Ernst Windisch an Hugo Schuchardt (03-12808)
von Ernst Windisch
an Hugo Schuchardt
06. 12. 1874
Deutsch
Schlagwörter: Keltologie Revue celtique Walisisch
Irisch
Keltische Sprachen
Latein
Englisch Gaidoz, Henri Arbois de Jubainville, Henry d´ Stokes, Whitley Nigra, Costantino Ascoli, Graziadio Isaia Rhys, John Ebel, Hermann Wilhelm Leipzig Rhys, John (1877) Carisch, Otto (1852)
Zitiervorschlag: Ernst Windisch an Hugo Schuchardt (03-12808). Heidelberg, 06. 12. 1874. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2020). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9432, abgerufen am 01. 10. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9432.
Heidelberg den 6. Dec. 74.
Verehrter Freund,
Hoffentlich sehen Sie mir nach, daß ich Ihnen erst heute antworte. Ich komme in der Regel nur Sonntags zum Briefschreiben, letzten Sonntag hatten wir ein paar Gäste, die mich verhinderten. Daß Ihnen meine Abhandl. über Verlust und Auftreten des p in den celt. Sprachen gefällt,1 freut mich sehr. Um so mehr bedauere ich Ihnen keinen Abzug schicken zu können. Ich hatte 6 Stück, und habe diese an einige auswärtige Leute (Gaidoz, Arbois de Jubainville, Stokes, Nigra, Ascoli) geschickt, denen ich eine Aufmerksamkeit schuldig war. Stokes wird mir in Manchem nicht beistimmen, ich muß aber auch jetzt noch den Satz aufrecht erhalten, daß bis jetzt kein echt cetl. Wort mit indog. p nachgewiesen ist. Vielleicht haben Sie Interesse an den lautgeschichtlichen Expositionen genommen; auch hier hätte ich Manches noch weiter ausführen können.
Daß Sie mit Eifer Welsh treiben, interessirt mich sehr. Mein Ehrgeiz ging allerdings nicht dahin Irisch sprechen zu lernen, obwohl ich auch von der modernen Sprache ausgegangen bin. Irisch sprechen ist vielleicht noch schwerer als Welsh sprechen, denn der linguistische Vorsprung des Irischen, nämlich in seiner Orthographie alterthümlicher zu sein als in seiner Aussprache, ist anderseits ein schweres Hinderniß für das Sprechen. Rowland, |2| Welsh Exercises besitze ich auch.2 Ein ähnliches irisches Buch ist von Bourke, dessen Titel ich Ihnen weiter unten mittheile. Ich habe mit diesem Briefe begonnen, ohne es jedoch ganz durchzuarbeiten. Mein Lehrer O’Grady3 las sehr bald mit mir eine irische Sage in moderner Sprache, die ich genau nach O’Reilly‘s miserablem Dictionary4 und nach O’Donovan’s origineller Grammatik5 präparirte. Letzere kennen Sie wohl. Es ist nicht Ollendorfsche Manier6, sondern eine Art von wissenschaftlicher Behandlungsweise mit beachtenswerther Berücksichtigung der Dialekte. Was Sie von Zeuss7 sagen, ist sehr richtig. Wenn man jedoch das erste Grauen überwunden hat, so findet man sich wirklich bald sehr gut zu Recht. Ich habe diese Erfahrung an mir selbst und an den Paar Leuten gemacht, die mit mir in Leipzig und hier Irisch betrieben haben. Mein Handbuch liegt allerdings länger in der Luft, als ich wünsche. Doch hoffe ich nun bestimmt zu Ostern mit dem Druck der Texte beginnen zu können. Ich mochte mich nicht gern übereilen. Celtische Etymologien zu finden ist viel leichter als Texte zu ediren! Ich mochte kein Stück ediren, ohne es gründlich durchgearbeitet zu haben. Die eingstreuten Gedichte sind immer so schwer. Zu gleicher Zeit arbeite ich an einer Darstellung des irischen Verbalbaus. Ein Capitel, das über das Perfectum, ist fertig; ich schicke es im Ms. an Curtius, da ich das Ganze ihm nachträglich zu seinem Jubiläum dediciren will. Was Sie über die Abschriften von Rhys schreiben, war mir neu. Seine Kimrica,8 offenbar Stokes Goidelica9 nachgebildet, könnten ein sehr nützliches Hülfsbuch werden. Was die lat. Lehnworte in den |3| celtischen Sprachen anlangt, so befindet sich in Bacmeisters Nachlaß10, den ich habe, eine Samml. der lat. Lehnw. im Celtischen aus Zeuss. Dieselbe ist vollständiger, als die z. B. von Ebel in den Beitr. veröffentlichte.11 Sollte Ihnen mit derselben gedient sein, so steht sie Ihnen zur Verfügung; ich gedachte sie gelegentlich für die Beiträge einzuschicken. Ein Bruchstück einer Samml. der Lehnwörter im Cymrischen ist auch vorhanden, aber es erstreckt sich nur über ein Paar Buchstaben des Alphabets. Ich habe gestern eine eingehende Kritik von Bacmeister’s Keltischen Briefen vollendet. Rhys fördert nicht lauter Gutes zu Tage, aber seine Erklärung von vielen cymr. d oder dd aus urspr. ja über dja ist sehr beachtenswerth (Rev. Celt. II Heft 2). Darnach würde engl. rid (to get rid of) mit unserem frei zusammenhängen! Denn dieses engl. Wort scheint ein Lehnwort zu sein.12 Was die Grabschriften anlangt, so zweifele ich sehr an cymr. Ogams13 in cymrischer Sprache = Macqui kann nur Irisch sein. Aber die Welshmen wollen eben auch ihre Ogams haben. Die Rev. Celt. haben Sie sich wohl angesehen. Es findet sich doch viel Interessantes darin, wenn man auch in manchem Artikel etwas mehr Kritik zu sehen wünschte.
Der Titel des von mir erwähnten irischen Uebersetzungsbuchs (mit Schlüssel zur Nachprüfung) lautet: Easy Lessons of Self-Instruction in Irish, by the Rev. Ulick J. Bourke, 5th edition Dublin, John Mullany, London: Washbourne, Paternoster-Row 1867. Wenn ich nicht irre, kostet das Buch ca 7 shill.
|4|Indem ich mich mit Vergnügen zu jedweder Auskunft bereit erkläre, die in meinen schwachen Kräften steht, bin ich mit vielen herzlichen Grüßen
Ihr
ergebenster
Ernst Windisch
1 Beiträge zur vergleichenden Sprachforschung auf dem Gebiete der arischen, celtischen und slawischen Sprachen 8, H. 1, 1876, 1-48 . Vgl. auch HSA 12807.
2 Thomas Rowland, Welsh exercises, Bala: Sounderson, 1870.
3 Standish Hayes O’Grady (1832-1915), Irischer Altertumsforscher und Keltologe.
4 Edward O’Reilly, Irish-English Dictionary, Dublin 1817 u. ö.
5 John O’Donovan, A Grammar of the Irish Language, Dublin: Hodges and Smith, 1845 .
6 Heinrich Gottfried Ollendorff (1803-1865), deutscher Grammatikverfasser und Fremdsprachenpädagoge; später Verleger in Paris. Sein Werk Méthode de l'Allemand à l'Usage des Français (1833) wurde zum Unterricht in öffentlichen Schulen Frankreichs zugelassen.
7 Johann Kaspar Zeuß (1806-1856), deutscher Philologe, gilt als Begründer der Keltologie.
8 Vermutlich John Rhys, Lectures on Welsh philology, London: Trübner, 1877.
9 Whitley Stokes, Goidelica; old and early-Middle-Irish glosses, prose and verse, London: Trübner, 1872 .
10 Adolph / Adolf Bacmeister (1827-1873), Germanist, Redakteur und Schriftsteller. Vgl. Windisch, „Adolf Bacmeister’s celtische Studien“, Beiträge zur vergleichenden Sprachforschung auf dem Gebiete der arischen, celtischen und slawischen Sprachen 8, 1876, 422-441 (darin 424 zu „Celtische Briefe“).
11 Hermann Wilhelm Ebel, „Celtische Studien“, Beiträge zur vergleichenden Sprachforschung auf dem Gebiete der arischen, celtischen und slawischen Sprachen 3. 1863, 1-46 ; vgl. aber bereits dessen „Celtische Studien“ in: Beiträge 1, 1861, 155-186 .
12 John Rhys, „Etymological Scraps“, Revue celtique 2, 1873-75 (Mélanges), 115-119.
13 Ogam bzw. Ogham ist eine altirische Schrift.