Ernst Windisch an Hugo Schuchardt (02-12807)
von Ernst Windisch
an Hugo Schuchardt
17. 01. 1874
Deutsch
Schlagwörter: Revue celtique Irisch Walisisch Keltische Sprachen Latein Arbois de Jubainville, Henry d´ Stokes, Whitley, /Windisch, Ernst (1880–1909) Schuchardt, Hugo (1873)
Zitiervorschlag: Ernst Windisch an Hugo Schuchardt (02-12807). Neuenheim, 17. 01. 1874. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2020). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9431, abgerufen am 07. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9431.
Neuenheim bei Heidelberg den 17. Jan. 74.
Verehrter Freund
Es war mir sehr angenehm einmal ein so freundliches Lebenszeichen von Ihnen zu erhalten, und ich beeile mich Ihnen das wenige, was ich sagen kann, mizutheilen.
Ir. coire1 ist das gewöhnliche Wort für Kessel, in dem z. B. das Fleisch gekocht wird (so in einer mir vorliegenden Sage). In vielen Fällen ist oi ältere Affection von a durch i der ff. Silbe, als ai, daher auch hier coire als die ältere Form anzusehen ist, caire als die jüngere. Im Irischen ist a nicht selten in späteren Sprachperioden an Stelle von älterem e oder o eingetreten (die altir. Stämme auf e = ia erscheinen im Mittelirischen mit a, altir. nemde himmlisch, mittelir. nemda, neuir. neamdha). Was die Etymologie von coire anlangt, so schwebt Stokes‘2 Zurückführung auf kakria oder gar pakria in der Luft, denn wir haben keine Spur von Ersatzdehnung wie in dér für dair. Das Cymrische stößt die tenuis k vor r nicht aus, noch heute heißt es dagr Thräne. Da nun cymr. pair (boiler, cauldron) allerdings dem ir. coire entsprechen wird, so wird auch von dieser Seite der Ausfall eines Gutturals nicht wahrscheinlicher. Ich schätze Stokes sehr hoch, und staune seine celtische Gelehrsamkeit bewundernd an, aber seine Stellung zu den Lautgesetzen ist mir oft etwas zu frei. Das von Ihnen angeführte Runenwort ist mir unbekannt, dagegen finde ich das offenbar damit identische altnord. hverr m. gen. hvers Kessel, Bergkessel. Obwohl dieses bei Wimmer § 32 (übers. v. Sievers)3 unter den einfachen a-stämmen aufgeführt wird, so stehe ich doch nicht an es mit den erwähnten celtischen Wörtern zu identificiren: germ. Grundf. hvara – celtische Grund. quaria-. Die Gleichheit dieser Wörter wird um so schlagender, als Stokes Ir. Gl. 7244 auch für ir. coire die Bedeutung Bergkessel nachweist. Das Weitere überlasse ich Ihnen. In meinem vor einigen Jahrhunderten an Kuhn abgeschickten Aufsatz über celtisches p und k5 habe ich das Paar coire-pair übersehen, und verdanke es Ihnen, wenn ich dasselbe |2| noch einschmuggeln kann.
Ich habe mit Unbehagen Bacmeisters Keltische Briefe gelesen.6 Es steht viel hübsches darin, was der Zunftmann von dem Freischwärmer lernen und annehmen kann. Ich habe von seinem Freund O. Keller in Freiburg B.‘s Nachlaß bekommen und aus demselben erfahren wie fleißig er Celtisch getrieben hat. Er hat sich einen, wohl nicht ganz vollständigen Index, außer zur 1. und dann auch zur 2. Aufl. der Gramm. Celt. gemacht.7 Zur Veröffentlichung eignet sich nur einzelnes, was ich vielleicht in einer Anzeige der Bücher anbringen werde. Die kurze Besprechung in der Augsb. Allg. war nicht von mir.
Sie fragen, ob ich hier ein celt. Colleg zu Stande bringe? ich hoffe nechstes Semester. Mir läge daran, auch im Interesse meines irischen Lesebuchs.8 Die Texte dazu habe ich fast fertig, das Glossar ist noch nicht fertig zusammengestellt, doch sind die Zettel zu den zwei Hauptstücken schon geordnet. Die Grammatik ist das ekligste.
Ihre Artikel zur roman. Sprachwissenschaft lese ich mit Interesse. Was sind Sie doch für ein gelehrtes Haus! Mit d’Arbois de Jubainville habe ich mich etwas verhoben. Ich sollte den 1. Band der Rev. Celt. für die Beitr. anzeigen, und habe mich da günstig über seine Theorie die wechselseitige Beeinflussung der celtischen und lateinischen Declinationsformen betreffend ausgesprochen.9 Die Sache scheint aber nicht so sicher zu sein. Ihre allgemeinen Bemühungen XXI 434. 43510 klangen sehr in mir an; ich hoffe mich bald in ähnlicher Weise aussprechen zu können. Zu Curtius‘ Jubiläum im October 7411 möchte ich gern wenigstens die 1. Hälfte des 2. Bandes der Syntakt. Studien fertig haben, wo ich auch ein Paar allgemeine Gesichtspunkte veröffentlichen möchte.12 Ich werde demnächst an die Waisenhausbuchhandlung schreiben um zu erfahren, bis wann das Ms. da sein muß, um bis zum Oct. gedruckt zu sein.
Hoffentlich ist Ihr Wohlsein wieder hergestellt. Das Gegentheil werde ich sehr bedauern.
Empfangen Sie auch meinen herzlichen Glückwunsch für Ihr Wohlergehen im Neuen Jahr und seien Sie freundschaftlich gegrüßt von Ihrem
EWindisch.
Einen Empfehl an den grimmen Zacher,13 und wer sonst meiner freundlich gedenkt, z. B. Pott (?).14
1 In lateinischen Buchstaben geschrieben.
2 Whitley Stokes (1830-1909), irischer Jurist und Keltologe; vgl. HSA 11280-11281.
3 Ludvig Frans Adalbert Wimmer, Altnordische Grammatik. Aus dem Dän. übers. von Eduard Sievers, Halle: Buchh. d. Waisenh., 1871 [Oldnordisk Formlaere til brug ved undervisning og selvstudium, deutsch] .
4 Whitley Stokes / Cormac / Donall O’Davoren, Three Irish glossaries, London u.a.: Williams and Norgate, 1862.
5 Windisch, „Verlust und Auftreten des p in den celtischen Sprachen“, KB 8, 1873-76, 1-48.
6 Adolf Bacmeister, Keltische Briefe. Sammlung. Hrsg. von Otto Keller, Straßburg: Trübner, 1874. – Adolf (Lucas) Bacmeister (1827-1873), deutscher Germanist, Journalist, Philologe und Schriftsteller. Otto Keller (1838-1927) war Klass. Philologe, 1872 Professor in Freiburg i. Br., danach in Graz bzw. Prag; vgl. HSA 05497-05503.
7 Johann Kaspar Zeuss, Grammatica Celtica; e monumentis vetustis tam Hibernicae linguae quam Britannicarum dialectorum Cambricae Cornicae Aremoricae comparatis Gallicae priscae reliquiis. Ed. altera curavit H. Ebel, Berlin: Weidmann, 1871 (Erstausg. 1853).
8 Windisch, Irische Texte, mit Wörterbuch, Leipzig: Hirzel, 1880.
9 Windisch, Bespr. von „Revue celtique“, Beiträge zur vergleichenden Sprachforschung auf dem Gebiete der arischen, celtischen und slawischen Sprachen 8, 1874, 244-254, hier 253ff.
10 Schuchardt, „Romanische Sprachwissenschaft“, Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung auf dem Gebiete des Deutschen, Griechischen und Lateinischen 21, 1873, 434-461. Zu d’Arbois vgl. S. 459f.
11 Nicht klar, um welches Jubiläum es sich handelt.
12 Berthold Delbrück / Ernst Windisch, Syntaktische Forschungen, Halle: Waisenhaus, 1871f. (Bd. 2 erschien 1876) .
13 Julius Zacher (1816-1887), deutscher Germanist, seit 1863 Ordinarius in Halle.
14 August Friedrich Pott (1802-1887), Allg. Sprachwissenschaftler in Halle.