Gustav Ludwig Weigand an Hugo Schuchardt (15-12713)
an Hugo Schuchardt
07. 11. 1907
Deutsch
Schlagwörter: Vergleichende Sprachwissenschaft Universitätsbibliothek Graz Universität Leipzig Aromunisch Rumänisch Albanisch Bulgarisch Sanskrit Meyer, Gustav Leskien, August Meyer, Gustav (1891)
Zitiervorschlag: Gustav Ludwig Weigand an Hugo Schuchardt (15-12713). Leipzig, 07. 11. 1907. Hrsg. von Luca Melchior (2022). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9427, abgerufen am 12. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9427.
Leipzig, 7. Nov. 1907.
Hochverehrter Herr College!
Die rumänische Academie hat meinen Schüler Herrn P. Papahagi1 , der im Frühjahr hier promoviert hat und sich auch jetzt wieder hier befindet, beauftragt, die kürzlich aufgefundenen [sic] Grammatik von Ucuta2 herauszugeben und dabei gleichzeitig den Daniel3 und Kavalliotis zu veröffentlichen4 . Da, soviel ich weiß, das einzige Exemplar der Protopiria des Kavalliotis in G. Meyers5 Besitze war, dessen Bibliothek, wie ich höre, in Ihren Besitz übergegangen ist, so möchte |2| ich die große Bitte an Sie richten, mir das Buch auf einige Zeit zur Verfügung zu stellen, bis Papahagi eine genaue Abschrift davon genommen hat. Ich garantiere für Unversehrtheit des Buches.
Hat G. Meyer Verbesserungen zu seinem alban. etym. Wb.6 hinterlassen? Wissen Sie, ob nicht eine Neubearbeitung dieses Wb. in Vorbereitung ist? Es wäre sehr notwendig zumal das Buch vergriffen ist. Leskien hat ein beschreibendes Wb. des Alb. im Manuscripte fertig, scheut aber die Herausgabe.7 Jetzt, wo ich meine bulg. Gram.8 fertig habe, habe ich mehr Zeit mich auf das Alb. zu werfen. Ich habe im vorigen Semester Lautlehre vorgetragen, |3| in diesem Semester lese ich Flexionslehre und nach Weihnachten soll auch Lectüre folgen.9 Uebernächstes Jahr hoffe ich auf längere Zeit nach Albanien gehen zu können, um mich gründlich einzuarbeiten. Der Schlüssel zur Lösung der Rumänenfragen liegt doch auf rumänisch-bulg.-alb. Gebiete.10 Ich selbst glaube schon klar zu sehen, aber dem großen Publikum und ganz besonders dem rumänischen Publikum muß man mit handgreiflichen Beweisen kommen, sonst sind sie nicht zu überzeugen. Aber meine Zeit wird kommen. Die Verbindung des rum. mit dem bulg. Institute wird reiche Früchte bringen.
Mit hochachtungsvollen Grüßen
Ihr ganz ergebener
G. Weigand
1 Pericle Papahagi (1872-1943), aromunischer Philologe, Sprachwissenschaftler und Folklorist.
2 Gemeint ist die aromunische Grammatik für den Muttersprachenunterricht von Constantin Ucuta (1797) .
3 Es handelt sich um das Werk von Daniil Moscopoleanul (etwa 1770), das ein viersprachiges (Aromunisch, Rumänisch, Albanisch und Bulgarisch) Wörterbuch beinhaltete. Diese wurde von Papahagi (1909) jedoch aus einem späteren Druck (1802) herausgegeben.
4 Vgl. Papahagi (1909).
5 Gustav Meyer (1850-1900), Indogermanist und Balkanologe, zwischen 1875 und 1897 Professor für Sanskrit und Vergleichende Sprachwissenschaft in Graz.
6 Meyer (1891). Ein Teil des Meyer’schen Nachlasses ist in der Universitätsbibliothek Graz aufbewahrt (vgl. Kern 1956:402 ), wobei es nicht möglich war, herauszufinden, wann dieser zur Bibliothek kam (der auf den enthaltenen Materialien befindliche Stempel „k.u.k. Universitätsbibliothek in Graz“ lässt jedoch vermuten, dass sie seit längerer Zeit dort aufbewahrt werden). Unter den Materialien des Nachlasses befinden sich auch fünf Notizhefte zur albanischen Grammatik und zu Literaturquellen (Signatur I 1753, Th. 1-5); darunter finden sich aber keine Hinweise auf Materialien zur Neuausgabe des Wörterbuchs.
7 Es ist in der Tat kein Wörterbuch des Albanischen von August Leskien bekannt.
8 Weigand (1907) .
9 Laut Vorlesungsverzeichnis der Universität Leipzig las Weigand namentlich im Sommersemester 1912 „Historische Grammatik des Rumänischen I. Teil: Lautlehre“, im Wintersemester 1912 „Rumänische Flexionslehre“; in beiden Semestern hielt er dazu am Institut für rumänische Sprache einen Kurs über „Interpretation folkloristischer Texte“ (vgl. Universität Leipzig, 22.8.2022).
10 Die Ansichten Weigands über den Ursprung des Rumänischen und seine Beziehungen zu den anderen Sprachen des Balkans bereiteten ihm – wie schon oben gesehen – erhebliche Probleme mit der rumänischen Öffentlichkeit (vgl. unter anderen Bochmann 1996:22 ). Zum Bruch mit Rumänien kam es jedoch während und nach dem Ersten Weltkrieg (vgl. Puşcariu 1968:37f. ; vgl. auch Peyfuss 1974:19f. ).