Wilhelm Meyer-Lübke an Hugo Schuchardt (64-07286)

von Wilhelm Meyer-Lübke

an Hugo Schuchardt

Bonn

03. 02. 1921

language Deutsch

Schlagwörter: Zeitschrift für romanische Philologie Schuchardt, Hugo (1921) Hurch, Bernhard (2006) Meyer-Lübke, Wilhelm (1920) Weiss, Brigitta (1986)

Zitiervorschlag: Wilhelm Meyer-Lübke an Hugo Schuchardt (64-07286). Bonn, 03. 02. 1921. Hrsg. von Magdalena Rattey (2022). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.9360, abgerufen am 30. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.9360.


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Bonn, 3. febr. 21.

Hochgeehrter herr Kollege!

Dass das doppelheft der zeitschrift, das Hilka1 zu meinen ehren zusammengestellt hat2, als schluss einen aufsatz von Ihnen enthält, ist mir eine ganz besondere freude.3 Sie wissen, wie sehr ich zu allen zeiten Ihre arbeiten bewundert habe, in der jugend mit bedingungsloser hingabe, später mehr skeptisch, kritisch, dadurch aber erst recht zum vollen werte durchdringend. wenn wir trotzdem und trotz langer örtlicher nähe uns innerlich fern (eher als fremd) geblieben sind, so liegt das wol vor allem daran, dass unsere naturen, sieht man von der wissenschaftli-|2|chen einstellung ab, allzu verschieden sind dass sie sich nicht ergänzen, vielmehr der verbindenden häkchen zu wenige sind, als dass ein gefüge möglich geworden wäre. Nun auch Sie meines eintrittes ins alter gedenken, möchte ich mit dem danke den wunsch verbinden, dass Ihnen die geistige rüstigkeit und „alterslosigkeit“, die auch Ihre letzten Arbeiten zeigen, noch weiter bewahrt bleibe, möchte das ad multos annos, das mir jetzt so oft zugerufen wird, weiter geben.4 Vielleicht finden Sie in dem bändchen5 , das Ihnen eben jetzt zugeht, auch einen einfluss Ihrer forderung nach der richtigen wertung der bedeutung bei unseren |3| sprachgeschichtlichen forschungen und gewinnen ihm dadurch ein gewisses interesse ab. Es war nicht als gegengabe gedacht sondern als eine huldigung.6

Ihr
Meyer-Lübke


1 Alfons Hilka (1877-1939), Romanist, Schüler von A. Tobler. 1914-15 vorübergehende Vertretung des Lehrstuhls in Bonn, dann als Ordinarius in Greifswald, ab 1921 in Göttingen. Von 1920 bis 1934 war er Herausgeber der Zeitschrift für Romanische Philologie (ZrP) (vgl. "Hilka, Alfons" in NDB).

2 Das Heft Nr. 41 der ZrP (1921) wurde mit folgender Widmung an Meyer-Lübke eingeleitet: Wilhelm Meyer-Lübke zu seinem 60. Geburtstage am 30. Januar 1921 ein Freundesgruß in schwerer Zeit. Schuchardts Beitrag Ecke, Winkel befindet sich, wie ML in diesem Brief hervorhebt, am Ende der Festschrift. Schuchardt fühlte sich offenbar durch die Platzierung seines Artikels auf Platz 14 gekränkt: Spitzer, der die Festschrift in Auftrag gegeben hatte, schreibt im Brief vom 4. Jänner 1922 ( 326-11087, ed. in Hurch (Hg.) 2006) an Schuchardt: „er [Hilka] hatte offenbar keine Ahnung von der Art Ihrer Beziehungen zu M.-L. Auch daß Sie als 14. Gast zum Bankett kamen, war nicht richtig [...]“.

3 Auch Spitzer betont die Freude MLs über Schuchardts Artikel (vgl. den Brief vom 31. Jänner 1921 an HS ( 279-11039), ed. in Hurch (Hg.) 2006).

4 Das ist wohl im Gegenzug zu Schuchardts Artikel (s. o.) ein Geburtstagswunsch an den älteren Kollegen.

5 Es dürfte wohl die dritte Auflage seiner Einführung in das Studium der romanischen Sprachwissenschaft (Meyer-Lübke 1920b), wenn auch nicht im Katalog der Schuchardt-Bibliothek (vgl. Weiß 1986) verzeichnet, gemeint sein.

6 Mehrere Stellen in dem oben genannten „Bändchen“, bei dem es sich wahrscheinlich um Meyer-Lübke (1920b) handelt, deuten auf eine Anerkennung Schuchardts durch ML hin. So z.B.: „Einen besonders schönen Beitrag, der Sach- und Wortforschung vereinigt, hat auf romanischem Gebiete H. Schuchardt in seiner Festschrift zu Mussafias 70. Geburtstag 1905 gegeben.“ (Meyer-Lübke 1920b: 108).

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 07286)