Ernst Windisch an Hugo Schuchardt (04-12810)

von Ernst Windisch

an Hugo Schuchardt

Leipzig

06. 07. 1880

language Deutsch

Schlagwörter: language Irischlanguage Keltische Sprachenlanguage Englischlanguage Deutschlanguage Latein Stokes, Whitley England Windisch, Ernst (1879) Schuchardt, Hugo (1880) Stokes, Whitley, /Windisch, Ernst (1880–1909)

Zitiervorschlag: Ernst Windisch an Hugo Schuchardt (04-12810). Leipzig, 06. 07. 1880. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2020). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9433, abgerufen am 18. 04. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9433.


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Leipzig, den 6. Juli 1880

Verehrter Herr College!

Ihre Recension meiner Irischen Grammatik, die ich heute zu meiner Ueberraschung erhielt,1 habe ich mit lebhaftem Interesse durchgelesen, und daraus ersehen, wie gründlich Sie mein kleines Buch durchgenommen haben. Ich würde mich gefreut haben, wenn Sie sich etwas befriedigter hätten erklären können, aber das ist natürlich nicht Ihr, sondern mein Fehler, obwohl Sie mir in den Ausstellungen über die Anordnung etwas zu weit gehen. Ich bin der Ansicht, daß gerade in Grammatiken innerhalb eines gewissen Rahmens sehr verschieden angeordnet werden kann. Doch, Zweck dieser Zeilen ist nicht mit Ihnen über Dies oder Jenes zu rechten, sondern Ihnen meinen freundschaftlichen Dank zu sagen für manch nützliche und wahre Bemerkung, die ich gefunden habe und die ich vorkommenden Falls gewiß nicht außer Acht lassen werde. Ich behalte mir vor über einige Punkte, wenn ich mehr Zeit habe, eingehender an Sie zu schreiben, und wollte Ihnen mit diesen Zeilen nur einen Gruß und freundlichen Dank für Ihre Sendung aussprechen. Ueber ir.fell weiß ich leider nicht viel zu sagen, ich lege Ihnen das Blatt meines Wörterbuchs bei, auf dem es vorkommt; eine ältere |2| Stelle ist nicht dabei; aber ich glaube auch, daß fell ein celtisches Wort ist. Der Druck meiner Wörterbücher ist im R, fehlen also noch STU. Hirzel hofft, das ganze Buch im November ausgeben zu können,2 Q. D. B. V.!3 Möglich ist das nur, wenn ich sehr stark arbeite, und mir nicht allzusehr den Kopf über die sehr vielen Fragezeichen zerbreche, die Sie in diesem größeren Werke noch zahlreicher als in der Grammatik finden werden!

Ich bin übrigens erstaunt, wie Sie sich ins Irische eingearbeitet haben! Es freut mich das sehr, weil Sie ein ritterlicher Kämpe sind, von dem ich noch manche andere celtische Waffenthat erwarte. Uebrigens sollte meine irische Grammatik kein schweres Geschütz sein, sondern nur leichte Feldartillerie, mit der man die Unwissenheit in irischen Dingen nicht vernichtet, sondern nur in gewisse Entfernung zurückweist.

Mit besten Grüßen

Ihr

EWindisch.

Ueber das Praes. secundarium habe ich Folgendes gefunden: Nur sonderbar, daß ein u. dasselbe Tempus zugleich Imperfectum Indicativ und Conjunctiv sein soll! In Wirklichkeit sind hier zwei Formationen zusammengeflossen, wie gr. τιμῶ τιμᾷς τιμᾷ sowohl aus τιμάω τιμάῃς τιμάῃ entstanden ist. An den Verben auf ín (dognús, bín, cíim) kann man den Unterschied |3| noch deutlich erkennen: biinn, 3. biid bíth ist eram, erat, aber beinn, beid4 ist essem, esset. biid ist indog. *bhûjata, beid5 ist indog. *bhûjâta. Es unterscheiden sich diese Formen wie Ind. bús sum und beo sim, dogníu facio und dognéo faciam, die ersten Ind., die letzten Conj. – Das Praes. sec. ist also in den Formen, die ich analysiren kann, Ind. und Conj. Praes. Med., neuen Zwecken dienstbar gemacht. Faßt man das Praes. sec. als urspr. Medium, so begreift sich auch, wie bertís sowohl ferebant als auch ferebantur sein kann. Aber mit den Endungen bíinn, bimmís, bitís weiß ich allerdings immer noch nichts anzufangen; bei der 1. Pl. auf mís könnte man an ahd. –mês denken, aber was ist –tís?

Genaueres über Whitley Stokes6 Verbleib weiß ich nicht. Er schrieb mir zuletzt, daß er bis Juni in England sein würde, ich vermuthe ihn jetzt wieder in Calcutta und würde dahin an ihn schreiben.

Mir graut schon, was Alles an meinem Wörterbuch auszusetzen sein wird! Solide ist es glaube ich gearbeitet, auch habe ich mir die Augen nach Fehlern ausgeguckt, und einen Magencatarrh angesessen, aber so orden[t]lich zu arbeiten, wie ich hintenach gern möchte, ist mir nicht gegeben. In den Bedeutungsangaben bediene ich mich der englischen, deutschen, lateinischen Sprache, je nachdem. Sie müßten bedenken, daß wir doch noch lange nicht bei der ferneren Arbeit sind, ich wenigstens ringe noch sehr um das bloße Verständniß u. warum soll ich da einen gegebenen lat. oder engl. Ausdruck in einen vielleicht nicht ganz passenden deutschen umsetzen. Für Schlitzhosen7 ist die irische Grammatik ja so wie so nicht. Beim Wörterbuch bin ich darauf bedacht gewesen, daß auch Engländer und Franzosen es benutzen können u. da habe ich absichtlich fast bei jedem Wort eine Angabe in Englisch oder Lateinisch. Aber es ist wahr, die Iren stecken Einen mit ihrer Wilkür etwas an. Lassen Sie mal wieder von sich hören!


1 Schuchardt, „[Rez. von:] Ernst Windisch, Kurzgefasste Irische Grammatik mit Lesestücken“, ZrP 4, 1880, 124-155.

2 Windisch, Irische Texte; mit Wörterbuch, Leipzig: Hirzel, 1880, XIII, 886

3 „Quod Di Bene Vortant!“ („Was die Götter zum Guten wenden mögen!“).

4 Das i hat einen senkrechten Doppelstrich.

5 Das i hat einen senkrechten Doppelstrich.

6 Whitley Stokes (1830-1909), irischer Keltologe; vgl. HSA 11280-11281.

7 Nicht klar, wer oder was gemeint ist („Schlitzohren“?).

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 12810)