief und die Erklärung von Myvyrian Archaiology16 herzlichen Dank! Hätten Sie nicht Lust, eine kleine altcymrische Chrestomathie zum Gebrauch für Vorlesungen mit kleinem Lexicon, vielleicht auch einer kurzen Grammatik zus. zu stellen? Das wäre vorzüglich, und ist eine Arbeit, die für Sie ein Spaß sein müßte. Handschriftliches ist ja hier nicht nöthig, da so viel schon gedruckt vorliegt. Ein Paar Brendangedichte,17 Etwas aus dem Mabinogion18, oder den Four ancient Books of Wales,19 Etwas aus den Williams’schen Publicationen20, Etwas aus den Leges?21

Mit freundlichsten Grüßen dankbar und ergebenst

Ihr

EWindisch.

In der Berliner Litteraturzeitung werde ich wohl nicht sehr glimpflich angefaßt werden!22 Ich gab Zimmer bereits 1875 in Straßburg die Revisionsbogen der Texte, so daß er reich Zeit gehabt hat alle Schwächen herauszufinden.23 Doch sehe ich dem nach Ihrer Anzeige24 mit Gemüthsruhe entgegen. Vom Dialektischen wird Zimmer übrigens mehr verstehen als ich, da er jetzt und früher lange Zeit im Land war. Ich habe nicht so viel Sinn für diese nach meinen Begriffen nicht sehr ergiebigen Variationen, die ins Endlose gehen.


1 Im Original 8.1.1880. Dies Datum ist aber unwahrscheinlich, da die fragliche Rez. erst am 8.1.1881 erschien. Gemeint ist übrigens Schuchardts Rez. von Ernst Windisch, Irische Texte mit Wörterbuch, Leipzig: Hirzel, 1880, in: LCBl 32, 1881, 58-62.Schuchardt hatte bereits in ZrP 4, 1880, 124-155Windischs Kurzgefasste Irische Grammatik mit Lesestücken besprochen. Vgl. HSA 12810, der inhaltlich dem vorliegenden Brief vorausgeht.

2 Schuchardt, „[Rez. von:] Ernst Windisch, Kurzgefasste Irische Grammatik mit Lesestücken“, ZrP 4, 1880, 124-155.

3 Abkürzung für Hymnus, zit. nach Windisch, Irische Texte mit Wörterbuch, Leipzig 1880, Kap. I („Die altirischen Hymnen“).

4 Dazu am Rand (für den Leser etwas verwirrend) „ich bin geneigt Ihre Auffassung von innund zu theilen.“

5 Leabhar na h-uidhri / „Das Buch der Dunklen / Dunkelfarbigen Kuh“ bezeichnet eine Sammelhandschrift in altirischer Sprache, die um 1100 n. Chr. im Kloster Clonmacnoise entstand. Facsim. Dublin: Royal Irish academy house, 1870.

6 „Scél mucci Mic Dáthó“, in: Windisch, Irische Texte 1, 1880.

7 Bricrius Fest, Erzählung aus dem 8. Jhdt.

8 Edward Müller, „Two Irish Tales. 2. The History of Aillel and Etain", Revue Celtique 3, 1878, 351-360 [Ms. Egerton 1782] .

9 Heinrich Leo, Ferienschriften. Vermischte Abhandlungen zur Geschichte der deutschen und keltischen Sprache, H. 2, Halle 1852.

10 Whitley Stokes (1830-1909), irischer Keltologe; vgl. HSA 11280-11281.

11 Salomon Hirzel (1804-1877), aus Zürich stammender Verleger in Halle a.S.

12 Bruno Güterbock / Rudolf Thurneysen, Indices glossarum et vocabulorum Hibernicorum quae in grammaticae Celticae editione altera explanantur, Lipsiae (Leipzig): Hirzel, 1881.

13 Johann Kaspar Zeuss / Hermann Ebel, Grammatica Celtica; e monumentis vetustis tam Hibernicae linguae quam Britannicorum dialectorum Cambricae Cornicae Aremoricae comparatis Gallicae priscae reliquiis, Berolini (Berlin): Weidmann, 1871. – Der Verlag wurde zu diesem Zeitpunkt von Hans Reimer d. Ä. (1865-1887) geleitet.

14 Der Keltologe und Indologe Heinrich Zimmer (1851-1910), der 1881 nach Greifswald berufen wurde; HSA 13048.

15 Zimmer, Keltische Studien. Bd. 1: Irische Texte mit Wörterbuch. 1881; Bd. 2: Über altirische Betonung und Verskunst. 1884, Berlin: Weidmann.

16 Die Myvyrian Archaiology ist eine Sammlung mittelalterlicher walisischer Literatur in 3 Bänden, die von 1801 bis 1808 von der Gwyneddigion Society herausgegeben wurden.

17 Navigatio Sancti Brendani? Vermutlich sind keltische Vorläufer gemeint.

18 Charlotte Schreiber, The Mabinogion, London 1849 ; John Rhys, The text of the Mabinogion and other Welsh tales from the Red Book of Hergest, Oxford: Evans, 1887.

19 William F. Skene, The Four Ancient Books of Wales. Containing the Cymric Poems attributed to the Bards of the Sixth Ce. I, Edinburgh 1868.

20 Vermutlich Robert Williams (Robert ap Gwilym Ddu; 1766-1850), walisischer Dichter.

21 Plato, Leges 1,637 d-e.

22 Kein Nachweis.

23 In der Deutschen Litteraturzeitung (durchgesehen wurden die Jgg. 1880-1882) ist keine Rez. von Windischs Irische Texte nachweisbar; vgl. dafür Heinrich Zimmer, Bespr. von Windisch, Irische Texte mit Wörterbuch, in: Göttingische gelehrte Anzeigen Stück 22/23 (31. Mai und 7. Juni 1882), 673-736.

24 Schuchardt, „[Rez. von:] Windisch, Ernst, Prof., Irische Texte mit Wörterbuch“, LCbl 32, 1881, 58-62.

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